Großbritannien Vor Glück geheult
Patrick Cauldwell verfügt nur über bescheidene Deutschkenntnisse, aber die reichen für seine Zwecke: »Jetzt rechts abbiegen« oder »Langsam, Polizei« kommt ebenso fließend über seine Lippen wie »Kupplung langsam kommen lassen« und - gleich darauf - »Shit, Motor weg«.
Cauldwell, 48, Fahrschullehrer im nordwestenglischen Wigan, beherrscht auch technische Vokabeln wie »Bremsweg«, »Straßenverkehrsordnung« und »Vorfahrtsstraße«. Den Wortschatz verdankt der Engländer einem neuen Kundenstamm: Deutsche, die ihren Führerschein fernab von lästigen Wartezeiten und peinigenden Tests daheim lieber bei den rechtslenkenden und linksfahrenden Briten erwerben.
Denn als einziges EU-Mitgliedsland sieht das Vereinigte Königreich bei der Führerscheinprüfung keine schriftliche Examination vor, sondern einen etwa 20minütigen Praxistest. Besser noch: Statt wochenlanger Wartezeiten auf Prüfungstermine wie in Deutschland sind britische Führerscheine, zumal in der Provinz, binnen weniger Tage zu haben - und sie werden in fast allen Ländern der Welt anerkannt, natürlich auch in der Europäischen Union.
Cauldwell hatte sich mit seiner »Alliance Intensive Driver Training School« bislang auf einheimische Schüler spezialisiert, die ihre Lenkberechtigung in einwöchigen Crash-Kursen - fünf Tage lang fünf Fahrstunden täglich, dann die Abschlußprüfung - erwerben wollten.
Das Geschäft lief ganz gut. Da schickten ihm Kumpels aus seinem Stammpub, die gerade in der Bundesrepublik als Maurer und Zimmerleute in Baukolonnen malochten, vor einem halben Jahr erstmals einige deutsche Kollegen, die auf die Schnelle und völlig legal ihren Führerschein erwerben wollten.
Seither hat Cauldwell bereits über 30 Bundesbürgern zur amtlichen »United Kingdom Driving Licence« verholfen. Weitere 280 haben sich angemeldet. »The Germans are coming«, titelte bereits das Heimatblatt Wigan Reporter über den unerwarteten Ansturm in der verschlafenen Kleinstadt Wigan, die im Land ausschließlich durch ihre grimmige Rugby-Mannschaft bekannt ist.
Jeden Montag holen Cauldwell oder seine Frau Jenny vom Flughafen in Manchester neue Fahrschüler ab. Das Wochenarrangement inklusive Flug, Hotel, Fahrstunden und Prüfungsgebühren kostet etwa 2500 Mark. »Zu Hause«, sagt Richard, 36, aus Leverkusen, »würde mich das auch nicht weniger kosten als hier.« Zweimal war der Schuhverkäufer bereits durch den deutschen Theorietest gerasselt: »Ich bin wohl ein bißchen gedächtnisschwach.«
Die Prüfung in Wigan schaffte er - wie alle anderen deutschen Schüler bislang auch - im ersten Anlauf. Liegt diese astreine Erfolgsrate allein am »Eifer und der Disziplin der Deutschen«, wie Fahrlehrer Cauldwell seine Kunden vom Festland höflich rühmt? Oder bisweilen auch an der hübschen Jane? Die College-Studentin, 17, verdient sich als Dolmetscherin bei den Prüfungen ein Zubrot und soll bei sympathischen Fahrschülern falsche Antworten schon mal richtig übersetzen.
Oder liegt die optimale Trefferquote doch eher am vergleichsweise »milden Verfahren der Prüfer«, wie Graham Fryer vom Verband der britischen Fahrlehrer vermutet? Vor allem bei Fragen zur britischen Straßenverkehrsordnung zeigen sich die Prüfer traditionell nachsichtig. Fryer: »Man kann fast jede Frage falsch beantworten und dennoch seinen Schein kriegen.«
Die vor allem auf Verkehrsverhalten und Autobeherrschung ausgerichtete Prüfung ermöglicht sogar Analphabeten den Führerscheinerwerb. Zwei seiner deutschen Kunden, erinnert sich Cauldwell, konnten das Einschreibformular für seine Fahrschule nicht ausfüllen. Einer davon, Schrotthändler aus Gießen, habe nach bestandener Prüfung »vor lauter Glück wie ein kleines Kind geheult«.
Doch die Freude über den problemlosen Erwerb der Fahrberechtigung kann beim Umtausch des britischen in ein deutsches Dokument in Frust und Ärger umschlagen. Denn nach bundesdeutschem Recht muß der deutsche Besitzer eines britischen Führerscheins seinen »ständigen Aufenthalt« mindestens ein halbes Jahr in Großbritannien gehabt haben. Nur dann wird der Schein binnen eines Jahres nach der Rückkehr umgeschrieben.
Im Reich der Queen gibt es, sehr praktisch, keine polizeiliche Meldepflicht. Auch Sichtvermerke bei der Einreise sind für EU-Bürger nicht mehr vorgesehen. Deshalb geben sich mißtrauische Straßenverkehrsämter nur mit schriftlichen Erklärungen, etwa einer Bestätigung des Arbeitgebers, über die Verweildauer in Großbritannien zufrieden.
Doch so einen Brief zu besorgen, weiß Cauldwell, sei »wahrscheinlich kein Problem«. Er habe jedenfalls noch nie von einem Kunden gehört, der seinen Führerschein nicht habe umtauschen können. Den Fahrschullehrer plagt vielmehr die Sorge, daß Großbritannien schon bald von der Europäischen Kommission in Brüssel gezwungen werden könnte, im Zuge der EU-Harmonisierung ebenfalls einen schriftlichen Führerscheintest einzuführen.
Das wäre schlecht für sein Geschäft, aber gut für die Verkehrssicherheit: Denn strengere Prüfungskriterien, behaupten britische Experten übereinstimmend, würden die tödliche Unfallrate gerade von jungen Fahrern »sofort drastisch senken«. Y