Wahlhilfe vom Psychologen
Korbinian mit dem Vollbart hat Stadtteil Nymphenburg erprobten am Dienstag letzter Woche 15 Parteigänger der »Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher (AUD)« -- Wahlkennwort: »Die Grünen« -, was sie zuvor in einem Schnellkurs bei dem Münchner Psychologen Georg Sieber gelernt hatten.
Die Erfolgsquote entsprach in etwa den Voraussagen des Experten: Von den Wohnungsinhabern, die jeweils von zwei »Herolden« angesprochen wurden, wollte nur etwa jeder zehnte auch noch den im Fünf-Minuten-Abstand folgenden Kandidaten der Grünen sehen.
Doch mehr als die manierliche Kleiderordnung, die sparsame Formel und die negativen Schlüsselergebnisse quälte die diskussionserprobte Schar der totale Entzug jeglicher Ideologie. den der Psychologe für ratsam hielt.
»Wenn Sie so weitermachen«, schmollte eine gesetzte Dame namens Dorothea, »bringen Sie uns noch ganz vom Umweltschutz ab.« Der Psychologe aber blieb hart: »Sie müssen wissen, ob Sie eine Volkshochschule oder eine Partei gründen wollen.« Jedenfalls sei es nicht wirksam, »nachmittags um 14 Uhr bei strahlendem Wetter über den nahen Untergang des Planeten zu reden«.
Die Rezeptur des Münchner Psychologen wurde schon von einigen SPD- und CSU-Kandidaten in München mit Erfolg ausprobiert, und auch einzelne außerbayrische Gliederungen der Sozialdemokraten zeigen Interesse.
Für kleine, an Geld wie an Mitgliedern arme Organisationen ist der lange Marsch durch die Wohnblocks ohnehin der einzige Weg nach oben. Wollte man den Effekt von nur hundert Kontakten an der Wohnungstür mit anderen Methoden erzielen, so rechnete Sieber vor, dann müßten mindestens 25 000 Mark aufgewendet werden.
Das Wählerpotential für politische Neulinge wie die Grünen und Bunten sieht Sieber bei den »Angstkonservativen«, die nicht von einem utopischen Zielstreben. sondern von Vermeidungsbedürfnissen geprägt seien: Ihnen müßten Feindbilder geliefert werden, die »nah, konkret und saftig« seien.
Doch gerade daran scheint es in Bayern zu hapern. Der Freistaat hat als erstes Bundesland ein Spezialministerium für Umweltprobleme eingerichtet, die Kernkraftprojekte halten sich noch in Grenzen, eine lärmende Versuchsschwebebahn wurde unlängst von der Donau ins Emsland verlegt, und auch der gefährliche Atommüll bleibt vorerst draußen. »So eklatante Dinge wie in Gorleben fehlen hier«, stöhnt AUD-Generalsekretär Max Winkler, »die CSU hat leider viel getan.«
Deshalb kann Winkler, gelernter Physiker und einst Referent beim Bund Naturschutz, seiner Spitzenposition unter den Grünen in Bayern nicht allzu froh werden: Die Grünen sind gewissermaßen weißblau umzingelt.
Zwar hat Herbert Gruhl inzwischen auch in Bayern seine »Grüne Aktion Zukunft« (GAZ) etabliert, doch der bayrische Vorsitzende, der Rechtsanwalt Helmbrecht von Mengershausen, will erst in dieser Woche auf Vorstandssitzungen und Mitgliederversammlungen klären, ob eine Beteiligung an den bevorstehenden Landtagswahlen noch möglich ist. Und die übrigen Mini-Gruppen« die sich »nur mal schnell grün angestrichen haben und oft nur aus sich und verschiedenen Briefköpfen bestehen« (Winkler), wagen oder schaffen den Anschluß ohnehin nicht.
Für den »Wahlkongreß der Basis- und Bürgerinitiativen in Bayern«, von Bunten, Spontis und fränkischen Separatisten besucht, ist die Nichtbeteiligung an den Wahlen im Oktober schon beschlossene Sache. Die »Grüne Liste Bayern«, auf der sich versprengte Gebietsreformgegner wie rechte Anhänger einer Vierten Partei eingetragen haben, wie die neue »Grüne Liste Umweltschutz« (GLU) haben offenbar ihr politisches Profil noch nicht gefunden.
GLU-Chef Gerhard Orth, bisher auf die oberen Flußläufe von Isar und Loisach spezialisiert, ist erklärtermaßen »bereit, so ungefähr alles, was kreucht und fleucht, auf unsere Fahne einzuschwören«, und schreckt auch vor rechten Außenseitern wie dem Bad Wörishofener Ludwig Stenuf nicht zurück, der in seinem »biopolitischen Mahnkreis« sogar rassistischen Anwandlungen erliegt, etwa wenn er die »Austilgung unserer hochentwickelten biologischen Leistungskraft durch Rassengemisch« verdammt.
Wer in Bayern Grün wählen möchte, dem bleibt deshalb vorerst nur die AUD. vor dreizehn Jahren von dem Nachkriegs-CSU-Vize August Haußleiter mitbegründet und ohne erkennbaren Erfolg durch die Jahre geschleppt. Die 1200 bayrischen Mitglieder der AUD« die sich als »erste Umweltschutzpartei Deutschlands« versteht, haben bereits in rund der
Hälfte der 105 bayrischen Wahlkreise Kandidaten aufgestellt. Winkler: »Das schafft sonst keiner mehr.«
Seinen Vorsprung empfindet Winkler freilich längst auch als eine »zweischneidige Sache«. Denn mit seinem Wahl-Fang sucht er die »kritische Intelligenz, den gehobenen Mittelstand. links jedenfalls von der CSU«, und kommt damit allenfalls den bayrischen Liberalen ins Gehege, die bei der letzten Landtagswahl 1974 mit nur noch 5,2 ganz knapp über der Fünf-Prozent-Grenze lagen (Bundestagswahl 1976 allerdings 6,2 Prozent).
Deshalb ließ sich AUD-Winkler kurz vor Torschluß -- am 11. September abends um 18 Uhr müssen die Wahllisten abgeliefert sein -- ein spezielles »Modell Bayern« einfallen: ein Wahlbündnis mit den Liberalen. Gespräche seien im Gang, und »die Würfel fallen dieser Tage«.
Die Würfel sind schon gefallen, und der FDP-Umweltexperte Wolf-Dietrich Großer ("Sicher gibt es Kontakte zur AUD« weil viele von uns Herrn Winkler kennen") sagt auch, warum: Die Liste der Kandidaten ist abgeschlossen -- die Absetzung von Kandidaten sei ebenso kompliziert wie deren Aufstellung. Für Bündnisse sei es jetzt zu spät. Jede Stimme für die Grünen bringe »die CSU ihrem Ziel näher, eine verfassungsändernde Mehrheit zu erhalten«.
AUD-Winkler läßt solche Schelte kalt: »Die grüne Welle rollt, das ist gar keine Frage.« Der Psychologe Sieber hat ihn und seine Parteifreunde vorsorglich auch gegen Aggressionen stabilisiert. Korbinian, der Bärtige, wendet das gelernte Prinzip »L.I.M.O.« mittlerweile sogar schon im Privatleben, etwa bei Autounfällen, mit Erfolg an: »Loben, Interesse zeigen, Mängel zugeben, offen zurückfragen.«