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WERTPAPIERE /IOS Völlig unrealistisch

Niemand ist so reich, daß er nicht arm werden könnte. Alles, was man dazu braucht, sind ein paar falsche Entscheidungen beim Geldanlegen. IOS-Inserat vom 24. Juni 1969.
aus DER SPIEGEL 21/1970

Bernie Cornfelds Geldmaschine funktioniert nicht mehr. In der vergangenen Woche offenbarte der Geldmacher vom Genfer See, daß seine Investors Overseas Services (IOS) ohne fremde Millionen nicht mehr lebensfähig ist.

Das Firmen-Emblem, das der IOS-Chef vor Jahren prahlerisch auf seinen Briefköpfen angebracht hatte, eine blaue Weltkugel im Schriftzug IOS, symbolisiert heute die Angst an allen Börsenplätzen vor dem Namen IOS. Seit die Aktien der IOS-Muttergesellschaft sowie einer 105-Verwaltungsgesellschaft binnen weniger Wochen zwei Drittel ihres Kurswertes verloren, fürchten Börsianer und Banker, das Cornfeld-Imperium könne zusammenbrechen und damit die größte Finanzkrise seit dem Schwarzen Freitag von 1929 heraufbeschwören,

In Mailand wie in Frankfurt und Montreal hängt die tägliche Kurs-Tendenz derzeit von den Nachrichten ab, die aus Genf, dem Verwaltungssitz des Investment-Konzerns, herausdringen. In Tokio gab es, nachdem Cornfelds Schwierigkeiten durchgesickert waren, den stärksten Kurssturz der japanischen Geschichte. Und selbst an der Wallstreet, dem größten Wertpapiermarkt der Welt, handelten die Spekulanten Gerüchte über IOS wie sonst nur Kriegsberichte aus dem Fernen Osten.

Denn wie kein anderes Unternehmen kann 105, der 750 000 Sparer, darunter 300 000 Bundesbürger, mehr als acht Milliarden Mark anvertraut haben, die Wertpapiermärkte in Gefahr bringen. Das Geld haben die IOS-Fonds (siehe Graphik Seite 108) in Aktien vieler hundert Gesellschaften angelegt; und ein massierter Sturm der Sparer, die ihre Investment-Zertifikate in Bargeld verwandeln wollten, würde die Cornfeld-Fonds zu Notverkäufen zwingen. Massierte Wertpapier-Verkäufe der IOS-Fonds aber könnten zu einem Kurssturz an allen Börsenplätzen führen.

Schon vor zehn Jahren hatte Hermann Josef Abs, damals Sprecher der Deutschen Bank und Intimfeind von IOS, im privaten Kreis vorausgesagt: »Das wird der größte Finanzskandal der 60er Jahre.« Abs verschätzte sich nur um vier Monate.

Anfang Mai gab der Harvard-Ökonom und profilierte Kritiker des Spätkapitalismus, John Kenneth Galbraith, im Hinblick auf IOS eine noch düsterere Diagnose ab: »Der Wahnsinn von 1929 wiederholt sich. Jene, die aus der Geschichte nichts lernen, sind dazu verdammt, sie erneut zu erfahren.«

Nach vier Wochen Börsenunruhe verkündete der 1,65 Meter große Bernard Cornfeld, 42, am vergangenen Montag, die Krise sei beendet. In einem graugrünen Zweireiher von seinem Hausschneider Guy Laroche -- wie stets eine Spur overdressed -- bekannte der Finanzmann, von nun an sei ein Mister King aus Colorado neuer Herr bei IOS. Dieser King, den keiner in Europa zuvor kannte, werde den IOS-Konzern sicher in ein »neues Zeitalter« geleiten.

Außer John McCandish King, Ölspekulant großen Stils, hatten laut Cornfeld noch mindestens zehn »der wichtigsten Finanzinstitute Interesse« bekundet. Außer Banken aus den USA hätten auch renommierte Finanzhäuser Europas, darunter die Rothschild-Gruppe, Übernahme-Angebote gemacht.

Das Feilschen um den größten Investmenttrust der Welt dauerte zehn Tage. Zeitweilig ging es in Genf zu wie auf einem Pferdemarkt.

John M. King eröffnete den Handel mit einem Gebot von rund 1,60 Dollar für die Aktie der IOS-Muttergesellschaft Investors Overseas Services Ldt., Montreal, der rund 60 Firmen gehören und die überdies 17 Investment-Fonds verwaltet. Das entsprach einem Gesamtpreis für die Kontrolle über den Konzern von etwa 20 Millionen Dollar. Eine ähnliche Offerte reichte ein europäisches Bankenkonsortium unter Führung der Londoner und Pariser Rothschilds ein. Daraufhin ging King um etwa 40 Cent je Aktie auf einen Ge amt-Kaufpreis von etwa 25 Millionen Dollar hinauf.

Einen Tag später verkündete ein Jerome Hoffman, Paß-Amerikaner und Präsident der International Investors Group, registriert im Urwaldstaat Liberia, Adresse Box 1549, Hamilton, Bermuda«, er biete noch 25 Cent je Aktie mehr. Obendrein könne er den ehemaligen New Yorker Bürgermeister Robert ("Bob") F. Wagner als Aushängeschild in eine sanierte 105 einbringen. Doch sein »Bombenangebot« (Hoffman) blieb in Bernies Vorzimmer hängen. »Da sitzt Bob abrufbereit in New York«, beklagte sich Hoffman beim SPIEGEL, »und dieser Cornfeld will noch nicht mal mit mir reden.«

Für eine Mehrheit des IOS-Verwaltungsrats erschien zunächst weder Kings noch Hoffmans Offerte akzeptabel. Weil »die IOS-Krise vor allem eine Krise des Vertrauens ist« (Cornfeld), neigte besonders der neugewählte IOS-Präsident Richard Hammerman dazu, das Rothschild-Angebot anzunehmen, das zwar wenig Geld, doch dafür um so mehr Renommee versprach.

Da kam John King und sagte, er biete beides, viel Geld und gute Namen: Vier Dollar je Aktie, eine Beteiligung europäischer und amerikanischer Banken und obendrein einen Sofortkredit von 40 Millionen Dollar. Einzige Bedingung: Bernie Cornfeld habe die Stimmrechte seines Aktienpaketes (15 Prozent des Kapitals, mit denen er IOS beherrscht hatte) an King für drei Jahre abzutreten.

Am Donnerstag vergangener Woche unterzeichneten Cornfeld und King ihren Pakt. Doch der Vertrag, der die IOS und ihre Investment-Fonds wieder zu Ansehen bringen sollte, steigerte den Argwohn der Banker und Sparer nur noch mehr, denn das Papier enthielt nicht, was King und Cornfeld zuvor versprochen hatten: die Unterschriften renommierter Bankiers in Amerika und Europa.

Die Finanzinstitute, die Kings und Cornfelds Abgesandte in den ersten vier Tagen der vergangenen Woche um Geld und Unterstützung mit ihrem guten Namen angingen, hatten abgewinkt. Die Westdeutsche Lande »bank etwa, bei der Sir Eric Wyndham White, der neue Verwaltungsrats-Vorsitzer von Cornfelds 105, am Mittwoch vorstellig wurde, erklärte: »Wir haben keine Veranlassung, in der Angelegenheit 105 eine Aktivität zu entwickeln.«

Die Bank of New York, die von Cornfelds Genfer Zentrale zuvor als Partner genannt worden war, dementierte. Und auch die Rothschild-Gruppe, mit der 105 angeblich weiterverhandelte, wies die Behauptung strikt zurück. Paul Vincent, Generaldirektor der Pariser Banque Rothschild, meinte sogar, Kings Bemühung um ein Banken-Konsortium sei von vornherein nicht ernst zu nehmen gewesen. Vincent zum SPIEGEL: »King ist gar nicht in der Lage, seriöse Banken zu mobilisieren.«

Danach einigten sich Cornfeld und sein Helfer darauf, ihre verängstigten Kunden noch weiter hinzuhalten: Sie verkündeten, Namen von guten Banken, die in die 105 mit einsteigen würden, könnten erst in ein paar Wochen bekanntgegeben werden.

Unterdes berichtete die britische Zeitung »Guardian"' zur Zeit müßten die IOS-Fonds wöchentlich rund 90 Millionen Mark an ihre Sparer zurückzahlen, die ihr Geld bei IOS nicht mehr sicher wähnten.,, Guardian": »Die Fonds müssen deshalb Aktien verkaufen, um die Sparer auszahlen zu können. Das drückt schon jetzt die Aktien-Kurse und kann, wenn diese Bewegung nicht gestoppt wird, dazu führen, daß immer mehr Kunden ihre Zertifikate gegen bar eintauschen. Diesen Schneeball-Effekt hat man schon immer gefürchtet.«

Der Run auf Bargeld bringt dabei für die Sparer gerade jene Gefahren mit sich, die sie vermeiden wollen: eine schnelle Entwertung ihrer Papiere. Diese Verluste sind um so fataler, als den Sparern von allen Investment-Fonds immer wieder versichert wurde. diese Form der Geldanlage gewähre höchstmöglichen Risiko-Schutz.

Das Investment-Geschäft soll auch kleinen Sparern die Vorteile der Aktien-Spekulation zugänglich machen. Die Beiträge der Kleinanleger zum Fonds werden nicht mehr wie bei den Sparkassen fest verzinst, sondern für Wertpapier-Käufe verwendet. Durch eine breite Risiko-Streuung des gesamten von einem Investment-Fonds verwalteten Kapitals soll eine größere Sicherheit für den Sparer erreicht werden, als sie bei seinen kleinen Beträgen mit einzelnen Aktienkäufen möglich ist.

Erst Bernie Cornfeld hat mit diesem Rezept in Europa Millionen verdient. Die Provisionen seiner Sparer brachten ihm ein Privatvermögen von 500 Millionen Mark und ermöglichten ihm den Lebensstil eines Maharadschas. Denn mit seiner Reklame-Maschinerie machte er das Investment-Sparen, das zuvor in Europa kaum eine Bedeutung hatte, zum Big Business.

In Westdeutschland etwa flossen. bevor Cornfeld seine Werber ausschickte, nur ein Prozent der gesamten Spargelder in Investment-Fonds. Heute sind es 18 Prozent, Die Krise um los droht nun diesen Erfolg wieder zu zerstören und auch alle Konkurrenten zurückzuwerfen.

Mit Bernie Cornfelds Sturz verlor zugleich ein Mythos seinen Zauber. Denn der Midas vom Genfer See, dem in den vergangenen 15 Jahren alles zu Gold wurde, was er anfaßte, war die letzte Inkarnation der kapitalistischen Legende, die jedermann Reichtum verheißt -- wenn er nur will.

Er verstand es noch einmal, das Geld zur Religion zu machen -- und diese Religion zu Geld. Wie die Pioniere der amerikanischen Gründerzeit John Rockefeller, Cornelius Vanderbilt, Henry Ford oder Andrew Carnegie -- allesamt wie Cornfeld von der Idee besessen, daß sich des Himmels Wohlgefallen im Bankkonto niederschlägt -- schuf Bernard Cornfeld sein Imperium aus dem Nichts. Der Nichtraucher und Coca-Cola-Trinker, der »das Vehikel für sinnvollen Wohlstand« liefern wollte, wurde der Detaillist des Kapitalismus.

Der Sohn jüdischer Einwanderer aus Istanbul, der in New Yorks Armenviertel Brooklyn aufwuchs ("Ich war arm, im wahrsten Sinne des Wortes arm"), hatte zunächst als Stipendiat an der New Yorker Columbia Universität den zeitweilig größten sozialistischen Studentenbund Amerikas gegründet und 1948 für den linken Präsidentschaftskandidaten Norman Thomas Wahlhilfe geleistet. Anschließend versuchte er, seine sozialreformerischen Ideen als Armenpfleger in Philadelphia in die Tat umzusetzen. Aber der Mann, der sich heute die Hände im vergoldeten Becken wäscht und sein WC als Thronsessel ausgestalten ließ, empfand beim Anblick des Elends in den Slums nichts als Ekel.

Bereits nach einem Jahr hatte er »das Gefühl, daß der Beitrag, den ich auf diese Weise leisten konnte, zu begrenzt war«, Er entdeckte »ein wirklich schönes Rezept«, seine sozialen Ideen in weltweitem Maßstab zu verwirklichen: »Ich kam zu der Einsicht, daß es wirkungsvollere Mittel gibt, Sozialfürsorge zu betreiben.« Cornfeld wurde Investmentverkäufer' zunächst als Vertreter der Investors Planning Corporation (IPC), die er später aufkaufte, Walter Benedick, Cornfelds damaliger Chef, über Cornfeld: »Er machte ganz nette Umsätze, aber nichts Außergewöhnliches.«

»Anfangs«, so erinnert sich der heutige Multimillionär, »bedrückte es mich etwas, mit jedem Zertifikat ein Stück Kapitalismus zu verkaufen.«

Bald aber verstand es Cornfeld, das Stückgeschäft mit einer Ideologie zu verbrämen: »Ich kam immer mehr zu der Ansicht, daß gerade der Investmentgedanke dem Kapitalismus einen Sinn geben könnte, vor allem für die Hunderttausende von Menschen, für die er bis dahin keinen hatte.«

In Wahrheit, behauptete Cornfeld einmal, habe er als Investment-Akquisiteur eigentlich dasselbe gemacht wie vorher als Sozialarbeiter: »Ich half den Menschen diesmal im für sie wichtigsten Punkt. Das menschliche Unglück hat in den meisten Fällen finanzielle Ursachen.«

Das Geld des kleinen Mannes vom Sparstrumpf in den Investment-Topf zu lenken, war für den IOS-Gründer »einfach vorbeugende Sozialarbeit« -~ Verkauf von TOS-Zertifikaten als Lebenshilfe.

Der »Billy Graham des Investment-Gedankens« (so ein 105-Mitarbeiter) definierte auch die Rolle des Kapitals in der modernen Industriegesellschaft neu, nämlich -- so Cornfeld -- »im positiven Sinne«. Er praktizierte, was Ludwig Erhard immer gepredigt hatte: den Volkskapitalismus, an dem »sich auch der einzelne Arbeiter beteiligen kann« -- durch Kauf vom los-Papieren. Ideologe Cornfeld: »Karl Marx hat das eben nicht vorausgesehen.«

Ein Cornfeld-Jünger formulierte: »Wir bringen die Menschheit an das Ziel von Karl Marx heran -- die Überführung aller Produktionsmittel in Gemeineigentum.« Die gemeinnützige Aufgabe machte ihren Propheten bis Anfang dieses Jahres immer reicher -- seinen vielen hunderttausend Kunden hingegen erwuchs seit 1969, als die Börsenkurse in den USA fielen, ein Verlust von 1,2 Milliarden Mark.

Der Aufstieg zum Millionär begann für Marx-Überwinder Cornfeld mit einer Urlaubsreise im Jahre 1956 nach Paris. Das Mekka aller Amerikaner gefiel dem IPC-Verkäufer aus New York so gut, daß er beschloß, gleich dazubleiben. Am Boulevard Flandrin eröffnete er sein erstes eigenes Verkaufsbüro und schrieb an die Tür »Investors Overseas Services«.

Schon im ersten Jahr verkaufte er in Frankreich stationierten GIs Zertifikate des amerikanischen Dreyfus Fund im Gesamtwert von einer Million Dollar. 1958 jedoch mußte Cornfeld seine Geschäfte in Frankreich aufgeben. Dem damals zur Macht gelangten General de Gaulle mißfiel es, daß die US-Soldaten ihren Nato-Sold via Cornfeld an Amerikas Börsen investierten, anstatt damit die schwindsüchtige Devisenkasse Frankreichs aufzufüllen.

In seinem Fluchtort Genf kaufte der Exil-Amerikaner von Schweizer Bankiers seinen ersten eigenen Fonds: den International Investment Trust (IIT) mit Steuersitz in Luxemburg. Bei einer Schlittenfahrt in Kanada kam ihm dann der Gedanke, einen Investmentfonds zu gründen, der sein Geld statt in Aktien in Zertifikaten anderer Fonds anlegt. Für diesen Dachfonds' mit dem er ein zweifelhaftes Erfolgsrezept der zwanziger Jahre kopierte, ersann er den pompös klingenden Namen »Fund of Funds«.

Binnen zehn Jahren schuf er ein Finanz-Imperium, das von den Eiswüsten Kanadas bis Feuerland, von Australien bis Schweden eichte. Der reine Nettowert seiner über 60 Gesellschaften, die ihren Sitz überwiegend in den Steueroasen Luxemburg, Panama, den Bahamas und den Niederländischen Antillen haben, betrug über 366 Millionen Mark.

Die Muttergesellschaft Investors Overseas Services Limited, die im körperschaftsteuerfreien Montreal (Kanada) registriert Ist, im französischen Ferney-Voltaire elektronisch verwaltet und von Genf aus regiert wird, steht auf sieben Säulen:

* Vertriebs- und Verkaufsorganisation mit über 14 formal unabhängigen Töchtern, darunter IOS in Deutschland Gmbh mit Erich Mende an der Spitze;

* Fondsverwaltung mit vier Tochtergesellschaften und neun Enkelfirmen, darunter 105-Management Limited in Toronto;

* Versicherungen mit der IOS Insurance Holding Ltd. in Kanada, der fünf Versicherungen unterstehen;

* Finanzgeschäfte mit der 105 Financial Holdings Ltd. in London, der zehn Banken unterstehen, darunter die Münchner Orbis Bank Gmbh mit Victor-Emanuel Preusker als Geschäftsführer;

* Immobiliengeschäft mit IOS Real Estate Holdings Limited in London mit fünf Tochtergesellschaften und der Investment Properties International, die außer Hotels Freizeit-Wohnungen für deutsche Spanien-Urlauber baut;

* interne Konzernverwaltung mit je einer Gesellschaft in Frankreich und in der Schweiz;

* »Sonstige Gesellschaften« (so. ein IOS-Prospekt) wie eine Firma für elektronische Rechenanlagen und ein Verlag.

Selbst für gewiefte Finanzexperten sind die Beziehungen zwischen 105-Müttern, Töchtern und Enkeln kaum überschaubar. Die Investmentfonds der Muttergesellschaft 105 Limited werden Im Regelfall von Töchtern der IOS-Management -- selbst eine IOS-Limited Tochter -- verwaltet, wofür die Fonds an diese Gebühren zahlen. Die Mutter stellt Töchtern und Enkeln für die Fondsverwaltung Büros und Personal zur Verfügung und kassiert dafür ihrerseits Gebühren. Wie die Vertriebsgesellschaften, das Herzstück des Imperiums, in diesen Geldverschiebebahnhof einzuordnen sind, ist noch nicht einmal dem offiziellen Börsenprospekt der IOS-Muttergesellschaft zu entnehmen.

Wirtschaftsprüfer und Börsenaufsichtsbeamte der Länder, in denen IOS tätig ist, haben überdies Mühe, die Namen der nahezu gleichlautenden IOS-Gesellschaften auseinanderzuhalten. So gilt es etwa, die Mutter IOS Limited (mit Sitz in Montreal) nicht mit der Hauptvertriebsgesellschaft IOS Limited (mit Sitz auf den Bahamas) und drei weiteren Firmen namens IOS Limited (mit Sitzen in Hongkong, London und abermals auf den Bahamas) zu verwechseln.

»Aufgrund sorgfältiger Steuerplanung und bedingt durch die Art ihrer Geschäftstätigkeit«, so IOS über die Vorteile der weltweiten Verschachtelung, »war die Gesamtsteuerbelastung seit Gründung der IOS und ihrer Tochtergesellschaften relativ gering.« Die Standortwahl hatte freilich noch einen anderen Vorteil. Besser als jeder nationale Konzern konnte IOS verschleiern, wo in welchen Wertpapieren und mit welchem Risiko die Spargelder angelegt wurden.

Cornfelds Kunden ließen sich von den exotischen Adressen der IOS-Firmen nicht stören. Sie nahmen es sogar hin, daß die beiden größten Fonds lIT und FoF selbst in Boomzeiten bestenfalls Mittelklasse waren.

So steigerte lIT in den fünf Jahren von 1963 bis 1967 seinen Wert nur um 136,1 Prozent, der FoF legte 138,1 Prozent zu. In der gleichen Zeit hatten die Anleger des ebenfalls vorwiegend in Amerika investierenden Capital Growth Fund 303 Prozent, die des Enterprise Fund sogar 406,9 Prozent gewonnen.

Dennoch lief Cornfelds IOS allen davon. Jahr für Jahr verdoppelte sich die Sparsumme, die ihm IOS-Kunden fast aller Länder anvertrauten. Seine besten Kunden wurden die westdeutschen Mittelständler wie Ärzte, Rechtsanwälte und gehobene Angestellte. Zwischen Rhein und Elbe hat Cornfeld fast 40 Prozent seiner Fonds-Kunden (siehe Graphik Seite 116). 300 000 deutsche Sparer vertrauten ihm rund 2,5 Milliarden Mark an, die er an Wertpapiermärkten in aller Welt anlegte.

Es zählt zu den Mysterien des Cornfeld-Erfolges, daß es ihm und seinem Management gelang, jene mittlere und gehobene westdeutsche Bürgerschicht, die ein traditionelles Vorurteil gegen Börsenspekulation und hemdsärmelige Werbe- und Verkaufsmethoden hatte, für die Wertpapieranlage zu gewinnen. Jahrelang verkauften seine Vertreter auf Klingelfahrt an den Haustüren mehr Investment-Zertifikate als die rund 40 deutschen Gesellschaften dieser Branche zusammen.

Image-Probleme, die das harte Verkaufsgespräch an Haustüren und auf den Treppen mit sich brachten, löste Cornfeld auf die ihm adäquate Weise. Da Geld alles kaufen kann, was knapp ist, kaufte er sich Ansehen. So holte er abgehalfterte. persönlich integre Politiker wie Erich Mende und Victor Emanuel Preusker, einst Bundes-Wohnungsbauminister, sowie den Ex-General Moll gegen sechsstelliges Salär als Image-Pfleger In die deutsche IOS-Organisation. Der frühere Vize-Kanzler Mende wurde höchster Repräsentant in der IOS Deutschland GmbH.

Ende vergangenen Jahres konnte sich der Mann, der aus dem Nichts gekommen war, rühmen, der mächtigste Mann an den Börsen zu sein, Am Mailänder Wertpapiermarkt hatte er mehr Geld investiert als selbst der Papst (bei dem er kurz vor Weihnachten eine Privataudienz hatte).

Zu Macht und Kapital verhalf Bernard Cornfeld eine in Europa längst anachronistisch gewordene Mischung aus Geld und Glauben. Sein Vertreterheer, das er auf Tagungen mit »fellow missionaries« (etwa: Kameraden Missionare!) ansprach, hatte er auf einen Katechismus eingeschworen. In einem »IOS-Kodex« für alle Mitarbeiter heißt es: Deshalb gelobe ich, in meinem Beruf die höchste ethische Verpflichtung in der Wahrung folgender Grundsätze zu sehen.« Dann kommen zehn Gebote, im letzten verspricht der Mitarbeiter: »Ich werde mich für den Grundgedanken mit solcher Überzeugung einsetzen, daß der Nutzen der modernen Industriewirtschaft möglichst weit gestreut wird und die freiheitliche Gesellschaftsverfassung zur vollen Entfaltung gelangen kann.«

Es sei, so erläuterte Cornfeld sein Rezept, »ein wichtiges Ingredienz des Erfolges, Leute zu haben, die überzeugt sind, daß sie das Gute, Richtige und Ehrenhafte tun. Sie müssen daran glauben, daß unser Ziel nobel ist.«

Wie Heilsarmisten nach der Zahl der Seelen befördert wurden, die sie bekehrt hatten, promovierte Cornfeld seine Troupiers nach der Zahl der Dollars, die sie in seinem Namen sammelten. »Wir waren die Jesuiten des Geschäfts«, bekannte ein ehemaliger IOS-Manager aus Saarbrücken. In Cornfelds Verkaufstruppe konnten sich die Anlageberater von der Anfangsstufe des »Trainee« über »Basic«, »Advanced«, »Senior«, »BranchManager«, »Regional-» und »Divisional-» bis zum »General Manager« hocharbeiten. Befördert wurde freilich erst, wer das vorgeschriebene Verkaufssoll erreicht hatte. Der Trainee zum Beispiel wurde erst in den Rang eines Basic erhoben, wenn er für 50 000 Dollar IOS-Zertifikate verkauft hatte.

Lukrativ wurde der IOS-Dienst freilich erst auf der Supervisor-Stufe: Wer mindestens 300 000 Dollar akquiriert hatte, wurde Senior und durfte selbst neue Vertreter anwerben. Von jedem Auftrag seiner Untergebenen kassierte er automatisch eine Superprovision.

Die Fürsten des Vertreter-Imperiums sind Divisional Manager und General Manager. Cornfeld verlangte von ihnen nicht nur hohe Verkäufe (ein Divisional Manager muß ein halbes Jahr lang ohne Unterbrechung mit seiner Agentur monatlich 500 000 Dollar umgesetzt haben), sondern auch aus geprägte Führungsqualitäten« -- was immer das sein mag.

Der Aufbau der IOS-Vertriebsorganisation in Deutschland war nach Meinung von Experten eine Meisterleistung. Binnen weniger Jahre stampften Cornfelds Manager eine schlagkräftige Verkaufstruppe von zeitweilig 6000 Mitarbeitern aus dem Boden.

Beim sogenannten »recruiting« war die Gesellschaft nicht besonders wählerisch. Sie nahm alles, was der Vertretermarkt hergab: Beamte, Bankangestellte, Artisten, Hausfrauen, Offiziere, Buchhalter, Schauspieler, vor allem aber prominente Sportler. So gingen beispielsweise Fußballer wie Bernd Patzke, Horst Wolter, der Motorradrennfahrer Hans Georg Anscheidt, der Ratzeburger Ruderer Hans-Joachim Neuling, der Zehnkampf-Olympiasieger Willi Holdorf und der Exboxer Hein ten Hoff für IOS auf Kundenfang. Zeitweilig zahlte die Gesellschaft Kopfgelder, sogenannte »New Man Bonuses«, um neues Personal anzuwerben.

In Cornfelds Vertreter-Truppe marschierten Ärzte mit, die auf ihre Fachkollegen angesetzt wurden; Anwälte warben Anwälte. In mehrwöchigen Kursen wurde den Vertretern die Cornfeld-Philosophie eingeimpft: der unbedingte Glaube, daß in dieser Welt alles sich zum Besten wenden müsse. wenn jedermann nur Cornfeld-Kunde würde.

Die Verkaufsgespräche aller IOS-Verkäufer bauten auf dem gleichen Schema auf. Zunächst wies der Vertreter nach, daß alle gängigen Formen der Altersvorsorge nicht ausreichten. Einwendungen gegen das Risiko der Investment-Anlage wischten die Verkäufer, die sich Berater nennen, mit Statistiken über die Kurs-Entwicklung der IOS-Fonds vom Tisch. Denn diese waren zu Beginn der 60er Jahre gegründet worden, als die US-Börsen zu einem langanhaltenden Boom ansetzten. Nachdem die Zertifikats-Papiere im letzten Jahr gefallen waren, warben die Vertreter damit, daß die Papiere nunmehr sehr preiswert seien, und sagten einen Aufschwung für die nächste Zeit voraus.

Der schwarze Aktenkoffer-Ausweis erster Verkaufserfolge -- gehörte zur Uniform der Cornfeld-Soldaten. Geschickt verstanden es die IOS-Bosse auch, ihren Mitarbeitern -- die alle als freie Handelsvertreter auf eigene Rechnung arbeiten -- den Traum vom schnellen Reichwerden zu suggerieren. So verhieß der IOS-Top-Manager James Roosevelt, Sohn des New-Deal-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt: »Bei der IOS gibt es nur zwei Möglichkeiten, entweder Sie sind nach zehn Jahren nicht mehr dabei, oder Sie sind Dollar-Millionär.«

Die Konkurrenz wurde gelegentlich hart gestoppt. So warnte IOS Anfang April das Publikum in Rundschreiben vor dem United Growth Fund. Beigefügt war ein Artikel der »Zeit«, in dem unter anderem stand, der Kunde könne gegen diesen Exoten-Fonds nur in Panama klagen.

Die »Zeit«-Bombe war freilich ein Blindgänger, denn der Aufsatz »Ein Prospekt wird zum Verräter« verriet, das der Anlage-Experte des Blatt den Prospekt gar nicht gelesen hatte: Gerichtsstand, so erfuhr das IOS-Präsidium in Genf durch einstweilige Verfügung mit dem Streitwert von 125 000 Mark, ist Frankfurt am Main.

Auf ähnlich feine Art hatte IOS dem Investors Capital Trust nachgesagt, er bringe die Anleger ums Geld, wenn sie nicht sofort kündigten. Dabei berief sich IOS auf eine Veröffentlichung des Wirtschaftsmagazins »Capital«, deren Fachautor -- wie sich in der Verhandlung vor dem Landgericht Stuttgart herausstellte -- die niederen Weihen eines IOS-Trainee hatte.

Im Kampf um die Millionen herrschte das Gesetz des Wilden Westens. Jeder konnte seine Aufträge dort holen, wo er sie fand. Gebietsschutz für IOS-Vertreter gab es nicht. Ergebnis des Freistilringens: Selbst in mittleren Provinzstädten etablierten sich mehrere IOS-Büros. In der 60 000-Einwohner-Stadt Lüneburg zum Beispiel konkurrieren zwei IOS-Büros und in Göttingen (113 000 Einwohner) sogar drei.

Dennoch verdienten die IOS-Verkäufer nicht schlecht, Mitarbeiter aus dem unteren Glied kamen bis auf 5000 Mark monatlich, Branch Manager erzielten 10 000 bis 15 000 Mark und General Manager nicht selten 50000 Mark im Monat. Ein knapp 30jähriger ehemaliger Bonner IOS-Repräsentant kutschierte einen Ferrari, der ihn mehr als 70 000 Mark gekostet hatte.

Weiterer Geldsegen winkte tüchtigen IOS-Mitarbeitern aus einem sogenannten Stock-Option-Plan, Danach wurden mittleren und höheren Chargen Aktien der IOS-Muttergesellschaft zugeteilt -- zu einem von Cornfeld festgesetzten Preis. Bei der Berechnung dieses sogenannten »Formelpreises« war, so vermuten IOS-Mitarbeiter heute, die Genfer Zentrale zu großzügig gewesen, Denn selbst jeder Außendienst-Mitarbeiter wurde als Aktivposten veranschlagt. Ein General Manager zum Beispiel stand mit ca 300 Mark zu Buch und selbst der kleinste IOS-Agent wurde noch mit 1830 Mark bewertet.

Die Aktien wurden nach einem Schlüssel zugeteilt, der sich nach den Umsätzen der Verkäufer richtete. Von den IOS-Anteilscheinen, die Cornfeld 1960 kreierte, befanden sich fünf Jahre später rund 1,5 Millionen Stück in den Händen der Mitarbeiter. Ende Juni 1969 waren es bereits mehr als zwölf Millionen Stück. Denn jährlich bekamen die Belegschaftsaktionäre statt einer Dividende eine Gratisaktie.

Die Belegschaftspapiere, die von den Mitarbeitern bar bezahlt werden mußten, konnten zunächst sieben, später zehn Jahre lang nicht gegen Bargeld umgetauscht werden. Das Warten war jedoch profitabel. Der Formeipreis, zu dem Cornfeld nach Ablauf der Sperrfrist die Mitarbeiter-Aktien zurücknahm, wurde jedes Vierteljahr erhöht. Am 30. Juni 1969 betrug er 3,70 Dollar pro Aktie, im Oktober 4,02 Dollar.

Seit 1965 wurden jährlich mehr Aktien zurückgegeben, als IOS an neue Mitarbeiter verkaufen konnte. 1966 kostete die Rückkaufaktion 3,05 Millionen Dollar, 1967 waren es schon 4,575 Millionen, ein Jahr später 4,787 und allein in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres 2,727 Millionen Dollar. Für weitere 1,5 Millionen Dollar lagen zu diesem Zeitpunkt schon Rückgabe-Anträge vor. Um einer völligen Kapitalauszehrung vorzubeugen, verfiel das Finanzgenie Cornfeld auf einen simplen Ausweg. Er bedruckte Papier und verkaufte es.

Die Zahl der IOS-Aktien wurde Anfang September vergangenen Jahres vervierfacht. Die IOS hatte damit 55 Millionen Aktien, fast zehnmal soviel wie die viertgrößte deutsche Bank, die Commerzbank (sechs Millionen Aktien). Elf Millionen der neugeschaffenen Papiere wurden von 138 Banken in aller Welt, darunter zehn deutschen Privatbanken, übernommen, die sie zum Preis von zehn Dollar je Stück unter die Kundschaft brachten. In weniger als einer Woche waren Aktien für 110 Millionen Dollar über den Telephonverkehr verkauft worden. »Ein solcher Vorgang in dieser Größenordnung«, so Dr. Karlfriedrich Mohr in seinem Buch »Dollarfonds in Deutschland«, »ist in der Aktien- und Börsengeschichte wohl einmalig.«

»Hauptzweck dieser Emission ist es, einen Markt für die Stammaktien der Gesellschaft zu schaffen«, hieß es bei IOS in Genf. Die Millionen Aktien seien nur der Anfang.

»Der Markt ist geschaffen, und in weiteren Aktien der IOS und ihrer schönen Töchter stecken noch riesige Reingewinne«, spottete damals Experte Mohr. »Gegenüber so großartigen Möglichkeiten, die Millionen nur so aus dem Ärmel zu zaubern, spielt die Entwicklung der ordentlichen Gewinne aus echten Dienstleistungen in Zukunft wahrscheinlich nur noch eine untergeordnete Rolle.«

In der Tat hatten die Dienstleistungen -- Fondsverkauf und Fondsverwaltung -- schon 1967 mit 0,635 Millionen Dollar Verlust abgeschlossen. 1968 wurde zwar beim Fonds-Geschäft ein Gewinn von 2,4 Millionen Dollar ausgewiesen. Hierin aber war ein Überschuß von etwa sechs Millionen Dollar der IOS-Management Ltd. enthalten. Zu deutsch: Mindestens seit 1967 hatte der Fondsvertrieb und die Programmverwaltung mit Millionen-Defiziten gearbeitet.

Diese und andere Merkwürdigkeiten ergeben sich aus dem Emissionsprospekt, den die Zeichner aber wohl nicht lasen. Vermutete Dr. Mohr: »So aber hat der großartige Humor und der unerschütterliche Glaube von Bernard Cornfeld an die Leichtgläubigkeit und Habgier der Menschen wieder einmal die Oberhand behalten.«

An die Habgier appellierte Cornfeld mit aufwendigen Werbekampagnen und großspurigen Sprüchen. Seinen IOS Venture Fund (International) etwa startete Bernie Cornfeld im März letzten Jahres mit dem Slogan: »Für alle, die zur Abwechslung einmal bei den richtigen Anlagen einsteigen wollen. Zur richtigen Zeit.«

Oder auch: »Mit 105 Venture Fund verdienen Sie mehr Geld in etwas kürzerer Zeit.« Aus dem Vorrat seiner ehemaligen Politiker schickte Bernie Cornfeld den früheren US-Botschafter James Roosevelt auf Akquisitionsreise nach Westdeutschland, wo dieser etwa in Bremen verkündete: Der IOS Venture Fund werde bis Ende 1969 aus jedem ihm anvertrauten Zehn-Dollar-Schein 20 Dollar machen.

Hinweise auf die schon damals allgemeine Börsenbaisse wischte IOS vom Tisch: »Wir steigen ein, bevor der Zug abgefahren ist.« Venture Fund rühmte sich, »nur in besonders günstigen Papieren, solange sie noch besonders günstig sind«, zu investieren. Denn: »Wir bekommen die Informationen, bevor es zu spät ist.«

Das Zeichnungsergebnis von über 100 Millionen Dollar war ein schöner Erfolg -- für IOS, Die Sparer verloren seither an den »besonders günstigen Papieren« 19,3 Prozent.

Seine Werbemethoden hatten Cornfeld bereits vor Jahren eine Anklage der amerikanischen Börsenaufsichtsbehörde Securities and Exehange Commission (SEC) eingetragen. Den Börsenwächtern von Washington war eine Tabelle aufgefallen, mit der Cornfeld für seinen Fund of Funds warb. Darin hatte er den Wertzuwachs des FoF dem Anstieg des bekanntesten amerikanischen Aktienbarometers, Dow-Jones-Index, gegenübergestellt und den Eindruck erweckt, als liefe FoF wie durch ein Wunder allen anderen Werten davon.

»Dabei wurde verschwiegen«, monierte die SEC in einer Klageschrift gegen IOS, »daß im Wertzuwachs des FoF alle Dividenden, Zinseinkommen und realisierten Kapitalgewinne mitenthalten sind, während der Dow-Jones-Index derartige Elemente nicht berücksichtigt.« Folgerte die Börsen-Staatsanwaltschaft: »Das öffentliche Interesse wurde ebenso verletzt wie di Belange der Sparer.«

Überdies lastete die SEC der Cornfeld-Werbung an, daß sie die amerikanischen Sparer mit der Behauptung irreführte, nur von der Börsenaufsicht kontrollierte Investmentpapiere im Topf des FoF zu führen. Tatsächlich aber, so fanden die SEC-Ermittlungs-beamten heraus, hatte der FoF Papiere eines unregistrierten Fonds im Portefeuille, der zudem noch von Cornfeld selbst kontrolliert wurde. Hiermit aber habe IOS eindeutig gegen das US-Investmentgesetz von 1940 verstoßen.

Mit diesem Investment Company Act sowie dem Gesetz über die Börsenaufsicht von 1934 hatte der amerikanische Kongreß die Lehre aus dem großen Krach an der New Yorker Börse gezogen, der 1929 die Weltwirtschaftskrise einleitete. Damals hatten die Investmenttrusts -- zum großen Teil Dachfonds wie Cornfelds FoF -- durch massive Zwangsverkäufe eine Kettenreaktion ausgelöst.

Von der SEC vor die Wahl gestellt, sich den strengen Börsenregeln freiwillig zu unterwerfen oder aber auf Geschäfte mit amerikanischen Bürgern zu verzichten, entschied sich Cornfeld im Mai 1967 für die Emigration. Auch zu dieser Niederlage fiel dem Großmeister der Investment-Ideologie eine Rechtfertigung ein: »Dachfonds sind besonders geeignet, die Portefenille-Manager von Investmentfonds zu besseren Leistungen anzuspornen.« Die SEC verbiete mithin, »was sich als äußerst wirksam zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit von Investmentfonds erweisen könnte«.

Folgerichtig pries das Verkaufsgenie seinen Fund of Funds hinfort als die sichere Geldanlage par excellence an. Der Dachfonds sei »für jeden bestimmt, der sein Geld umsichtig anlegen möchte, um sich gegen eine der größten Gefahren unserer Zeit abzusichern -- das Geldwertproblem des zwanzigsten Jahrhunderts«.

In Wahrheit freilich nutzte IOS mit seinem FoF jene Anlagechancen, die Amerikas Börsenkommission im Interesse der Investmentsparer verbietet: Sie legte einen immer größeren Teil der Spargelder nicht in renommierten börsengängigen Aktien oder in SECkontrollierten Investmentfonds an, sondern steckte die Kundengelder in eigene Unterfondskonten, über die sie noch nicht einmal ordentliche Bilanzen veröffentlichte: Am 30. Juni 1968 waren nur fünf Prozent des FoF-Vermögens in von IOS unabhängigen US-Fonds angelegt, die der strengen SEC-Kontrolle unterliegen.

Dennoch warb die IOS, der FoF habe sich »zum Schutz der Anteilsinhaber mehrere wichtige Beschränkungen auferlegt, die in den Letters Patent (Satzungen) des Fund of Funds enthalten sind«. Danach darf FoF »keine Darlehen aufnehmen, keine Wertpapiere auf Kredit erwerben, keine Leerverkäufe durchführen, keine eigenen Vermögenswerte ausleihen (ausgenommen durch Zeichnung von Staatsanleihen) und keine Immobilien kaufen, pachten oder erwerben«.

Allein, wer weiterlas, fand das Gelöbnis sogleich annulliert. Denn da hieß es, daß die Fondskonten der FoF-Proprietary Funds Limited, die das Geld der Kunden verwaltet, »Leerverkäufe durchführen, Darlehen aufnehmen, Wertpapiere auf Kredit erwerben und Immobilien kaufen, verkaufen oder als Eigentum besitzen« können.

Einige der Eigenfonds wurden, wie aus den FoF-Erläuterungen hervorgeht, extra zu dem Zweck gegründet, solche hochspekulativen und risikoreichen Geschäfte zu besorgen. Andere Unter-Fonds arbeiten gar nicht im Wertpapierbereich: Der Real Estate Growth Fund betätigt sich im Immobilienmarkt, der Natural Resources Fund erwirbt Beteiligungen an Rohstofflagerstätten, der Commodity Fund spekuliert an Warenbörsen.

Der kritische Punkt bei allen IOS-Fonds ist die Bewertung nichtkontrollierbarer Objekte, beispielsweise von Letter Stocks (nicht zum Börsenhandel zugelassene Papiere) oder von Explorationsrechten: So erwarben Cornfelds Fonds-Manager mit ihren Kundengeldern beispielsweise Öl- und Gasexplorationsrechte in der kanadischen Arktis zu 0,75 bis zwei Dollar je Acre. Ende vergangenen Jahres wurde die Eiswüste in der Bilanz auf 8,01 Dollar je Acre heraufgeschrieben. Allein das Vermögen des Fund of Funds erhöhte sich durch die Bilanzverschönerung um 70,8 Millionen Dollar. Der IOS Growth Fund, in den auch ein Teil der arktischen Besitzrechte gewandert war, wuchs mit dem Federstrich um 2,9 Millionen Dollar. Im gleichen Takt stieg der Inventarwert beider Fonds um 12,6 Prozent.

Kommentar des US-Wirtschaftsmagazins »Business Weck": »Bei dieser Art von Aufwertung zogen manche Herren an der Walistreet die Augenbrauen hoch.«

In Bernie Cornfelds Fonds fanden sich freilich noch weitere »ziemlich merkwürdige Papiere« ("Sunday Times"). So wies der Geschäftsbericht des lIT-Fonds vom 27. Januar 1970 etwa einen Posten Eurodollar-Anleihen (Nennwert: 7,365 Millionen Dollar) einer Commonwealth Overseas N.V. mit Sitz auf den Niederländischen Antillen aus. Bewertet wurden die Papiere der Firma, die inzwischen ihre Zahlungen eingestellt hatte, mit 42 Prozent des Nennwerts. Offenbar hatten Cornfelds Buchhalter vergessen, an der Börse nach den Kursen zu fragen, wo die Papiere zuletzt selbst zu einem Schätzwert von fünf Prozent nicht unterzubringen waren. Erst als vor vier Wochen die IOS-Krise nicht mehr zu verheimlichen war, ließ Cornfeld das Papier-Paket auf das »Delcredere«-Konto (uneinbringliche Forderungen> setzen.

Nicht viel erfolgreicher waren die Cornfeld-Kunstler mit vier anderen Eurodollar-Anleihen. Noch im letzten Geschäftsbericht von lIT steht eine Anleihe der Giffen International N.V., einer ebenfalls auf den Niederländischen Antillen eingetragenen Gesellschaft, mit 49,5 Prozent zu Buche. Ausgewiesener Gesamtwert: 3,5 Millionen Dollar. Zu 6,6 Millionen Dollar aber hatte lIT die Papiere eingekauft. Mittlerweile ist der Kurs der Papiere noch um weitere 14,5 Prozent gesunken.

Überhaupt hatte Bernie Cornfeld auf den Niederländischen Antillen kein rechtes Glück. Eine Wandelschuldverschreibung der International Controls Corporation International N.V. schrieb er schon auf 46,5 Prozent des Nennwertes ab. Eine Euro-Obligation der Four Seasons Overseas N. V. bewertete er mit 100,5, knapp über dem Nennwert. An der Frankfurter Börse gibt es für beide Wertschriften nur einen Briefkurs: Nachfrage besteht keine.

Die Unterwert-Papiere wurden den IOS-Fonds von der IOS-eigenen Investors Bank Luxembourg SA, sowie der Investors Overseas Bank Limited, Bahamas, ebenfalls einem IOS-Ableger, vermittelt. Das Maklergeschäft brachte den beiden Cornfeld-Banken allein in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres 1,73 Millionen Dollar Reingewinn. Die Verluste aus dem Kursverfall der Euroanleihen (zusammen mindestens 13 Millionen Dollar) hingegen gingen allein zu Lasten der lIT- und FoF-Sparer.

So war es für Cornfeld ein leichtes, trotz sinkender Fondserträge weiterhin das Leben eines Nabobs zu führen. Als die Krise schon nicht mehr abzuwenden war, reiste er mit seinem weißen Falcon-Jet übers Wochenende ins mexikanische Acapulco, um mit dem Playboy-Herausgeber Hugh Hefner und einigen Bunnies small talk zu machen.

Die Extravaganzen des Mannes, der -- mal mit, mal ohne Bart -- sein Image mit Luxus-Karossen, einem lebenden Ozelot, zwei Schlössern und vorzüglichen Blondinen aufzupolieren suchte, kosteten IOS Millionen. Allein die letzte Weihnachtsfeier für seine Genfer Angestellten verschlang 100 000 Dollar.,, Für Bernie«, so einer seiner Funktionäre. »war nichts zu teuer.«

Zu Mitternachtspartys mit psychedelischer Musik lud King Bernie auf sein Schloß in den Savoyer Alpen eine mondäne Halbwelt ein. Stolz ließ sich der kleine, halbkahle Junggeselle ("Ich habe immer heiraten wollen, doch dann muß man sich ja auch um die Familie kümmern') mit seinem neuen Reichtum -- antiken Möbeln, rassigen Pferden und alten Gemälden -- photographieren.

Ein halbfertiges Buchmanuskript über Bernies Business- und Bett-Geschichten, das ein Pariser Verleger Magazinen und Illustrierten für mehrere hunderttausend Mark angeboten hatte, kam nicht auf den Markt. Der Autor hat das Werk nie vollendet -- er bekam ein fürstliches Honorar fürs Schweigen.

Als im vergangenen Jahr die Dollars nicht mehr im selben Tempo wie zuvor in Cornfelds Fonds-Kassen flossen, wurde den Genfer Spitzenbossen zum erstenmal bewußt, daß auch IOS über ihre Verhältnisse gelebt hatte. Die Kosten waren lawinenartig auf 90 Millionen Dollar im Jahr gewachsen. In aller Eile wurde ein Sparplan ausgearbeitet, der den Managern verbot, allzu lange Ferngespräche zu führen (monatliche Telephonkosten allein der Genfer Zentrale: 300 000 Dollar) und Erster Klasse zu fliegen. Sparziel: 30 Millionen Dollar jährlich.

Indes, das Austerity-Programm vermochte die Krise des Konzerns nicht mehr abzuwenden. Denn inzwischen war den Managern viel mehr als nur die Verwaltung aus den Händen geglitten.

Den Markt, auf dem sie anfangs nahezu unumschränkt geherrscht hatten, mußten sie nun mit immer neuen Konkurrenten teilen. Allein in der Bundesrepublik tummeln sich 500 ausländische Investmentfonds. Die meisten von ihnen arbeiten nach Cornfelds Rezept, dem sie dazu auch noch die Leute abwarben.

Bedrängt wurde Cornfeld überdies durch eine verschärfte Gesetzgebung. So darf IOS seit dem Gesetz über den Vertrieb ausländischer Kapitalanlagen vom Juli vergangenen Jahres seinen ehemaligen Bestseller, den FoF, in seinem Hauptabsatzgebiet Bundesrepublik nicht mehr vertreiben.

Dazu minderte die längste Börsenbaisse seit der Weltwirtschaftskrise den einstigen Glanz des Investmentgeschäfts. Um die Kassen dennoch zu füllen, kam ein Hamburger IOS-Vertreter auf die Idee, die Adressen zahlungskräftiger Kundinnen über ein Eheanbahnungsinstitut zu ermitteln. Statt der erwarteten Verlobungsküsse drückte er seinen Partnerinnen IOS-Sparverträge auf. Nachdem die Sache aufgekommen war, trennte sich Cornfelds Organisation von dieser tüchtigen Verkaufskraft.

Die Krise brach auf, als Anfang April 1970 an den internationalen Wertpapier-Börsen eine merkwürdige Transaktion zweier IOS-Gesellschaften ruchbar wurde. Die Muttergesellschaft IOS Limited hatte am 31. März die kanadische Fondsfirma Canadian Channing Corporation für sieben Millionen kanadische Dollar erworben und einen Tag später an ihre Tochter IOS-Management verkauft. Statt in bar zahlte die Management mit eigenen Aktien.

Dabei wurde pro Stück ein interner Verrechnungspreis von 10,44 kanadischen Dollars zugrundegelegt -- nur ein knappes Drittel des damaligen Börsenwertes.

Börsianer und Banker interpretierten das Manöver als Eingeständnis der Genfer Zentrale, daß der Kurs der IOS-Management um 200 Prozent überbewertet war, und stießen die Papiere eiligst ab. Damit begann der Kursverfall der IOS-Aktien, der am Ende den Konzern das Vertrauen seiner Kunden kostete und Bernard Cornfeld um seinen Chefsessel brachte.

Von Anfang April bis zum Donnerstag vergangener Woche stürzte die Aktie der IOS-Management von 119 auf 40 Mark. Die Aktie der Management-Mutter IOS Limited rutschte von 43,75 Mark auf 14,75 Mark.

Mit den Kursen sank das Ansehen des Konzerns. IOS-Sparer verlangten ihr Geld zurück. Das ohnehin schon dezimierte Vertreterheer verlor den Glauben an Cornfelds Sendung. Allein in der Bundesrepublik kündigten in den vergangenen Wochen 2300 IOS-Verkäufer -- mehr als ein Drittel der Truppe.

Im April ging der Verkauf bei vielen deutschen IOS-Büros bis zu 75 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück. Selbst fanatische Cornfeld-Anhänger aus den oberen Rängen können aus finanzieller Not nicht länger bei der Gesellschaft bleiben. Viele von ihnen hatten sich im Vertrauen darauf, daß die hohen Provisionen ewig weiterfließen, Geld geliehen, um ihre Büros mit großem Pomp ausstatten zu können. Die Einrichtung eines 320 qm großen IOS-Büros in Neuß verschlang zum Beispiel 91 586,97 Mark. Allein die Lampenrechnung belief sich auf 6780,30 Mark. Für sein Chef-Zimmer hatte der Agenturleiter Möbel im altenglischen Stil im Wert von 15 362,80 Mark angeschafft. Die IOS-Zentrale wollte jetzt ihrem hoch verschuldeten Büroleiter keinen Kredit gewähren. Deshalb mußte das Büro jetzt an die Konkurrenz verkauft werden.

Verzweifelt versuchte Bernard Cornfeld, sein wankendes Geldimperium zu stabilisieren. Zunächst mit einfachen Dementis: »Es gibt keine Krise bei IOS« (so in einem Zeitungsinterview). Dann mit Durchhalteparolen: »Arbeitet und hört auf, euch um den Aktienkurs zu kümmern« (so während eines eilends einberufenen Krisen-Meetings westdeutscher Vertreter in Frankfurt).

Doch das Charisma des großen Geldzauberers war dahin. Selbst sein engster Mitarbeiterstab versagte ihm die Gefolgschaft. Eine Woche lang kämpfte der Erfinder von IOS um den Vorsitz im eigenen Verwaltungsrat. Am Sonnabend vorletzter Woche schließlich wich er dem Druck der IOS-Rebellen und dankte ab.

Sein Rücktritt, so behauptete der IOS-Gründer noch am letzten Montag, sei noch lange keine Kapitulation. Cornfeld: »Ich bin noch immer der größte IOS-Aktionär, und ich nehme an, daß ich auch noch in drei Jahren der größte sein werde.«

Indes: John McCandish King, der IOS helfen soll, ist selbst tief in die Krise des Investment-Konzerns verstrickt. Er ist gleichzeitig Kreditnehmer der 105-Fonds, einer der größten IOS-Aktionäre -- und überdies auch noch Manager eines Unterfonds bei Cornfelds FoF.

In diesem Nebenberuf hatte er die ihm als FoF-Verwalter anvertrauten fremden Millionen in Öl- und Erdgas-Explorations-Firmen gesteckt, an denen er selbst beteiligt war. Und er hatte auch jenen merkwürdigen Kauf von kanadischen Eisfeldern verantwortet, die später um das Achtfache in der Bilanz aufgewertet wurden.

In den IOS-Fonds stecken King-Papiere von mehr als 130 Millionen Dollar, teils Schuldverschreibungen, teils Aktien der King-Firmen. Der Mann aus dem Westen verdient sein Geld mit dem Verkauf von Ölbohr-Rechten, einem ähnlich spekulativen Geschäft wie Cornfelds Investment-Business. Sein verschachteltes Firmen-Imperium siedelt ebenso wie die IOS teilweise in Steueroasen. King über seine Firma: »Eine Bank der Natur.«

»Öl-Bernie« (Kings Spitzname an den Börsen) muß nun fürchten, so die »New York Times«, daß ein Kollaps der IOS zum Sturz der Aktien seiner eigenen Firma führen wird. Das Blatt zieht daraus die Folgerung, King wolle Cornfelds IOS nur helfen, um seine eigene Haut zu retten.

Als Cornfeld bis Donnerstag abend außer King immer noch keinen Finanzier gefunden hatte, der eine größere IOS-Beteiligung übernehmen wollte, gestand selbst sein deutscher Repräsentant Erich Mende im »Frankfurter Hof« ein: »Wir haben Mühe, Massenliquidationen. durch vermehrte Kundenberatung zu vermeiden.« Und weiter: »Es gilt jetzt, die Hysterie einzudämmen.« Er hoffe, so verkündete Mende, es werde dennoch gelingen, daß die Investment-Sparer keinen Schaden erleiden.

James Roosevelt, den die Genfer Zentrale dem abgedankten FDP-Vorsitzenden in Cornfelds Diensten für seine Besänftigungsaktion zu Hilfe geschickt hatte, versuchte noch einmal mit den alten Sprüchen, das angeschlagene IOS-Ansehen im wichtigsten Absatzland seines Chefs aufzupolieren. Er wiederholte, was niemand mehr so recht glaubte: Es gebe tatsächlich das Konsortium amerikanischer und europäischer Banken, das laut Kommuniqué aus Genf der IOS Unterstützung zugesagt habe ("New York Times": »Geister-Konsortium"). Vorverträge mit dem Hufs-Komitee bestünden freilich nicht. Begründung der IOS-Herren, die sich zuvor nie allzu viel um strenge Börsenaufsichts-Gesetze scherten: »Das würde wenn auch nicht den Text, so doch den Geist des amerikanischen Börsengesetzes verletzen.«

Kommentierte Ludwig Poullain, Chef der Westdeutschen Landesbank: »Die Dinge setzen sich in ihrer Unübersichtlichkeit fort.«

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