HITLER Vollauf geeignet
Auf der Rednertribüne des Deutschen Reichstags zog der sozialdemokratische Abgeordnete Kurt Schumacher vom Leder: »Wenn wir irgend etwas beim Nationalsozialismus anerkennen, dann ist es die Tatsache, daß ihm zum erstenmal in der deutschen Politik die restlose Mobilisierung der menschlichen Dummheit gelungen ist.« Es war der 23. Februar 1932.
Zwei Tage später war der Führer des Nationalsozialismus reif zum deutschen Professor. Adolf Hitler, der die »menschliche Dummheit« in Schaftstiefel und Braunhemden gesteckt hatte, erhielt, unterschriftsreif, einen Dienstvertrag, durch den er die außerordentliche Professur für »organische Gesellschaftslehre und Politik« an der Technischen Hochschule zu Braunschweig übernehmen sollte.
Die Urkunde mit diesem Vertrag »zwischen dem Freistaat Braunschweig und dem Schriftsteller Adolf Hitler in München« ist erst jetzt, nach fast einem halben Jahrhundert, aufgefunden worden.
Bei Recherchen zu Arbeiten über die nationalsozialistische Kampfzeit fand sie der Zeithistoriker Manfred Overesch, 41, Professor am Lehrstuhl für Geschichte und Didaktik der Geschichte an der Technischen Universität Braunschweig -- zwischen Hitlers privaten Testamenten und Aufzeichnungen über den Münchner November-Putsch von 1923 im Koblenzer Bundesarchiv.
Die »privatesten Papiere«, unter denen das Dokument archiviert war, legen laut Overesch nahe, daß es für Hitler »offensichtlich große nostalgische Bedeutung« besessen hat.
Zu Recht: Um zur Wahl des Reichspräsidenten am 13. März 1932 überhaupt kandidieren zu können, mußte Hitler es erst einmal zum deutschen Staatsbürger bringen; er war »staatenlos« geworden, nachdem er als Österreicher im deutschen Heer gedient hatte, dort auch weiterdienen wollte und ihm beim Regierungsantritt Kaiser Karls von Österreich, 1916, die österreichische Staatsangehörigkeit aberkannt wurde.
»Die Ehrenpflicht der deutschen Nation«, wie es eine NS-Dokumentation damals nannte, Hitler zum ordentlichen Deutschen zu machen, gedachte der nationalsozialistische Innen- und Volksbildungsminister Dietrich Klagges zu erfüllen, der zusammen mit dem S.86 deutschnationalen Werner Küchenthal seit 1931 das braunschweigische »Staatsministerium« darstellte.
In einer Aktennotiz hielt Klagges fest, er habe »seit längerer Zeit« nach einer »Persönlichkeit« gesucht, »die sich theoretisch und praktisch in einer führenden politischen Stellung bewährt hat« und daher in der Lage sei, »die politische Bildung des heranwachsenden Geschlechts« zu fördern.
Nun, Februar 1932, hatte er die Persönlichkeit entdeckt: »Herr Schriftsteller Adolf Hitler« sei bereit, so notierte Klagges, »einen derartigen Ruf anzunehmen«, und auch vollauf geeignet -zum einen praktisch »als Führer einer großen politischen Volksbewegung«, zum anderen theoretisch »durch sein grundsätzliches politisches Werk ''Mein Kampf'' als wissenschaftlicher Schriftsteller«. Mit seinem Führer als Professor, befand Klagges, werde »die Bedeutung und das Ansehen der Hochschule zweifellos sehr gesteigert werden«.
Doch die Kapriole verunglückte. Sie hätte Hitler zum braunschweigischen Staatsdiener in der »Bes.Gr. A IIb« gemacht und ihn verpflichtet, »bis zu 12 Vorlesungs- und Übungsstunden im Semester wöchentlich zu halten«, wobei sein »Recht zur Ausübung privater Tätigkeit« unberührt geblieben wäre, »soweit durch diese die Interessen seines Lehrstuhls nicht geschädigt werden«.
Zwar konnte sich Klagges noch über den Widerstand der Mehrheit des Hochschulsenats hinwegsetzen, im immer noch funktionierenden Landtag des Freistaats aber scheiterte er. Mit Heiterkeit reagierte das Plenum, als bei einer Haushaltslesung der sozialdemokratische Oppositionsführer Heinrich Jasper die Hintergründe der Hitler-Professur aufhellte.
Jasper in der 39. Sitzung des Braunschweigischen Landtags am 17. Februar 1932: »Was Herrn Frick ... nicht geglückt ist, soll nun Herr Klagges hier durchführen. Wurde ihr Führer, Herr Hitler, nicht Gendarm von Hildburghausen, so hält sich das Gerücht, daß Herr Hitler offenbar Professor der Pädagogik werden soll.«
Was Wilhelm Frick, der nach den Landtagswahlen vom Dezember 1929 Innen- und Volksbildungsminister in Thüringen und damit überhaupt erster nationalsozialistischer Minister im Reich geworden war, mit Hitler vorgehabt hatte, war sogar dem NS-Propagandachef Joseph Goebbels anrüchig erschienen. Goebbels fand es »fast beleidigend« für Hitler, »welche Schleichwege man benutzen muß, ihm das zu geben, was keinem Ostjuden verweigert« werde: die deutsche Staatsbürgerschaft.
Der Schleichweg, den Frick ausgekundschaftet hatte, lief darauf hinaus, den Führer, späteren Reichskanzler und Obersten Befehlshaber zunächst zum Gendarmeriekommissar von Hildburghausen zu ernennen -- von »Schildburghausen«, wie bald gespöttelt wurde.
Frick überreichte Hitler die Ernennungsurkunde tatsächlich bei einem SA-Aufmarsch in Gera am 12. Juni 1930, und Hitler quittierte sie. Doch dann zerriß er das Papier. Mit einem so »untergeordneten Posten«, notierte Goebbels, und »auf diesem Wege« wollte der Führer kein Deutscher werden.
Als Professor wurde er es aber auch nicht, der Landtag in Braunschweig widersetzte sich dem Coup.
Klagges schaffte es dennoch. Zum selben Datum, auf den der Dienstvertrag terminiert war, wurde Hitler zum Regierungsrat beim Landeskultur- und Vermessungsamt der Stadt ernannt und »mit der Wahrnehmung der Geschäfte eines Sachbearbeiters bei der braunschweigischen Gesandtschaft in Berlin« beauftragt.
Gratulanten beschied Staatsbürger Hitler: »Mir brauchen Sie nicht zu gratulieren. Aber Deutschland.«
S.86Mit v. l. n. r. den Adjudanten Schaub, Brückner und Sekretär Heßnach seiner Beamten-Vereidigung beim Verlassen derbraunschweigischen Gesandtschaft in Berlin.*