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Briefe

VORSORGE
aus DER SPIEGEL 16/1965

VORSORGE

Zu Ihrer Titelgeschichte über Krebs teile ich Ihnen folgendes mit: Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Möglichkeit der Früherkennung von Krebserkrankungen in der Bundesrepublik noch nicht auf dem Stand ist, der erreichbar wäre. Es wäre jedoch ungerecht, wenn dafür ausgerechnet die Ärzte verantwortlich gemacht werden, weil sie sich gegen öffentliche Beratungsstellen wenden. Wenn der Unterschied der Krebstodesfälle in der Bundesrepublik und in den USA (21:15 im Jahr auf 10 000 Einwohner) tatsächlich auf einer besseren Früherkennung in den USA beruhen sollte, dann wäre das nur ein Beweis dafür, daß das dort nicht auf behördliche oder ähnliche Maßnahmen zurückzuführen ist, denn diese sind in den USA unbekannt.

Was dort viel besser ist, das ist das Interesse der Bevölkerung an der Früherkennung des Krebses und ihre Aufklärung über diese Krankheit. Das Interesse ist dabei das Primäre, und erst das Interesse führt zu einer Verbesserung der Aufklärung. Bei uns in Deutschland ist das Interesse aber vor allem deshalb so gering, weil das wirtschaftliche Risiko der Krankheit für die Masse der Bevölkerung sehr viel geringer ist als in Amerika, wodurch dann allerdings das Krankheits- und Sterberisiko um so größer wird.

In England liegt die Zahl der Krebstodesfälle übrigens trotz des »perfekten« englischen Gesundheitssystems noch höher als In der Bundesrepublik, während sie in Ländern mit vergleichsweise »unterentwickeltem' Versicherungssystem (Frankreich, Schweiz, auch Schweden) erheblich niedriger liegt.

Abgesehen davon, daß alle Vergleiche der internationalen Krankheitsstatistik hinken, wie wir von dem Vergleich der Mütter- und Säuglingssterblichkeit wissen, sind alle willkürlich herausgegriffenen Vergleiche nichts anderes als eine Entstellung der Wahrheit.

Unabhängig von allen Zahlenspielen gilt aber nach wie vor die Erkenntnis, daß Vorsorgeuntersuchungen das sicherste Mittel zur Verringerung sowohl der Mortalität wie der Krankheitskosten sind. In der Zusammenarbeit von 4500 Praktischen Ärzten und Fachärzten können dabei wesentlich bessere Resultate erzielt werden als von einer beschränkten Anzahl von Beratungsstellen, die erfahrungsgemäß auch noch unter Mangel an geeigneten Personen leiden. Voraussetzung für bessere Erfolge sind

- die Legalisierung und Bezahlung der Vorsorgeuntersuchungen in der gesetzlichen Krankenversicherung,

- eine systematische Aufklärung der Bevölkerung über die Notwendigkeit rechtzeitiger Vorsorgeuntersuchungen.

Bonn DR. GERHARD JUNGMANN

Jungmann*

* CDU-MdB und stellvertretender Vorsitzender des Bundestags-Gesundheitsausschusses.

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