ENGLAND / PRESSE Wandel der Zeiten
Der leutselige Lord erzählt mit Vorliebe den Witz vom jungen Mann, der ein Mädchen kennenlernt und ihm prompt einen unsittlichen Antrag macht. »Kommen Sie allen Frauen so?« schnippt die Schöne. »Aber natürlich, viele geben mir zwar einen Korb, aber viele werden auch schwach.«
Dann haut sich Lord Thomson of Fleet, 72, Britanniens zweitmächtigster
Presse-Mogul, auf die Schenkel: »Genauso erwerbe ich Zeitungen. Ich mache unverdrossen Kaufangebote, und oft habe ich auch Erfolg.«
Er hatte 241mal Erfolg. Und vorletzten Freitag wurde sogar Londons distinguierteste Presse-Lady schwach: Die 181 Jahre alte, finanzkranke »Times« will sich mit Thomson liieren.
Das Londoner Qualitätsblatt (Auflage: 285 000) arbeitet seit Jahren mit Verlust. Es war bislang Eigentum des Lord-Astor of Hever und der Gründerfamilie Walter (SPIEGEL 19/1966) und soll nun mit Thomsons prosperierendem Sonntagsblatt »Sunday Times« fusionieren - wenn die Regierung ihre Zustimmung gibt.
Denn anders als in Deutschland können englische Presse-Cäsaren nicht mehr frei nach Gusto dazukaufen. Kontrollieren sie bereits eine Tagesauflage von über 500 000, muß eine Monopol -Kommission bei jeder geplanten Transaktion prüfen, ob die Konzentration »im Widerspruch zu den öffentlichen Interessen« steht. Die acht Kommissionäre -Juristen, Industrielle, Gewerkschaftler, Journalisten und unabhängige Persönlichkeiten - wollen in drei Monaten ihr Urteil über die »Times«-Fusion abgeben.
So will es Englands Monopol-Gesetz. Es wurde 1965 nicht zuletzt wegen Thomson und dessem noch mächtigerem Rivalen Cecil Harmsworth King, 66, erlassen. Die beiden haben sich in robustem Ringen um Presse-Konzerne, die dem verschärften Wettbewerb nicht mehr gewachsen waren, Imperien von nie gekannter Größe geschaffen.
Von seinem Verlagspalast in Londons Cray's Inn Road - Thomsons Büro gestaltete sein nobelster Angestellter, Prinzessin-Margaret-Mann Lord Snowdon - regiert der Lord ein Reich, in dem die Sonne nicht untergeht. Der Thomson-Konzern kontrolliert
- 111 Zeitungen sowie 130 Magazine und Fachzeitschriften in Großbritannien, Kanada, den USA, Australien, Neuseeland und Afrika (davon 86 Blätter auf den Briten-Inseln);
- 17 TV-Stationen und fünf Funkhäuser in Schottland, Kanada, Pakistan, Äthiopien und auf Jamaika;
- sieben Buchverlage, neun Großdruckereien und die Fluggesellschaft »Britannia«.
Rivale King residiert in unmittelbarer Nähe der Zeitungs-Zitadelle Fleet Street, in einem hoch aufragenden Monumentalhaus, das er sein »Tadsch Mahal« nennt. Der auflagenstärkste Gazetten-Chef der Welt
- beherrscht 239 Zeitungen und Zeitschriften, vorwiegend in Großbritannien (seine Massenblätter, unter anderem der »Daily Mirror«, erreichen rund 40 Prozent der Gesamtauflage aller überregionalen Tages- und Sonntagszeitungen);
- ist am zweitgrößten Papierkonzern Britanniens und dem zweitgrößten US-Zeitungsverlag beteiligt.
King-Kapital steckt in drei deutschen Fachblättern (so dem »Friseur Spiegel« und der »Elektronik Zeitung"); Thomson ist an »Ich und meine Familie« beteiligt.
Presse-King und Presse-Lord wollen ihre Reiche durch weitere Auslands -Aufkäufe ausweiten, und das ist ihre einzige Gemeinsamkeit. Sonst sind ihre Ziele so verschieden wie ihr Habitus: Cecil King, ein schwerer Mann von 1,85 Meter, ist barsch und herrisch. Lord Thomson, 1,81 Meter und untersetzt, schlendert durch seine Zeitungsfabriken und erzählt Schwänke aus seiner Erfolgs-Saga.
»Ich bin«, sagt King, »an politischer Macht interessiert.« Sie ist dennoch begrenzt: Sir Cecil hält nicht einmal fünf Prozent Anteile der von ihm kommandierten »International Publishing Corporation« (IPC). Er ist ein absetzbarer Reichsverweser.
Thomson hingegen ist allgewaltiger Eigentümer seines Konzerns. Aber er ist - im Gegensatz zu Deutschlands Axel Cäsar Springer - ohne jedes politische Sendungsbewußtsein und daher trotz seines Imperiums politisch ungefährlich. »Ich bin«, bekennt der Lord freimütig, »im Geschäft, um Geschäfte zu machen.«
Oberste Thomson-Maxime: »Ich gebe keine Zeitungen heraus, deren ich mich schämen müßte, aber ich schreibe keiner die politische Richtung vor.« Von seinen Chefredakteuren erwartet er, daß sie »Gott und die Monarchie« nicht angreifen und - Gewinne erzielen.
Mit Kredit erwarb Thomson - in Kanada geborener Sohn eines Barbiers - sein erstes Blatt, die schwindsüchtige »Timmins Press« im nördlichen Ontario. Er sanierte sie, wie alle seine späteren Erwerbungen, indem er für eine solide Anzeigengrundlage sorgte.
Seine Zeitungen paßten sich immer dem Meinungsklima ihrer Verbreitungsgebiete an: Die Thomson-Presse in den US-Südstaaten ist gegen die Rassenintegration, im Norden ficht sie für die Gleichberechtigung der Neger.
Als der opportunistische Aufkäufer schließlich in England einstieg, mokierte sich die »Times« - laut Cecil King »Erbauungsblatt des Establishments« - über den Emporkömmling: Für ihn sei »das Zeitungsgeschäft ohne jede moralische Bedeutung und grundsätzlich nicht vom Seifenkauf verschieden«.
Thomson kam gerade zurecht, um sich für das schwerindustrielle Zeitalter der Briten-Presse zu rüsten. Er kaufte 1953 Schottlands größte Zeitung, den »Scotsman«, und gründete eine Werbefernseh -Gesellschaft, die später so gewinnträchtig wurde wie eine »Lizenz, eigene Banknoten zu drucken« (Thomson). Die TV-Dividende: 32,5 Prozent.
Die Fleet-Street-Barone belächelten den gerissenen Provinzverleger als kleinkarierten Schotten: Thomson fliegt Touristen-Klasse, trägt zerknitterte Anzüge und streicht abends durch die Büros, um das Licht auszuknipsen. Seine Hobbys: Bilanzen, die er mit genialem Blick durchschaut, und Krimis. In seinem »Spielzimmer« stehen deren 1200: »400 noch nicht gelesen«.
Der seit 1951 verwitwete Presse-Midas bewohnt ein bescheidenes Landhaus in Buckinghamshire. Konkurrent King, immer im tadellosen blauen Serge-Anzug, hat sich auf seinem Landsitz aus dem 17. Jahrhundert mit kostbaren Möbeln umgeben. Der feinsinnige Sohn eines Orientalisten sammelt chinesisches Porzellan, Thomson Schmuck.
1959 kreuzten Thomson und King zum erstenmal die Klingen. King, der zuvor bereits die »Amalgamated Press« aufgekauft hatte, gierte nach dem Kemsley-Konzern mit der »Sunday Times«. Thomson jagte ihm die erhoffte Beute ab - ohne auch nur einen Penny zu zahlen.
Er verkaufte, von dem City-Bankier Siegmund Warburg beraten, pro forma sein Schotten-TV an Kemsley und nahm dafür Kemsley-Aktien in Zahlung. In seiner Hand zogen die Papiere sofort an, mit dem Kursgewinn zahlte Thomson die für den Zeitungskonzern verlangte neunstellige Summe.
Zwei Jahre später eroberte King die Odhams-Gruppe nach dramatischer Schlacht. Ein Witzbold lud den Verlierer Thomson zur Siegesfeier. Thomson kam, die Niederlage hatte ihn nicht entmutigt. »Ich will noch mehr Zeitungen«, sagte er zu Churchill-Sohn Randolph.
Nun schlug die »Times« Alarm. »Lord Thomson ist ein Mann, der Bewunderung verdient ... Aber selbst wenn er der Erzengel Gabriel wäre, sollte er unseres Erachtens nicht noch mehr Zeitungen in Großbritannien besitzen.« Thomson hingegen wollte mindestens noch eine Zeitung als Kronjuwel seines Reiches: die altehrwürdige »Times«.
Beharrlich lehnte »Times«-Besitzer Astor jede Thomson-Offerte ab, zum letztenmal im vergangenen Jahr. Aber die Zeiten wandeln sich, und »The Times« (deutsch: die Zeiten) wandelt sich auch.
Um neue Leser zu gewinnen, druckt die »Times« seit Mai Nachrichten auf Seite eins und nicht mehr, wie seit 181 Jahren, Kleinanzeigen auf der Frontseite. Für weitere Modernisierungen aber fehlte das Geld.
Thomson hat es. Die Klippen der Monopol-Kommission hofft er zu umschiffen, nachdem er bis an die Grenze der Selbstentäußerung gegangen ist, um die »absolute Freiheit« des Blattes zu garantieren. Obwohl Thomson 85 Aktien-Prozent der geplanten »Times Newspaper Ltd.« halten wird, darf er
die Minderheit der Miteigner-Minorität nicht majorisieren.
Auch kann er den Chefredakteur nicht entlassen. Darüber hat das Direktorium zu befinden, dem vier »Persönlichkeiten von nationalem Rang« angehören werden.
»Times«-Käufer Thomson: »Gott nicht angreifen und Gewinne erzielen«
»Times«-Gebäude in London
Seit Jahren Verlust