Elfed Wyn Jones hatte nie ein Problem mit Elvis. Bis zum 3. Februar 2019. An
diesem Tag tauchte der Name des King of Rock'n'Roll als Graffito auf einer
halb zerfallenen Mauer an der A487 auf, nahe der walisischen Westküste. "Ich
hatte eine unglaubliche Wut im Bauch", sagt Jones.
Er sitzt in einem Café in der Hafenstadt Aberystwyth, ein stämmiger Kerl, 22
Jahre alt, mit einem dichten roten Vollbart und einem walisisch gefärbten
Englisch, den Engländer oft mit einem russischen Akzent verwechseln. "England
denkt immer zuerst an sich selbst", sagt er.
Jones hatte mit dem Elvis-Schriftzug deshalb ein Problem, weil er ein
Graffito überdeckte, das dort seit Jahrzehnten zu lesen war:"Cofiwch Dryweryn"
stand auf der Mauer, übersetzt bedeutet das: "Erinnert euch an Tryweryn".
Ein Aktivist hatte den Schriftzug in den Sechzigerjahren auf die Mauer
gemalt, um der Flutung des Tals Tryweryn in Nordwales zu gedenken. Der
künstliche See, der dadurch entstanden war, sollte als Wasserreservoir für die
englische Großstadt Liverpool dienen. Dafür musste ein Damm gebaut werden,
außerdem wurden 48 Einwohner eines der letzten rein walisischsprachigen Dörfer
zwangsumgesiedelt, Capel Celyn.
Die Flutung des Tals ist eine Geschichte, die perfekt in die Erzählung der
walisischen Nationalisten passt: Das übermächtige Westminster unterdrückt das
kleine Wales. Noch am selben Februartag, als der Elvis-Schriftzug erschien,
organisierte Elfed Wyn Jones mit Freunden Farbe und Pinsel, rot und weiß, um das
Graffito zu übermalen. "Während wir malten, haben die vorbeifahrenden Autofahrer
gehupt, als würden sie Beifall klatschen." Am nächsten Tag standen auf der Mauer
wieder die Worte "Cofiwch Dryweryn".
Jones ahnte nicht, was die Aktion bewirken würde. In den Wochen und Monaten
darauf tauchte der Spruch überall im Land auf, an Mauern, Läden, an
Schulgebäuden, auf Demonstrationen. Er wurde zum Symbol einer erwachenden
Unabhängigkeitsbewegung. Sogar Sticker und T-Shirts gibt es heute zu kaufen.
Elfed Wyn Jones wurde über Nacht zu einem der bekanntesten Gesichter der
walisischen Nationalisten.
Eigentlich gilt Wales als wenig rebellisches Mitglied des Vereinigten Königreichs, das Armenhaus, das die Erniedrigungen Englands stiller ertrug als seine widerspenstigen Nachbarn. Während die nordirische Terrororganisation IRA eine Serie von Anschlägen auf der Insel verübte, bildeten sich mit der walisischen Befreiungsarmee (FWA) und der Bewegung zur Verteidigung von Wales (MAC) auch in Wales Untergrundorganisationen – allerdings weit weniger gewalttätig als die IRA.
1963 sprengten die walisischen Rebellen einen Transformator in Tryweryn in die Luft. "Wir wussten, dass wir den Damm nicht verhindern würden", sagt Owain Williams, einer der Gründer der MAC. Die Gruppe verübte Anschläge auf Wasserleitungen und Gebäude, achtete aber darauf, dass keine Menschen zu Schaden kamen. Zweimal ging Williams dafür ins Gefängnis. "Wir wollten ein bisschen IRA spielen", sagt er. Zehn Leute zählten zu seiner Organisation, vielleicht etwas mehr. Heute ist er Vorsitzender einer Regionalpartei in Nordwales und betreibt dort einen Campingplatz. "Unsere Aktionen in Tryweryn sollten die Nation wachrütteln. Ich würde sagen, das ist uns nur halb gelungen."
Für Elfed Jones ist Williams ein Held. "Er hat hart für Wales gekämpft", sagt er. Die letzten Jahre seien die Waliser zu mutlos gewesen, nun gebe es eine neue Generation, die bereit sei, für die Unabhängigkeit von Wales aufzustehen. Er stellt allerdings klar: "Bomben sind nicht der richtige Weg." Wales müsse sich an die eigene Sprache erinnern, die eigene Kultur, an die Ungerechtigkeiten, zu denen nach Ansicht vieler Waliser auch der Austritt aus der Europäischen Union gehört.