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BESUCHER-ZOLL Walt und Walter

aus DER SPIEGEL 49/1964

Für einen Tagesaufenthalt in seinem kalifornischen Wunderland verlangt Walt Disney von Erwachsenen 4,75 Dollar, von Kindern 3,75 Dollar. Walter Ulbricht fordert von Bundesbürgern als tägliches Eintrittsgeld in die DDR fünf Mark, von West-Berlinern drei Mark.

Der erste Arbeiter-und-Bauern-Staat auf deutschem Boden ist zugleich das erste Land der Welt, das neben der amerikanischen Spielzeug-Republik einen Besucher-Zoll erhebt.

Denn das DDR-Ministerium der Finanzen hat am Mittwoch letzter Woche verfügt: Vom 1. Dezember 1964 an muß jeder Bürger aus West-Deutschland (ausgenommen sind Kinder und Rentner) je Besuchstag in der DDR einen Mindestbetrag von fünf Westmark gegen fünf kaufkraftschwache Ostmark eintauschen. West-Berlinern wird ein Bonus von zwei Mark eingeräumt. Die Möglichkeit, nicht verbrauchte DDR Münze zurückzutauschen, besteht nicht.

Die DDR kann sich damit ein beachtliches Devisen-Polster anschaffen. Rund 1,2 Millionen Bundesbürger fahren jährlich zu ihren Verwandten über die Zonengrenze. Bei einem DDR-Aufenthalt von etwa 14 Tagen würde jedem von ihnen der Mindestbetrag von 70 Mark abgenommen. Die Westmark -Bilanz der SED-Polit-Finanziers würde somit ein Jahresplus von 84 Millionen Mark ausweisen, für die eine attraktive Gegenleistung kaum besteht. Dagegen verzeichnet die Berliner Passierschein-Aktion zu Weihnachten nur einen bescheidenen West-Geld-Zuwachs. Die rund eine Million Besucher, die den Sowjetsektor betreten, müssen je drei Mark entrichten, bringen der DDR also nur drei Millionen in West ein.

Aber gerade die zweite Besucherwelle der Passierschein-Vereinbarung im Oktober war für die DDR der Vorwand, den Westen jetzt finanziell zur Ader zu lassen. Das SED-Zentralorgan »Neues Deutschland« behauptete, West-Berliner Bürger seien »durch den Schwindelkurs dazu verleitet« worden, »sich bei den Wechselstuben und Geldhändlern illegal Mark der (Ost-)Deutschen Notenbank zu beschaffen und sie entgegen gesetzlichen Bestimmungen in die DDR einzuführen. In der Hauptstadt der DDR haben sie für dieses Geld Waren gekauft... ohne daß sie den gleichen Gegenwert in Westmark an die DDR bezahlt haben. Den Schaden hatte unsere Republik.«

In der Tat hat die DDR-Währung am freien Devisenmarkt seit der Wiedereröffnung der Mauer zu Verwandtenbesuchen gelitten. Bei den West-Berliner Banken sank die Notierung der Ostmark von 2,30 auf 3,30 für eine Westmark.

Die Finanzberater Walter Ulbrichts gingen aber von falschen Voraussetzungen aus, wenn sie annahmen, daß eine Übernachfrage nach ihrer DDR-Mark bestehe. Das Gegenteil ist der Fall. Senatsdirektor Dr. Günter Brunner, der Stellvertreter des Wirtschaftssenators: »Wir haben es mit einem Überangebot an Ostmark zu tun.«

Selbst mit druckfrischen Ostmark -Noten reichlich eingedeckt, zogen West -Berliner Banken daher die Notbremse. Sie lehnten vorübergehend die weitere Entgegennahme von DDR-Geld ab, da selbst bei einem Kurs von 3,30 der Absatz gering ist.

Als Sündenbock für die schwache internationale Reputation der Ostmark diente den Ost-Berlinern West-Berlins Senat. Schon Anfang November verlangten Ost-Beauftragte in Kontaktgesprächen, die West-Berliner Behörden sollten die Wechselstuben schließen. Denn der Senat habe im Passierscheinprotokoll zugesichert, jede Tätigkeit zu verhindern, die »gegen die ungestörte Durchführung des Besucherverkehrs gerichtet ist«.

Aufgebracht ließ der sonst ost-konziliante Bürgermeister Brandt mit einem Protest reagieren: »Das ist ein Versuch, sich in die inneren Angelegenheiten (West-)Berlins einzumischen.« Nach Ansicht des Bürgermeisters suchte Ost-Berlin nur einen Vorwand, zusätzliche Devisen zu ergattern.

Dabei riskieren die Ost-Berliner allerdings gravierende westliche Gegenmaßnahmen: Sie müssen jetzt damit rechnen, daß Bonn ihnen die umfangreichen Kreditforderungen, die sie innerhalb des Interzonenhandels-Abkommens gestellt haben, nicht erfüllt.

Alfred Pollack, der neue Bonner Bevollmächtigte für den Interzonenhandel, ließ am letzten Freitagnachmittag bei einem Gespräch mit DDR-Behörden bereits durchblicken, daß die östlichen Kreditwünsche nun wohl irreal geworden seien.

Wechselstube in West-Berlin

Währung in Bedrängnis

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