Atomtransporte Wahnsinn und Wucher
Der hessische Wissenschaftsminister Wolfgang Gerhardt hatte vor genau drei Jahren eine Eingebung. Alle Spitzenmananager der Atomindustrie, forderte der FDP-Landesvorsitzende auf dem Höhepunkt des Hanauer Transnuklear-Skandals um Atommüllschiebereien und Schmiergeldzahlungen, müßten »alle drei Jahre abgelöst werden«. Der Zwang zur Rotation sollte die notwendige Sensibilität in der Nuklearbranche sichern: »Das ist ja schließlich keine Kartonfabrik.«
Gerhardts seherische Warnung war in den Wind gesprochen. Als ob nichts gewesen wäre, versuchen Firmen wie eh und je vor allem das große Geld zu machen - das Staatsunternehmen Deutsche Bundesbahn eingeschlossen.
Am Freitag vorletzter Woche gab es, erstmals nach Auflösung der Skandalfirma Transnuklear (TN), wieder Ärger um die seriöse Abwicklung von Atomtransporten, für die inzwischen die Bahn zuständig ist.
Die Eisenbahner waren nach Essen gereist, um bei der Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS), ihrerseits TN-Nachfolger für die Behandlung radioaktiver Abfälle, über Frachtpreise zu verhandeln. Die Konferenz endete, so ein Teilnehmer, in »völligem Dissens«.
Mit hochroten Köpfen mußten sich die Bahnvertreter anhören, ihre Preise seien »Wahnsinn« und »Wucher«. Die Berechnungen der GNS, wonach der Monopolbetrieb Bahn innerhalb eines Jahres die Sätze »um bis zu 350 Prozent« hochgetrieben hat, konnten die Bahn-Manager nicht entkräften. GNS-Manager Dieter Rittscher: »Wir lassen uns doch nicht ausnehmen wie eine Weihnachtsgans.«
Ob der Strafprozeß um die TN-Affäre, der am Mittwoch im hessischen Hanau beginnt, die Branche beeindrucken kann, scheint zweifelhaft.
Die Randdaten des Verfahrens stehen fest: In den Jahren 1982 bis 1987 hatten TN-Angestellte mittels Scheinrechnungen und aufgeblähten Forderungen einen Betrag zwischen 15 und 21 Millionen Mark beiseite geschafft, teils mit Wissen der Geschäftsführung und von Managern der damaligen Mutterfirma Nukem.
Knapp 5 Millionen Mark, so die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, flossen in die deutsche Atomindustrie zurück. Mitarbeiter fast aller Kernkraftwerke und Stromversorger erhielten Bares oder Geschenke, von der Querflöte bis zum Webstuhl, genossen auf TN-Kosten feine Menüs in Edelrestaurants oder andere Vergnügungen in Luxusbordellen - die höchste bekannte Rechnung, ausgestellt vom einschlägigen »Clubhotel Messel«, beläuft sich auf 14 010 Mark.
Für die Staatsanwaltschaft in Hanau sind die schwarzen Kassen, aus denen derlei Rechnungen bezahlt wurden, Beweis für Untreue gegenüber der Firma Transnuklear, zumal in etlichen Fällen belegbar ist, daß TN-Angestellte auch in die eigenen Taschen gewirtschaftet haben. Beim Angeklagten Wilhelm Bretag etwa, bei TN für die Behandlung radioaktiver Abfälle zuständig, entdeckten die Fahnder auf einem Schweizer Konto 700 000 Franken.
Anderes blieb bis heute ungeklärt. Daß die Firma »Ingenieurbüro Martin Kastinger« in Zürich, deren Leistungen stets »per Scheck bezahlt« wurden, eine Erfindung für die schwarze Kasse war - die Adresse Rousseaustraße 51 entpuppte sich als Schulhof -, fanden die TN-Revisoren noch selber heraus. Aber wer sich hinter dem Pseudonym »Kastinger jun.« verbirgt, nach der schwarzen Buchführung ein rühriger Bordellgänger auf TN-Kosten, ist auch den Staatsanwälten unbekannt.
In der »Schmiergeldgeschichte«, wie der Leitende Oberstaatsanwalt Albert Farwick die 539 Seiten lange Teilanklage wegen Untreue nennt, stehen nur noch ein Geschäftsführer und drei leitende Angestellte von Transnuklear vor Gericht. »Auf Vorschlag der Strafkammer«, so Farwick, sei gegen fünf der neun Beschuldigten das Verfahren gegen Geldbußen von bis zu 40 000 Mark eingestellt worden.
Auch die Mitwisser aus der Mutterfirma Nukem, darunter Geschenk- und Schmiergeldbeschaffer, bleiben außen vor. Selbst der frühere Nukem-Chef Manfred Stephany ist nur als Zeuge geladen, obwohl ihn Mitarbeiter schon 1983 »über die Unregelmäßigkeiten« informiert hatten.
Ähnlich verhält es sich bei der zweiten Teilanklage, der »Fässergeschichte« (Farwick). Da müssen sich die TN-Angeklagten wegen Betrugs verantworten, weil sie von den deutschen Kernkraftwerken hohe Beträge für die ordnungsgemäße Entsorgung und Behandlung von schwach- und mittelaktiven Kraftwerksabfällen kassiert, diese Arbeit aber nicht geleistet haben.
Das belgische Kernforschungszentrum Mol, wohin Transnuklear die Abfallfässer zu Höchstpreisen transportiert hatte, war zur Verbrennung und Reduzierung der deutschen Strahlstoffe überhaupt nicht ausgerüstet. Als angeblich behandelte Abfälle erhielten die deutschen Reaktoren belgischen Kraftwerksmüll zurückgeliefert, oftmals noch künstlich bestrahlt, damit die Dosis stimmte.
»Die Umgehung sämtlicher Sicherheitsvorschriften«, empörte sich die belgische Regierung, sei »mit Schmiergeld erkauft« worden. Die Verantwortlichen in Mol sind längst verurteilt. Doch die Bundesrepublik mußte sich bereit erklären, die Belgier von annähernd 2000 Tonnen deutschen Atommülls zu befreien, der, immer noch unbehandelt, die Lagerplätze in Mol überquellen läßt.
In gleichem Umfang, wie sich Transnuklear seinerzeit den Hintransport der Abfälle nach Mol vergolden ließ, will drei Jahre später offenbar auch die Bundesbahn für die Rückholung kassieren. Das Staatsunternehmen war von Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) zum alleinigen Nachfolger der TN-Transporteure bestimmt worden. Er stufte die Bahn als »besonders zuverlässig« ein.
Die Preise der Bahn hatte er dabei kaum im Sinn. Wie bei anderen Atomtransporten im vergangenen Jahr ließ die Bundesbahn im Januar auch die Frachtkosten für die politisch heiklen Ladungen aus Mol explodieren. Für den Transport von hochaktivem deutschen »Verdampferkonzentrat« in Tankbehältern von Mol zum Kernforschungszentrum Karlsruhe verlangte sie plötzlich 27 200 Mark je Container. In den Vorbesprechungen hatten die Eisenbahner, Gewinnspanne inklusive, noch Beträge zwischen 6200 und 9000 Mark genannt.
Der Preissprung ist Insidern auch deshalb »unerklärlich«, weil die »Zentralstelle Absatz« der Bundesbahn in Mainz neuerdings für die Strecke zwischen Mol und Aachen den - angeblich billigeren - Straßentransport angeboten hat, den Töpfer eigentlich nicht wollte.
Die Erklärung für Preisexplosion wie Straßentransport ist jedoch simpel: Das Staatsunternehmen übernahm vor drei Jahren eine teure Atomfirma mit Lkw-Fuhrpark und Personal - die Nuclear Cargo und Service GmbH (NCS).
Dieser Bundesbahntochter verdankt die Branche nicht nur die Preissteigerungen, sondern auch den jüngsten Nuklear-Skandal: Eine Ladung von Brennelementen aus waffenfähigem Uran, auf der Straße von Braunschweig nach Rotterdam transportiert, schickten die Holländer im Januar erbost wieder zurück. Für das Schiff, mit dem die heiße Fracht nach Schottland gebracht werden sollte, fehlte die Zulassung.
Die das zu verantworten hatten, residieren seit Jahren unverändert im hessischen Hanau-Wolfgang. Neu sind nur ihre Türschilder mit dem Firmenkürzel NCS - dort prangte früher »Transnuklear«.