Vietnamkrieg: Ein General gibt auf
Zehn Jahre nach dem Fall von Saigon hat der amerikanische Oberbefehlshaber im Vietnamkrieg, William Westmoreland, abermals eine Schlacht unter großen Verlusten verloren. Den Verhandlungssaal des New Yorker Bundesgerichtes verließ Westmoreland gleich einem General, dessen Bataillone der Offensive des Gegners nicht standgehalten haben. Wie in seinem letzten Krieg hat er die Stärke des Feindes unterschätzt.
Vordergründig ging es im Fall »Westmoreland gegen CBS« um eine Fernsehdokumentation mit dem Titel: »Der ungezählte Feind - eine Vietnam-Täuschung«. Die beklagte Fernsehgesellschaft, deren politische Redaktion das höchste Ansehen im amerikanischen Rundfunk genießt, hatte sie am 23. Januar 1982 ausgestrahlt.
Die CBS-Redakteure behaupteten, daß Westmoreland seine Vorgesetzten, Präsident Lyndon Johnson eingeschlossen, über die wirkliche Stärke der kommunistischen Kräfte getäuscht habe. Der General habe eine »willkürliche Höchstgrenze« von 300 000 Feindsoldaten festgesetzt.
Berichte aus den Frontgebieten über einen erheblich höheren Infiltrationsgrad seien von Westmoreland »systematisch unterdrückt« worden. Grund: In Amerika hätten solche Zahlen die Lust am Krieg verdorben. Doch die sank dann sowieso - Präsident Johnson, das amerikanische Volk und selbst die US-Armee waren »völlig unvorbereitet«, so CBS, als am 30. Januar 1968 die Tet-Offensive des Vietcong über Südvietnam hereinbrach.
Die Fernsehdokumentation sorgte für gewaltigen Wirbel. Zornig wehrte sich Westmoreland und bezeichnete die Sendung als einen »tückischen, unanständigen und sorgsam überlegten Anschlag auf meinen Charakter und meine persönliche Integrität«.
Der General verklagte CBS wegen Verleumdung und verlangte 120 Millionen Dollar Schadensersatz - eine happige Summe, selbst für die reiche Fernsehgesellschaft.
Nun ist der Streit um den Wahrheitsgehalt einer Fernsehdokumentation im allgemeinen keine weltbewegende Sache, aber dieses Gerichtsverfahren war nur ein Teil einer viel größeren nationalen Auseinandersetzung: Zur Debatte steht die Bewältigung des Vietnamkrieges.
Immer noch möchte das Land über den Verlust von 50 000 jungen Männern getröstet werden. Verloren ging die nationale Unschuld und der Stolz angesichts der einzigen ernsthaften militärischen Niederlage, die Amerika je erlitten hat. Es geht auch immer noch darum, zu verstehen, warum ein Land, das von seiner eigenen gutmütigen Großherzigkeit so überzeugt ist wie die USA, so viel Leid nicht nur über ein fernes Land, sondern auch über sich selbst bringen konnte. Doch vor allem geht es beim Stichwort Vietnam um die Zukunft.
Denn die Lehre, die die Vereinigten Staaten aus jenem leidvollen Krieg ziehen, wird ihre Rolle in zukünftigen Konflikten bestimmen.
Tatsache ist, daß die Niederlage in Vietnam nicht zu jenen Katastrophen führte, die von Politikern und Generalen vorhergesagt worden war: Die »Dominosteine« der vielzitierten geopolitischen Theorie fielen nicht, Amerikas Rolle in Asien ist stärker als zuvor. Doch der Wort-Krieg über Vietnam tobt weiterhin in der amerikanischen Psyche. Und dieser Konflikt findet auf vielen Schauplätzen statt, auf politischen, künstlerischen und kulturellen.
Francis Coppolas Film »Apocalypse Now« produzierte vor Jahren das immer noch gültige Klischee des amerikanischen Soldaten in Vietnam: verängstigt, mit Drogen vollgepumpt und schießfreudig. In den Kofferradios seiner GIs dröhnte Jimi Hendrix. Hinter ihnen lief eine flammende Lightshow aus Napalm und brennendem Phosphor ab.
Der Film »Deer Hunter« zeigte dann den Vietnamveteranen als Symbol einer zerstrittenen Epoche: Er konnte Held oder Opfer sein, doch immer war er ein Ausgestoßener, ein Sonderling.
Hinter jedem Film, hinter jedem neuen Buch über Vietnam steht eine parteiische Aussage über den Krieg: Er war berechtigt, er war unmoralisch, er hätte mit etwas mehr Machteinsatz gewonnen werden können, er war rassistisch, er war naiv, er war ehrenvoll.
Eine andere Walstatt der Debatte war - ausgerechnet - die Vietnam-Gedenkstätte in Washington. Ein langer Winkel aus schwarzem Granit, zur Hälfte eingelassen in den Boden und nur mit den Namen der Gefallenen versehen - dieser Entwurf der chinesisch-amerikanischen Architekturstudentin Maya Lin wurde verwirklicht. Sie war bei Kriegsende noch ein Kind.
Die den Krieg für eine gerechte Sache hielten, protestierten laut. Der Entwurf von Lin sei ein »Schandmal«, ein »Grab«, eine »Beleidigung«. Wo blieb die Fahne, wo die patriotische Inschrift, wo blieben Gott und Vaterland? Die Denkmalsgegner erreichten, daß eine _(Auf dem vietnamesischen Flughafen Bien ) _(Hoa nach einem Vietcong-Angriff 1964. )
realistische Skulptur dreier Vietnam-GIs in der Nähe errichtet wurde. Obwohl es sich um ein sehr konventionelles Ensemble handelt, ist es dennoch kein unkritischer, heroischer Gruß an die Vergangenheit. Die drei Soldaten sehen vielmehr niedergeschlagen aus, erschöpft und verschmutzt.
Als Lins Memorial eingeweiht wurde, besuchten Tausende Veteranen die Zeremonie. Gekleidet in Nadelstreifenanzüge, in verschlissenen Uniformen oder Blue jeans kamen sie die Constitution Avenue herunter, in ihrer Mitte, in einem weißen Trenchcoat, General Westmoreland.
Wenige Schritte vor ihm ging ein ziemlich wild aussehender, nicht mehr ganz junger Mann, seinen Arm ausgestreckt, den Mittelfinger zu einer obzönen Geste erhoben. »Warum macht er das«, fragte eine Zuschauerin. »Vielleicht hat er einen Grund«, antwortete ihre Begleiterin. Vielleicht? Sicher.
Westmorelands Klage gegen CBS war Teil jener unübersichtlichen Bemühungen, den Kriegsjahren einen verspäteten Sinn zu verleihen.
Vor allem zwei Argumente werden heute ins Spiel gebracht: Erstens sei Amerikas Verwicklung in den Indochina-Konflikt moralisch unanfechtbar gewesen (man sehe nur das diktatorische Regime und das Leid, das durch die kommunistische Machtübernahme hervorgerufen wurde), und zweitens hätte der Krieg gewonnen werden können, wäre nur der Wille dazu etwas größer und die Kritik in den USA etwas kleiner gewesen.
Das Bemühen, ein »zweites Vietnam« zu vermeiden, wird zwar von allen geteilt. Aber es gibt eine Diskussion darüber, was - präzise - zu vermeiden ist: der Krieg im allgemeinen oder nur eine Niederlage? Gestritten wird über die Frage: Sollten wir unsere Kriege sorgfältiger aussuchen oder sollten wir sie mit größerem Einsatz führen?
General Westmoreland war der Ansicht, daß Amerika den Krieg verlor, weil sich die liberale Presse unpatriotisch verhalten hatte. Deshalb wurde seine Klage auch von konservativen Kräften unterstützt.
Der Umfang des Gerichtsverfahrens war seinem Gegenstand angemessen: 18 Wochen Dauer, 35 Zeugen, 11 umfängliche schriftliche Aussagen, 300 Stunden mündlicher Zeugenaussagen, 250 000 Seiten Dokumente. Die Kosten beliefen sich auf eine Summe zwischen fünf und sieben Millionen Dollar.
Während der ersten Wochen, in denen Westmorelands Anwalt den Fall darlegte, sah es für CBS schlecht aus. Prominente Mitglieder der Johnson-Administration, darunter der ehemalige Verteidigungsminister Robert McNamara und der damalige Sicherheitsberater Walt Rostow, sagten aus, daß Westmoreland nicht der Mann sei, der seinen Präsidenten betrügen könne.
Neun Tage lang stand der General im Zeugenstand, er konnte die Juroren für sich gewinnen: ein Bürger-Soldat der alten Schule. Aufrecht, als hätte er einen Stock verschluckt, mit ausgesuchten Manieren, höflich zu den Damen und bescheiden.
Doch in der vorletzten Woche brach Westmorelands Klage zusammen. Zwei seiner engsten Untergebenen im damaligen US-Oberkommando, General Joseph McChristian und der Oberst Gains Hawkins, sagten gegen ihn aus. Hawkins beispielsweise bezeugte, daß Westmoreland ihn gebeten habe, seine Einschätzung der Truppenstärke des Vietcong zu vermindern, weil die hohen Zahlen »politisch nicht annehmbar« seien.
Die vernichtenden Aussagen seiner ehemaligen Untergebenen zwangen den General und seinen Rechtsanwalt zur Einsicht in die Realität. Eine Woche vor den endgültigen Plädoyers hißten sie die weiße Fahne. Sie hofften wohl, daß ein Vergleich weniger schädlich für das Ansehen Westmorelands und für das Anliegen einer Rehabilitierung des Vietnamkriegs sei als eine totale Niederlage durch den Spruch einer amerikanischen Jury.
Die Kernsätze des außergerichtlich erzielten Vergleichs lauten: _____« CBS respektiert General Westmorelands langen und » _____« treuen Dienst für sein Land. CBS wollte niemals behaupten » _____« und glaubt auch nicht, daß General Westmoreland bei der » _____« Verrichtung seiner Aufgaben ... jemals unpatriotisch oder » _____« unloyal gewesen ist. » _____« General Westmoreland respektiert die lange und » _____« hervorragende journalistische Tradition von CBS und das » _____« Recht von Journalisten, die komplexen Fragen des » _____« Vietnamkrieges zu untersuchen und Ansichten zu senden, » _____« die von seinen eigenen verschieden sind. »
Sofort nach dem Vergleich gingen konservative Ideologen zum Angriff über - erst gegen die beiden Militärs, die gegen Westmoreland ausgesagt hatten, dann aber auch gegen den General selber. Indem er kapituliert habe, so ihre Argumente, habe er das größere Anliegen, die Rehabilitierung des Vietnamkrieges, geschädigt. Er hätte bis zum Ende kämpfen müssen, selbst wenn sich die Jury gegen ihn ausgesprochen hätte - schließlich seien Geschworene in jedem Stadium des Prozesses leicht beeinflußbar. Doch dies ist nur die jüngste Version einer älteren Dolchstoßlegende über den Vietnamkrieg.
Vielleicht aber ist Westmorelands Vergleich auch ein Sieg für jene Theorie, der zufolge die Bösewichter des Vietnamkrieges eben doch die Generale und nicht die Journalisten waren.
Auf dem vietnamesischen Flughafen Bien Hoa nach einemVietcong-Angriff 1964.