WANKEL-MOTOR Wagen für Pioniere
Unter das Brummen bundesdeutscher Automobilmotoren soll sich im nächsten Jahr ein neuer Ton mischen. Tester der schweizerischen Fachzeitung »Automobil Revue« kennzeichneten ihn als »leises, regelmäßiges Schnarren« - wie wenn man »von einem Moped verfolgt würde«.
Geräuschspender war das antriebsmechanisch neueste Serien-Auto der
Welt: ein »Spider« genannter, zweisitziger Sportwagen der Neckarsulmer NSU Motorenwerke AG, das erste käufliche Automobil mit Wankel-Kreiskolbenmotor. Leistung: 50 PS; Höchstgeschwindigkeit: 152 Stundenkilometer; Preis: 8500 Mark.
»Die Nachfrage ist enorm«, erläuterte ein NSU-Sprecher die Reaktion potentieller Käufer. Das Angebot ist dagegen weniger reichlich. Die vor kurzem eröffnete und nur mühsam anlaufende Produktion (Grund laut NSU: »Verzögerungen bei den Zulieferanten") erreichte bisher einen Ausstoß von zwei bis drei Autos pro Tag. Ende vergangener Woche waren 85 Wankel-Autos fertig. NSU hofft, die Produktion Mitte Dezember auf täglich zehn Exemplare erhöhen zu können.
Da jedoch zunächst 1396 deutsche NSU-Händler mit Demonstrationswagen beliefert sein wollen, werden Käufer vermutlich erst im Laufe des nächsten Jahres den Wankel-Gashebel treten können. Und auch ihre Zahl wird gering bleiben: NSU will 1965 nur einige tausend, wenngleich zumindest 2500 Wankel-Wagen fertigen.
Der Kreis der Kreiskolben-Fahrer soll absichtlich vorerst klein gehalten werden. Motiviert NSU: »Wir wollen zunächst nur beweisen, daß der Wankel-Motor im Wagen funktioniert.« Nach Ansicht des Fachblattes »Auto, Motor und Sport« sind die ersten Wankel -Fahrer »zweifellos Leute, die der Firma nahestehen und bei Zwischenfällen schweigende Höflichkeit bewahren«.
Den Wankel-Fahrern präsentiert sich in der Tat ein automobilistisches Unikum, über das die Stuttgarter Automobilzeitschrift »mot« nach einer Testfahrt schrieb: »Niemand weiß, was sich an dem ersten käuflichen Wankel-Motor in der Praxis zeigen wird.«
Theoretisch bestehen schon seit langem keine Zweifel mehr an der Überlegenheit eines Rotationskolbentriebwerks gegenüber dem von Nikolaus August Otto begründeten Hubkolbenmotor mit seinen hin- und hergehenden Kolben und seiner komplizierten Mechanik, von den Pleuelstangen bis zu Nockenwellen und Ventilen. Hauptvorteile des Motors mit rotierendem Kolben: wesentlich geringeres Gewicht, einfachere Bauart, ruhigerer Lauf bei gleicher Leistung.
Unter zahllosen Erfindern und Bastlern gelang allein dem seit 1929 an dem Problem tüftelnden Ingenieur Felix Wankel, die Vorteile auch praktisch nutzbar zu machen. Als die Zweiräder aus der großen Konjunkturkurve getragen wurden, griff die Motorrad-Fabrik NSU Wankels Ideen auf und begann 1954 mit der weiteren Entwicklung.
Das Produkt der Allianz NSU-Wankel schnarrt jetzt im Heck des ersten käuflichen Automobils mit Kreiskolbenmotor. Sein Arbeitsprinzip: In einem wassergekühlten, etwa 8förmigen Gehäuse kreist ein quasi dreieckiger Rotationskolben in einer Art Taumelbewegung um die Mitte des Gehäuses, rotiert zugleich mit geringerer Geschwindigkeit um die eigene Achse und bildet so drei Kammern, deren Volumen sich in der für den Viertaktmotor erforderlichen Weise fortlaufend ändert.
Da der kreisende Krafterzeuger drei Kammern bildet, jedoch nur in einer Kammer (Volumen: 500 Kubikzentimeter) Kraftstoffgasgemisch verbrannt wird, blieb die Besteuerungsgrundlage für den Wankel-Motor bisher ungeklärt. In Baden-Württemberg beispielsweise muß er wie ein Ein-Liter-Hubkolben-Motor versteuert werden; in anderen Bundesländern darf er vorerst steuerfrei rotieren. Seine Besitzer müssen jedoch mit Nachzahlungen rechnen, sobald eine endgültige Regelung getroffen ist.
Die NSU-Leute, nach der abflauenden Motorrad-Konjunktur zum Bau von Kleinautomobilen übergegangen, verzichteten darauf, für den neuen Motor auch ein speziell auf ihn zugeschnittenes Auto zu bauen. Sie begnügten sich mit einer von dem Turiner Karosserie-Maßschneider Bertone vor drei Jahren für das luftgekühlte NSU-Modell »Sport-Prinz« entworfenen Karosserie, die sie für die Aufnahme des wassergekühlten Wankel-Motors umgestalteten.
So kam es, daß NSU seinen Käufern ein Automobil mit einem originellen Flüssigkeits-Haushalt beschert: Der NSU-Wankel-Spider ist das einzige Automobil der Welt, bei dem der Motor hinten liegt und vorn Benzin eingefüllt wird, und der Kühler vorn liegt und hinten Wasser eingefüllt wird: Der Motor benötigt höheren Aufwand zur Kühlung, da seine Brennkammei nicht - wie beim Hubkolbenmotor - von frischen Gasen gleichsam zwischengekühlt wird. Während etwa ein 75-PS-Ford sich für Kühlung und Heizung mit sieben Liter Wasser begnügt, verlangt der 50-PS-Wankel-Wagen 11,5 Liter. Das ist eine auffallend große Menge, auch wenn man die unvermeidliche Wasserleitung vom Heckmotor zum Frontkühler berücksichtigt.
Dabei scheinen 11,5 Liter Kühlwasser den NSU-Leuten noch keine Garantie für ausreichende Kühlung zu sein. Autotester Clauspeter Becker in der »Automobil Illustrierten« über eine Tages -Ausfahrt im Wankel-Testwagen: »Man schickte mich mit einem Wasserkanister und dem Rat, den Wasserstand zu kontrollieren, auf die Reise.«
Über die Fahrleistungen des Wankel -Wagens äußerten sich die Tester, die alle denselben (einzigen) Testwagen des Werks kurze Zeit fahren konnten, einhellig anerkennend und lobend. Der Zweisitzer kann es offenbar ohne weiteres aufnehmen mit nach Preis und Leistung vergleichbaren britischen Sportwagen wie Triumph Spitfire, MG Midget und Austin Healy Sprite. Die Kritiker bemängelten im wesentlichen, daß der Wankelmotor bei niedrigen Drehzahlen (unter 2500 Umdrehungen pro Minute) im Gegensatz zum Hubkolbenmotor nur wenig Leistung abgibt.
Mit Skepsis betrachtet die Fachwelt dagegen Verschleißfestigkeit und mutmaßliche Lebensdauer des Wankel-Motors. Auf diesem Gebiet ist der Hubkolbenmotor ihm noch weit voraus.
Der Wankel-Motor läßt sich ohne Schwierigkeiten auf 8000 Umdrehungen pro Minute jagen. Bei dieser Drehzahl würde er - höhere Leistungen abgebend - ausgesprochen sinnvoll erscheinen und zu einer echten Leistungskonzentration auf kleinem Raum führen.
Doch das Risiko ist offenbar zu hoch, denn die NSU-Techniker beschränkten die Drehzahl auf 6000 Touren (der Drehzahlmesser endet bei diesem Wert).
»Der Grund für die Drehzahlbegrenzung«, schrieb »Auto, Motor und Sport«, »ist vermutlich die Haltbarkeit der vieldiskutierten Dichtleisten.« Aufgabe dieser Leisten ist es, die einzelnen Kammern vollkommen gegeneinander abzudichten. Dabei gilt es, waschbrettartige Verschleißerscheinungen - sogenannte Rattermarken - zu verhindern. Der Verschleiß tritt an den Stellen auf, wo das kreisende Kolbendreieck über die Gehäusewand gleitet, und ist nach Ansicht von Fachleuten offenbar systembedingt.
Hersteller von Rotationskolbenpumpen haben sich seit langem abgefunden
mit derartigen Rattermarken, die durch
eine Art Rubbel-Effekt entstehen - wie wenn man mit einem schräg geneigten Radiergummi über eine glatte Fläche fährt. An Pumpen, etwa für Hochdrucköl bei Baumaschinen, geben sie zu Störungen auch keinen Anlaß, wohl aber an arbeitsabgebenden Maschinen. Die Dichtleisten können ins Hoppeln geraten, bis sie sich aufschaukeln und brechen. Die Folge: Kreislaufkollaps.
NSU glaubt zwar das bislang bestgeeignete Dicht-Material gefunden zu haben und versah seinen ersten Wankel-Automobilmotor mit Dichtleisten aus Hartkohle. Doch selbst die NSU-Leute können nicht sagen, ob die Hartkohle die ständige Hochbeanspruchung verträgt, wenn technisch unbedarfte Durchschnittsfahrer den Wankelkolben traktieren.
»Unsere Kunden«, so verkündete allerdings ein NSU-Sprecher, »sollen keine Versuchskaninchen sein, sondern eher so etwas wie Pioniere.« Um den Pioniergeist zu ermuntern, »werden wir entsprechend großzügig verfahren, falls was passiert«.
Das Werk hat bereits rund 200 Monteure auswärtiger NSU-Reparaturbetriebe in Kundendienstkursen mit dem rotierenden Neuling vertraut gemacht. Spezialwerkzeug und Reparaturanleitungen wurden verschickt. Die Werkstätten wurden jedoch angewiesen, die Eingeweide weidwunder Wankel-Triebwerke nicht anzutasten, sondern die Motoren ungeöffnet ans Werk zu schikken. Es ist vorgesehen, daß die Händler stets einen Vorrat an Ersatzmotoren parat haben, damit der Kunde nach Einbau eines Austauschmotors (Dauer: dreieinhalb Stunden) ohne größeren Zeitverlust wieder auf die Reise gehen kann.
Erster Wankel-Besitzer sollte Felix Wankel, 62, selber werden. Aber der knurrige Grübler lehnte ab, zu der vom Fernsehen aufgenommenen Produktionseröffnung nach Neckarsulm zu fahren, »weil ich mir aus solchem Affentheater noch nie etwas gemacht habe«.
Der Erfinder über den ersten Wagen mit dem Motor, der sein Lebenswerk ist: »Als kleinen Wagen von einer Kleinwagenfirma finde ich ihn ganz nett - aber ich hätte es lieber gesehen, wenn der Motor zuerst in einen größeren Wagen eingebaut worden wäre.« Doch räumt auch Wankel ein: »Eine Großserie ist erst dann fällig, wenn der Motor die letzte Reife erfahren hat.«
Der Weg zum Endsieg über Rattermarken und Leistenbruch scheint noch weit zu sein. Zwar ist NSU schon mit einem größeren Wankel-Wagen ("für die gehobene Mittelklasse mit der Leistung des BMW 1800") beschäftigt. Zwar vereinbarten die französische Firma Citroen und NSU die Entwicklung eines Gemeinschaftsautos, für das NSU den Motor und Citroen die Karosse beisteuern soll. Und einige der zahlreichen Lizenznehmer für Wankel-Motor-Entwicklungen haben bereits zwei und drei Wankel-Gehäuse mit günstigen Laufresultaten zu sogenannten Mehrscheibenmotoren gruppiert.
Doch für die prominenteste Lizenznehmerin, die mit Wankel-Arbeit intensiv beschäftigte Daimler-Benz AG, erklärte Chefkonstrukteur Professor Nallinger, weder 1965 noch 1967 werde auf der Frankfurter Automobilausstellung ein Mercedes-Benz mit Kreiskolbenmotor zu sehen sein.
Und selbst NSU macht vorbeugend langfristige Propaganda für seine herkömmlichen Hubkolben-Autos: »Der Prinz 4 von NSU ... wird selbstverständlich 1965, 1966 weitergebaut.«
Erfinder Wankel
NSU stellt Ersatzmotoren bereit
Wankelwagen-Premiere in Neckarsulm: Mit elf Liter Wasser ins Ungewisse