VOM GROSSEN MORDEN
Er hat über tausend Menschen, indem er sie jahrelang in einem Lager gefangenhielt und wie Sklaven für sich arbeiten ließ, das Leben gerettet. Denn ihre Ermordung war beschlossene Sache.
Am Tag der deutschen Kapitulation entließ er die Gefangenen - Männer, Frauen, Kinder, die er zu seinen Schützlingen gemacht hatte - feierlich in die Freiheit. Einer der älteren Häftlinge hatte seine Zahnkronen aus Gold geopfert und ein Juwelier einen Ring daraus gefertigt, der nun als Dank und Erinnerung Oskar Schindler überreicht wurde, mit einem eingravierten Spruch aus dem Talmud: »Wer nur ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt.«
Es wird keiner zum Helden, der keinen Sänger findet, und Oskar Schindler blieb auch später wenig geneigt auszuposaunen, was er während des Krieges getan hatte. Man war erneut mit Überleben beschäftigt, er selbst wie die Juden, denen sein Lager mit Stacheldraht und Wachttürmen zur rettenden Arche geworden war. Manche von ihnen gingen nach Krakau zurück, woher fast alle stammten, andere zerstreuten sich weit in die Welt, nach Nordamerika, Südamerika, Israel, Australien.
Oskar Schindler suchte mit seiner Frau eine neue Existenz in Argentinien, machte jedoch nach ein paar Jahren als Pelztierzüchter Bankrott, kehrte 1957 allein zurück und ließ sich in Frankfurt nieder. Die treuen »Schindlerjuden«, die schon die argentinische Unternehmung mitfinanziert hatten, sorgten für Ehren, in Israel wie in Europa (an der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes nahm Adenauer persönlich teil), doch als Unternehmer kam Schindler auch im Nachkriegsdeutschland nicht zurecht.
Da er sein Leben lang ein Spieler war, der das Risiko liebte, mag er sich gesagt haben, sein Übermaß an Glück habe er in den kurzen, schwindelhaften Kriegsjahren ein für allemal aufgebraucht. Er bekannte sich dazu, daß er gern und hart trank; daran ist er dann auch, vor nunmehr 20 Jahren, gestorben.
Es liegt keine Logik oder Zwangsläufigkeit darin, daß dieser außerordentliche Hallodri und Hasardeur nun, 51 Jahre nach der Liquidierung des Krakauer Ghettos, zu einer Art Weltruhm als beispielhaft guter Deutscher in finsteren Zeiten emporsteigt: durch einen Film. Der Weg, bis es dazu kam, war gewunden, reich an Zufällen, Hindernissen, Verzögerungen, insgesamt unwahrscheinlich. Doch zuletzt hat der Held seinen Sänger gefunden, und nicht irgendeinen.
Der »kommerziell erfolgreichste Regisseur der Kinogeschichte« (The New York Times) ist Steven Spielberg schon seit langem, der unschlagbare Unterhaltungsvirtuose mit Kindergemüt und Midas-Touch. Doch das Doppelereignis, das er dem amerikanischen Kinojahr 1993 bescherte, ist beispiellos, auch für seine Begriffe: Erst hat er mit »Jurassic Park« ein Abenteuerspektakel herausgebracht, das inzwischen rund um die Welt annähernd eine Milliarde Dollar einspielte und so endlich den Kassenrekord brach, den Spielberg selbst seit elf Jahren mit »E.T.« hielt.
Dann, mit nur einem halben Jahr Abstand, setzte er diesem dinosaurischen Vergnügen »Schindlers Liste« entgegen, die Geschichte des lebenslustigen Oskar Schindler, der in den Krieg zog, um Millionen zu scheffeln, und statt dessen zum Beschützer der Juden wurde - zu einer Zeit und an einem Ort, wo es als Verbrechen galt, Jude zu sein, bei Strafe des Todes, sogar für Kinder.
Den Kassenrekorden, die »Jurassic Park« allenthalben aufstellte, treten seit der US-Premiere von »Schindlers Liste« Superlative ganz anderer Art gegenüber: Es sei der überraschendste, kühnste, künstlerisch reichste, erschütterndste Film weit und breit, ein epochales Meisterwerk, Spielbergs Durchbruch zu wirklicher Größe.
Über das ungenierte Nebeneinander der Saurier-Show und des Holocaust-Dramas die Nase zu rümpfen würde den Bedingungen ihrer Produktion nicht gerecht: Dieselbe erzählerische Intelligenz hat beide Filme hervorgebracht; ohne den einen gäbe es den anderen nicht; erst der phänomenale Erfolg mit dem, was in Hollywood alle von ihm wollten, hat Spielberg die Macht und die Mittel verschafft zu verwirklichen, was in gewissem Sinn niemand wollte.
Nun gehen unentwegt Auszeichnungen, Nominierungen, Ehrungen auf ihn nieder, während er selbst sich quer durch Europa um Benefiz-Galapremieren kümmert, so am 1. März in Frankfurt, zwei Tage vor dem deutschen Kinostart. Sein ganzer Profit aus dem Film soll an karitative Einrichtungen gehen. Seit vielen Jahren hat es keinen so unbestrittenen Favoriten für viele Oscars gegeben wie nun »Schindlers Liste«. Sogar Präsident Clinton rief sein Volk auf: »Go see it!«
Spielberg hat den Film groß gewollt, von Anfang an: episch, figurenreich, über drei Stunden lang im Schwarzweiß alter Wochenschauen. Er wollte, da es um eine wahre Geschichte ging, ohne Details auskommen, die nicht belegt wären, ohne Star in der Titelrolle, ohne Kamera-Bravourstücke, die auf sich selbst aufmerksam machten, und mit wenig Musik. Er wollte sich in die Ereignisse hineinbegeben, oft die Kamera auf der Schulter, rasch reagierend, den Gesichtern nah - so sollte sich die Geschichte gewissermaßen selbst erzählen.
Spielberg hat sein Ziel hoch gesteckt, und weniger wäre ihm zuwenig gewesen, auch für sein Publikum. Der Film soll Normen sprengen: das übliche Abspultempo von Kinovorstellungen im Zweistundentakt oder die gefällige Feierabendgestaltung mit anschließendem Essen. Wer »Schindlers Liste« sieht, soll nicht irgendwie zufällig hineingeraten sein, sondern das wirklich gewollt haben, mit Entschiedenheit: Nur so ist der Film zu ertragen, und so werden seine Bilder sich lange nicht aus dem Gedächtnis verflüchtigen.
»Schindlers Liste« ist groß über alle Erwartung hinaus. Kein Buch, keine Chronik, kein Film kann die Unbegreiflichkeit und das Entsetzen des Holocaust fassen. »Schindlers Liste« aber - der erste große Kinofilm, der den bürokratisch geplanten und fabrikmäßig durchgeführten Massenmord wirklich zu seinem Thema macht - zeigt, was doch möglich ist: Man kann davon erzählen.
Das heißt: Spielberg, der Kinozauberer, wirft sich nicht in Sack und Asche, weil die Sache so ernst ist, er erliegt nicht jener Berührungsscheu, die sich für Pietät hält, nein - er erzählt so genau und brillant wie noch nie, so lebendig in jedem Detail, so voller Lust und ebendeshalb so eindringlich, so dicht, daß dem Zuschauer der Atem stockt.
Spielberg gelingt, was er vorhat, weil er sich traut und nie daran zweifelt, daß man das inszenieren kann. Man kann vorführen, wie eine Gruppe nackter, geschorener Frauen in Auschwitz in einen jener Duschräume getrieben wird, die zugleich Gaskammern waren, und man kann, mit der Kamera eingepfercht zwischen den Opfern, deren Panik und Todesangst festhalten. Dies in einem Spielfilm zu zeigen ist keine Frage von Geschmack oder Diskretion, sondern von Mut und Kunst.
Listen sind wie Litaneien, Namen um Namen: Das Aufrufen, Abfragen, Aussondern von Namen gibt dem Film ein Grundmotiv. Er beginnt mit der Registrierung der Krakauer Juden, mit Gesichtern, mit Familien, mit Gruppen, mit Scharen von Menschen, die auf die Kamera zukommen. Und in Appellen, in Aufmärschen, in Transportkolonnen ruft der Film diesen Fluß von Menschengesichtern immer wieder herauf, Namen um Namen. Die Mörder sind Bürokraten, der Tod geht nach Listen _(* Fotos von Raimund Titsch. ) vor, doch irgendwo gibt es jene andere, rettende: Schindlers Liste. Diese Namen und diese Gesichter sind stets gegenwärtig; es ist ihre Geschichte, die Spielberg erzählt, nicht irgendeine andere irgendwo über ihren Köpfen.
Oskar Schindler war, was man damals einen ganzen Kerl nannte, seine Talente glichen denen eines Heiratsschwindlers: Leichthändigkeit, Aufschneiderei, schwer Schlag bei Frauen. Als Geschäftemacher im heimatlichen Sudetenland hatte er nicht sonderlich reüssiert, doch als der Krieg ausbrach, war er nicht so blöd, sich einziehen zu lassen, sondern machte sich im Zweireiher mit einem dicken Parteiabzeichen am Revers auf in den eben eroberten Osten, um reich zu werden.
In Krakau zog er eine bankrotte Fabrik für emailliertes Küchengeschirr an Land und brachte sie rasch zum Florieren - einerseits durch jüdische Zwangsarbeiter, die er von der SS für 6 bis 7,50 Mark pro Tag bekam, andererseits durch fabulöse Bestechung seiner Hauptkunden bei der Wehrmacht.
Schindler spielte mit ihnen, soff mit ihnen und deckte sie so mit Präsenten ein, daß sie seinen Küchenbedarfsbetrieb als »kriegswichtig« einstuften und ihm später sogar die Errichtung eines Privatarbeitslagers für etwa tausend Juden auf dem Fabrikareal erlaubten: Angeblich sollte das ihre Ausbeutung vereinfachen, doch Schindler ging es um ihr Überleben. Dafür setzte er, immer riskanter, das eigene aufs Spiel.
Im Herbst 1944, als die Ostfront zusammenzubrechen begann, verschaffte sich Schindler durch zielstrebige Korruption und Betrug die Erlaubnis, seine ganze Fabrik auf 250 Güterwagen westwärts zu verlagern, ins heimatliche Sudetenland, und mit den Maschinen auch die jüdischen Arbeiter, denen ein einzigartiges Dokument Kriegswichtigkeit bescheinigte, genannt »Schindlers Liste": der Weg in die Freiheit für 1100 Männer, Frauen und Kinder.
Es hat auch Deutsche gegeben, die stolz darauf waren, einen Totenkopf an Mütze und Revers zu tragen, und das war kein Abdeckertrupp, sondern die Elite des Landes. Ein junger Mann wie Amon Göth zum Beispiel, Kommandant des Arbeitslagers Plaszow, in das 1943 alle Krakauer Juden, soweit man sie nicht gleich ermordete, eingesperrt wurden: Er liebte es, nach dem Frühstück mit dem Jagdgewehr auf den Balkon seiner Villa zu treten und ein paar Gefangene, die ihm zufällig vors Visier kamen, zu erschießen.
Amon Göth war Schindlers fanatischster, amoralischster, darum korrumpierbarster Gegenspieler, und das innere Drama in Spielbergs Film, ein hochgespanntes Psycho-Duell, spielt sich zwischen diesen beiden ab (Liam Neeson und Ralph Fiennes), im trügerischen Zwielicht von Besäufnis und Intrige.
Es ist der Kampf zwischen Gut und Böse, doch nicht nach vorgefertigtem Schema; er hat seine eigene Dialektik. Denn die beiden jungen Männer, gleichaltrig, beide aus katholisch-bürgerlichem Haus, sind sich in ihren Lebensvoraussetzungen ähnlicher, als ihnen lieb sein mag: zwei Glücksritter in einem frischen, beuteverheißenden Krieg, beide gierig, leichtsinnig, rücksichtslos. Wie der eine sich, Schritt um Schritt, zum Regimegegner wandelt, auch wenn er nach außen hin weiter mit dem Parteiabzeichen auftrumpft, erzählt der Film. Doch welche kleine innere Differenz den anderen zum pathologischen Killer macht, bleibt beunruhigend unerklärlich. Das Böse ist banal.
So wie jede Szene des Films, auch die unglaublichste, auf einem bezeugten Vorfall beruht, so bürgt die Gegenwart der Stadt Krakau für die Geschichte. Krakau hat im Krieg keinen Schaden genommen, und daß auch das alte Ghetto nicht geschleift wurde, hat der Judenvernichter Himmler selbst veranlaßt, indem er es unter Denkmalschutz stellte: Es sollte später einmal, nach Endsieg und Endlösung, als Museum einer ausgerotteten Rasse dem deutschen Volk zur Erbauung dienen.
»Schindlers Liste« konnte auch deshalb nirgends als in Krakau gedreht werden, und die Realität der Schauplätze wurde für Spielberg zur Obsession. Das Lager Plaszow mußte zwar andernorts nachgebaut werden und daneben detailgetreu auch die Göth-Villa (deren Original noch in Plaszow steht), doch zumindest der Lagerzaun und der eckige Torturm von Auschwitz-Birkenau - von außen gesehen - sollten echt sein, und sie sind es im Film.
Die Straßenfront von Schindlers Fabrik mit den Initialen DEF über der Einfahrt ist authentisch; die große Razzia wurde in jenen Straßen gedreht, wo das Massaker tatsächlich stattfand; auch Schindlers Filmwohnung ist genau jene, in der er damals lebte. Dem Zuschauer mag das nichts bedeuten, doch Spielberg lag viel daran: als würde jedes originale Detail die Geschichte wirklicher machen und beglaubigen.
Gewiß sind die Lagerszenen auch dieses Films in bestimmter Weise geschönt, gewiß kann man die physische Qual und das nackte physische Elend der KZ-Realität nur andeuten, nicht exzessiv darstellen, und gewiß gibt es eine Kinoerfahrungs-Schmerzgrenze, die Spielberg nicht überschreitet, da er doch will, daß man hört und schaut.
Niemand hat hören und schauen wollen, als das alles geschah, und deshalb war auch nach dem Krieg das Verdrängen und Totschweigen so beliebt. Als der Film »Nacht und Nebel« von Alain Resnais, der Fotos und Dokumentaraufnahmen aus den Todeslagern zu einem Requiem für die Ermordeten montiert, 1956 bei den Festspielen in Cannes uraufgeführt werden sollte, versuchte die Bundesregierung dies mit beträchtlichem politischen Druck zu verhindern: Sie sah in dem Film nichts als eine Beleidigung Deutschlands. Die Adenauer-Republik war immer auch die Globke-Republik, und im Haus des Henkers wird nicht vom Strick gesprochen.
Die Frage, warum nicht damals oder etwas später oder überhaupt je ein ernsthafter deutscher Film über den Holocaust zustande kam (siehe Seite 174), bleibt offen. Aber wäre er irgendwann willkommen gewesen?
Im Theater, dem Minderheitenmedium, durfte man an Tabus rütteln, mit dem »Stellvertreter« von Hochhuth, der »Ermittlung« von Peter Weiss oder Kipphardts »Bruder Eichmann« - doch die einzige anschauliche, massenwirksame und intensive Erfahrung hat den Deutschen das Fernsehen vermittelt, der WDR durch die amerikanische Serie »Holocaust«.
Und auch dagegen arbeiteten im voraus mächtige Abwehrkräfte: Im Ersten Programm durfte der aufstörende Vierteiler nicht laufen, in den verbundenen Dritten fand er 1979 dann doch bis zu 20 Millionen Zuschauer - ein Ereignis. Claude Lanzmanns neunstündige Dokumentation »Shoah«, gesendet 1986, blieb dann schon wieder nur Sache einer geduldigen Minorität.
Für die Deutschen war »Holocaust« auch verbal ein Segen, denn bis dahin hatten sie nicht einmal ein Wort für das große Verbrechen, von dem sie nichts wissen wollten, allenfalls das bürokratische »Endlösung«. Nun aber für die schreckliche deutsche Tat in amerikanischer Schreibung und Aussprache ein griechisches Wort, dessen Sinn man kaum kennt: welche Distanz, welche Erleichterung.
Neuerdings ist, wieder durchs Fernsehen, die Alternative »Shoah« hinzugekommen. Gegen beide Begriffe ließe sich einwenden, daß sie, was geschehen ist, ins Verhängnishafte rücken, jenseits von Schuld. Doch wo man sich der »Gnade der späten Geburt« rühmt, herrschen die alten Beklemmungen weiter, noch in den Kontroversen um Bitburg oder die Berliner Neue Wache hatten sie Oberhand. Sie sind da.
Das FAZ-Feuilleton umschreibt im Januar 1994 die Tatsache, daß jemand die Mordmaschinerie überlebte, mit der nachsichtigen Floskel wie für einen Kuraufenthalt: »Die Nationalsozialisten hatten ihn in Auschwitz interniert.« Jede dieser täglichen kleinen Heucheleien ist Futter für die Propagandisten der »Auschwitz-Lüge«. Ihnen, die in den sechziger Jahren Schindler als »Judenknecht« beschimpften, wird auch »Schindlers Liste« das Maul nicht stopfen.
Der Mann, der sich am hartnäckigsten dafür eingesetzt hat, daß Oskar Schindler allmählich zu seinem Nachruhm kam, ist Leopold Pfefferberg. Im Epilog zu Spielbergs Film, an Schindlers Grab auf dem katholischen Friedhof in Jerusalem, ist Pfefferberg als immer noch imposanter Herr von 80 Jahren zu sehen, im Nachspann wird er mit seinem amerikanischen Namen Leopold Page als Berater genannt.
Pfefferberg, einst Sportlehrer, dann polnischer Offizier, nun Schwarzhändler, war im Herbst 1939 einer der ersten Juden, denen Schindler in Krakau begegnete - und Pfefferberg erwog für einen Augenblick, den Deutschen zu erschießen, weil er ihn für einen Gestapomann hielt. Statt dessen wurden sie Freunde und Partner auf dem schwarzen Markt.
Pfefferberg besorgte über Jahre Lebensmittel für die Arbeiter, Seidenhemden für Schindler und in unglaublichen Mengen die »Gefälligkeiten« - Champagner und Cognac, Kaviar, Havannas und Juwelen -, die Schindler brauchte, um den vorzüglichen Gang seiner Geschäfte zu schmieren. Gegen Kriegsende wurde der Ex-Offizier zum Schießlehrer: Für den schlimmsten Augenblick, falls er sie nicht mehr schützen könnte, hatte Schindler seinen Gefangenen Waffen gekauft.
Nach dem Krieg in den USA, als Pfefferberg in Hollywood mit einem Lederwarengeschäft zu Wohlstand gekommen war, versuchte er wieder und wieder, Kunden aus dem Kultur- oder Show-Business für Schindlers Geschichte zu interessieren: Es sollte ein Buch daraus werden oder noch besser ein Film.
Die Filmstadt Hollywood galt zwar, mit einigem Recht, als Gründung jüdischer Einwanderer aus Osteuropa und war später zur neuen Heimstatt für viele Nazi-Verfolgte geworden. Doch zur Geschäftspolitik der großen Studios gehörte seit je, den latenten Antisemitismus der Amerikaner nicht zu provozieren. Jüdisches wurde auf der Leinwand mit Zurückhaltung behandelt. Der Holocaust kam wohl - in Bestseller-Verfilmungen wie »Das Tagebuch der Anne Frank« oder »Sophie's Choice« - als historischer Hintergrund vor, war aber keinesfalls ein Wunschthema. Auch Pfefferberg wird das gespürt haben.
Zwar erwarb die Firma MGM Mitte der sechziger Jahre die Filmrechte an Schindlers Biographie und entwickelte ein Projekt, doch das zerschlug sich, und erst 1980 fand Pfefferberg - als Zufallskunden in seinem Lederwarengeschäft - einen Autor, der ihm zuhörte, zupackte, einstieg: den australischen Romancier Thomas Keneally.
Keneally reiste, oft zusammen mit Pfefferberg, um die halbe Welt, um »Schindlerjuden« zu interviewen, Dokumente zusammenzutragen, und 1982 erschien sein Buch, das immer noch einzige, in dem alles steht: »Schindlers Liste«. Kurz danach erfuhr Pfefferberg aus der Zeitung, daß sich Steven Spielberg die Filmrechte gesichert hatte, und seit damals, zehn Jahre lang, erinnerte der eine den anderen immer mal wieder an »Schindlers Liste« wie an ein uneingelöstes Versprechen.
Steven Spielberg, Jahrgang 1947, war kein guter Schüler. Seine Abschlußnoten reichten nicht für eine der begehrten Hochschul-Filmklassen, wo der Hollywood-Nachwuchs herangezüchtet wurde, und daß er eine ganze Reihe von Kurzfilmen vorweisen konnte, die er - sein einziges und mit aller Leidenschaft betriebenes Hobby - als Schüler gedreht hatte, schuf keinen Ausgleich.
Er versuchte, mit einem neuen selbstproduzierten Kurzfilm, Titel »Amblin«, die Aufmerksamkeit von Profis zu erregen. Ein TV-Produzent namens Sid Sheinberg sah ihn sich an, war beeindruckt und nahm das schmächtige, noch sehr minderjährig aussehende Jung-Genie unter Vertrag. Spielbergs dringlichster Wunsch war: Er wollte wenigstens einmal vor seinem 21. Geburtstag Regie führen dürfen. Er durfte und hat seither nicht wieder aufgehört.
Sheinberg, damals Chef der Fernsehabteilung von Universal, stieg mit den Jahren zum Boß des Universal-Mutterkonzerns MCA auf. Er behielt Spielberg im Auge, er sorgte später dafür, daß sich Spielbergs eigene Produktionsfirma »Amblin« (nach jenem Kurzfilm benannt) in einem kleinen, diskret als Farm getarnten Bürohaus auf dem Universal-Studiogelände niederließ, und er kaufte im November 1982 mit dem Gedanken an Spielberg die Filmrechte an Keneallys eben erschienenem Buch »Schindlers Liste« - für beträchtliche 500 000 Dollar.
Spielberg war damals Mitte Dreißig und mit »E.T.« und dem ersten »Indiana Jones«-Film auf dem frühen Gipfel seines Erfolgs. Er schien prädestiniert, als neuer Meister des gefühlvollen Unterhaltungskinos für die ganze Familie das geistige Erbe von Walt Disney anzutreten. Niemand sonst hätte bei »Schindlers Liste« an ihn als Regisseur gedacht, doch Sheinberg war sich merkwürdig sicher: »Es ist das einzige Mal, daß ich Spielberg ein Buch direkt angeboten habe«, sagt er, und Spielberg gibt ihm recht: »Ich glaube, ich habe mich sonst nie so rasch und eindeutig für einen Stoff entschieden.«
Dennoch dauerte es ein Jahrzehnt, bis das Projekt wirklich in Angriff genommen wurde. Es gab Widerstände in den Führungsetagen der Universal. Wenigstens ein Manager plädierte dafür, man solle sich die ganze Plackerei und den voraussehbaren Verlust sparen und lieber gleich eine angemessene Summe für ein Holocaust-Museum spenden.
Der Zorn über diese Haltung, sagt Spielberg, habe ihm den letzten Schub an Entschlossenheit gegeben, das Projekt nun wirklich durchzusetzen. 28 Prozent aller Amerikaner wissen - einer Umfrage aus dem Jahr 1993 zufolge - nicht, was mit dem Begriff Holocaust gemeint ist, und weitere 20 Prozent haben Zweifel daran, daß das alles wirklich je geschehen ist.
Spielberg kam seinem alten Förderer Sheinberg nur in einer Sache entgegen: Er lieferte der Universal zuerst den voraussehbaren Kassenschlager »Jurassic Park«, den sie dringend brauchte, und nahm sofort anschließend »Schindlers Liste« in Angriff. Nun, da beide Projekte aufs glücklichste unter Dach sind, kann Sheinberg zufrieden verkünden: »An ,Schindlers Liste' wird man sich noch einnern, wenn die Profite aus ,Jurassic Park' längst verflogen sind.«
Aber Spielberg war auch aus persönlichen Gründen lange vor dem Schindler-Projekt zurückgescheut: Er hatte Probleme mit seiner jüdischen Herkunft. Es gab die Erinnerungen an das Haus der Großeltern in Cincinnati, wo er als kleiner Junge zum erstenmal vom »Großen Morden« in Europa hörte und Holocaust-Überlebenden begegnete. Es gab aber auch das kindliche Unbehagen in einer Vorstadtsiedlung, weil das Elternhaus als einziges in der Weihnachtszeit keinen Lichterschmuck zeigte; es gab Aggressionen gegen die eigene Nase, die er mit Heftpflaster zu korrigieren versuchte, und es gab die Erinnerung an antisemitische Anpöbelungen durch Mitschüler auf der High School.
All das wollte Spielberg hinter sich lassen. In seinen Filmen kam, durchaus hollywoodkonform, Jüdisches nicht vor (oder so versteckt wie in der Trickfilmmaus, der er den jiddischen Namen seines Großvaters gab: Feivel), und der erste Indiana-Jones-Film, in dem es um die biblische Bundeslade ging, demonstrierte geradezu, daß ihn die Konfrontation zwischen Nazis und Juden nur als Action-Spektakelstoff interessierte.
Doch das änderte sich, als der kindliche Kino-Märchenerzähler zu einem Vater heranwuchs, der sich auf jüdische Traditionen besann und dem seine Familie so wichtig wurde, daß er sie alle - die zweite Ehefrau Kate Capshaw und fünf Kinder - für vier winterliche Monate mit nach Krakau nahm. Durch Teilnahme an der Unterweisung, die seine Frau von einem Rabbi erhielt, bevor sie in die jüdische Gemeinde aufgenommen wurde, so sagt Spielberg, habe er selbst erst zur ererbten Religion gefunden und zu einer anderen, intensiveren Leidenschaft für »Schindlers Liste«.
Zehn Jahre lang hatte er das Projekt mit der Begründung vor sich hergeschoben, daß keiner der Drehbuchautoren, die sich daran versuchten, mit dem heiklen Stoff zurechtkam. Zugleich aber erwog er, das Ganze einem anderen Regisseur zu übertragen: Von Billy Wilder war die Rede, der sich dafür interessierte, dann von Sydney Pollack, mit dem Verhandlungen stattfanden, schließlich von Martin Scorsese.
Spielberg war in den Jahren nach »E.T.« mit seinem Selbstverständnis als Regisseur in Schwierigkeiten geraten. Es gelang ihm zwar, mit Indiana-Jones-Abenteuern ein zweites und drittes Mal seine ganze Bravour als Showmacher zur Wirkung zu bringen. Doch der Ehrgeiz, sich als ernsthafter, persönlicher, »erwachsener« Filmkünstler durchzusetzen, scheiterte: »Die Farbe Lila« erschien der Kritik 1986 allzu schönfärberisch und sentimental. »Das Reich der Sonne« fand 1987 den gewissen Respekt, den Fachleute einem »interessanten Mißgriff« entgegenbringen, aber null Interesse beim Publikum. Nach diesem teuren, für Spielberg bitteren Fiasko mit einem Stoff, in dem es um Krieg und Konzentrationslager ging, schien wahrscheinlich, daß aus »Schindlers Liste«, wenn überhaupt einer, ein Martin-Scorsese-Film würde.
Scorsese hatte auch endlich den Drehbuchautor gefunden, der ohne Umwege anging, was für die Geschichte entscheidend war, den jungen Schriftsteller und Regisseur Steven Zaillian. Aber dann kam es zu einer verblüffenden Rochade: Spielberg bot Scorsese die Regie des Psychothrillers »Kap der Angst« an, den er eigentlich selbst hatte inszenieren wollen, und erbat sich dafür »Schindlers Liste« zurück.
Die definitive Entscheidung fiel, als Spielberg, zusammen mit Zaillian, Anfang 1992 zum erstenmal nach Krakau fuhr: als er auf jenem Hügelvorsprung stand, von dem herab Oskar Schindler mit Entsetzen die Liquidierung des Ghettos beobachtet hatte, und ein kleines Mädchen im roten Mantel, das sich wie traumwandlerisch durch diesen Horror bewegte. Oder als er vor der alten Synagoge stand, wo die Nazis im Dezember 1939 das erste kleine Massaker veranstaltet hatten. »Dort in Krakau«, sagt Zaillian, »hat Spielberg plötzlich wie nie zuvor begriffen: Wenn er vor 50 Jahren dort gewesen wäre, hätte man auch ihn ermordet.«
Oskar Schindler war ein Spieler und Trinker, ein Halunke und Hochstapler, und abgesehen davon, daß er ein anständiger Mensch war, gibt es keinen besonderen Grund dafür, daß er tat, was er tat, während andere Deutsche (Millionen, Millionen) angeblich nichts wußten oder keine günstige Gelegenheit zum Helfen fanden (mit Ausnahmen, siehe Seite 178). Wieviel Anpassung war nötig? Ein Kind würde sagen: Wenn jeweils zehn Deutsche gemeinsam einen Juden beschützt hätten, dann wäre keinem ein Haar gekrümmt worden. »Wer nur ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt.«
Ein Mann namens Raimund Titsch, ein Invalide aus dem Ersten Weltkrieg, hatte im Lager Plaszow die Aufsicht über eine Uniformfabrik, die etwa 3000 Juden beschäftigte. Für Geld, das ihm der deutsche Fabrikbesitzer zuschob, kaufte Titsch auf dem schwarzen Markt lastwagenweise Lebensmittel und verteilte sie heimlich an die Arbeiter.
Titsch tat noch Verboteneres: Er fotografierte im Lager. Dabei war er so ängstlich, daß er die belichteten Filme verbarg, ohne sie zu entwickeln. Auch nach dem Krieg, heimgekehrt nach Wien, hütete er in einem Versteck die unentwickelten Aufnahmen - vielleicht hätte er nicht ertragen, was auf ihnen zu sehen sein mußte -, bis ihn 1963 jemand aufspürte, der ihn aus dem Lager kannte, von den Filmen wußte und ihm dafür 500 Dollar bot. Titsch gab sie mit der Bedingung her, daß sie erst nach seinem Tod ans Licht gebracht würden.
Der Käufer war Leopold Pfefferberg. Nun hat sich gelegentlich auch Steven Spielberg, wenn es um Einzelheiten ging, über diese Fotos gebeugt, und in Jerusalem am Weg zur Holocaust-Gedenkstätte Jad Wa-Schem, wo Oskar Schindler einen Johannisbrotbaum gepflanzt hat, wächst auch einer, der an den braven Raimund Titsch erinnert.
Ein Film ist ein Film. Eine lange Geschichte, ein Wechselspiel von glücklichen Zufällen hat dazu geführt, daß aus dem Schicksal der Schindlerjuden überhaupt ein Film geworden ist und eben jetzt. Stanley Kubrick - einer der wenigen, die das auch durchsetzen könnten - hat lange ein Holocaust-Filmprojekt vorbereitet, nach Louis Begleys Kindheitsgeschichte »Wartime Lies«, und sich dann doch, vor ein paar Monaten, davon getrennt. »Schindlers Liste« wird wohl lange ohnegleichen bleiben. Für den Rest, also für das sogenannte wirkliche Leben, gilt: Was einmal geschah, kann wieder geschehen.
* Fotos von Raimund Titsch.* Oben: Ben Kingsley als Itzhak Stern; unten: Adi Nitzan undJonathan Sagalle als Mila und Leopold Pfefferberg.