CDU-Wahlprogramm Vom Stuhl gefallen
Ihr Debüt gaben sie letzte Woche vor dreitausend Berlinern in der Hasenheide, ihren Fans stellen sie sich diese Woche auf dem CDU-Parteitag in Wiesbadens Rhein-Main-Halle. Und von nächster Woche an wird das Quartett Rainer Barzel. Franz Strauß. Gerhard Schröder und Hans Katzer 2.52 mal 3.56 Meter groß von allen Litfaßsäulen und Plakatwänden auf 40 Millionen Wahlbürger herablächeln -- vier Köpfe für ein Halleluja.
Ihr Auftritt zu viert soll vor Partei- und Wahlvolk Blößen und Gegensätze unter den Spitzenchristen zumindest optisch auflösen: die Imageschwäche Barzels, den Mangel an Elastizität Schröders, die Rechtslastigkeit des konservativen Strauß und den Linksdrall des Sozialreformers Katzer.
Nur zu gern hatte Barzel den China-Entdecker Schröder in seinen Zweibund mit Strauß aufgenommen, und nur zu gern den Duz-Freund Katzer. Doch wie schwer es halten würde, den Chef der linken christdemokratischen Sozialausschüsse an die Seite des Industriefreundes Strauß zu berufen, mußten Barzels Freunde noch Ende August erfahren, als sie im gemeinsamen Wahlkampfausschuß der Union der CSU-Schwester das gemeinsame Vierer-Plakat vorschlugen. Straußens Vertrauter, CSU-Generalsekretär Gerold Tandler, damals kühl: »Wir wären auch an dem Wahlplakat mit Barzel, Schröder und Strauß interessiert.« Zwischenruf von der CDU-Seite: »Da fehlt doch einer.« Tandler hörte plötzlich schwer.
Erst als es Katzer gelungen war, sich der Union kurz vor der Auflösung des Bundestages als populärer Rentenbringer unentbehrlich zu machen, lernten auch Straußens Bayern den Namen Katzer buchstabieren. Auf dem »Sympathie-Thermometer« des sozialwissenschaftlichen Instituts der Konrad-Adenauer-Stiftung (Skala von minus 100 bis plus 100) war die Katzer-Marke von plus sieben auf 34 hochgeschnellt und hatte denselben Skalenwert wie Karl Schiller erreicht.
Strauß, der in der Wählersympathie noch immer hinter Schiller zurückhängt, ließ sich prompt an der Seite des ungeliebten Parteilinken sehen. Ein Barzel-Vertrauter: »Ich bin pausenlos vom Stuhl gefallen, als ich sah, wie Franz Josef und Katzer neuerdings miteinander können.«
Strauß und seine konservative CSU hatten eingesehen, daß sie mit Rechtsparolen allein der Union die absolute Mehrheit nicht verschaffen können, sondern daß die Partei ihre Glaubwürdigkeit bei breiten Wählerschichten, so bei SPD-Abwanderern, nur mit Katzers Fortschrittsimage untermauern könne. Katzers Planungschef Johann Frank frohlockte: »Das bläst uns in der Partei in den Rücken.«
Freilich mußten Arbeitnehmerfreund Katzer und Arbeitgeberprotegé Strauß erst ihren Frieden miteinander machen. Während einer Aussprache über Barzels Regierungsprogramm schlossen beide einen Bund für den Fall, daß die CDU/CSU nach dem 19. November wieder das Sagen haben wird: Reformer Katzer verpflichtete sich, dem Stabilitätsfanatiker Strauß einen Reformstillstand zu konzedieren. Und Stabilisator Strauß versprach, Katzers allzu großzügige Rentengeschenke, die allen Stabilitätsbemühungen zuwiderlaufen, nicht wieder einzusammeln. Katzers Frank euphorisch: »Es gab zwischen Strauß und Katzer keinen Millimeter Unterschied.«
Der Pakt der Gegenspieler diente Taktiker Barzel für sein Regierungsprogramm, mit dem er den Wahlslogan der Union -- »Wir bauen den Fortschritt auf Stabilität« -- auszufüllen sucht. Zwei Tage lang, am Donnerstag und Freitag vorletzter Woche, tarierte der Kandidat eigenhändig die Zutaten aus, die ihm Strauß und Katzer angeliefert hatten. Heraus kam eine Bonner Melange, die mit viel Wortaufwand jedem das Seine verspricht.
Die Verpackung freilich ist dekorativ. Für die erste Phase seiner Regierungsaktivität -- ursprünglich als »Programm der ersten hundert Tage« konzipiert, dann aber vorsichtshalber zeitlos belassen -- gelobt der Kanzler-Anwärter stabilitätskonform und marktwirtschaftlich beflissen.
* den Bundeshaushalt zusammenzustreichen -- notfalls mit einem Haushaltssicherungsgesetz, mit dem Ausgabenbeschlüsse des letzten Bundestages wieder rückgängig gemacht werden müßten;
* eine neue mittelfristige Finanzplanung vorzulegen;
* auf internationale Währungsstabilität zu drängen;
* die Sozialpartner zu einer mäßigen Lohnpolitik innerhalb des nächsten Jahres zu ermahnen -- ein Vorhaben, das angesichts der zehnprozentigen Lohnforderung im öffentlichen Dienst noch im November seine Bewährungsprobe bestehen müßte;
* mit einer Kartellgesetznovelle die Fusion von Industriegiganten zu kontrollieren, was sich nicht einmal die weniger industriefreundliche Linkskoalition getraut hatte. Für die zweite Phase seiner Regentschaft läßt Barzel den CDU-Beauftragten für Transzendenz und Futurologie, den Kirchentags-Präsidenten a. D. Richard von Weizsäcker, Unverbindliches über Technologie, Fortschritt und Umweltschutz sagen -- Zwischenergebnisse einer CDU-Grundsatzkommission, die erst später zu konkreten Ergebnissen kommen soll.
Das einzig Verbindliche aus Barzels bescheidenem Reformkatalog stammt aus Katzers Kollektion. So verkauft die wahlkämpfende Union alte Hüte wie vermögenspolitische Anreize, den gesetzlichen Beteiligungslohn, die Förderung des Kaufs von Sozialwohnungen ("Mietkauf") sowie die Begünstigung der Volksaktien und des Prämiensparens.
Daneben hat sich die CDU/CSU ein Sonderangebot zurechtgelegt: Den unterprivilegierten Lehrlingen sollen Aus- und Fortbildungspläne offeriert werden, die das sozialliberale Kabinett wegen der intensiven Akademikerförderung schuldig blieb.
Barzel auf der Suche nach neuem, anspruchsvollem Bildungslatein: »Wir setzen auf die Unterpriorität »Berufliche Bildung« in unserer Bildungspriorität.«
Überdies halten Barzel und seine Helfer für Katzer einen delikaten Auftrag bereit: Statt neuer Reformen. die seine Wählerklientel von ihm erwartet, soll der Sozialreformator jenen Verzicht auf Reformen verkaufen, den ihm Reformgegner Strauß aufzwingt.
Der Industriefreund und CDU-Schatzmeister Walther Kiep weiß den Auftrag an Katzer einprägsam zu formulieren: »Das Verständnis der Arbeitnehmer dafür zu wecken, daß die Wiedergewinnung der Stabilität Priorität haben muß in den ersten Jahren der Regierung, wenn nicht in der ganzen Legislaturperiode.«