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WAGEN UND WERK

aus DER SPIEGEL 43/1969

Vor zwei Jahren begann bei den NSU Motorenwerken in Neckarsulm die Produktion eines außen wie innen außergewöhnlichen Automobils. Seine Stromform-Karosse stammte nicht aus dem Styling-Studio, sondern war von Technikern im Windkanal ermittelt worden. Angetrieben wurde er von einem Wankelmotor mit rotierenden Kolben.

Es war der NSU Ro 80, erste Limousine der Welt mit dem neuartigen Rotationskolbenmotor, dessen Betriebsgeräusche an das Summen einer Turbine erinnerten. Deutschlands mutigste Automobilfirma hatte ihr Meisterstück auf die Räder gehoben. »Es wird für die Konkurrenz schwer sein«, schrieb »Auto, Motor und Sport« nach einem ausgedehnten Test des Ro 80, »einem so modernen, zukunftssicheren Auto etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen.«

Das gelobte Auto der Zukunft entstammte einer Firma, die ihre Zukunft jahrzehntelang in der Fabrikation von Motorrädern erblickt hatte. Um die Jahrhundertwende bereits bauten die schwäbischen Fabrikanten, deren Unternehmen auf eine Gründung von 1873 zurückging, die ersten »Fahrräder mit Motor«. Das Markenzeichen NSU, entlehnt vom Ortsnamen Neckarsulm, wurde weltbekannt durch zahllose Rennsiege und durch riesige Bauserien preisgünstiger Motorräder. 1955 baute NSU mehr motorisierte Zweiradfahrzeuge (342 582) als jede andere Fahrzeugfabrik der Welt. 1956 stellte die Firma in den USA Dutzende von Geschwindigkeit-Weltrekorden auf.

Die Zweirad-Flaute, die sich damals in der autolüsternen Bundesrepublik einstellte, trieb die NSU Motorenwerke zum zweitenmal ins Vierrad-Geschäft, das die Firma schon von 1906 bis 1929 betrieben hatte. NSU präsentierte 1957 den 600-ccm-Kleinwagen »Prinz«. Mit der Entwicklung weiterer Modelle bis herauf zur 1,2-Liter-Klasse gelang es der Firma, sich als Automobilfabrik fest zu etablieren. Schon vorher hatte sich NSU auf ein Unterfangen eingelassen, das anderen Firmen zu riskant schien: NSU-Techniker entwickelten die Erfindung des Ingenieurs Felix Wankel, den Rotationskolbenmotor. Das heranreifende neue Triebwerk schien eine Revolution des Automobilbaus anzukündigen, schürte an den Börsen das Spekulationsfieber und führte der kleinen Firma mit den pfiffigen Technikern schließlich angesehene Lizenznehmer zu, darunter Daimler-Benz, Porsche, Rolls-Royce und die US-Flugmotorenfirma Curtiss-Wright. Als erstes Wankel-Auto der Welt brachte NSU 1963 in kleiner Serie einen sportlichen Spider auf den Markt.

Mit dem herrschaftlich und zugleich sportlich wirkenden Ro 80 erschlossen sich die Neckarsulmer einen völlig neuen Kundenkreis: 88,8 Prozent der Ro 80-Käufer, so ergab die SPIEGEL-Umfrage, erwarben mit der 14 000-Mark-Limousine erstmals ein NSU-Modell. Bis Ende letzter Woche wurden 14 731 Ro 80 produziert.

Gleichwohl blieb NSU »ein Unternehmen, das Reichtum nur vom Hörensagen kennt«, wie die Händler-Zeitschrift »Autohaus« formulierte. Den Neckarsulmern war klar, daß sie ohne Anlehnung an einen finanzstarken Partner auf die Dauer nicht würden erfolgreich operieren können. NSU-Chef Gerd Stieler von Heydekampf: »Wir haben das Gesetz der großen Zahl gegen uns.« Die NSU-Aktionäre nahmen daher im April dieses Jahres ein Übernahme-Angebot des VW-Werks an. NSU wurde mit der VW-Tochter Auto Union zu einer neuen Tochterfirma unter dem Namen »Audi NSU Auto Union AG« (Sitz: Neckarsulm) vereinigt. Im vergangenen Jahr baute NSU 127 635 Autos (Umsatz: 566 Millionen Mark). 11 310 NSU-Werker produzieren gegenwärtig 600 Wagen pro Tag, davon 50 NSU Ro 80.

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Technische Daten des NSU Ro 80: wassergekühlter Zweischeiben-Kreiskolbenmotor; Kammervolumen: 2mal 497,5 ccm; Leistung: 115 PS bei 5500 U/min; Wähl-Automatik mit drei vollsynchronisierten Gängen und Parksperre, elektrisch-pneumatisch betätigte Einscheiben-Trockenkupplung mit vorgeschaltetem, hydraulischem Drehmomentwandler; Vorderradantrieb; Lange: 4,78 Meter; Breite: 1,76 Meter; Höhe: 1,41 Meter; Leergewicht: 1280 Kilogramm; zulässiges Gesamtgewicht: 1730 Kilogramm; Höchstgeschwindigkeit: 180 km/h; Beschleunigung von null auf 100 km/h: 12,8 Sekunden; Kraftstoffverbrauch: 15,43 Liter Normalbenzin auf 100 Kilometer. Preis: viertürige Limousine: 14319 Mark; Schiebedach: 555 Mark; Kraftfahrzeugsteuer: 203,80 Mark (nach Gewicht berechnet), Haftpflichtversicherung: 739,80 Mark pro Jahr.

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