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ISRAEL Wahnsinniger Spaß

Als Herrscher im östlichen Mittelmeer führen sich die Israelis auf: Sie beschossen Fischer, kaperten eine Fähre. *
aus DER SPIEGEL 28/1984

Kurz nach vier Uhr morgens schreckte MG-Feuer die Passagiere auf. Ein Scheinwerferstrahl tauchte die Steuermannskabine der »Alisur Blanco« in gleißendes Licht. Aus dem Dunkeln schnarrte eine Megaphon-verstärkte Stimme: »Wieviel Passagiere haben Sie an Bord? Welcher Nationalität gehören sie an? Wieviel Treibstoff haben Sie bei sich?«

Kapitän Saadi Badran, 27, gab die geforderten Auskünfte und stellte nur eine Gegenfrage: »Wer sind Sie?« Er erhielt keine Antwort.

Dabei ahnte jeder an Bord seines Fährschiffs sofort, wer die Reise von Zypern nach Beirut so abrupt unterbrochen hatte - die Israelis. Als es hell wurde, waren denn auch zwei ihrer Raketenschnellboote zu erkennen. Sie dirigierten die unter Panama-Flagge fahrende »Alisur Blanco« nach Haifa, wo die 63 Passagiere und 24 Besatzungsmitglieder verhört und erkennungsdienstlich behandelt wurden.

»Es war äußerst demütigend«, fand Fahrgast Hassan Jassini. Den einzigen Nicht-Araber an Bord, den holländischen Journalisten Aernout van Lynden, fragten die Vernehmer, ob er die PLO möge. Die Israelis suchten offenbar palästinensische Partisanen. Eine Zeitlang kursierte das Gerücht, daß sie den legendären Terroristen »Carlos« an Bord der »Alisur Blanco« vermutet hätten. Israels Regierung dazu: »Schierer Blödsinn.«

Die »Alisur Blanco« durfte nach einem siebenstündigen Zwangsaufenthalt in Haifa nach Beirut auslaufen. Die Israelis hielten neun Passagiere zurück, von denen später noch fünf auf dem Landweg in den Libanon ausreisen konnten. Die Aktion gegen die Fähre - »präventive Vorwärts-Verteidigung« für Jerusalem, »Piraterie« für Libanons Minister Salim el-Huss - war ein Schlag ins Wasser.

Doch die Großmannsgeste zeigte einmal mehr, wer im östlichen Mittelmeer herrscht. Die Israelis kontrollieren die Küste ihres nördlichen Nachbarlandes mit der Arroganz einer Hegemonialmacht. So hatten sie vor der Aufbringung der »Alisur Blanco« *___die südlibanesischen Häfen Tyrus und Sidon gesperrt ____(Begründung: Sicherheitsprobleme); *___vor der nordlibanesischen Stadt Tripoli ein ____unidentifiziertes Boot versenkt (Begründung: Ein ____israelisches Schnellboot sei beschossen worden); *___bei Angriffen auf die vor Tripoli liegende ____Kaninchen-Insel mindestens zwölf Menschen getötet ____(Begründung: Die Insel sei Ausgangspunkt von ____Arafat-treuen Terrortrupps).

»Plötzlich war die Hölle los. Explosionen überraschten uns«, beschrieb der tripolitanische Fischer Mustafa el-Bahri den Überfall auf die Insel. Überall, so Bahri, »lagen zerfetzte Boote herum, verstümmelte Leichen - und dazu das Geschrei von Fischerkindern, die zuvor ihren Vätern bei der Arbeit geholfen hatten«. Der Fischer will auf der Insel nur an die 30 Kollegen gesehen haben. Auf der Kaninchen-Insel gebe es »nicht einmal ein Jagdgewehr«.

Dafür hat die Inselgruppe, zu der das etwa vier Quadratkilometer große, 45 Bootsminuten vor Tripoli entfernte Eiland gehört, eine erstaunliche Geschichte.

Funde altägyptischer Keramikgefäße deuten darauf hin, daß dort schon im zweiten vorchristlichen Jahrtausend Waren gelagert worden sind. Alexander der Große soll auf der Kaninchen-Insel die Erstürmung der Feste Tyrus geprobt haben. Kreuzzügler Richard Löwenherz, so erzählt eine im Libanon überlieferte Sage, verbrachte dort romantische Nächte mit einer arabischen Sultanstochter.

Im Zweiten Weltkrieg strandete ein deutsches U-Boot vor einem der Eilande. Eine libanesische Finanzgruppe wollte die Inseln in den siebziger Jahren in ein internationales Ferienparadies umwandeln, doch da brach 1975 der libanesische Bürgerkrieg aus. Statt Playboys und Urlauber kamen Kämpfer der von Syrien unterstützten Palästinenserorganisation Saika auf die Kaninchen-Insel. Sie starteten von dort aus einen regen Schmuggel mit Whisky und Zigaretten, an dem sich christliche und moslemische Abgeordnete des Libanon-Parlaments und angeblich auch syrische Prominente kräftig beteiligten.

Nach der israelischen Invasion 1982 im Libanon wurde die Insel wieder Zufluchtsort für Fischerboote sowie Liebespaare, die für ein paar schöne Stunden der Aufsicht ihrer Eltern entrinnen wollen. Doch neuerdings sollen sich auch wieder Palästinenser dort eingefunden haben, um Schlauchbootlandungen zu üben.

Informationen darüber provozierten offenbar Israels unverhältnismäßigen Schlag gegen die Kaninchen-Insel. »Ich hatte das Gefühl«, erinnert sich Fischer Bahri, »daß die Piloten wahnsinnigen Spaß daran hatten, auf uns zu zielen.« _(Bei der Rückkehr nach Beirut, begleitet ) _(von einem libanesischen ) _(Armee-Hubschrauber. )

[Grafiktext]

ZYPERN Latakia Larnaka MITTELMEER SYRIEN Kaninchen-Insel Fährverbindung Larnaka - Beirut Tripoli LIBANON Beirut von Israelis erzwungener Kurswechsel Damaskus ISRAEL SYRIEN Haifa 50 Kilometer

[GrafiktextEnde]

Bei der Rückkehr nach Beirut, begleitet von einem libanesischenArmee-Hubschrauber.

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