BERGBAU / STILLEGUNGEN Vor den Koffer
In vollem Amtsornat, mit Talar und Beffchen, stand ein Pfarrer in der vordersten Reihe. Um ihn herum sangen Bergleute die Internationale.
Kirchenmann und KP-Kumpel demonstrierten für die jüngsten Opfer des großen Zechensterbens an der Ruhr: Die Schachtanlage »Hansa« in Dortmund-Huckarde und »Pluto« in Wanne-Eickel, beide im Besitz der Gelsenkirchener Bergwerks-AG (GBAG), sollten die Förderbänder anhalten.
15 000 Bergleute empfingen Düsseldorfs SPD-Ministerpräsidenten Heinz Kühn auf dem Marktplatz der Dortmunder Vorstadt Huckarde mit Pfiffen und dem Schmähvers: »Kühn und Schiller -- Zechenkiller.« Bonns Wirtschaftsminister Karl Schiller hatte sich mit seinem Ruhrprogramm -- danach müßten bis 1970 über 25 Zechen stillgelegt werden -- den Zorn der Kumpel zugezogen.
Den hohen SPD-Genossen in Bonn, dessen Nervenkraft ohnehin begrenzt ist, erschreckten die rauhen Kumpel-Chöre. Nach einer Reihe empfindlicher Schlappen der SPD in Länder-Wahlen wächst in der Fraktion die Kritik an dem Ökonomie-Professor, weil ihm bislang kein weithin sichtbarer Erfolg bei der Belebung der Konjunktur gelungen ist. Aus internen demoskopischen Umfragen erfuhren die Sozialdemokraten in Bonn und Düsseldorf, daß ein großer Teil ihres Revieranhangs -- wäre heute Wahl -- zu DFU und NPD abwandern würde.
In dieser Lage gab es für Schiller nur einen Weg: sich wendig an die Spitze der verbitterten Gruben-Arbeiter zu stellen. Am letzten Montag veranlaßte er in einer kurzfristig einberufenen Kabinettsrunde die Bonner Minister, das Zechensterben zu bremsen. Auf Empfehlung Schillers sperrte das Kabinett der GBAG jene Prämienzahlung, mit der Bonn seit 1963 notleidende Kohlengesellschaften dazu verlockt, unrentable Pütts zu schließen. Für Hansa und Pluto hätte der Bund .58 Millionen Mark Sterbegeld zahlen müssen.
Vor Fernsehkameras und Rundfunkmikrophonen ging Schiller mit dem Gelsenberg-Vorstand hart ins Gericht: »Man hat uns diese beiden Stillegungen einfach vor den Koffer geknallt.«
Bildreich belehrte der Ökonomie-Professor die Gelsenberg-Manager: »Es war politisch-psychologisch in dieser Lage ein Riesenfehler, das Streichholz brennend in den Heuhaufen der Ruhr zu werfen.«
Die »chaotischen Stillegungen« gefährden nach Ansicht Schillers jenes große Sanierungsprogramm für die Ruhr, das der Minister zusammen mit den Revierbossen Sohl (Thyssen) und Henle (Klöckner) sowie dem Bankier Abs und dem Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie Berg entworfen hat,
Mit diesem Rheinstahl-Plan, so genannt nach dem Ort seiner Entstehung im Essener Rheinstahl-Hochhaus, wollen die Zechengesellschaften die Kohlenkrise vereint bekämpfen. Sämtliche Montan-Unternehmen sollen ihre Gruben an eine private »Deutsche Kohlenbergbau AG« verpackten, die gegen Zahlung einer Nutzungsentschädigung die Geschäfte aller Ruhrzechen unter einem Dach abwickelt. Die Bergbau AG soll die Förderkapazität dem schrumpfenden Kohlenabsatz planmäßig .und schrittweise anpassen. Für die Zahlung der Pachtgelder an die Zechenherren soll der Bund mit 360 Millionen Mark bürgen.
Die Selbsthilfe an der Ruhr will Schiller durch öffentliche Kontrolle stärken. Ein durch Gesetz benannter Kohlebeauftragter, der allein der Bundesregierung verantwortlich ist, soll den Zechenherren auf die Finger sehen. Unter der Zuchtrute des Kohlekommissars -- für dieses Amt war bisher der Generaldirektor der Zechengesellschaft Hibernia, Hans Werner von Dewall, im Gespräch sollen in den kommenden drei Jahren 35 Millionen Tonnen Förderkapazität durch Stillegungen beseitigt und 80 000 Kumpels neue Arbeitsplätze zugewiesen werden.
Gestützt auf ein dem Bundestag vorliegendes Kohleanpassungsgesetz« soll Schillers Statthalter an der Ruhr dafür sorgen, daß die Zechengesellschaften nicht zuviel Kohle fördern und wirtschaftliche Betriebsgrößen anstreben. Grubenherren, die sich nicht fügen wollen, müssen damit rechnen, die Stillegungsprämien und Subventionen zu verlieren.
Doch noch ehe der Bonner Kohlebeauftragte an der Ruhr tätig werden konnte, entschloß sich der Vorstand der GBAG, die Zechen Pluto und Hansa zu schließen. Das eigenmächtige Vorgehen der Ruhrbosse, so fürchtet Schiller, könnte den nationalen Hilfsplan ruinieren, weil mit jeder isolierten Stillegung die Unruhe unter den Kumpels wächst.
Zudem glaubt der Minister, die GBAG habe ihren Stillegungsbeschluß voreilig gefaßt. Schiller zitierte Abs, der im Aufsichtsrat des Energiekonzerns sitzt: »Herr Abs sagte, er könne 20 Zechen aufzählen, die schlechter sind als diese beiden.«
Tatsächlich erwirtschafteten die 3400 Kumpel der Anlage Hansa 1966 noch einen Jahresgewinn von 3,6 Millionen Mark. Doch der schöne Schein trug. Rund 80 Prozent der Förderung setzte Hansa zum vollen Listenpreis bei der eigenen Kokerei ab. Auf dem Markt hätte die Gesellschaft dafür zwölf Prozent weniger erlöst.
Schon im Sommer malte GBAG-Generaldirektor Friedrich Funcke seinen Aktionären ein düsteres Bild von der Lage des Unternehmens: Die GBAG habe die Dividende von nur noch fünf Prozent nicht wirklich verdient, sondern zu Lasten der Substanz gezahlt. Bei der GBAG hieß es: »Das Wasser steht uns bis zum Hals.
Am 12. Oktober empfahl der Vorstand dem Aufsichtsrat, die Stillegung der beiden Schachtanlagen auf seiner Dezember-Sitzung zu genehmigen. Wie ein Buschbrand breitete sich in Dortmund und Wanne-Eickel die Kunde aus: »Der Pütt wird dichtgemacht.«
Erst als das Bonner Kabinett der GBAG die Stillegungsprämie aufsagte, lenkte Funcke ein. Am Dienstag letzter Woche versprach er, den endgültigen Stillegungs-Beschluß um drei Wochen zu vertagen.
Für das ohnehin wenig geschätzte Amt des Kohlebeauftragten wird sich nach dem jüngsten Ruhrkampf kaum ein Bewerber finden. Der erste Kandidat, Hans Werner von Dewall. winkte bereits ab: »Ich werde nur Kohlebeauftragter, wenn mein Gehalt auf ein Schweizer Konto überwiesen und mir ein Hubschrauber gestellt wird, mit dem ich jederzeit von der Ruhr flüchten kann.«