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UNTERNEHMEN / SÖHNGEN Vom Thron

aus DER SPIEGEL 16/1968

Ein Vierteljahrhundert fürchteten seine 80 000 Mitarbeiter ihn als harten autoritären Boß. Am letzten Dienstag wurde er weich: Werner Söhngen, 61, trat als Generaldirektor der Rheinischen Stahlwerke in Essen zurück, ohne daß ein Nachfolger in Sicht wäre.

Der bullige Manager konnte nicht verwinden, daß sein Unternehmen Jahr für Jahr weiter absackte und er es nicht schaffte, die alten Positionen zurückzugewinnen. Noch im vergangenen Sommer hatte er gelobt: »Ich arbeite bis zur körperlichen Erschöpfung.« Jetzt gab er, herz- und kreislaufkrank, auf.

1964 hatte Söhngens von Kohle und Stahl bis zu Lastwagen und Schiffen reichendes Imperium seinen 120 000 Aktionären noch 13 Prozent Dividende zahlen können. Gleichsam nebenbei erwarb der Konzern aus den prallen Rücklagen für mehr als 100 Millionen Mark die Henschel-Werke in Kassel.

Ein Jahr danach bekamen die Anteilseigner nur noch zehn Prozent Gewinn. Und für das Geschäftsjahr 1966 mußte Werner Söhngen, um wenigstens sechs Prozent Dividende ausschütten zu können, wertvolle Grundstücke des Konzerns veräußern. Während die Gewinne in der Stahlflaute fielen, stiegen die Schulden: In der sogenannten Evidenzliste der Deutschen Bundesbank wurde der Rheinstahlkonzern mit 1,2 Milliarden Mark Verbindlichkeiten geführt.

Von Markt und Managern in die Enge getrieben, rief der angeschlagene Stahlboß die Politiker uni Hilfe an. Sohngen verlangte, Bonn solle durch höhere Zölle die Importe drosseln und zugleich Investitionen von Ausländern in der Bundesrepublik unterbinden.

Dagegen opponierte selbst sein Vorstandsmitglied Wolfgang Schulze Buxloh, 42, den der Chef zu seinem Nachfolger auserwählt hatte. Der liberale Jungmanager und Verkaufsdirektor überwarf sich mit Söhngen und schied im November 1967 aus.

An der Börse wucherten die Gerüchte um den drittgrößten deutschen Montantrust und seinen Chef: Rheinstahl habe sein Hochhaus an Banken verpfänden müssen, die Dividende werde weiter gekürzt, Söhngens Tage seien gezählt.

Dem Kampf nach innen und außen hielt Werner Söhngen, der hart im Geben und schwach im Nehmen war, nicht stand. Schon Ende Februar 1968 verließ er sein holzgetäfeltes Büro im 17. Stockwerk des Essener Rheinstahl-Hauses.

Am letzten Dienstag schließlich nahm Rheinstahl-Aufsichtsratsvorsitzender Professor Alfred Müller-Armach das Rücktrittsgesuch des Kranken an. Aber er konnte keinen neuen Boß bestellen: Der Saar-Konzern Röchling hatte seinen Manager Dr. Walther Stepp für Essen nicht freigegeben.

Müller-Armack ernannte einen Konzernverweser, den Rechtsanwalt Ekmar Schoeneberg. Seine Bestallung zeigt, wie schwierig das Problem der Thronfolge ist: Der 61 jährige Schoeneberg wurde nicht Chef des Vorstands, ihm wurde nur die »Funktion eines Sprechers« zuerkannt.

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