»Vietnam mit gutem Ende«
In der Stunde seiner größten Bedrängnis erreichte Saddam Hussein wohlgemeinter Rat aus Moskau. Über die sowjetische Botschaft in Bagdad ließ Michail Gorbatschow, der einzige diplomatische Helfer, der dem irakischen Diktator noch geblieben war, dem bereits Geschlagenen im Führungsbunker eine dringliche Warnung zukommen.
Die irakische Führung, forderte Gorbatschow, müsse »so schnell wie möglich« verkünden, daß sie bereit sei, alle Beschlüsse des Weltsicherheitsrats bedingungslos zu akzeptieren. Die Sowjets hätten beobachtet, daß die Spitzen der alliierten Streitmacht unter Führung der Amerikaner nur noch 240 Kilometer von Bagdad entfernt stünden.
Wenn Saddam nicht sofort kapituliere, drängte Gorbatschow, bestehe die Gefahr, daß die Invasionstruppen ihren Vormarsch fortsetzten, um den von US-Präsident George Bush gejagten Iraker in seiner eigenen Hauptstadt gefangenzunehmen. Und mit düsterer Illusionslosigkeit teilte der Kreml-Chef mit, daß er keine Möglichkeit habe, die Amerikaner an einem solchen Bravourstück zu hindern.
Die Alarmmeldung ihres einstigen Protektors versetzte die Saddam-Gang in Panik. Längst hatte sie den Überblick über den Schlachtplan der Alliierten verloren, wußte die Armeeführung nicht mehr, aus welcher Richtung der Feind zuschlagen würde.
Erregt fuhr der stellvertretende Ministerpräsident Saadun Hammadi im Revolutionären Kommandorat den Außenminister Tarik Asis an: »Worauf warten Sie noch? Schreiben Sie unsere Antwort sofort an den Weltsicherheitsrat!«
Saddam Hussein, der Eroberer und Schinder Kuweits, der bis zuletzt mit seinen Getreuen die trügerische Hoffnung hegte, die Sowjets könnten ihn noch vor der totalen Niederlage bewahren und ihm einen halbwegs ehrenhaften Ausweg aus dem selbstverschuldeten Desaster weisen, mußte das Spiel verloren geben; Moskau, die hilflose Großmacht, bot keine Rettung.
Auf das bittere Ende hatte ihn zuvor schon Gorbatschows Emissär Jewgenij Primakow bei seinem letzten Bagdad-Besuch vorbereitet: Den Bodenkrieg gegen die Weltmacht Amerika, von Saddam nach 38 Tagen verheerender Luftangriffe herbeigeredet, könne er nicht gewinnen. Strategie und Taktik, die Iraks Millionenheer vom sowjetischen Lehrmeister übernommen und im Golfkrieg gegen den Iran erprobt hatte, seien veraltet, gestand Primakow.
Doch geblendet von der schieren numerischen Stärke seiner Divisionen - auf dem Papier die fünftgrößte Streitmacht der Welt -, vorangetrieben vom Beifallsgeschrei seiner Lieblinge, der unglücklichen Palästinenser, hatte Saddam Hussein es auf eine Kraftprobe ankommen lassen - und die endete am Donnerstag voriger Woche mit der schrecklichsten Niederlage eines Araberstaats seit Nassers Sechs-Tage-Krieg von 1967.
Sechs Monate lang hatte der Iraker der Weltkoalition aus 28 Staaten, die sich gegen ihn verbündet hatten, durch unnachgiebige Kompromißlosigkeit getrotzt. Nun mußte er, nach nur 100 Stunden Landkrieg, die seinen Heldenmut hätten beweisen sollen, alles zugestehen - zu spät.
Nach einem Zangenangriff, vom US-Oberbefehlshaber am Golf, General Norman Schwarzkopf, als »Operation aus dem Lehrbuch« gerühmt, die wie Hannibals Cannae von den Militärakademien der Welt studiert werden würde, verlor der irakische Despot 41 Divisionen, darunter die Elite seiner mit sowjetischen Waffen hochgerüsteten Armee, die bis dahin zum Stolz aller Araber im Felde nie besiegt worden war.
Rund 200 000 Gefangene, Zehntausende von Deserteuren und bis zu 100 000 Gefallene: So ungleich schien im nachhinein dieser Kampf zwischen dem Dritte-Welt-Staat Irak und der High-Tech-Macht USA (die 79 Soldaten im Kampf verlor), daß auf den ansonsten makellosen Sieg der Allianz schon wieder ein Schatten fiel. Wohl noch nie in der Kriegsgeschichte war das Mißverhältnis zwischen den Verlusten der einen und der anderen Seite so kraß gewesen.
Die »Schlacht aller Schlachten«, in der Saddam seinen amerikanischen Peinigern »grausame Überraschungen« zu bereiten gedachte, wurde für den Erzfeind des Diktators, US-Präsident Bush, zum persönlichen Triumph.
Der US-Präsident, mit einer Zustimmungsrate von 90 Prozent aller Amerikaner so populär wie Harry Truman im Frühjahr 1945, hatte vorige Woche jedenfalls seine »neue Ordnung« für die Ära nach dem Ende des Kalten Kriegs mit einem Fanfarenstoß eingeleitet: Amerika fühlte sich als Weltgendarm, der mit jedem ehrgeizigen und skrupellosen Potentaten aus der Dritten Welt fertig zu werden versprach, der es wagte, sich ihm in den Weg zu stellen.
Wie eine Ironie der Geschichte mutete es an, daß ausgerechnet die USA, der »Große Satan« aller frommen Moslems, nun den Willen des verstorbenen Ajatollah Chomeini postum zu vollstrecken schienen: Der unerbittliche Schiiten-Führer hatte den acht Jahre währenden Golfkrieg gegen den Irak nicht einstellen wollen, solange Saddam an der Macht sei - ein von persönlicher Feindseligkeit diktiertes Kriegsziel, das Bush mit ihm teilte.
Die Bilder von Saddams vernichtend geschlagener Armee schockten nicht nur die Verlierer - Iraker, Jordanier, Palästinenser; sie erregten die ganze arabische Welt, die auch dort, wo der Tyrann verhaßt war, überwiegend Trauer über die Schmach des Brudervolkes empfand.
Dem Verführer Saddam mochten Sturz, Tod oder Exil bevorstehen, wenn sich nach dem ersten Schock erst einmal die Ernüchterung im Irak festgesetzt hatte. Die Erinnerung an die Enttäuschung, die er insbesondere über die Palästinenser gebracht hat, wird nicht mit ihm vergehen.
Ihre Hoffnung auf einen zähen Widerstand ihres Idols schien verständlich, hatten doch selbst die Pentagon-Strategen Angst vor dem Sturm auf die anscheinend undurchdringliche »Saddam-Linie«, den irakischen Befestigungswall um Kuweit gezeigt.
Immer wieder hatten US-Offiziere ihre Soldaten gewarnt, wenn sie gegen die tiefgestaffelten Verteidigungslinien anrennen müßten, erwarte sie ein Inferno. Wüstengeneral Schwarzkopf plagten »Alpträume« bei dem Gedanken, seine Truppen könnten in »Todeszonen« vor Minenfeldern, Feuergräben und Feldbefestigungen von der feindlichen Artillerie vernichtet werden.
Doch als amerikanische Stoßtruppen am frühen Sonntag morgen vorletzter Woche die vordersten Stellungen der irakischen Infanterie stürmten, fanden sie oft nur Gräben voller Leichen vor.
Im tagelangen Trommelfeuer alliierter Sprengbomben und Artilleriegranaten hatten Saddam Husseins Frontdivisionen über die Hälfte aller Soldaten verloren. Während eines vorbereitenden Artillerieangriffs vor dem Sturm verschossen britische Kanoniere binnen 30 Minuten 1100 Tonnen Sprenggranaten. Das kam einem Bombardement durch 60 B-52 gleich.
Die Wirkung solcher Feuerschläge war verheerend. Es habe »sehr, sehr viele Tote« gegeben, bestätigte General Schwarzkopf - so viele, daß die genaue Zahl wohl niemand je erfahren wird.
So konnte der amerikanische Mythos vom sauberen Krieg aufrechterhalten werden. Feldbestattungen in eilends ausgehobenen Massengräbern sollten verhindern, daß Amerikas Sieg durch Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel getrübt wurde.
In der Wüste spielten sich tragisch-bizarre Szenen ab: Angsterfüllte Iraker küßten ihren Überwältigern Hände und Füße; unterernährte und halbverdurstete Soldaten ergaben sich jedem, der des Weges kam - einem italienischen Kamerateam, einer im Schlamm steckengebliebenen zweiköpfigen Jeep-Besatzung, der sich ein moderner irakischer Kampfpanzer zur Übergabe stellte, oder gar einer unbemannten Aufklärungsdrohne - ein Novum in der Kriegsgeschichte, noch nie hatten sich Soldaten einem ferngelenkten Roboter ergeben.
Hatten die Pentagon-Strategen den Feind weit überschätzt, die eigenen Fähigkeiten zu gering bewertet oder gar die eigene Öffentlichkeit absichtlich irregeführt? Wie kam es, daß ein Krieg, der nach Meinung ernst zu nehmender Experten noch Wochen oder Monate hätte dauern können, mit einer nie gesehenen Blitzschlacht zu Ende ging?
»Wir wußten, daß die Iraker nur sehr beschränkte Aufklärungsmittel hatten«, erklärten US-Militärs hinterher ihre erfolgreiche Strategie: Nachdem die Alliierten die uneingeschränkte Luftüberlegenheit errungen hatten, sei »Saddam praktisch ohne Augen« gewesen.
So bekamen seine Generale überhaupt nicht mit, daß Schwarzkopf in den Tagen vor der Landschlacht weit über 100 000 Soldaten in Schnellmärschen mehrere hundert Kilometer weit nach Westen verschoben hatte. Binnen Stunden konnten diese Verbände nach Beginn des Umfassungsangriffs ihre Tagesziele erreichen. US-Fallschirmjäger hatten tief im Irak einen Stützpunkt errichtet, aus dem sie schon wenig später ins Euphrattal vorstießen: »Die Tore sind zu«, freute sich Befehlshaber Schwarzkopf. Die Nationalstraße 8, der einzige Ausweg der irakischen Truppen aus der Umklammerung, war gesperrt.
Auf breiter Front hatten die Alliierten auch den irakischen Verteidigungsgürtel um Kuweit angegriffen - nach tagelanger Vorbereitung durch Bombenangriffe und Artillerie-Trommelfeuer. Napalm-Brandsätze gegen ölgefüllte Panzergräben, sieben Tonnen schwere Mammut-Bomben, die im Umkreis von mehreren hundert Metern Menschen und Material zerquetschen, Aerosol-Bomben, deren Luft-Treibstoff-Gemisch tödlichen Explosionsdruck bis in unterirdische Befestigungen verteilt, Raketen aus zwölfrohrigen Werfern, die mit einer Salve beinahe 8000 Sprengkörper weiträumig verschießen, und die 20-Tonnen-Last der B-52-Bomber: Was immer die Alliierten in ihren Munitionslagern und Bombendepots vorrätig hielten, regnete todbringend auf Iraks Verteidigungsstellungen herab.
Saddams taktische Reserve war aus der Luft schwer getroffen worden, noch ehe sie in den Kampf eingreifen konnte. Panikartiger Rückzug rettete sie nicht - einmal aus dem Schutz ihrer Erdbunker herausgefahren, diente sie als Zielscheibe für das »Hasenschießen«, wie alliierte Piloten über die leichte Beute höhnten.
Serienweise zerbarsten Panzer, Schützenpanzer und Lastwagen auf der Straße nach Basra und am Schatt el-Arab im Bombenhagel; in einem einzigen Einsatz schossen zwei A-10-Flugzeuge insgesamt 27 Kampfpanzer ab. »Ein chaotisches Dünkirchen«, beschrieb der Londoner Independent das Gemetzel. Über den Rückzugstraßen nördlich von Kuweit, wo irakische Truppen »Stoßstange an Stoßstange« Richtung Basra flohen, war der Andrang angreifender Bomber so dicht, daß die amerikanische Luftüberwachung Jets zu Ausweichzielen dirigieren mußte, damit es nicht zu Kollisionen kam.
Selbst ohne Luftunterstützung, auf die das US-Korps wegen der schlechten Sicht weitgehend verzichten mußte (im Qualm der Ölbrände hatten US-Jets versehentlich zwei britische Schützenpanzer abgeschossen), fielen Hunderte von Panzern der Republikanischen Garde südwestlich von Basra am vorigen Mittwoch in einer der größten Panzerschlachten seit dem Zweiten Weltkrieg weitreichenden Raketen zum Opfer.
Nicht einmal mit der gefürchtetsten seiner Waffen konnte Saddam das Kriegsglück noch wenden - seine Giftgasvorräte blieben ungenutzt in ihren Depots. Dabei hatte Bagdads Militärführung C-Waffen-Granaten bis nahe an die Front verteilt. Daß sie gleichwohl nicht eingesetzt wurden, hat für Amerikas Militärs mehrere Gründe:
»Wir waren einfach zu schnell«, vermuten viele Offiziere. Saddams Kanoniere hätten nicht gewußt, wohin mit dem Zeug, ohne die eigenen Leute zu gefährden. Da Bagdads Luftwaffe in den letzten 17 Kriegstagen kein einziges Flugzeug mehr in die Luft brachte, fiel sie als Träger für Giftwaffen aus. Fraglich ist auch, ob Befehle zum Verschießen der Massenvernichtungsmittel - wenn Bagdad sie denn überhaupt erteilt hat - die Artillerie noch erreicht hätten.
So konnte Amerikas Oberbefehlshaber Schwarzkopf vergangenen Donnerstag befriedigt nach Washington melden, daß 41 von ehemals 42 irakischen Divisionen auf dem Kriegsschauplatz »vernichtet, zerschlagen oder kampfunfähig« seien, ohne daß es zu den befürchteten US-Verlusten gekommen war.
Kriegsherr George Bush hatte damit wahr gemacht, was er seinem Volk von Anfang an versprochen hatte: Auf einen Kampf »mit ungewissem Ende« werde er sich nicht einlassen. Immer wieder versicherte der Präsident sich und der Welt, Gott und die Moral auf seiner Seite zu haben. Seit dem Zweiten Weltkrieg habe sich keine Herausforderung »von ähnlicher moralischer Bedeutung« gestellt wie die Befreiung Kuweits und die Bestrafung des irakischen Diktators.
Kein Zweifel: Dieser Krieg, den Bush im Namen des Völkerrechts zu führen vorgab, den er sich in einer historisch beispiellosen Serie von zwölf Uno-Resolutionen hatte genehmigen lassen, war vor allem sein persönliches Werk. Der US-Präsident allein war die treibende Kraft hinter der Allianz, die den Diktator besiegte.
Fast schien es, als suchte der Mann im Weißen Haus den Konflikt mit Saddam Hussein, um seinen Drang nach historischer Größe zu befriedigen. Schon im ersten Amtsjahr, als der Feind noch Manuel Noriega hieß, philosophierte Bush über die Feuertaufe, der sich jeder Inhaber des hohen Amts zu stellen habe.
Im Wüstenkrieg um Kuweit tilgte Bush endgültig einen Makel, der sein Image seit Beginn seiner politischen Karriere vor mehr als zwei Jahrzehnten befleckt hat: den Ruf, ein entscheidungsschwacher Opportunist zu sein, von Gegnern hämisch als »Wimp«, als Schwächling verunglimpft. Noch im Präsidentschaftswahlkampf 1988 plagten selbst Bush-Freunde Zweifel, ob der Mantel der Präsidentschaft nicht eine Nummer zu groß für Ronald Reagans Vize sei.
Das ist vorbei. Bush, dem Helden des Blitzkrieges in der Wüste, ist nun die Wiederwahl 1992 so gut wie sicher.
Zielstrebig suchte der Präsident den Showdown mit seinem Gegenspieler am Golf und setzte sich dabei über viele Zauderer hinweg, die zu Vorsicht rieten. Entscheidungen traf er im kleinen Kreis, als Oberfalke ließ er sich noch nicht einmal von seinem Sicherheitsberater Brent Scowcroft überbieten.
Könnte Bush jetzt, durch den Erfolg bestätigt, zum Wiederholungstäter werden, allzeit bereit, mit militärischer Gewalt rund um den Globus gegen wirkliche und vermeintliche Aggressoren und Rechtsbrecher zu intervenieren?
Die Versuchung ist um so realer, als die Amerikaner sich selbst schon immer gern überzeugten, daß es zwischen ihren kriegerischen und ihren moralischen Impulsen keinen Widerspruch gebe: Der spanisch-amerikanische Krieg - Schlagwort »Manifest Destiny« - begründete den missionarischen Charakter ihrer militärischen Auseinandersetzungen; den Ersten Weltkrieg führten sie, »um alle Kriege zu beenden«, der Zweite ging ins Bewußtsein seiner transatlantischen Sieger schlicht als »der gute Krieg« ein.
Im Gegensatz zum schlechten natürlich, dem einzigen, in dem diese Fusion nicht gelungen war und der in einer Niederlage endete - Vietnam. Der Sieg über die irakische Armee, »eine Zeitenwende für die amerikanische Politik und das amerikanische Militär« (Verteidigungsminister Richard Cheney), hat nun dessen letzte Wunden geheilt.
Das Vertrauen in die technische Wirksamkeit der eigenen Waffen (Cheney: »Das ist amerikanisch. Das klappt, das klappt verdammt gut") war nun genauso wiederhergestellt wie die Überzeugung, einen zutiefst moralischen Kreuzzug geführt zu haben. »Wie Vietnam zum zweiten Mal«, beschreibt der kalifornische Historiker Robert Dallek die Emotionen seiner Landsleute, »nur diesmal mit einem guten Ende«.
Daß sich die Vereinigten Staaten jetzt als Garant der vom Präsidenten versprochenen »Neuen Weltordnung« verstehen, in der jeder Bösewicht die angemessene Strafe erhält, wurde auf Straßen und Plätzen in den Großstädten drastisch verdeutlicht. Dort konnte sich jeder Passant neben einer Pappcollage, die den irakischen Diktator festgeschnallt auf einem elektrischen Stuhl zeigt, fotografieren lassen - mit der Hand am Schalter der Gerechtigkeit.
In Washington, wo der Konflikt am Golf eine Flut von Studien und Thesenpapieren ausgelöst hat, überhöhte der Kolumnist Charles Krauthammer die populäre Stimmung mit der neuen politischen Modedoktrin: Nachdem »eine erschöpfte Sowjetunion den Kalten Krieg abgeblasen« habe und sich keine einzige der verbliebenen »zweitrangigen Mächte« so entschlossen der irakischen Herausforderung stellte wie die USA, erlebe man, so Krauthammer, die unipolare Welt, in der »die beste Hoffnung auf Sicherheit« darin besteht, daß »amerikanische Stärke und Entschlossenheit ohne falsche Scham die Regeln einer Weltordnung aufstellen und bereit sind, sie durchzusetzen«.
Tatsächlich benutzte der US-Präsident die Uno und die von ihm selbst geschmiedete Weltkoalition vor allem als Draperie, um die Kuweit-Krise nach seinen Vorstellungen zu lösen. »Dies ist kein Krieg der Vereinten Nationen«, entsetzte sich Generalsekretär Perez de Cuellar angesichts der wochenlangen Bombardierung des Irak trotz der Tatsache, daß eine Resolution des Sicherheitsrats den Waffengang gebilligt hatte.
Erst nach der totalen Niederlage der irakischen Armee und nach der einseitigen Ankündigung einer Feuerpause durch die Amerikaner durfte der Sicherheitsrat über die Formalisierung des Waffenstillstands verhandeln - »degradiert zu einer Kammer von Notaren«, klagte der Pariser Monde.
Den sowjetischen Versuch, einen Landkrieg in letzter Minute zu verhindern - und sich gleichzeitig ein künftiges Mitspracherecht bei der Neugestaltung des Nahen Ostens zu sichern -, wiesen die Amerikaner so kalt ab, daß ihre höflichen Dankesworte für die sowjetische Friedensinitiative zynisch klangen. Die Hoffnung Gorbatschows, die Golfkrise partnerschaftlich mit den USA lösen zu können, habe sich als »romantischer Traum« entpuppt, schrieb erbittert die Komsomolskaja prawda.
Der Ausfall der Sowjetunion als US-Rivale hat in vielen Staaten der Dritten Welt die Befürchtung verstärkt, dem Westen nunmehr völlig hilflos ausgeliefert zu werden. Der algerische Erziehungsminister Mustafa Scharif forderte schon dazu auf, die amerikanischen Pläne zu verhindern: Eine neue Weltordnung berge die Gefahr, daß »vor allem die südlichen Länder in Abhängigkeit gehalten« werden sollen.
Für Bush steht fest, daß allein die USA »die Welt im Kampf gegen die Bedrohung für Anstand und Menschlichkeit anführen«. Er versprach seinen Landsleuten den Aufbruch ins »nächste amerikanische Jahrhundert« - allen Niedergangspropheten zum Trotz, die in den vergangenen Jahren den Abstieg Amerikas auf den Status »eines normalen Landes in einer normalen Zeit« (die ehemalige Uno-Botschafterin Jeanne Kirkpatrick) vorhergesagt hatten.
Doch all diese hochfliegenden Pläne könnten schon bald im Treibsand des Nahen Ostens untergehen, wenn es nicht gelingt, den »guten« Krieg, den Bush führen zu müssen glaubte, in einen guten Frieden umzusetzen.
Der Schwere der Aufgabe ist sich Bush bewußt. Auf den exemplarischen Sieg, hofft er, soll ein ebenso exemplarischer, ein »potentiell historischer« Frieden folgen.
Nur: Der Krieg hat keines der nahöstlichen Probleme gelöst, ausgenommen das der Person Saddam Hussein. »Die Fragezeichen«, so der frühere Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski, »lagen immer im politischen Bereich, nicht im militärischen.«
Nach dem Sieg der Alliierten über Saddam Hussein ist die arabische Welt tiefer gespalten als je zuvor. Zu den alten Differenzen - zwischen Radikalen und Gemäßigten, Armen und Reichen - gibt es nun auch noch die Gräben zwischen Gewinnern und Verlierern eines Kriegs, den aus eigener Kraft zu verhindern die Araber unfähig waren.
»Wenn nicht Demokratie einzieht und ein Vertrag zwischen den Reichen und den Armen geschlossen wird«, warnte schon der frühere ägyptische Diplomat Tahsin Baschir, »wird ein Vakuum entstehen, das den nächsten Saddam Hussein hervorbringt.« Aber woher sollen die Demokraten kommen im Irak, in Syrien, Kuweit oder Saudi-Arabien? »Unwahrscheinlich«, so der amerikanische Nahostexperte Bernard Lewis, daß die Alliierten jetzt einen »irakischen Adenauer« suchen würden. Kuweits Emir hat als erste Amtshandlung nach der Befreiung für drei Monate den Ausnahmezustand ausgerufen - ein schlechtes Vorzeichen für Oppositionspolitiker, die sich vielfach, anders als die Emir-Sippe, als Widerstandskämpfer hervortaten.
Die Saudis, durch die Teilnahme am Waffengang in ihrem Selbstwertgefühl gestärkt, sehen keinen Grund, bewährte Traditionen und feudale Privilegien in Frage zu stellen. Die Amerikaner dagegen wollen den Übergang in eine demokratische Gesellschaft fördern, selbst wenn das »Heraustreten aus dem autoritären Tunnel anfangs destabilisierend« wirken könnte (so der Nahostexperte Graham E. Fuller).
Die USA sähen es gern, wenn die reichen Ölstaaten ihren armen Bruderländern nicht nur gelegentlich Hilfsgelder überweisen würden, sondern lieber gleich dort investierten. Die Ölstaaten vom Golf (10 Millionen Einwohner) verfügten vor Kriegsausbruch über Auslandsguthaben von 460 Milliarden Dollar. Der Rest der arabischen Welt (140 Millionen Einwohner) hatte Auslandsschulden von 200 Milliarden Dollar.
Doch bei Kuweitern und Saudis, den Finanziers einer solchen innerarabischen Entwicklungspolitik, überwiegen derzeit aus dem Triumph geborene Rachegefühle. »Natürlich helfen wir arabischen Brüdern«, erklärte der saudische Außenminister Saud al Feisal, »aber zuerst denen, die mit ihren Waffen und ihrem Blut auf unserer Seite standen.«
Feindlichen Staaten wie Jordanien, Jemen und dem Sudan wollen die Golfregierungen die Subventionen streichen; Gastarbeitern aus jenen Ländern entziehen sie Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen. Der Golfkrieg hat so auch fern der Front Hunderttausende entwurzelt und eine arabische Völkerwanderung in Gang gesetzt.
Am schlimmsten trifft es die Palästinenser. Weil ihre Führung auf den falschen Schutzherrn setzte, müssen an die 500 000 ihre Gastländer am Golf verlassen. Als Zufluchtsland steht den Vertriebenen praktisch nur noch Jordanien offen. Dort aber verschärfen sich ohnehin schon die sozialen Spannungen, ist die mit dem Irak eng verflochtene Wirtschaft zusammengebrochen.
Aus der Sicht der Araber beginnt und endet ihr Elend immer noch mit dem Problem Israel - doch die Regierung in Jerusalem gibt sich nach dem Golfkrieg renitenter als je zuvor. George Bush, der Israel kritischer einschätzt als die meisten Präsidenten vor ihm, hatte zunächst angenommen, er verfüge als Irak-Besieger über die Macht, den Judenstaat zur überfälligen Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts zu zwingen.
Dann aber feuerte Saddam Hussein seine Scud-Raketen auf Tel Aviv; die Israelis konnten ihren Preis dafür einfordern, daß sie nicht zurückschlugen und damit den Bestand der Anti-Saddam-Allianz gefährdet hätten: amerikanische Finanzhilfe für das Militär und für die Eingliederung sowjetischer Zuwanderer, keine internationale Nahost-Friedenskonferenz, keine Verhandlungen mit Arafats PLO.
Als Ersatzlösung hofft Washington jetzt auf bilaterale Verhandlungen zwischen Israel und arabischen Ländern nach dem Vorbild der israelisch-ägyptischen Abmachungen von Camp David 1979. »Ein syrisch-israelisches Friedensabkommen«, schreibt das New Yorker Wall Street Journal, »wäre der größte Gewinn, den Präsident Bush möglicherweise noch aus dem Golfkrieg herausholen könnte.« Das bleibt wohl Illusion - ein Separatfrieden mit dem Erzfeind steht für Syriens Präsident Assad nach wie vor außer Frage, selbst wenn dafür die Golanhöhen zurückzuhaben wären.
Bushs Vision von der neuen Weltordnung könnte so an den jahrzehntealten Gegensätzen der Region scheitern. Saddam Hussein dagegen, der sich bis Ende voriger Woche seinem Volk nicht mehr gezeigt hatte, durfte auch in der Niederlage noch auf die Genugtuung hoffen, daß sein Bezwinger Bush den Unfrieden nicht auf Dauer beseitigen kann.
Als hoffe er fest darauf, daß sein Werk - wenn nicht durch ihn, dann durch einen Nachfolger - fortgesetzt werde, drohte der geschichtsbewußte Diktator am Mittwoch letzter Woche: »Auch Konstantinopel ist nicht beim ersten Anlauf erobert worden.«