FRANZÖSISCHE POLIZEI Wahre Akrobaten
Kein Skandal in diesem Sommer?« monierte Frankreichs satirische Wochenzeitung »Le Canard enchainé«, »das ist ja ein Skandal.«
Kaum hatte das Blatt die Druckerei verlassen, war die Welt der Pariser Humoristen wieder in Ordnung: Polizisten und Ganoven hatten in der Millionenstadt Lyon jahrelang zu beiderseitigem Gewinn kollaboriert, und ein gaullistischer Abgeordneter sieht seine Wiederwahl gefährdet.
Dieser Volksvertreter ist Edouard Charret, 67, Gaullist, Berichterstatter für das Budget des Innenministeriums, intimer De-Gaulle-Freund (er hatte die Sekretärin des Generals geheiratet) und erfolgreicher Wahlkämpfer für die Regierungspartei. Weil er gern und oft Hände schüttelt, heißt er in Lyon nur »Drück-die-Kelle«.
Charret gilt im französischen Parlament als Spezialist für Prostitution und Zuhälterei, über die er mehrere Vorträge hielt. Um die »moralische Integrität der französischen Jugend« aufrechtzuerhalten, hatte Charret die Schließung aller Sex-Shops verlangt -- und die Wiedereröffnung der seit 1946 offiziell verbotenen Bordelle.
In kaum einer Stadt Frankreichs gibt es mehr Bordelle -- gut 200 -- als in Lyon. Nirgends ist das Liebeshandwerk so perfekt organisiert wie in Lyon, wo -- so die Abendzeitung »France-Soir« »wohl der bedeutendste Mädchenhandel Frankreichs« blühte. »Wir verkaufen die Liebe wie andere Gemüse«, gibt Mutter Dulac vom »Fetich's Club« zu.
Sie verkauften sie fast öffentlich. Die »putains«, wie in Frankreich die Nutten heißen, wippten und warben anstandslos selbst vor dem Lyoner Justizpalast und dem zentralen Polizeikommissariat. Denn Polizisten wachten über sie.
Das Lyoner Liebes-Kombinat flog auf, als der ins Milieu übergewechselte Ex-Kommissar Georges Meyer, genannt »Georg der Lügner« wegen Kuppelei und Verschleierung eines Verbrechens eingelocht wurde und petzte.
Lügen-Georg verpfiff vor allem seinen Ex-Boß Charles Gustave Javilliey,
* Auf einem Protestmarsch zum Bürgermeisteramt.
rund ein Jahrzehnt lang Chef des Bandendezernats der Lyoner Kriminalpolizei, der wegen seiner hohen Erfolgsquote (80 Prozent aller verfolgten Fälle aufgeklärt) lange Zeit als einer der fähigsten Gangsterjäger Frankreichs galt. Javilliey. behauptete nun Meyer, sei gleichzeitig Schrecken und Behüter der Ganoven. Sein Rezept war einfach: Er deckte Lyoner Zuhälter und erhielt dafür Tips aus der Unterwelt.
Der riskante Handel führte dazu, daß Javilliey auch decken mußte, wenn seine Gauner große Dinger drehten. So als der Gangster Dédé Boirayon mit einer Kugel im Schädel in der Rhône gefunden wurde. Polizeiversion: Selbstmord. »Er muß sich von der Brücke gestürzt haben«, folgerten Javillieys Beamte, »und sich dann im Fallen eine Kugel durch den Mund geschossen haben.« Frotzelte »France-Soir": »Eine wahre Akrobatennummer.«
Vielleicht ging die Lyoner Kumpanei sogar noch weiter. Für einen Schützenverein der Polizei, in dessen Vorstand Javilliey und der Abgeordnete Charret sitzen, sollen, berichtete »France-Soir« Gangster einen Schießstand gebaut und als Entlohnung dafür Waffen bekam men haben.
Doch seine Vergangenheit ließ den Polizisten Javilliey schließlich stolpern: Im Gefolge des Kampfes gegen die algerischen Ultras hatte er 1962 den OAS-Sympathisanten und Untersuchungsrichter Emile Ceccaldi einige Wochen unter Hausarrest gestellt. Sechs Jahre später war der rechte Richter und Gaullisten-Gegner am Zug.
In dem von Javilliey protegierten »Fetich's Club« wurde am 11. Dezember 1968 der Unterweltler Robert Hehlen von unbekannten Schützen tödlich getroffen. Javilliey entschied auf Unfall: Die Charret-Wahlhelfer Hubert und Augustin Sorba chauffierten den Schwerverletzten persönlich ins Kran. kenhaus. Zur Vorsicht freilich warf der hinzugekommene Lügen-Georg Meyer die Revolver der Brüder in einen Fluß.
Der mit der Recherche beauftragte Javilliey-Gegner Ceccaldi jedoch forschte weiter, ließ Meyer und die Sorba-Brüder zunächst verhaften und spielte sein Material einem Journalisten bei der Rechtspostille »Minute« zu. Der verfaßte daraufhin das Buch »Die Korrumpierten«, in dem er die Lyoner Mafia beschrieb.
Zwar mußte Ceccaldi das Verfahren wenig später abgeben. Doch auch der neue Untersuchungsrichter fand Verdächtiges: daß Javilliey eine seinen Einkünften nicht entsprechende Villa besaß, einen Mercedes fuhr und seine Sommerferien in einem von Zuhältern gemieteten Ferienhaus verbrachte. Am vorletzten Wochenende wurde Javilliey verhaftet.
Der Abgeordnete Charret sieht alles politisch: »Das sind alles nur Wahlmanöver gegen mich.«