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»Von Menschenzüchtung triebhaft fasziniert«

Die Befruchtung außerhalb des Mutterleibs, die Langzeit-Lagerung von Keimlingen in Tiefkühltruhen, »Embryo-Transfer« in die Gebärmutter - das alles gehört inzwischen zur gynäkologischen Routine: Sind Babymacher und Gentechniker unterwegs in Aldous Huxleys schöne neue Welt der Menschenzüchtung? _____« Ich bin voller Mißtrauen gegen Lebensverbesserer: Sie » _____« fangen klein an, aber nur Gott kann wissen, womit sie » _____« aufhören. Einige der größten Greuel sind unter dem » _____« Vorwand oder mit der wirklichen Absicht der leidenden » _____« Menschheit zu helfen, begangen worden. Erwin Chargaff, » _____« US-Biochemiker »
aus DER SPIEGEL 3/1986

Die Patientin ist nicht bei Besinnung. Sie liegt nackt auf dem OP Tisch, die Beine weit abgespreizt. Ihr Kopf ist hinter einem weißen Tuch verborgen. Den Leib hat man wie einen Ballon mit Kohlendioxid prall aufgeblasen. An drei Stellen ist die Bauchdecke eröffnet. Die Frau wünscht sich ein Kind. Der Mann in Weiß, ein Gynäkologe, will ihr helfen.

Vom Unterrand des Nabels her, der ersten Schnittstelle, schiebt der Arzt deshalb ein biegsames Sehrohr, das Endoskop, in Richtung Unterleib. Es macht die dunkle Leibeshöhle taghell. Der Darm, die Gebärmutter, beide Eileiter und Eierstöcke sind deutlich zu erkennen, auch Narben und Verwachsungen denn es ist ja nicht der erste Eingriff.

Oberhalb des Schambeins wird eine verchromte Faßzange langsam vorgeschoben. Mit ihr greift sich der Operateur den rechten Eierstock. Durch eine dritte Öffnung, ganz in der Nähe, dirigiert er die Punktionsnadel. Sie ist mit einer Vakuumpumpe verbunden, die der Doktor stufenlos über einen Fußschalter steuert. Der Unterdruck erzeugt einen Sog, gerade groß genug, um die reifen Eizellen aus dem Eierstock abzusaugen. Die Öffnung der Kanüle ist winzig, ganze 1,4 Millimeter. Die Hand des Arztes, der sich an den Urzellen menschlichen Lebens zu schaffen macht, darf nicht zittern.

Die weiblichen Eizellen, mal fünf, mal acht, manchmal noch mehr, landen in einer »Eizellenfalle« außerhalb des Körpers. Mit dem bloßen Auge sind sie als winzige rote Klümpchen gerade noch zu erkennen. Die Eizellenfalle (sie heißt ganz offiziell so) ist aus Plastik und nicht größer als ein Finger. Sie ist für das Ei nur der erste von vielen Orten auf seinem Weg zur Befruchtung unter der Aufsicht von Experten. Der künstlich fabrizierte Mensch - ein »Homunkulus« - wird in hellem Licht gezeugt, gewöhnlich in einem keimfreien Reagenzglas.

Ehe er wieder in die dunkle Wärme eines Mutterleibs zurückkehrt, wird er bebrütet, mit Kohlendioxid begast, immer wieder unter Mikroskope geschoben und vorsichtig von allen Zellen getrennt die ihm eventuell noch anhängen. Den Babymachern kommt es auf die reine Eizelle an, ein 0,045 Millimeter kleines Wunderwerk der Natur. In ihm sind mehr als 50000 Erbanlagen (Gene) geborgen.

Damit daraus ein Mensch wird, bedarf es - noch - der männlichen Samenfäden. Sie sollten zahlreich sein, gut beweglich und darum möglichst frisch. Diese Bedingungen gelten auch als erfüllt, wenn das Sperma aus der Tiefkühltruhe (minus 196 Grad Celsius) kommt. In der großen Kälte kann es beliebig lange lagern. Dort altern Samenfäden praktisch nicht, ihr Leben steht still.

Dank dieser Erfindung muß der Vater des Wunschkindes nicht ausgerechnet in derselben Stunde onanieren, in der die zukünftige Mutter nebenan operiert wird. Meist wird er Monate vorher in die Klinik gebeten.

Bei der Samengewinnung geht es weder dezent noch gar liebevoll zu. In einer kleinen Zelle ohne Fenster muß der Mann Hand an sich legen. Wenn er kein professioneller, bezahlter Samenspender ist, sondern der Ehemann, dauert es oft eine Stunde, ehe der lustfeindliche Streß besiegt ist. Manche Kliniken erleichtern

den Vätern die Pflicht, indem sie ein paar Pornohefte vorrätig halten. Oft ist der Kopf der Retortenväter vor Scham und Anstrengung noch dunkelrot, wenn sie das Krankenhaus verlassen.

Derweil wird im Labor schon mit ihrem Samen hantiert. Das nennt man »Spermienpräparation«. Kein Experte mag sich darauf verlassen, daß die geplante Befruchtung klappen könnte, ohne daß der Samenerguß mindestens zweimal zentrifugiert und einmal gewaschen worden ist. Danach leben die reinen Samenfäden in einem künstlichen Nährmedium weiter. Mikroskopisch wird überprüft, ob Beweglichkeit und Dichte nicht gelitten haben. 100000 Samenfäden pro Milliliter sollen es mindestens noch sein, sonst klappt die Befruchtung im Glas - in vitro - nicht. Das ist im Leben - in vivo - auch nicht anders.

Doch im übrigen haben sich Natur und Heilkunst schon sehr weit voneinander entfernt: In vitro wird zusammengebracht, was sich in vivo nicht fügen will. Im Glas kann man Mehrlinge zeugen, ihr beginnendes Leben beliebig lange anhalten, es beobachten, beenden oder stimulieren. Man kann eine weibliche Eizelle von einem gemischten »Samen-Cocktail« anonymer Spender befruchten lassen oder viele Eizellen zugleich von nur einem Spender.

Was man kann, das tut man auch. Im rechtsfreien Raum der künstlichen Befruchtung wird die Ethik des Machbaren praktiziert. Es gilt der Satz des ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidenten Ernst Benda: »Die Rechtsnatur der Embryonen ist ungeklärt.«

Der befruchtete und sich teilende Zellverband, aus dem ein kleiner Mensch heranwächst, wenn die großen Menschen es zulassen und die Natur es will, gilt rechtlich nicht als Mensch, auch nicht als Sache. Ein Embryo ist, theoretisch, niemandes Eigentum. In mancher Klinik zirkuliert das zynische Wort, daß ein Embryo, dessen Eltern sich erst im Reagenzglas kennengelernt haben, dem Doktor gehört.

Rund 2000 Retortenbabys leben in aller Welt, die meisten in England, den USA, Australien und in der Bundesrepublik. Auch die DDR ist stolz auf ein halbes Dutzend außerhalb des Körpers gezeugter Menschen; schließlich hat Goethe das Drama vom Dr. Faustus und seiner Homunkulus-Phiole in Weimar vollendet. Was 1978 mit der Geburt der 2600 Gramm schweren Louise Brown in Großbritannien begann, hat sich zu einem weltweit operierenden Business entwickelt.

Die Babymacher kennen keine Grenzen. Ihren ersten Glaubenssatz formulierte der Brite Robert Edwards, einer der Väter aller Laborkinder und seit 1978 bei Hunderten von Zeugungen aktiv dabei: »Die Ethik muß sich der Wissenschaft anpassen, nicht umgekehrt.«

In der Bundesrepublik ist dieser Anpassungsprozeß in vollem Gange - auch wenn nur einer kleinen Minderheit wohl dabei ist. Schon leben in Deutschland rund 200 Kinder, die »extrakorporal« gezeugt wurden, außerhalb des menschlichen Organismus. Im kommenden Jahr wird sich ihre Zahl mindestens verdoppeln, denn mittlerweile beschäftigen sich mehr als 30 Kliniken (allein fünf im kinderarmen West-Berlin) und drei gynäkologische Privatpraxen mit der Doktor-Faustus-Therapie. Besonders erfolgreich sind die frauenärztlichen Unikliniken Erlangen, Kiel und Lübeck.

Die Zahl der abgesaugten Eizellen hat wahrscheinlich 10000 längst überschritten. Anfang 1985 ergab eine Umfrage des Kieler Gynäkologie-Professors Kurt _(Aufbringen männlicher Samenzellen auf ) _(die entnommenen Eier in einer ) _(Petri-Schale. )

Semm bei seinen aktiven Kollegen die Zahl von bisher 7649 Eizellen, die entnommen und von denen 71,2 Prozent »zur Befruchtung« gelangt seien. Das bedeutet nicht, daß daraus immer am Ende ein lebender Säugling wurde. Die Verlustraten auf dem Weg durch Eifallen, Brutschränke und Tiefkühltruhen sind enorm. Den meisten deutschen Frauenkliniken ist trotz unermüdlichen Laborierens noch kein Retortenbaby gelungen.

Die vielen befruchtungsfähigen Eizellen entwickeln sich, wenn nach neun Monaten gezählt wird, in nur zwei, höchstens drei Prozent der Fälle zu lebensfähigen Neugeborenen. Alle anderen Eizellen zerfallen, bilden Abnormitäten aus oder können sich in der Gebärmutter nicht halten.

Etwa 1000 menschliche Embryonen weltweit, schätzt Frauenarzt Semm, »ruhen in Tiefkühlschränken« und warten »auf den Embryo-Transfer«. Es sind eingefrorene Homunkuli. Unter den Ungeborenen sind solche, deren Vater oder Mutter schon tot sind. Etliche Eltern haben sich die Sache auch anders überlegt, manche haben sich längst getrennt, oder es gelang ihnen, ärztlichen Prognosen zum Trotz, doch die Zeugung in vivo. Für viele Embryonen sind deshalb die »Transfer«-Chancen schlecht, es sei denn, es läßt sich eine Frau finden, die sich Embryos spenden läßt.

Ein Kind mit fünf Elternteilen sei mittlerweile durchaus möglich, erläutert Professor Hans Peter Wolf, der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer: zwei »genetische« Eltern, die Ei und Samen spenden; eine »Leih«- oder »Mietmutter«, die gegen Honorar den transferierten Embryo austrägt, und schließlich die »sozialen Eltern«, denen das Baby nach der Geburt zur Adoption übergeben wird.

Embryonen, die nicht übertragen werden können, die als überzählig »wegfallen«, betrachtet Retorten-Pionier Edwards, der von Beruf Reproduktionsphysiologe ist, als »abortives Material«, auch wenn sie ganz gesund sind. »Wir sind berechtigt, solche Embryonen zu Forschungszwecken zu benutzen.« Wenn ihre Zellteilung noch nicht weit fortgeschritten ist, die Embryonen biologisch weniger als 14 Tage alt sind, obwohl sie womöglich Jahre in Tiefkühltruhen verbracht haben, werden sie neuerdings listigerweise »Prä-Embryonen« genannt. Der Etikettenschwindel soll die Öffentlichkeit freundlich stimmen - was für nötig gehalten wird.

Denn vielen, wahrscheinlich der Mehrheit in allen westlichen Ländern, ist unbehaglich bei dem Gedanken an Leihmütter, Abfallembryonen und extrakorporale Zeugung. Daß Samen, Eizellen und die ärztlichen Handreichungen der Babymacher käuflich sind wie andere Waren auch, will den meisten Menschen nicht als erfreulicher Fortschritt in den Kopf.

Mißbilligt wird das expandierende Gewerbe der Zeugungshelfer jedenfalls von Menschen aller Schichten und politischen Schattierungen. In der Bundesrepublik reicht die Ablehnung von den Grünen über die Roten bis zu den Schwarzen.

»Wir wollen kein ''Laich-Gewerbe"'', schimpft der bayrische Staatsminister der Justiz, CSU-Mann August Lang: »Wir lehnen die kommerzielle Nutzung der Gebärmutter als widernatürlich und sittenwidrig ab.« Laut »Bild«-Zeitung gibt es in der Bundesrepublik derzeit schon 400 Leihmütter, eine Zahl, die Sachkenner für stark übertrieben halten. Wenn aber Faustus'' Schüler ungebremst weitermachen dürfen, wird sie ohne Zweifel bald erreicht sein.

Dabei halten, wie eine Infratest-Erhebung unlängst ergab, nur 14 Prozent der Bundesbürger das Leihmütter-Verfahren für vertretbar. Alle anderen sind dagegen oder haben starke Bedenken.

»Embryos dürfen keine Forschungs- oder Handelsobjekte sein«, erklärte der SPD-Parteivorstand im letzten Herbst und niemand dürfe die »künstliche Befruchtung zur Zuchtauswahl mißbrauchen«.

Noch apodiktischer ist die Haltung der Grünen-MdB in Bonn. Sie lehnen jede Befruchtung außerhalb des menschlichen Körpers ab, ganz gleich, wie sie motiviert wird. Begründung: Das Selbstbestimmungsrecht der Frau dürfe nicht dazu mißbraucht werden, eine fremdbestimmte Technik durchzusetzen.

Auch Bundesjustizminister Hans Engelhard, FDP, ein Mann, dessen Gedanken, Worte und Taten nur ganz langsam vorankommen, hat sich diesmal schon entschieden. Er ist dagegen. Wie vielen bürgerlichen Politikern liegen Engelhard die ungelösten zivilrechtlichen Probleme besonders auf der Seele: Wie steht es mit der Ehelichkeit des Retortenbabys? Und wie mit seinem Erbrecht? Für den Samenspender, sagt der Minister, könne es »eine böse Überraschung geben«, wenn er plötzlich von ihm bisher unbekannten Nachkommen in die Pflicht genommen wird. Leider sei die Rechtsordnung auf »Befruchtung im Glas, Leihmütterschaft und Gen-Manipulation weder zugeschnitten noch vorbereitet«.

Damit das nicht so bleibt, haben Hans Engelhard und sein CDU-Kollege, der Forschungsminister Heinz Riesenhuber, schon im letzten Jahr die »Benda-Kommission« eingesetzt. Diese 19köpfige Arbeitsgruppe, benannt nach ihrem Vorsitzenden, hat Ende November ihren Bericht über »In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie« vorgelegt. Analysiert wurden die Methoden und ihre Problematik, die gegenwärtige Rechtslage und der gesetzgeberische Handlungsbedarf. Bendas Experten sollten den Bonner Regierenden sagen, woran sie sind und ob und was zu tun wäre.

Benda, in den sechziger Jahren CDU-Innenminister und danach Präsident des unabhängigen Bundesverfassungsgerichts, wurde Anfang Dezember in der Uni Bielefeld von 50 wütenden Studentinnen attackiert. Die schrien heftig - »Wir haben Angst vor der Gentechnik Aber niemand hört auf uns!« - und bestäubten Benda mit Mehl. Ganz verdattert erklärte der Rechtsgelehrte: »Ich weiß überhaupt nicht, was die wollten. Auch ich bin Kritiker der Gentechnologie.«

Das mag die reine Wahrheit sein. Im Benda-Bericht ist davon aber kaum etwas zu merken. Ganz offensichtlich ist es den Medizinern und ihren Verbündeten - sie hielten in der Arbeitsgruppe fast eine Zweidrittelmehrheit, und im Zweifelsfall wurde abgestimmt - gelungen, den auf Konsens programmierten Kollegialmoderator Benda über den Tisch zu ziehen.

Dabei bedienten sich die Mediziner altbewährter Argumente, die ihre Wirkung auf medizinische Laien nur selten verfehlen: Bei der Babymacherei und den verwandten Verfahren gehe es um das Wohl der Patienten, die Fortentwicklung wissenschaftlicher Heilweisen, sogar um den Sieg über Krebs.

Deshalb ist jedes Nein der Arbeitsgruppe mit einem dezenten »unter gewissen Umständen ja« kombiniert worden. Schlupflöcher für Babymacher und Embryoforscher gibt es nun in Hülle und Fülle: *___Gegen die Befruchtung außerhalb des Mutterleibes ____"bestehen keine grundsätzlichen Bedenken« mehr. *___Den an der extrakorporalen Befruch tung Mitwirkenden ____ist nur »zu emp fehlen«, nur Eizellen zu befruchten, ____die »im Rahmen der laufenden Be handlung für den Embryo ____Transfer benötigt werden«. *___Die Kältekonservierung be fruchteter Eizellen kommt ____unter anderem »in Be tracht«, wenn ein »Embryo Transfer ____vorübergehend nicht möglich ist«. *___Bei der extrakorporalen Be fruchtung durch einen frem ____den, anonymen Samenspen der ist »Zurückhaltung gebo ____ten«, mehr nicht. *___Die Befruchtung im Glas »mittels Eispende« kann un ter ____bestimmten Absicherun gen für »vertretbar gehal ten« ____werden. *___Die »Embryonenspende« ist »zu rechtfertigen, wo sie da ____zu dient, den Embryo vor dem Absterben zu bewah ren, ____und die Bereitschaft eines Ehepaares besteht, das Kind ____als eigenes anzuneh men«. *___Grundsätzlich soll es in Zu kunft keine »Leih-, Miet-, ____Ammen- und Surrogatmüt ter« mehr geben, in »beson ders ____gelagerten Ausnahme fällen« aber doch. *___Sogar Versuche mit lebenden, sich teilenden ____menschlichen Embryos sind »insoweit vertretbar, als sie ____dem Erkennen, Verhindern oder Beheben einer Krankheit ____bei dem betreffen den Embryo oder der Erzielung defi ____nierter, hochrangiger medizinischer Erkenntnisse ____dienen« - also immer.

Strafrechtlich verbieten lassen möchte die Benda-Kommission nur so eindeutig abschreckende Praktiken wie das »Klonen zur Herstellung von Menschen« oder »die Erzeugung von Schimären- und Hybridwesen aus Mensch und Tier«. Tierische Schimären - etwa eine genchirurgisch hergestellte, grotesk aussehende Mischung aus Schaf und Ziege - existieren schon; ihre Eignung für die Landwirtschaft wird gegenwärtig geprüft.

»Früher gab es in einer Frauenklinik nur Gynäkologen«, erklärt die Kieler Frauenärztin Lieselotte Mettler, 45, Mitglied der Benda-Kommission, »jetzt _(In der Universitäts-Frauenklinik Kiel. )

haben wir hier Biologen, Tierärzte, ja sogar Molekulargenetiker.« Offenbar entwickelt sich bei dieser Konstellation eine eigene Dynamik. Frau Professor jedenfalls will sich das Forschen nicht verbieten lassen. »Ich frage mich manchmal: Warum eigentlich soll ein Ehepaar nicht einen Vierzeller abgeben dürfen, damit daraus Knochenmarkszellen gezüchtet werden? Diese könnte man nämlich zur Heilung von Blutkrebs einsetzen« - ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft.

Frau Mettlers Chef, der Kieler Gynäkologie-Ordinarius Kurt Semm, argumentiert mit den Fortpflanzung"Tricks der Tierwelt«, um die frauenärztlichen Manipulationen bei der menschlichen Zeugung als »in der Natur schon vorgezeichnet«, mithin als etwas ganz Natürliches erscheinen zu lassen.

Fledermäuse, sagt Semm, betreiben Samenkonservierung, Rehe und Känguruhs lassen das befruchtete Ei eine Weile ruhen, und für Fische ist die »extrakorporale Befruchtung der normale Vorgang«. Mehr noch: »Bienen betreiben echte Genmanipulation und produzieren je nach Bedarf Arbeits- oder Honigbienen.«

Auch für Veterinärmediziner sind die beim Menschen so umstrittenen Manipulationsverfahren »längst Routine« (Semm). Mit Tierärzten und Genetikern verbindet die Babymacher deshalb herzliches Einvernehmen. So weit wie die wollen es manche Frauenärzte auch bringen. Es lockt nicht nur das wissenschaftliche Neuland, sondern auch die Möglichkeit, darüber endlich mal etwas Aufregendes in den trockenen Fachzeitschriften _(Am 2. Dezember 1985 in der Universität ) _(Biele feld. )

zu publizieren. Das macht einen Namen, vor allem dem Nachwuchs.

Von ethischen Zweifeln wird kaum ein Akteur geplagt. Bisher hat nur der Berliner Professor Horst Spielmann, 43, ein Fachmann für die Schädigung des Embryos durch Gifte und Arzneimittel, seine Mitarbeit an der extrakorporalen Befruchtung aufgekündigt. »Was in den Labors mit menschlichen Embryos geschieht«, sagt Spielmann, »kann man von außen nicht durch Strafandrohungen regeln.« Spielmann nennt zwei viel wirksamere Hebel: Geldmangel und die Unmöglichkeit, über Embryo-Experimente zu publizieren.

Wahrscheinlich ist es für alle Gegenstrategien schon zu spät. Seit Bendas Arbeitsgruppe den Faustus-Nachfolgern den Weg geebnet hat, herrscht im rechtsfreien Raum der künstlichen Menschenzeugung Zuversicht. »Früher«, sagt ein akademischer Befruchter, »kannten wir nur ein paar kleine Schlupflöcher. Jetzt sind es Scheunentore, und sie stehen weit offen.«

Da ist es kein Wunder, wenn Kritiker, zumal aus dem medizinischen Metier, bei den Fortpflanzungsexperten auf wütende Ablehnung stoßen, so etwa der Landarzt und Medizinsoziologe Professor Paul Lüth.

In einem polemischen Artikel, erschienen im Ärzte-Fachblatt »Medical Tribune«, hatte Lüth die Praktiken der Babymacher scharf verurteilt und vor allem jene Doktoren attackiert, die zur künstlichen Befruchtung »Samen-Cocktails« verwenden, Sperma-Mixturen von verschiedenen Spendern - für Lüth ein »Symptom sittlicher Verwahrlosung«.

Die Adressaten der Lüth-Schelte, die sich selber gern als frauenfreundliche »Fortpflanzungshelfer« empfehlen, reagierten im Ton der gekränkten Unschuld: Offensichtlich, schrieb etwa der Münchner Gynäkologe Wolf Bleichrodt, lasse es der Kritiker Lüth - »Welche Kaltschnäuzigkeit!« - am gebotenen Mitgefühl für unfreiwillig kinderlose Frauen fehlen.

Doch Lüth, gänzlich unbeeindruckt, hakte in einem Leserbrief-Kommentar nach: »Der Arzt, wiewohl längst Techniker und Gesundheitsingenieur«, notierte er, berufe sich auch diesmal wieder »auf den Auftrag, im Dienst der Natur zu handeln«; in Wahrheit aber leiste er als Befruchtungsexperte nur einer fatalen Entwicklung Vorschub, die schließlich zur rassistischen Menschenzucht mit den Methoden der Gentechnik führen werde.

Damit allerdings wollen die professionellen Kindermacher nichts zu tun haben. Die Fertilisationstechnik, so beteuern sie beharrlich, diene ausschließlich zur medizinischen Behandlung von Unfruchtbarkeit - für genchirurgische Experimente dürfe sie auf keinen Fall mißbraucht werden.

Zwar gibt es bislang keine Gesetze, die einen solchen Mißbrauch verbieten würden; und niemand weiß, ob er nicht schon irgendwo praktiziert wird. Doch immerhin haben sich die Doktoren, auf dem 88. Deutschen Ärztetag im Mai dieses Jahres, erstmals ein »Regelwerk« von Richtlinien verordnet, anhand dessen sich die Befruchtungsmediziner, unter Aufsicht der Ärztekammern, künftig selber kontrollieren sollen - eine Barriere aus Papier, die nur symbolischen Wert haben dürfte.

Denn Tatsache ist, daß Gynäkologen - allen voran die britischen Befruchtungs-Spezialisten Patrick Steptoe und Robert Edwards (siehe Seite 170) - den Gentechnikern einen Königsweg ins menschliche Erbgut geebnet haben, als sie anfingen,

bereits in der Viehzucht erprobte Praktiken in die Humanmedizin zu übernehmen.

Seit menschliche Keimzellen in der Retorte befruchtet, herangezüchtet, eingefroren, wieder aufgetaut und in den Mutterleib beliebiger Empfängerinnen »transferiert« werden können, steht der menschliche Fötus, zumindest theoretisch, für die experimentelle Genforschung zur Disposition.

Beigetragen haben dazu aber auch die Errungenschaften, der pränatalen (vorgeburtlichen) Diagnostik und Therapie. Schon lange vor der Zeugung des ersten Retortenbabys gab es die Amniozentese, ein Verfahren zur Ermittlung von genetisch bedingten Fehlentwicklungen des Embryos.

Bei der Amniozentese wird Schwangeren per Punktion mit einer Hohlnadel durch die Bauchdecke Fruchtwasser abgezapft. Darin schwimmende, abgeschilferte Embryo-Zellen werden anschließend isoliert und auf Chromosomen-Schäden untersucht. An die 70 verschiedene Erbkrankheiten lassen sich auf diese Weise diagnostizieren - freilich erst nach der 16. Schwangerschaftswoche und damit, im Falle von schweren Mißbildungen des Fötus, oft zu spät für korrigierende Maßnahmen oder auch für eine Abtreibung. Erst in jüngster Zeit hat die pränatale Diagnostik weitere Fortschritte gemacht.

Mit Hilfe der sogenannten Chorion-Biopsie - bei der Gewebe aus der Zottenhaut (Chorion) entnommen wird, einer faserigen Hülle, die den Embryo im Uterus umhüllt - können nun genetisch verursachte Fehlentwicklungen schon in der achten Schwangerschaftswoche ermittelt werden. Nahezu alle 2300 bislang bekannten genetischen Defekte dürften sich, nach Ansicht der Experten, mit der neuen Methode demnächst frühzeitig aufspüren lassen.

Noch leisten die Gentechniker, die in ihren Labors die Chorion-Zellproben trickreich durchmustern, den Ärzten nur diagnostische Hilfsdienste; doch es ist abzusehen, daß es dabei auf die Dauer kaum bleiben wird. Immer häufiger nämlich gelingt es den Mikrobiologen, Fehler in der menschlichen Erbinformation exakt zu lokalisieren - weshalb sollten sie nicht versuchen, einmal erkannte Textfehler genchirurgisch zu beheben?

Bei mehr als 30 verschiedenen Erbkrankheiten konnte die Ursache inzwischen biochemisch präzise ermittelt werden: Ausgelöst wurden die oft folgenschweren Leiden durch winzige Deformationen im Aufbau der Desoxyribonukleinsäure (DNS), jener spiralig gewundenen Riesenmoleküle im Zellkern, die aus rund 50000 aneinandergekoppelten Abschnitten (Genen) bestehen. Das molekulare DNS-Strickmuster enthält chemisch verschlüsselt alle Erbinformationen, die für die Entwicklung und den Stoffwechsel des Organismus als Bauanweisung und Funktionsplan dienen.

Nicht selten, so haben die Forscher festgestellt, verursacht nur ein einziges falsch konstruiertes Gen monströse Mißbildungen, Schwachsinn, schleichenden Muskelschwund oder lebenslang quälende Stoffwechselleiden. In anderen Fällen wirken mehrere Gen-Defekte zusammen - auch einige solcher »polygenetisch« bedingten Erbschäden konnten in den letzten Jahren aufgeklärt werden.

Dabei hat sich gezeigt: Kompliziert sind nur die biochemischen Kettenreaktionen, die von intakten wie fehlerhaften Genen im Stoffwechsel-Labyrinth in Gang gesetzt werden. Die Auslöser selber, simpel strukturierte, aus nur vier immer wiederkehrenden Bausteinen (Nukleotiden) zusammengesetzte DNS-Fragmente, lassen sich im Labor leicht analysieren und, mit Hilfe computergesteuerter Synthese-Automaten, in beliebiger Menge nachbauen.

Die Herstellung von normgerechten Genen, die falsch programmierte DNS-Partien ersetzen könnten, bereitet also keine Schwierigkeiten. Probleme dagegen haben die Wissenschaftler vorerst noch bei Versuchen, derartige »Reparatur-Gene« in den menschlichen Organismus einzuschleusen. Doch an geeigneten Techniken für das Vorhaben wird seit längerem erfolgreich gearbeitet.

So ist es den Bioforschern gelungen, sogenannte DNS-Sonden zu entwickeln, synthetisch aufgebaute DNS-Sequenzen, mit denen sich defekte Gene zuverlässig orten lassen. Allerdings: Die Struktur der fehlerhaften Erbinformation muß zuvor bekannt sein.

Weiter verfügen die Biotechniker über »Restriktionsenzyme«, die den Endlos-Text der Erbinformation wie Scheren an bestimmten Stellen zerschneiden; mit einer zweiten Klasse von Enzymen (Ligasen) läßt sich der zerstückelte Text gleichsam wieder zusammenleimen. Auf diese Weise können DNS-Einschübe, also auch Reparatur-Gene, in das Erbgut eingeschmuggelt werden - jedenfalls in der Retorte.

Im Tierversuch ist der Gen-Transfer schon vor einigen Jahren geglückt: US-Forscher hatten das Wachstums-Gen von Ratten auf Mäuse-Embryos übertragen; die Nagetiere waren, offenbar komplikationslos, zu Riesenmäusen herangewachsen. Bislang allerdings hat es, soweit bekannt, kein Forscher gewagt, ähnliche Versuche auch an menschlichen Embryos vorzunehmen.

Doch weniger riskante, dafür aber weit umständlichere Verfahren werden derzeit allenthalben erprobt. So wollen etwa amerikanische Wissenschaftler ein Reparatur-Gen auf Patienten übertragen, die am sogenannten Lesch-Nyhan-Syndrom leiden, einer erblichen Stoffwechselkrankheit, die zur Zerstörung der Nieren und Gelenke sowie zu schweren Hirnschäden führt. Ausgelöst wird das stets vor dem 20. Lebensjahr tödlich endende Leiden durch die Fehlfunktion eines einzigen Gens, das normalerweise den Aufbau eines bestimmten, kompliziert strukturierten Enzyms steuert.

Das geplante Transfer-Verfahren: Zunächst wird das Normal-Gen, mittels chemischer Scheren, in das Erbgut eines zuvor unschädlich gemachten Virus eingepaßt; _(In der Frauenklinik des Allgemeinen ) _(Kranken hauses in Malmö, Schweden. )

das Virus wird dann in den Kern von isolierten Knochenmarkszellen übertragen, wo es sich selbsttätig in die DNS-Steuerzentrale eingliedert. Schließlich werden die manipulierten Zellen ins Knochenmark der Patienten injiziert: Sie sollen sich dort, wie die Forscher hoffen, durch Teilung vermehren und dabei immer neue Kopien des Reparatur-Gens herstellen.

Ob das Experiment gelingen wird, steht einstweilen dahin; nicht einmal die Versuchsleiter sind imstande, die Erfolgschancen abzuschätzen. Denn was die bislang über das Vokabular und die Syntax der genetischen Geheimschrift wissen, ist bitter wenig im Verhältnis zu den gewaltigen Textmengen, die noch nicht enträtselt werden konnten.

Mit Hochdruck arbeiten die Biochemiker an einer Gen-Kartei, in der alle schon entzifferten DNS-Textpartien verzeichnet werden sollen. Seit 1981 sammelt etwa das Europäische Molekularbiologische Laboratorium in Heidelberg (EMBL) die bislang dechiffrierten DNS-Passagen. Insgesamt drei Millionen »Nukleotid-Sequenzen«, gleichsam die Buchstaben, aus denen sich der genetische Text zusammensetzt, wurden mittlerweile in den EMBL-Computer eingespeist. Doch von ihrem Traumziel, einer kompletten Niederschrift der menschlichen Erbinformationen, sind die Wissenschaftler noch himmelweit entfernt.

Statt dessen aber sind sie fähig, von jedem Menschen ein individuelles, unverwechselbares Gen-Profil anzufertigen - was ihnen, wiederum, mit Hilfe ihrer biochemischen Scheren gelingt. Die nämlich zerlegen die DNS-Stränge in ein Sammelsurium von Bruchstücken, das bei verschiedenen Probanden ein jeweils höchst persönliches Muster ergibt.

Die Spaltmuster liefern einerseits Hinweise auf abnorme Erbanlagen; womöglich aber werden sie, gewissermaßen als genetische Fingerabdrücke, bald auch von erkennungsdienstlichem Nutzen sein. Britische Wissenschaftler, die unlängst die Spalt-Profile einer 54köpfigen Sippe analysierten, fanden heraus, daß bei zunehmendem Verwandtschaftsgrad die Gen-Puzzles einander immer ähnlicher wurden. Die Methode, glauben die britischen Forscher, könne demnächst in der Gerichtsmedizin, bei Vaterschaftsklagen zum Beispiel, gute Dienste leisten.

So unbefangen spekulieren die Bioforscher selten über die praktischen Folgen ihres Treibens; die meisten scheuen die Auseinandersetzung mit den ethischen oder gar juristischen Einwänden, die gegen viele Anwendungsmöglichkeiten der Gentechnik vorgebracht werden, so etwa gegen die Genom-Analyse, die den

gläsernen Menschen bis in die Zellkerne durchsichtig machen soll.

Zu ihrer Rechtfertigung berufen sich die Wissenschaftler mit Vorliebe auf ärztliche Statistiken, denen etwa zu entnehmen ist, daß in der Bundesrepublik täglich an die 100 erbkranke Kinder zur Welt kommen, die durchweg schwere körperliche oder geistige Gebrechen aufweisen. In rund 25 Prozent der Fälle hätte das Unheil schon vor der Geburt, oft sogar schon vor der Zeugung durch Gen-Analysen prognostiziert werden können. Bei jedem vierten erblich behinderten Kind wäre es, Früherkennung vorausgesetzt, möglich gewesen, das Krankheitsbild durch pränatale Therapiemaßnahmen zumindest zu mildern.

Beides, Diagnostik und Therapie, so versichern die Wissenschaftler, könne durch die Gentechnik erheblich verbessert werden. Die Kehrseite des Fortschritts: Immer mehr Kindern würde ein Dossier mit auf den Lebensweg gegeben, dessen Inhalt wohl nicht nur für die Mediziner von Interesse sein dürfte.

Längst sind amerikanische Firmen speziell in der chemischen Industrie, dazu übergegangen, Fragebögen auszuteilen, mit denen Bewerber über schwere Krankheiten in ihrer näheren Verwandtschaft ausgeforscht werden. Inzwischen, so meldete jüngst das US-Magazin »Technology Review«, laufe bei den meisten Chemie-Unternehmen ein firmeneigenes Forschungsprogramm mit dem Ziel, praktikable Gen-Tests für die Angestellten zu entwickeln.

Die offiziell verlautbarten Motive klingen menschenfreundlich. Es gelte, so heißt es, Schäden im Erbgut beizeiten zu erkennen, die etwa durch chemische Wirkstoffe verursacht würden. Unerwähnt bleibt dabei, daß mit solchen Tests erblich belastete Risikopersonen ausgesondert, der Krankenstand und die Tumor-Statistiken der Unternehmen niedrig gehalten werden können - ein zweifellos kostengünstiges Verfahren zur Imagepflege der Industrie.

Selbst kritische Beobachter, wie etwa die Mitglieder der von der Bundesregierung eingesetzten Benda-Kommission, neigen dazu, das genetische Massen"Screening« für eine zwar unheimliche, aber ferne Zukunftsvision zu halten. Es sollte, so verlangen sie, allenfalls streng medizinischen Zwecken dienen; auch müßten die entsprechenden Arbeitsrechts- und Datenschutzbestimmungen darauf angewandt werden, damit Arbeitnehmern bei der Jobsuche keine Nachteile erwüchsen.

Mit »strafbewehrten Verboten« aber halten sich die Sachverständigen zurück. Ihre Empfehlung in Sachen Genom-Analyse, Gen-Transfer oder »Klonen":

Die Regierung möge erst einmal abwarten, auf bestehende Gesetze pochen und die »weitere Entwicklung« möglichst aufmerksam verfolgen.

Was die entfesselte Gentechnik und ihre Anwendung auf den Menschen vorerst noch bremst, ist freilich nicht der Mangel an Möglichkeiten. Keine Woche vergeht ohne Nachricht von neuen Kunststücken der Bioforscher: Jüngst ist es ihnen beispielsweise gelungen, ein menschliches Wachstums-Gen auf Kaninchen, Schweine und ein Schaf zu übertragen und aus einem gevierteilten Rinder-Embryo zwei komplette Kälber heranzuzüchten.

Kein Zweifel, daß die meisten dieser Experimente womöglich sogar ohne größere Risiken, auch am Menschen wiederholt werden könnten. Nicht die Angst vor kompromittierenden Fehlschlägen dürfte die Forscher daran gehindert haben - eher schon ein Tabu, das in den abendländischen Vorstellungen von Menschenwürde wurzelt.

Der schon leicht angestaubte Begriff hat, unvermutet, in den Diskussionen über Nutzen und Nachteil der Genforschung wieder Glanz bekommen - ob seine Magie noch ausreicht, die bösen Geister der Menschenzüchtung zu verscheuchen, darf allerdings bezweifelt werden.

»Alles, was die Erbqualität kommender Geschlechter verbessert«, so hielt wahrhaftig ein deutscher Mediziner dem Kritiker Paul Lüth entgegen, »muß nicht nur erlaubt sein, sondern auch gefördert werden.« Wer als Mediziner, heilend und helfend, »erhaltungsunfähige Menschen« rette, der habe auch das Recht auf »eugenische« Eingriffe in den menschlichen Gen-Pool.

Amerikanische Wissenschaftler wie etwa der Mediziner Landrum Shettles, ein Pionier der Befruchtungstechno logie, halten auch die Herstellung menschlicher »Klone« - genetisch absolut identischer Mehrlinge - für erlaubt und wünschenswert. Es sei, meint Shettles, nur eine Frage der Zeit, bis sich die Gesellschaft an den Gedanken gewöhnt habe. Sein Credo: »Wenn das Klonen von Menschen erst einmal möglich ist, wird es auch akzeptiert werden.«

Ganz aus der Welt ist diese Erwartung sicher nicht. Immerhin rückt mit der Technik des Klonens die Erfüllung eines uralten Menschheitstraums näher: Das Verfahren verspricht, wie ein Forscher

formulierte. »eine Art von Unsterblichkeit«.

Nicht auszuschließen, daß selbstverliebte Exzentriker, Künstler, Industrie-Tycoone oder machtbewußte Politiker gern ein jüngeres Duplikat ihrer selbst in die Welt setzen wurden - einen »identischen Zwilling« (so der Fachausdruck), der den Tod des Vorläufers womöglich um Jahrzehnte überleben würde.

»Delayed Twinning« (verzögerte Herstellung von Zwillingen) heißt eine einfache, in der Pferdzucht schon bewährte Methode zur Produktion solcher Ideal-Erben. Ein Keimling wird dabei, nach wenigen Zellteilungen, in zwei Hälften zerlegt; die eine wird sogleich zum Austragen in den Mutlerleib transferiert, wo sie sich, heranwachsend, schnell wieder vervollständigt. Die andere Hälfte wird zunächst eingefroren und erst später ausgetragen: Zur Welt kommt eine exakte biologische Kopie des vielleicht sogar schon verstorbenen Zwillings.

Der US-Kolumnist T. A. Heppenheimer hat sich ausgemalt, wie es wäre, wenn das Verfahren schon vor Jahrzehnten weit verbreitet gewesen wäre. Amerikas Demokraten, meint er, hätten nicht immer wieder erklären müssen, ihre Präsidentschaftskandidaten stünden in der ruhmreichen Tradition von Franklin Delano Roosevelt oder John F. Kennedy; statt dessen hätten sie leibhaftige »Klone von FDR und JFK nominieren können«.

Für Frauen, so ein Hinweis des US-Biologen George Seidel, biete die Methode des »Delayed Twinning« ganz besondere Reize: Es werde ihnen damit die Möglichkeit eröffnet, eine identische Zwillingsschwester selber zur Welt zu bringen und so eine Klon-Familie zu gründen - den Ehemännern, falls vorhanden, meint Kommentator Heppenheimer, werde somit eine zweite, wesentlich jüngere, gleichwohl mit der ersten identische Gattin beschert.

Die Überlegungen der furchtlosen Zukunftsdenker lassen erkennen, daß der Weg in die schöne neue Welt der Biotechnik schon vorgezeichnet ist. Am Abbau der noch verbliebenen Hindernisse arbeiten, vorneweg, die emsigen Fortpflanzungshelfer in den gynäkologischen Kliniken. »Wenn jemand geklont werden will«, lehrt Dr. Shettles, »sollte er ein Recht darauf haben, genau wie jeder jetzt schon ein Recht darauf hat, künstlich befruchtet zu werden« - merke: Wer A sagt, sagt auch B.

»Manche Mediziner«, so umschrieb es die »FAZ« Anfang Dezember in einem Kommentar, »sind offenbar der Macht der genetischen und zellbiologischen Verheißung erlegen.« Zur gleichen Ansicht ist Professor Peter Petersen gelangt, Psychosomatiker an der Frauenklinik der Medizinischen Hochschule Hannover und Mitglied der Benda-Kommission.

Viele Ärzte, meint er, seien von den Techniken zur gezielten Menschenzüchtung »triebhaft fasziniert«. Petersen hat deshalb dem Benda-Bericht ein abweichendes »Sondervotum« angefügt. Kernsatz seiner Kritik: »Der Arzt übernimmt als Mitschöpfer eines Menschendaseins die Rolle des Schicksals, ohne aber die Weitsicht des Schicksals zu besitzen. Er weiß nicht, was er tut.«

Die Patientinnen wissen es auch nicht. Ihr Motiv ist der unerfüllte Kinderwunsch, im Klinikjargon kurz »Kiwu« genannt. 10 bis 15 Prozent aller deutschen Ehen bleiben ungewollt kinderlos, entsprechend groß ist die Nachfrage nach ärztlicher Hilfe.

Die meisten großen Frauenkliniken unterhalten eigene Kiwu-Sprechstunden. Auch etliche Gynäkologen mit eigener Praxis können allein vom Kiwu gut leben. So haben die beiden Essener Frauenärzte Thomas Katzorke und Dirk Propping in den letzten zehn Jahren rund 3500 Kinder »gemacht«. Sie befruchten vor allem mit fremden Samen, der Spender erhält dafür 200 Mark. Viele Männer kommen freiwillig immer wieder, doch Propping will »weg von diesen Dauerspendern«. Deren Motive sind auch dem Doktor nicht ganz geheuer, allerdings bisher nicht erforscht.

Hingegen ist die psychosoziale Situation der Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch durch sorgsame Untersuchungen inzwischen gut aufgeklärt - nur sprechen die Babymacher nicht gern darüber: Der Kiwu bleibt als Fundament ärztlicher Manipulationen schließlich nur so lange tragfähig, solange er als einfühlbares, moralisch hochstehendes Streben gilt. Doch gerade damit steht es bei näherem Hinsehen nicht zum besten.

Wenn ein Ehepaar trotz redlichen und regelhaften Bemühens kinderlos ("steril") bleibt, trifft »die Schuld«, statistisch gesehen, die Ehefrau nur in der Hälfte der Fälle. Der Leidensdruck ist für sie jedoch meist viel stärker als für den Mann. Ausgehend von zwei miteinander synchronisierten Überzeugungen - »Die einzigen echten Kinder sind die eigenen« und »Die einzig echte Mutter ist die natürliche« -, wird die Kinderlosigkeit von vielen Frauen als schwere Kränkung empfunden und »krankhaft verarbeitet« (Psychosomatiker Petersen).

Die durchschnittliche Sterilitätspatientin, so hat der Berliner Frauenarzt und Geburtshelfer Professor Manfred Stauber herausgefunden, ist »stark depressiv und narzißtisch gestört«, ihr Selbstwertgefühl ist geschwächt. Überraschenderweise zeigt sich diese Persönlichkeitsstörung, wie Stauber an 2300 Patientinnen ermittelte, bereits vor Auftreten des Kiwu. Durch ein »eigenes leibliches Kind« soll, sagt Petersen, das Gefühl der »Hilf- und Wertlosigkeit ausgeglichen und überkompensiert« werden.

Dafür nehmen vor allem dominante Frauen, die mit einem gefügigen Mann verheiratet sind, viel in Kauf: operative Eingriffe, um die (häufig durch frühere Abtreibungen) verklebten Eileiter wieder durchgängig zu machen; wiederholte _(Aus der »Rocky Horror Picture Show«. )

Hormonbehandlungen, Klinikaufenthalte, Narkosen und Bauchpunktionen zur Gewinnung der Eizellen; schließlich die instrumentelle Rückführung der Embryos in einem sterilen Operationssaal. Klaglos wird auch akzeptiert, daß die Babymacher nur jeder zwanzigsten, günstigstenfalls jeder siebenten der behandelten Frauen durch extrakorporale Befruchtung helfen können. Mindestens 85 Prozent der Kiwu-Patientinnen bleiben kinderlos.

Wer schwanger wird, hat harte Zeiten vor sich. Die Komplikationsrate während der neun Monate ist viel größer als üblich, schon deshalb, weil nach extrakorporaler Zeugung Zwillinge um das Zehnfache, Drillinge um das Hundertfache und Vierlinge sogar um das Zweitausendfache häufiger sind als normalerweise. Jede zweite Mutter wird deshalb durch Kaiserschnitt entbunden. Alles in allem kostet die Krankenkassen die Geburt eines Retortenbabys rund 50000 Mark.

Nach der Entbindung zeigt sich häufig, daß ein »Wunschkind« als Therapie der mütterlichen Persönlichkeitsstörung wenig Gutes bewirkt: Die depressive Stimmung schwächt sich bestenfalls ab, verschwindet aber nicht. Die Mütter stillen selten, bei jeder fünften dauert das Schwangerschaftserbrechen auch nach der Geburt an. Die eheliche Harmonie wird nicht gefördert - 90 Prozent der Mütter, die nach ihrem langen Martyrium endlich ein eigenes Kind haben, sagen, daß der Einfluß des Kindes auf die Ehe »neutral« oder sogar »ungünstig« sei.

Die unvermeidliche Desillusionierung der Mütter irritiert die Babymacher sowenig wie die Tatsache, daß es in der Welt Millionen Kinder gibt, die Hunger leiden und denen kein Erwachsener ein erfülltes Leben ermöglicht.

Auch in diesem Jahr werden, in den Elendsregionen der Dritten Welt, wieder täglich rund 40000 Kinder an Unterernährung sterben - während in den spezialisierten Zentren der Industrieländer an jedem Tag ein, zwei Kinder unter großem Aufwand künstlich gezeugt werden.

In den öffentlichen Debatten über Sinn oder Unsinn der Befruchtungstechnologie kam dieser zynisch wirkende Widerspruch bislang nicht vor. Viel dagegen war die Rede von der Freiheit der Forschung, die als ein kostbares Gut vor Einschränkungen bewahrt werden müsse.

»Die Leute«, so höhnte der Biochemiker Erwin Chargaff, unerbittlichster Kritiker der modernen Wissenschaft vom Leben, »haben noch immer nicht gelernt, daß es zwar das Ziel der Forschung ist, die Wahrheit zu finden, daß aber nicht alles, was der Forscher findet, Wahrheit ist.«

»Manchmal«, meint Chargaff, »ist es nur des Teufels Visitenkarte, die er vom Boden aufhebt.«

Ich bin voller Mißtrauen gegen Lebensverbesserer: Sie fangen klein

an, aber nur Gott kann wissen, womit sie aufhören. Einige der

größten Greuel sind unter dem Vorwand oder mit der wirklichen

Absicht der leidenden Menschheit zu helfen, begangen worden. Erwin

Chargaff, US-Biochemiker

[Grafiktext]

Quelle: Science 85 STÖRUNGEN Eierstöcke: Die Eierstöcke geben befruchtungsfähige Eier gar nicht oder nur im gestörten Zyklus frei. Eileiter: Können verklebt oder vernarbt sein, infolge einer Infektion oder einer Endometriose (abnormes Wachstum von Gebärmuttergewebe außerhalb der Gebärmutter). Gebärmutter: Anomale Form des Uterus, Narbengewebe oder gutartige Tumoren können den Weg des Spermas zum Ei behindern oder die Einnistung des befruchteten Eis verhindern. Gebärmutterhals (Zervix): Veränderungen der Form oder Abstoßreaktionen behindern die Anwesenheit von Spermien, die dort normalerweise bis zu einer Woche überleben können. Spermien: Zu geringe Zahl, zu geringe Beweglichkeit oder Fehler im Aufbau der Spermien können verhindern, daß es zur Verschmelzung von Spermien und Eizellen kommt. UNTERSUCHUNGSMETHODEN Körpertemperatur: Die Körpertemperatur der Frau wird täglich beim Aufwachen gemessen. Ein Ansteigen der Temperatur kann den Eisprung anzeigen. Progesteron im Blut: Findet sich im Blut das Hormon Progesteron, das von den Eierstöcken nach dem Eisprung produziert wird, ist das ein Hinweis auf die Ausstoßung des Eis. Biopsie der Uterusschleimhaut: Von der Uteruswand entnommenes Zellgewebe gibt Aufschluß über den Einfluß von Eierstockhormonen - ein Hinweis auf den Eisprung. Bauchspiegelung (Laparoskopie): Die Glasfaseroptik wird unterhalb des Nabels in die Bauchhöhle eingeführt. Auf diese Weise können Narbengewebe an den Eileitern, Zysten oder eine Endometriose entdeckt werden. Hysterosalpingographie: Röntgenuntersuchung von Eierstöcken, Eileiter und Gebärmutter mit Hilfe eines eingespritzten Kontrastmittels. Hysteroskopie: Betrachtung der Innenwände der Gebärmutter mit Hilfe einer Glasfaseroptik, die durch den Gebärmutterhals eingeschoben wird. Test nach Koitus: Die Untersuchung von Schleim aus dem Gebärmutterhals einige Stunden nach dem Koitus gibt Aufschluß über die Lebensfähigkeit der Spermien im Gebärmutterhals. Analyse des Zervikalschleims: Besonders dickflüssiger oder besonders säurehaltiger Schleim kann die Beweglichkeit der Spermien einschränken. Immunologischer Test: Blutserum und Zervikalschleim werden auf Antikörper untersucht, welche die Spermien unbeweglich machen können. Samenanalyse: Form, Konzentration, Beweglichkeit und Zahl der Spermien werden untersucht. Krampfadern: Der Hodensack wird auf vergrößerte Venen untersucht, welche die Temperatur im Hodensack erhöhen und damit die Samenproduktion behindern können. Beweglichkeitstest: Spermien werden auf ihre Fähigkeit untersucht, sich durch den Zervikalschleim zu bewegen und die Wand des zu befruchtenden Eis zu durchdringen. Hodenbiopsie: Eine aus dem Inneren des Hoden entnommene Gewebsprobe gibt Aufschluß, ob Samenzellen produziert werden. Wenn ja, liegt das Problem wahrscheinlich bei den Samenleitern. BEHANDLUNGSMETHODEN Medikamente: Clomifen und andere Medikamente können Drüsen anregen, Hormone freisetzen, die den Eisprung einleiten. Medikamente: Danazol zur Behandlung von Endometriose ( Schleimhautwucherung aus der Gebärmutter in die Eileiter). Chirurgischer Eingriff: Zur Korrektur blockierter, beschädigter oder anomal geformter Eileiter sowie zur Entfernung von wucherndem Uterus-Gewebe. Künstliche Besamung: Frischer männlicher Samen wird mit einer Kanüle direkt in die Gebärmutter gebracht; auf diese Weise läßt sich das vielleicht spermienfeindliche Umfeld im Gebärmutterhals umgehen. Chirurgischer Eingriff: Zur Wiederherstellung der normalen Form der Gebärmutter oder zur Entfernung von Narbengewebe oder gutartigen Geschwülsten. Östrogene: Werden in der ersten Hälfte des Menstruationszyklus verabreicht, um die Menge und Dickflüssigkeit des Zerikalschleims zu regulieren. Antibiotika: Zur Behandlung von Entzündungen im Gebärmutterhals, die ein ungünstiges Umfeld für die Spermien darstellen können. Lebensweise: Verzicht auf Gewohnheiten, welche die Produktion und Beweglichkeit von Spermien beeinträchtigen, zum Beispiel übermäßiger Genuß von Alkohol, Nikotin oder Marihuana, oder das Tragen zu enger Hosen. Künstliche Besamung: Frischer männlicher Samen wird mit einer Kanüle direkt in die Gebärmutter gebracht; auf diese Weise läßt sich das vielleicht spermienfeindliche Umfeld im Gebärmutterhals umgehen. Künstliche Befruchtung: Aus den Eierstöcken entnommene befruchtungsfähige Eier werden in der Petri-Schale mit Sperma zusammengebracht und einige Tage später in die Gebärmutter eingepflanzt. Medikamente: Hormone zur Anregung der Spermienproduktion; Antibiotika zur Behandlung von Infektionen der Prostata; Steroide gegen Antikörper, welche die Beweglichkeit der Spermien beeinträchtigen. Chirurgischer Eingriff: Verödung oder Entfernung von Krampfadern oder Eröffnung blockierter Samenstränge. Künstliche Besamung: Einbringen des männlichen Samens direkt in den Gebärmutterhals oder die Gebärmutter. Künstliche Besamung: Frischer männlicher Samen wird mit einer Kanüle direkt in die Gebärmutter gebracht; auf diese Weise läßt sich das vielleicht spermienfeindliche Umfeld im Gebärmutterhals umgehen.

[GrafiktextEnde]

Aufbringen männlicher Samenzellen auf die entnommenen Eier in einerPetri-Schale.In der Universitäts-Frauenklinik Kiel.Am 2. Dezember 1985 in der Universität Biele feld.In der Frauenklinik des Allgemeinen Kranken hauses in Malmö,Schweden.Aus der »Rocky Horror Picture Show«.

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