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SPD Wahl und Qual

aus DER SPIEGEL 41/1964

Hans Susemihl, 76. SPD-Oberbürger-Umeister der Nordsee-Hafenstadt Emden, suchte bei einem CDU-Anwalt hat und bei einer CDU-nahen Tageszeitung Hilfe - gegen die eigene Partei.

Emdens SPD hatte beschlossen, daß der Veteran bei den Kommunalwahlen des vorletzten Wochenendes nicht wieder kandidieren solle.

Und um zu verhindern, daß der verärgerte OB unmittelbar vor der Wahl in der CDU-freundlichen »Ostfriesen-Zeitung« ("OZ") über die Hintergründe des Parteibeschlusses plaudere, bedienten sich die Sozialdemokraten einer unter Genossen ungewöhnlichen Radikalkur: Sie ließen ein von Susemihl der Zeitung gewährtes Interview durch Einstweilige Verfügung vorbeugend verbieten.

»OZ«-Chefredakteur Helmut Schubert: »Der wohl tollste Fall von Vorzensur, der in der Pressegeschichte der Nachkriegszeit vorgekommen ist.«

Am Donnerstag vor der Wahl hatte Susemihl einen »OZ«-Reporter empfangen, um seine politischen Qualen zu schildern. Schon bald darauf meldete sich der Rechtsanwalt Heinz Kribbe im Auftrag des SPD-Kreisvereins telephonisch bei Chefredakteur Schubert. Das Interview dürfe auf keinen Fall erscheinen, der Inhalt sei falsch. Schubert: »Haben Sie es überhaupt gelesen?« Kribbe: »Ich kann mir schon denken, was darin steht.«

Und Kreisvereins-Vorsitzender Hermann Schierig, Mitunterzeichner des Antrags auf Einstweilige Verfügung, erläuterte später dem SPIEGEL: »Ich kannte die Erklärung Susemihls nicht, nur unser Anwalt.« Und: »Wir hörten, der Artikel sei fürchterlich. Und wir hatten alles Interesse, möglichst reibungslos über die Wahl zu kommen.«

Was tatsächlich in dem nichtgedruckten Interview stand, war Susemihls Erklärung dafür, warum er nicht mehr für die SPD kandidiere: Er habe dem Kreisvereins-Vorsitzenden Schierig auf dessen Frage, »ob ich kandidieren wolle, ohne einen Anspruch auf den Stuhl des Oberbürgermeisters zu stellen«, mit »Nein« geantwortet - »und darum ging es wohl«.

Darum ging es wirklich: In ihrem Antrag an das Gericht versicherten die Parteifreunde Schierig und Genossen aus dem Kreisvereins-Vorstand, Susemihls Auskunft an die »OZ« sei falsch und geeignet, »während des Wahlkampfes das Ansehen der SPD herabzusetzen": »Der Oberbürgermeister war nicht bereit, für den neuen Rat zu kandidieren.«

Prompt erließ das Amtsgericht eine Einstweilige Verfügung. Sie wurde noch am Donnerstag gegen 19.30 Uhr auf den Tisch von »OZ«-Chef Schubert expediert: Bei »Geldstrafe oder Haft bis zu drei Monaten« war es dem Blatt nun verboten, das Interview zu drucken.

Damit war der alte Kämpfer Susemihl - er trägt das Parteibuch 56 Jahre lang in der Tasche, übt seit 14 Jahren das Ehrenamt eines Oberbürgermeisters aus und äußerte laut Schierig schon vor acht Jahren, er werde »keine volle Legislaturperiode mehr mitmachen« - bis zur Wahl mundtot gemacht.

Da vertraute sich Susemihl dem Emdener Anwalt Dr. Heinrich Hagen an, der für die CDU kandidierte, und erhob - zusammen mit »OZ«-Schubert - Widerspruch gegen die Einstweilige Verfügung. Zugleich wandte sich »OZ«-Verleger Dr. Fritz Blume beschwerdeführend an den niedersächsischen Justizminister von Nottbeck und den Deutschen Presserat. Blume an Nottbeck: »Eine politische Unmöglichkeit«.

Am Montag nach der Wahl aber

- die SPD bekam in Emden 12 661 Stimmen, 863 weniger als 1961 - hatte Schierigs Kreisverein jedes Interesse am Fall Susemihl verloren: Schierig verzichtete auf die Rechte aus der Einstweiligen Verfügung.

»Damit ist die Möglichkeit, den wahren Sachverhalt gerichtlich klarzustellen, nicht mehr gegeben«, bedauerte der wiedergewählte CDU-Stadtrat und Susemihl-Anwalt Dr. Hagen.

Schierig fand das in Ordnung: »Sollen die sich doch einen anderen Fall suchen, wenn sie für die Pressefreiheit fechten wollen.«

Emdener OB Susemihl

Von den Genossen verlassen

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