PARIS Wahnsinn bei Sonne
Als sie noch muntere Prinzen waren, planschten die späteren Monarchen Karl X. (1824 bis 1830) und der »Bürger-König« Louis Philippe (1830 bis 1848) regelmäßig im Pariser Seine-Schwimmbad des »Sieur Deligny«. In dem Fluß gab es noch keine Chemie, dafür überreich Fische, welche die Schwimmer belästigten.
Dem Vorbild der Bade-Prinzen folgten Generationen des feinen und halbseidenen »Tout-Paris": Geldadel und Künstler, Snobs, Politiker und Mannequins, vor allem aber die Scharen der noch heute als »dragueurs« bekannten Sex-Abenteurer jeglicher Geschmacksrichtung stiegen bei Deligny ins Wasser.
Bis heute blieb die »piscine Deligny«, zwischen 1801 und 1803 als Schwimmschule erbaut, ein Unikum: ein auf der Seine schwimmendes Schwimmbad von 120 Metern Länge, Frankreichs berühmteste Badeanstalt.
Doch nun droht dem mitten in Paris zwischen dem Palais Bourbon und dem neuen Musee d'Orsay verankerten Ponton-Becken das Ende: Geplagt von jährlichen Defiziten, zermürbt von vergeblichen Subventionsbitten an die Stadt Paris, will Deligny-Besitzer Albert Richard, 76, aufgeben.
Richards Vater Maurice hatte das Bad 1919 gekauft. Richard heute: »Ich will für drei Millionen Franc verkaufen. Interessenten gibt es, aber die wollen kein Schwimmbad mehr betreiben.« Die ruhmreiche Anstalt könnte als Restaurant oder Wohnboot enden - oder gar abgewrackt werden.
Es wäre das Ende einer glanzvollen gesellschaftlichen Badetradition an und in der Seine. Bis in die 30er Jahre schwammen noch 26 Badeschiffe und -pontons im Pariser Stadtgebiet.
Die Verschmutzung der Seine, in der die letzten Fische nach Sauerstoff schnappen, der Bau städtischer Hallenbäder sowie der sommerliche Pariser Exodus an die Strände von Atlantik und Mittelmeer haben einer Badeanstalt nach der anderen den Garaus gemacht. Das Deligny unter den Fenstern des Palais Beauharnais, der Residenz des Bonner Botschafters, ist das letzte dieser Gattung.
Daß Albert Richard sein Etablissement überhaupt so lange halten konnte, verdankt er trotz ständiger Defizite im Schwimmbetrieb (1986: 170000 Franc) nur der eigenen Findigkeit.
Rechtzeitig ersetzte er die braune Seine-Brühe im 50-Meter-Becken durch Leitungswasser, das aus einem dicken Rohr ins Becken sprudelt. Außerhalb der Badesaison vermietet er sein Etablissement (mit Überdachung) an Antiquitätenmessen sowie für Bälle und Empfänge. Er hat schon Forellen für Wettangler ins Becken gesetzt und dem Bad eine Motorbootschule angegliedert.
Hilfreich war auch der Ruf, daß auf den dunkelroten Planken des Deligny traditionell die angeblich schönsten Busen und knackigsten Hintern von Paris dargeboten werden.
Bis zu 3500 Menschen quetschen sich an heißen Tagen auf dem 3000 Quadratmeter großen Sonnendeck am Beckenrand und der darüberliegenden Galerie. Eben diese Hautnähe, nicht das Schwimmen, ist gefragt.
Noch immer bietet das Deligny aber auch etwas von der Pracht der alten Seine-Bäder, der Tradition des Zweiten Kaiserreiches und der Belle Epoque: 500 Kabinen - die Initialen des Benutzers schreibt der Wärter mit Kreide an den Türrahmen -, Treppchen, Gitterchen Galerien, Restaurant und Bar, alles in Lindgrün, Gelb und Dunkelrot.
Nicht mehr vorhanden ist der maurische Dekor a la Alhambra: Teppiche, Diwane, Kioske, venezianisches Glas. »Schwimmbad oder Moschee - man wußte es nicht mehr«, hatte die Zeitung »Paris-Presse« geschwärmt, als 1953 ein Großfeuer das Bad beschädigte.
1899 fanden im Deligny die ersten französischen Schwimmeisterschaften statt. Berühmte Gäste sorgten später dafür, daß es »in« blieb. Rainier von Monaco, die Woolworth-Erbin Barbara Hutton, Ministerpräsident Paul Reynaud, der Sänger Maurice Chevalier, die Mannequins von Christian Dior und das sonnenbadende Paar Jean Cocteau/Jean Marais - sie alle ließen sich dort bewundern.
Ein erster Versuch, im Deligny den Oben-ohne-Bikini einzuführen, wurde durch Erlaß des Präfekten 1972 noch abgewehrt. Doch schon ein Jahr später duldete man die Barbusigen in einer Ecke, bald beherrschten sie das Deligny.
Vergeblich warnte in der Nationalversammlung der Abgeordnete Emmanuel Hamel vor dem »Attentat auf die Würde des (benachbarten) Parlaments und auf die moralische und ethische Reputation der französischen Frau«.
Nicht nur deshalb ist Deligny-Besitzer Albert Richard schlecht auf die Obrigkeit zu sprechen. Seine seit Jahren erhobene Forderung nach Beihilfen ("Die Stadt subventioniert doch alle Hallenbäder") fand nur schwache Resonanz.
Bürgermeister Jacques Chirac läßt zwar jährlich für 120000 Franc Eintrittskarten kaufen, die an Beamte und Schulen verteilt werden. Aber damit kann das Bad seine Defizite nicht decken.
Das Verteidigungsministerium stellt kostenlos zwei Soldaten mit Rettungsdiplomen als Becken-Aufseher. Aber es läßt sich dafür teuer bezahlen. Richard: »Ich muß als Gegenleistung allen Pariser Militärs freien Eintritt gewähren - ein Wahnsinn bei Sonnenwetter.«