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BUNDESHAUPTSTADT Vorzeigbare Bleibe

Stadtväter und Bundesregierung wollen die Hauptstadt Bonn aufmöbeln - mit einer Kunsthalle und dem »Haus der Geschichte«. *
aus DER SPIEGEL 27/1984

Alle paar Minuten rast auf der nahegelegenen Rhein-Hauptstrecke ein Fernzug vorbei. Unter lautem Gebimmel schließen sich die Bahnschranken - Rush-hour an der Walter-Flex-Straße, unweit des Bonner Regierungsviertels.

In solch unwirtlicher Umgebung zwischen Ebert-Allee und der Bonner Südstadt wollen die Stadtväter der Bundeshauptstadt jetzt verwirklichen, wovon Bundeskanzler und Bürgermeister seit Jahren träumten, was bislang aber stets am Widerstand der Länder scheiterte: Das Provisorium am Rhein soll endlich ein »geistig-kulturelles Zentrum« erhalten, eine vorzeigbare Bleibe für die Kunstschätze der Stadt und des Bundes.

Schon die Regierung Schmidt hatte 1977 versprochen, 1982/83 eine Bundeskunsthalle zu errichten, als »wichtigen Beitrag zu einem überzeugenden Hauptstadtkonzept«. Kunstfreunde wie die Bundestagsvizepräsidentin Annemarie Renger warben im Verein mit Künstlern wie Beuys oder Christo für das Projekt. Um nicht als Kulturbanausen dazustehen, machten sich Politiker unterschiedlichster Couleur für das Vorhaben stark.

Doch die Länder pochten auf ihre Kulturhoheit: Die Kultusminister argwöhnten, die Bonner Bilderburg könnte ihren eigenen Museen und Ausstellungshallen Konkurrenz machen.

Daß unter christliberaler Herrschaft nun zu gelingen scheint, was den Sozialliberalen nicht vergönnt war, haben die Bonner vor allem ihrem Oberstadtdirektor Karl-Heinz van Kaldenkerken zu verdanken. In zahlreichen Einzelgesprächen mit Vertretern der Länder, des Bundesinnen- und des Bauministeriums tüftelte der Stadtplaner einen Kompromiß aus. Mitte Mai passierte sein Vorschlag anstandslos den Bonner Stadtrat. Auch die Bundesregierung stimmte zu, da die Pläne »geeignet erscheinen, das Vorhaben voranzubringen« (Innen-Staatssekretär Carl-Dieter Spranger).

Auf dem 76 000 Quadratmeter großen Stück Brachland an der Walter-Flex-Straße, so sieht das Konzept vor, soll spätestens bis zur 2000-Jahr-Feier der Stadt 1989 ein großzügiges Kulturzentrum gebaut werden, bestehend aus einem städtischen Kunstmuseum und einer Ausstellungshalle, für die Bund und Länder verantwortlich zeichnen.

Füllen könnte der Bund das ihm zugedachte Areal allemal. Seit 1970 erwarben wechselnde Ankaufskommissionen der Bundesregierung für über fünf Millionen Mark moderne Graphiken, Bilder und Plastiken bekannter Nachkriegskünstler wie Antes, Beuys oder Wunderlich, aber auch Werke »jüngerer, Erwartung weckender Künstler«, so der vom Innenministerium herausgegebene Katalog »Kunst für den Bund«.

Bislang sind die Exponate vor allem von Beamten und Politikern zu bewundern: in Arbeitsräumen und Sitzungssälen des Bundespräsidenten, des Kanzlers, der Ressortminister oder deutscher Botschaften in aller Welt. Was keinen _(Beim Aufhängen eines Landschaftsgemäldes ) _(am 27. 1. 84 im Bonner Kanzlerbungalow. )

Gefallen findet, verstaubt im Keller des Innenministeriums.

Die staatliche Ausstellungshalle, so schwebt dem Bonner Kunstmuseums-Direktor Dierk Stemmler und dem Stadtrat vor, soll »dem Bund, den Bundesländern, den ausländischen Staaten ... Möglichkeiten für die kulturelle Selbstdarstellung bieten«. Auch große Wechselausstellungen, »die bisher an der Bundeshauptstadt vorbeigegangen sind«, könnten dort unterkommen.

Bezahlen muß das Kunst-Dorado ohnehin zum größten Teil der Bund. Das Land Nordrhein-Westfalen übernimmt lediglich rund ein Drittel der voraussichtlichen Kosten von 50 Millionen Mark für das Stadtmuseum. Die Bundesregierung trägt zwei Drittel des verbleibenden Betrages, hinzu kämen nochmals rund 50 Millionen Mark für die staatliche Ausstellungshalle.

Derjenige freilich, der das Geld für die Bundeskunstpläne lockermachen soll, schweigt bislang. Skeptiker fürchten, Finanzminister Gerhard Stoltenberg könnte das Vorhaben aus Ersparnisgründen vorerst zurückstellen.

Verzögern könnte das Projekt zudem ein anderer Bau, der vor allem dem Kanzler viel mehr am Herzen liegt: ein »Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland«, in dem Helmut Kohl Vergangenheit und Gegenwart seiner Republik darstellen lassen möchte.

In einem Provisorium an der Kurt-Schumacher-Straße 19, unweit des Bonner Abgeordnetenhochhauses, basteln Museumsfachleute bereits an einer ersten Ausstellung. Thema: Unsere Bundespräsidenten.

Schon im November 1983 hatte eine Kommission, der unter anderem der Bismarck-Biograph Lothar Gall angehörte, im Auftrag des Innenministers ein 30 Seiten starkes Konzept für die Gedenkstätte vorgelegt. Ihre Idee: Im »Haus der Geschichte« sollten vor allem die handelnden Politiker der deutschen Nachkriegszeit verewigt werden. Das Volk kommt beim Eilmarsch durch die jüngste Geschichte nur am Rande vor.

Doch die Kommissionäre stießen bei SPD-Politikern und Historiker-Kollegen auf heftige Widerworte. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Freimut Duve fürchtet, daß Kohl die Gedenkstätte mit Expertenhilfe zu einer Weihestätte seines großen Vorbildes Konrad Adenauer hochstilisieren will. Und Martin Broszat, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München, warnte, die allzu vorschnelle Festschreibung einer »Erfolgsgeschichte« der Bundesrepublik könnte leicht als peinliche Selbstgefälligkeit mißverstanden werden.

Ähnlich umstritten wie die inhaltliche Ausrichtung war der Standort für die »Dunkelkammer der deutschen Geschichte« (Duve). Die Stadt Bonn und Bundesbauminister Oscar Schneider favorisieren ein 9000 Quadratmeter großes Gelände zwischen Rheinweg und Adenauerallee, nur einen Steinwurf von der geplanten Kultur-Hochburg an der Walter-Flex-Straße entfernt.

Der Kanzler dagegen liebäugelte, ähnlich wie die Kunstfreunde Renger und Duve, mit der »großen Lösung«. Ihnen schwebte vor, zwischen Bahndamm und Friedrich-Ebert-Allee einen einzigen großen Musentempel zu errichten, dessen Bestandteile - Haus der Geschichte, Ausstellungshalle des Bundes und Stadtmuseum - sich gegenseitig geistig befruchten sollten.

Im Kabinett freilich stieß die »große Lösung« auf Skepsis. Die Bundesbauherren wollen ihr Geschichtsprojekt lieber unabhängig vom Stadtmuseum verwirklichen. Auch die Bonner Stadtväter stimmten für eine Entflechtung der Standorte.

Einen grundlegenden Schönheitsfehler haben beide Varianten ohnehin gemeinsam: das wenig kunstfreundliche Ambiente rund um die geplante Kulturhochburg. Nicht genug, daß die Fernzüge, ein benachbartes Gewerbegebiet und der dichte Verkehr auf der Bonn-Bad-Godesberger Verbindungsachse den Kunstgenuß trüben. Inmitten des Musentempels wird auch weiterhin ein Umspannwerk des Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerkes seinen Dienst tun.

Der Abriß des Monuments neuzeitlicher Energiewirtschaft, so haben die Bonner Stadtplaner errechnet, käme viel zu teuer. _(Am 26. 10. 1983 mit dem damaligen ) _(Bundespräsidenten Karl Carstens (r.) bei ) _(einer Plakataktion zugunsten der Bonner ) _(Kunsthalle. )

Beim Aufhängen eines Landschaftsgemäldes am 27. 1. 84 im BonnerKanzlerbungalow.Am 26. 10. 1983 mit dem damaligen Bundespräsidenten Karl Carstens(r.) bei einer Plakataktion zugunsten der Bonner Kunsthalle.

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