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Rumänien Wand aus Stahl

Mit sowjetischer Hilfe versuchten rumanische Offiziere einen Putsch gegen Parteichef Ceausescu -- der rief das Volk und die Chinesen zu Hilfe.
aus DER SPIEGEL 11/1972

Das rumänische Parteiblatt »Scinteia« hatte ihn schon als Ehrengast auf dem Parteitag der libanesischen KP in Beirut gemeldet -- aber am Abend, bevor er in Bukarest ins Flugzeug steigen wollte, verlor er neben der Mission auch noch sein Amt: ZK-Sekretär Vasile Patilinet, 48, als Partei-Beauftragter für Landesverteidigung, Staatssicherheit, Polizei und Justiz einer der mächtigsten Männer im rumänischen Staat.

Noch in der Nacht zum 5. Januar nahmen Sicherheitsbeamte ihrem ehemaligen Chef in dessen Funktionärs-Villa die Sonderausweise ab, die Patilinet Zugang zu den Archiven der Armee und des Staatssicherheitsdienstes verschafft hatten. Rumäniens oberster Polizist hatte nicht scharf genug aufgepaßt.

Doch für Patilinet war es ein glimpflicher Sturz. Wenige Tage später wurde er Minister für Forstwirtschaft und übernahm das nach einem Korruptionsskandal führungslos gewordene Ressort für Baustoffindustrie.

Parteichef Ceausescu mag auf die Dienste seines Getreuen Patilinet im derzeitigen politischen Kräftemessen nicht völlig verzichten. Denn der entlassene Staatsschützer -- der auf dem ZK-Plenum im vorigen Herbst Selbstkritik wegen »mangelnder Wachsamkeit« übte - ist das Opfer einer Verschwörung: einer Konspiration hoher rumänischer Militärs gegen den eigenwilligen politischen Kurs Ceausescus.

Verdeckte Machtkämpfe zwischen Armee und Partei haben im sozialistischen Rumänien Tradition; verändert haben sich nur die Fronten. Die erste politische Säuberungswelle nach dem Einmarsch der Roten Armee galt den Soldaten und Offizieren, die im Zweiten Weltkrieg an der Seite der Deutschen gekämpft hatten. Zehntausende wurden liquidiert oder verschwanden in Straflagern. Verantwortlicher Chef-Politruk der Armee war damals (1945 bis 1948) Oberst Nicolae Ceausescu -- der heutige Parteichef.

Im Sommer 1952 galt die Hatz den »Titoisten« in Armee und Polizei. Allein aus den rumänischen Luftstreitkräften ließ Stalin 80 Prozent der älteren und 30 Prozent der jungen Offiziere, angeblich Sympathisanten des jugoslawischen Abweichlers Tito, aussieben; nur wenigen gelang die Flucht.

Exekutor der Säuberung war der damalige Verteidigungsminister und Oberbefehlshaber der Armee, General Emil Bodnaras -- heute als Vize-Premier, Mitglied des ständigen ZK-Präsidiums und des Exekutivrates (Politbüro) Rumäniens zweitstärkster Mann und schärfster Rivale Ceausescus.

Der Altkommunist und Stalin-Verehrer Bodnaras ist der Sohn eines österreichischen Gendarmerie-Feldwebels ukrainischer Herkunft und einer Deutschen aus der Bukowina. Seine Mutter hatte sich 1940 mit ihrem zweiten Sohn nach Deutschland umsiedeln lassen; im selben Jahr war Bodnaras im Gefängnis von Caransebes Mitglied der illegalen rumänischen KP geworden -- im Auftrag der Sowjets, denen er damals bereits seit acht Jahren diente.

Nach Moskauer Weisungen hatte Bodnaras dann beim Sturz des rumänischen Staatschefs und Hitler-Alliierten Antonescu geholfen und die Rote Armee ins Land gerufen. Er war nach dem Krieg Rumäniens erster Geheimdienstchef und ist bis heute die Schlüsselfigur geblieben, die im abspenstigen Rumänien die sowjetischeninteressen vertritt. Unter Bodnaras Aufsicht sind die 130 000 Mann starke rumänische Armee und der Staatssicherheitsdienst nach Moskauer Muster aufgebaut worden. Noch heute sind die meisten der höchsten Chargen Absolventen der Moskauer Militär-Akademie -- ihnen ist die Loyalität gegenüber der Sowjetführung eine Selbstverständlichkeit. Wichtigste Aufnahmebedingung der Offiziersschule war eine unpolitische Vergangenheit der Militärschüler -- Mitglieder der rumänischen Vorkriegs-KP hatten keine Chance.

Ein Fünftel der Offiziere ist auch heute noch nicht Mitglied der KP -- die meisten Genossen sitzen in den unteren Rängen. Abgeschirmt gegen Außenseiter (jeder fünfte Kadett ist Sohn eines Offiziers) und ausgestattet mit den Privilegien einer feudalen Kaste (die Offiziersgehälter liegen an der Spitze der rumänischen Lohnskala), entwickelten sich die bewaffneten Kräfte immer mehr zu einem Staat im Staat.

Je mehr sich die rumänische Partei unter der Führung Ceausescus von der Abhängigkeit des großen Bruders löste, um so stärker wurde der Konflikt mit der moskautreuen Armeeführung. Im Sommer 1967 übergab eine rumänische Offiziersgruppe in der Bukarester DDR-Botschaft eine Denkschrift an die Moskauer Adresse: Der Parteichef betreibe »sowjetfeindliche Politik«, habe den Warschauer Pakt gebrochen und versuche, »Rumänien aus dem sozialistischen Lager zu führen«.

Das konspirative Papier trug die Unterschriften einiger Dutzend rumänischer Stabsoffiziere, an der Spitze standen die Namen des Geheimdienst-Generals Mischa Levin und des ehemaligen Vize-Verteidigungsministers und Politbüromitglieds Petre Borila -- beide haben an der Moskauer Frunse-Militärakademie studiert.

Ceausescu konnte das Komplott zerschlagen und die ungetreuen Offiziere stürzen, aber für die fällige General-Reinigung in Armee und Sicherheitsdienst versagte ihm die eigene Parteiführung den Beistand: Männer wie Bodnaras stellten sich auf die Seite der Sowjet-Lobby.

Erst ein Jahr später, zwei Tage nach dem sowjetischen Überfall auf die CSSR, fand der bedrängte Parteichef Hilfe -- im Volk. Unter dem Eindruck der Gefahr einer Intervention auch gegen Rumänien rief Ceausescu die »allgemeine Volksverteidigung« aus. Er selbst übernahm den Oberbefehl über die neuen Miliz-Verbände ("Patriotische Garden") und weigerte sich, sie dem Generalstab der Armee zu unterstellen.

Rumäniens Anstrengungen, dem Prager Schicksal mit Hilfe einer Balkan-Koalition zu entgehen, und Ceausescus scharfe Absage an die Breschnew-Doktrin verschärften die innenpolitische Konfrontation.

Nach langem Zögern fand sich Bukarest zwar bereit, den Freundschaftsvertrag mit Moskau im Juli 1970 zu erneuern, weigerte sich aber, den Sowjets -- wie die anderen Block-Staaten -- zwangsläufig militärischen Beistand zu leisten und Moskau vor außenpolitischen Entscheidungen zu konsultieren.

Trotz massiver Drohungen gelang es den Sowjets auch nicht, die Rumänen zur Anerkennung der Kommando-Filiale des Warschauer Pakts in Bukarest zu bewegen. In der rumänischen Hauptstadt residiert als Vertreter des Gemeinsamen Oberkommandos zwar der Moskauer General Iwanowski -- die rumänischen Streitkräfte aber sind ihm nicht unterstellt.

Zwei Wochen nach der Unterzeichnung des Freundschafts-Vertrags schickte Ceausescu demonstrativ eine Militär-Delegation unter Leitung des ihm ergebenen Verteidigungsministers lon Ionita nach Peking. Die Chinesen versprachen ihren Gästen »brüderliche Hilfe bei der Verteidigung der rumänischen Souveränität.

Angeblich blieb es nicht bei verbaler Unterstützung: Die Chinesen sollen sich bereit erklärt haben, den Rumänen im Ernstfall Atomköpfe für Rumäniens Mittelstrecken-Raketen zu liefern.

Zur Vorwarnung, der Sowjets ließ die Bukarester Parteiführung ihre chinesischen Prototypen auf rumänischem Boden angeblich sogar durch Sowjet-Agenten entdecken. Außerdem sickerten Nachrichten von einer chinesischrumänischen Zusammenarbeit bei der Produktion von Raketen-Treibstoff durch.

Ceausescus verstärkte Kooperation mit China -- allein zwischen Dezember 1970 und März 1971 flogen vier Regierungsdelegationen nach Peking -- verschärfte das Mißtrauen der Sowjets. Als der Parteiführer im Frühjahr 1971 auch noch von einem innenpolitischen Eigenkurs sprach -- von dem notwendigen Abbau der Polizei-Bürokratie und einer Gewerkschafts-Kontrolle über Partei und Staat -, verglich die sowjetische Gewerkschaftszeitung »Trud« das rumänische Klima mit dem Prager Frühling.

Rumäniens bisherige Staats-Kontrolleure in Armee, Geheimdienst und Polizei sahen ihre Privilegien bedroht. Durch einen Offiziersputsch sollte der liberale Parteiflügel im Volk isoliert und mit Hilfe der Sowjets entmachtet werden -- in Abwesenheit Ceausescus, der Anfang Juni 1971 zu einer Asien-Reise startete.

Während sich Ceausescu in Peking feiern ließ ("Die Rumänen sind ein heldenhaftes, unbeugsames Volk. Sie fürchten keine rohe Gewalt, wehren sich energisch gegen ausländische Einmischung, Kontrolle, Aggression und Subversion ..."), zogen nahe der rumänischen Grenze in Ungarn und der Ukraine Truppen des Warschauer Paktes in Manöverstellung.

Der geplante Militärputsch im Juli mißlang, Heimkehrer Ceausescu, inzwischen davon überzeugt, daß die Partei nicht wachsam genug gewesen war, ließ 40 hohe Stabsoffiziere verhaften und befahl einen rigorosen Re-Ideologisierungskurs (SPIEGEL 47/1971). Zu den Verhafteten gehörte auch der -- von »diplomatischen Kreisen in Paris« -- als bereits hingerichtet gemeldete Sowjetspion General lon Serb (SPIEGEL 9/1972).

Mit der abrupten Verschärfung der Innenpolitik nahm Ceausescu den Sowjets den Vorwand zur Intervention und brachte das Moskauer Timing durcheinander. So mußte Ende August der sowjetische Vizepremier, ZK-Mitglied Lessetschko -- der als privater Badegast eingereist war -, bei den Feiern zum rumänischen Staatsfeiertag auf der Tribüne neben dem chinesischen Ehrengast Li Te-scheng, dem Chefpolitruk der chinesischen Volksbefreiungsarmee, Platz nehmen.

Am Rand der Bukarester Flugplätze ließ der Parteichef Geschütze auffahren und erklärte vor den Absolventen der rumänischen Militärakademie die Freundschaft mit China als Element der Einheit des Weltkommunismus.

Indirekt beschuldigte Ceausescu Anfang September in Ploiesti die Sowjets, ihre eigenen Beschlüsse aus dem Jahr 1969 gebrochen zu haben, nämlich: »Die Achtung der Unabhängigkeit und der Rechte jeder Partei, ihre politische Linie selbst auszubauen, ohne irgendwelche Einmischung einer fremden Partei.«

Im Oktober mobilisierte die Parteiführung die Jugendorganisation Junge Pioniere zur »Ausbildung für die Verteidigung des Vaterlandes«. Sie verschärfte die Staatsschutz-Bestimmungen, die jeden Umgang mit Ausländern genehmigungspflichtig machen, und befahl per Gesetz allen Bürgern ab 18 Jahren einen unentgeltlichen »Patriotischen Dienst« in Schulen und Krankenhäusern von sechs Tagen im Jahr.

Das Massenaufgebot soll »eine Stahlwand des Volkes um die Partei und ihren Führer Ceausescu bilden« -- so, reuig, der entlassene Staatsschützer Patilinet in seiner Selbstkritik auf dem November-Plenum des ZK.

Gegen wen die Wand von Stahl errichtet werden soll, deutete Patilinet nur an: Es sei ihm selbst nicht gelungen, »die Beschlüsse des Zentralkomitees in den Einheiten des Ministeriums der Streitkräfte, des Innenministeriums, des Rates für Staatssicherheit und der Justiz« durchzusetzen und »die Parteileitung rechtzeitig über die festgestellten Mängel zu informieren«. Wer Patilinet daran gehindert hat, das will der Parteichef nun selbst herausfinden.

Cornel Burtica, der an Stelle von Patilinet vor sechs Wochen in das sechsköpfige ZK-Sekretariat aufrückte -- er stammt wie Ceausescu aus der Grenzregion Oltenien und soll ein naher Verwandter des Parteichefs sein -, ist ein westerfahrener Außenhandels-Experte. Seine letzte Amtshandlung als Außenhandels-Minister verstieß erneut gegen ein Moskauer Doktrin: Unter Umgehung der Mitgliedsstaaten wandte sich Burtica Ende Januar an den Präsidenten des EWG-Ministerrates und bat um weitgehende Zoll-Erleichterung für rumänische Waren.

Die Sowjet-Union und ihre Getreuen haben es aus politischen Gründen bisher stets abgelehnt, die Europäische Gemeinschaft als eine politisch souveräne Institution anzuerkennen, und ihre gelegentlichen Kontakte nur über die Regierungen der Mitgliedsstaaten gepflegt.

Neuer Beauftragter für Armee, Staatssicherheit, Polizei und Justiz im ZK-Sekretariat aber wurde Parteichef Ceausescu.

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