Volksmeinung aufs Komma genau?
Die politische Meinung in der Bundesrepublik zu erforschen ist im wesentlichen das Geschäft von nur sieben Instituten, während die anderen etwa 100 Institute der Branche -- abgesehen von Marplan (Offenbach) -- entweder ausschließlich Marktforschung betreiben oder nur gelegentlich politische Aufträge erhalten. An dem SPIEGEL-Gespräch nahmen Leiter und leitende Mitarbeiter dieser sieben Institute teil.
Gerhard Unholzer, 43, studierte Volkswirtschaft und Soziologie, arbeitet seit 1962 bei Infratest (München), dem mit 400 Angestellten und 1800 nebenberuflichen Interviewern größten Institut. Unholzer leitet die beiden Tochtergesellschaften »Infratest Sozialforschung« und »Infratest Medienforschung«. Wie vier andere führende Mitarbeiter ist er außerdem Mitgesellschafter der Mutterfirma »Infratest Forschung GmbH«, deren Anteile überwiegend im Besitz des Gründerehepaares Wolfgang und Dr. Lena-Renate Ernst sind.
Walter Tacke, 54, studierte Betriebswirtschaft, arbeitet seit 1961 bei Emnid (Bielefeld), dem 1945 gegründeten ältesten deutschen Institut (zur Zeit 49 Angestellte, 900 Interviewer), und ist dort geschäftsführender Mitgesellschafter.
Das Allensbacher Institut für Demoskopie (80 Angestellte, 1000 Interviewer) wird von der Professorin Elisabeth Noelle-Neumann geleitet, die zur Zeit des SPIEGEL-Gesprächs in den USA weilte und durch zwei leitende Mitarbeiter vertreten wurde:
Friedrich Tennstädt, 53, gehört zu den Demoskopen der ersten Generation. Er trat 1948 in das ein Jahr zuvor gegründete Allensbacher Institut ein und leitet die Abteilung »Aufbereitung und Auswertung«.
Gerhard Herdegen, 39, studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Slawistik unter anderem an der Harvard-Universität und leitet seit sechs Jahren das Bonner Büro des Allensbacher Instituts. Sein Vorgänger war der 1973 verstorbene Noelle-Ehemann Erich Peter Neumann.
Klaus Liepelt, 48, studierte Sozialwissenschaften in den USA, war 1959 Mitbegründer des »Instituts für angewandte Sozialwissenschaft« (Infas) in Bonn-Bad Godesberg, dessen Mehrheitsgesellschafter und Geschäftsführer er ist. An allen Wahltagen arbeitet Infas (70 Angestellte, 1200 Interviewer) für das Erste Fernsehen und den Hörfunk.
Barbara von Harder, 42, studierte Rechtswissenschaft und Psychologie. Bei Getas (Bremen) arbeitet sie seit 1968. Seit sechs Jahren ist sie geschäftsführende Mitgesellschafterin dieses Unternehmens, das 1957 von Hans-Jürgen Ohde als »Institut für Motivforschung« gegründet wurde und seit 1969 als »Gesellschaft für angewandte Sozialpsychologie« firmiert. Getas (53 Angestellte, 1000 Interviewer) führt neben quantitativen Untersuchungen besonders psychologische Studien durch.
Werner Sörgel, 49, studierte Soziologie und Politologie, promovierte bei Carlo Schmid, arbeitete von 1970 bis 1978 bei Infratest und gründete dann zusammen mit einem Psychologen das »Sozialwissenschaftliche Institut Nowak und Sörgel« (Sinus) in München und Heidelberg (21 Angestellte, 60 Interviewer). Es hat sich auf psychologische Meinungs- und Marktstudien spezialisiert. Jüngst erregten einzelne Ergebnisse einer Sinus-Studie für das Bundeskanzleramt Aufsehen, nach der die Deutschen auf Distanz zu den USA gegangen sind (SPIEGEL 18/1980).
Wolfgang G. Gibowski, 38, studierte Volkswirtschaft und Politikwissenschaft. Gibowski, Manfred Berger und Dieter Roth sind Vorstandsmitglieder der Mannheimer »Forschungsgruppe Wahlen«, die ursprünglich an der dortigen Universität bestand, sich aber 1974 selbständig machte und als gemeinnütziger Verein eintragen ließ. Die »Forschungsgruppe« steht beim Zweiten Deutschen Fernsehen unter Vertrag, liefert allmonatlich die Daten für dessen »Politbarometer« und führt an Wahltagen Hochrechnungen und Analysen durch. Als Inhaber des »Instituts für praxisorientierte Sozialforschung« (Ipos) sind die drei Vorstandsmitglieder der »Forschungsgruppe« für andere Auftraggeber tätig, in den letzten Jahren arbeitete Ipos auch für die FDP.
Max Kaase, 45, nahm neben den Institutschefs an dem SPIEGEL-Gespräch teil. Er gilt als einer der führenden Wahlforscher unter Deutschlands Professoren und hat sechs Jahre lang, bis Ende 1979, selbst ein Institut geleitet, allerdings ein nichtkommerzielles: das »Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen« (Zuma) in Mannheim, das andere Hochschulinstitute bei sozialwissenschaftlichen Projekten berät und Forschungsmethoden wissenschaftlich untersucht. Seit Jahresbeginn hat Kaase einen Lehrstuhl für Politische Wissenschaft an der Universität Mannheim inne.
Die Infratest-Gruppe hatte 1979 einen Umsatz von 51 Millionen Mark. Allein die beiden von Unholzer geleiteten Infratest-Töchter setzten so viel um wie Infas (rund 10 Millionen Mark). Die Zahlen der anderen Institute: Getas 7, Allensbach 6, Emnid 5 und Sinus 1,4 Millionen Mark. Bei der »Forschungsgruppe« ist der Etat auf die Personalkosten für 12 Mitarbeiter beschränkt. Die Kosten für die Arbeit der Interviewer anderer Institute und für die Benutzung des Mannheimer Universitäts-Computers erstatten das ZDF und andere Auftraggeber direkt.
Außer der Mannheimer »Forschungsgruppe« sind alle Institute für Bonner Ministerien tätig. Sie haben auch allesamt Partei-Aufträge, allerdings nur jeweils von der einen oder der anderen Seite: Infas und Sinus von der SPD, Allensbach, Emnid und Getas von der CDU/ CSU. Lediglich Infratest trägt auf beiden Schultern: Die »Sozialforschung« ist für die SPD, die »Wirtschaftsforschung« für die CDU tätig. Vier der am SPIEGEL-Gespräch beteiligten Institute versorgen zehn der elf Länderregierungen mit Berichten über die regionale Volksmeinung:
Es arbeiten Infratest sowohl für christ- als auch für sozialdemokratische Regierungen, Infas für alle SPD-, Allensbach und Getas für Unions-Regierungen. Als einziges anderes Institut forscht Marplan an der Saar.
Zusammenarbeit zwischen den Instituten gibt es kaum, Erfahrungsaustausch überhaupt nicht, Kernfragen ihrer Arbeit sind umstritten. Das gilt zum Beispiel für die Prognosen, die Allensbach und Emnid unmittelbar vor jeder Bundestagswahl erarbeiten. Emnid hinterlegt sie bei einem Notar, Allensbach verkündet sie nach der Schließung der Wahllokale im Fernsehen.
Infratest und andere Institute lehnen solche Prognosen ab. Hauptgrund: Es werde der Eindruck erweckt, die Meinungsforschung könne mit einer Genauigkeit bis auf die Stelle hinter dem Komma arbeiten, und dieser Eindruck sei falsch.