Zur Ausgabe
Artikel 37 / 72

SÜDAFRIKA Volk von Blinden

Die Hinrichtung von drei schwarzen Untergrundkämpfern - die weltweite Proteste auslöste - soll die erschütterte Selbstsicherheit der Weißen Südafrikas stärken. *
aus DER SPIEGEL 24/1983

Es geschah im Morgengrauen in Pretoria. Drei junge schwarze Männer im Zentralgefängnis strecken die Arme in die Luft und rufen: »Amandla« (Macht). Kurz darauf öffnen sich die Falltüren des Galgengerüstes unter ihren Füßen.

So starben Marcus Motaung, 27, Thelle Mogoerane, 23, und Jerry Mosololi, 25. Ein weißer Richter hatte sie des Hochverrats und des Mordes für schuldig befunden. Als Angehörige des ANC (African National Congress) hatten sie gegen die weiße Regierung gekämpft, mehrere Polizeistationen, das Haus eines Polizisten, Eisenbahnanlagen sowie eine Raffinerie und ein E-Werk angegriffen, vier Menschen starben.

»Terroristen« gelte es »mit Härte« zu begegnen, kommentierte der südafrikanische Staatsrundfunk die Hinrichtungen und erinnerte an die Detonation einer ANC-Autobombe Ende Mai in Pretorias Innenstadt, die 19 Menschen tötete und über 200 verletzte.

Bis zum Freitag blieb es bei dieser einzigen, quasi offiziellen Stellungnahme, obwohl seit Wochenanfang bereits ein Hagel an Protesten auf die weißen Machthaber am Kap niedergegangen war. Anti-Apartheidsbewegungen in aller Welt, liberale Kirchen und Studentengruppen innerhalb des Landes, ja selbst der Südafrika-Freund Reagan und die wahlkämpfende Margaret Thatcher baten um Milde für die Verurteilten.

Bonns neuer Botschafter im Kapstaat, Carl Lahusen, auf den die weiße Regierung seit der Wende in Bonn große Hoffnungen setzt, sprach stellvertretend für die zehn EG-Staaten im Außenministerium von Pretoria vor - vergebens.

Südafrikas Henker hat gut zu tun: Allein im vergangenen Jahr wurden 99 Menschen, überwiegend schwarze, durch den Strang hingerichtet. »Wir richten mehr Menschen hin als der Rest der westlichen Welt zusammengenommen«, klagte die Oppositionsparlamentarierin Helen Suzman.

Die Unnachgiebigkeit der weißen Minderheitsregierung hatte handfeste innenpolitische Gründe: Premier Botha gilt etlichen seiner weißen Wähler als gefährlicher Liberaler, seit er eine sanfte, keineswegs auf Gleichberechtigung zielende Apartheidsreform einleitete.

Rechte Rassenfanatiker, die ihn ohnehin schon des Verrats am weißen Mann bezichtigen, hätten eine Begnadigung von »Terroristen« sogleich als weiteren Beweis für die angeblich schwächliche Haltung des Premiers ausgeschlachtet. »Botha hat mittlerweile Angst vor dem Schatten, der sich von rechts nähert«, glaubt Helen Suzman.

Viele Weiße fühlten sich durch die Härte ihrer Regierung gestärkt und fanden unter brüllendem Gelächter in den Bars ihre Selbstsicherheit wieder, die durch den Bombenanschlag in der Hauptstadt erschüttert worden war.

So hatte schon ein Überschallknall über Durban ausgereicht, binnen weniger Minuten die Telephonzentralen aller Behörden durch angstvolle Anrufe zu blockieren. In Pretoria gehen Erstkläßler morgens vor Unterrichtsbeginn auf Bombensuche, in Johannesburg installieren viele Büros explosionssichere Scheiben mit feuerfesten Vorhängen.

Ganz anders reagierte die schwarze Mehrheit auf das Erstarken des schwarzen Untergrunds und die Rache der Weißen. »Die Nation weint«, verkündete die größte Schwarzen-Zeitung »The Sowetan« am Freitag. Am Donnerstagmorgen zur Exekutionsstunde läuteten alle Kirchenglocken im schwarzen Millionengetto Soweto bei Johannesburg.

Noch am gleichen Tag brannten wieder Autos. In Durban schwenkten einige hundert Protestler ANC-Fahnen. Die »Explosion des Ärgers« kam eine Woche vor dem 16. Juni, jenem Tag, an dem die Schwarzen alljährlich der einigen hundert Opfer des blutig niedergeschlagenen Kinderaufstands von Soweto im Jahre 1976 gedenken.

Die weiße Regierung handele nach dem Grundsatz »Auge um Auge«, protestierte jetzt der »Sowetan«. Südafrika drohe demnächst »ein Volk von Blinden« zu werden.

Das zeigt die parteiische Rechtsprechung an Südafrikas Schwarzen: Als der junge Weiße Ronnie van der Merwe aus einer Laune heraus einen »Houtkop« (Holzkopf), einen Schwarzen, tötete, lautete das Urteil auf zwei Jahre Gefängnis, die der Burensohn stundenweise, an den Wochenenden, absitzen darf.

Doch als zwei schwarze Reggae-Musikanten bei einem Studentenfest in Roodepoort auch Befreiungslieder sangen, in denen Nelson Mandela, der seit fast zwei Jahrzehnten inhaftierte ANC-Führer, vorkam, traf sie das Gesetz in voller Härte, weil sie »die Zielsetzungen des ANC unterstützt« hätten.

Das Urteil lautete auf sechs Jahre Gefängnis, davon zwei auf Bewährung. _(Auf dem Evangelischen Kirchentag in ) _(Hannover. )

Auf dem Evangelischen Kirchentag in Hannover.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 37 / 72
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren