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AUSWEISGESETZ Wandelnde Steckbriefe

Der Entwurf eines neuen Ausweisgesetzes jagt Datenschutz-Fachleuten »kalte Schauer über den Rücken«. Nach massiven Protesten will Innenminister Baum seine umstrittene Vorlage nun »nachbessern« lassen.
aus DER SPIEGEL 42/1979

Professor Hans Peter Bull, oberster Computer-Wächter der Republik, löste Datenschutz-Alarm aus. Die staatliche »Kontrolle über den Bürger«, schrieb er am 25. September dem Innenausschuß-Vorsitzenden Axel Wernitz, drohe allzu stark zu geraten; nunmehr müsse »den Anfängen gewehrt werden«.

In der Bonner Beethoven-Halle diskutierte, zwei Tage später, die »Deutsche Vereinigung für Datenschutz« (DVD) über »Informationstechnologie und Bürgerfreiheit«. Manchem Experten liefen, erinnert sich DVD-Vize Gert Hausmann, »kalte Schauer über den Rücken«.

Ähnliches Unbehagen, so analysierten letzte Woche professionelle Bonner Presseauswerter? beginnt sich auch schon in den Spalten der Tageszeitungen breitzumachen: Die Deutschen würden, bangte etwa ein Leserbriefautor in der »Süddeutschen Zeitung ein »Volk von wandelnden Steckbriefen«; in Bonn vollziehe sich, argwöhnte ein anderer, ein »entscheidender Schritt zum Polizeistaat«.

Laienängste wie Expertenproteste hat das größte Automatisierungsvorhaben provoziert, das jemals im bundesdeutschen Meldewesen anstand -- die Ausgabe computergerechter Personalausweise an 48 Millionen Bürger. Rechtsgrundlage für das Mammutprojekt soll ein von Innenminister Gerhart Rudolf Baum dem Kabinett im Mai präsentiertes »Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Personalausweise« sein, dessen Entwurf den Bundestag am 20. September in erster Lesung bereits passiert hat.

Im Plenum war Baums Vorhaben ausnahmslos mit Zuspruch bedacht worden. Tatsächlich hat der geplante Plastikpaß in Scheckkartenformat? wie selbst Kritiker einräumen, einen wichtigen Vorzug: Die Karte, die von 1981 an ausgegeben werden soll, gilt, anders als das derzeitige graue Heftchen, als absolut fälschungssicher. Die Berliner Bundesdruckerei soll die neuen Ausweise mit Hilfe »hochentwickelter Technik« zentral herstellen; schon beim Versuch, Lichtbild oder Aufschrift zu manipulieren, werde die Karte »irreparabel beschädigt« (Baum).

Massive Bedenken geweckt hat jedoch eine andere Ausweiseigenart, die im Parlament allenfalls beiläufig zur Sprache gekommen ist: Das vorgesehene Personaldokument soll »maschinell lesbar« sein -- wodurch der Ausweis, weltweit einzigartig, zu einem Bestandteil der polizeilichen EDV-Systeme würde.

Bei Verkehrs- wie Grenzkontrollen sollen künftig die Plastikkarten mit Hilfe elektronischer »Lesepistolen« abgetastet werden, die über Funk oder Kabel mit staatlichen Datenbanken verbunden sind. Blitzschnell ließe sich dann nicht nur feststellen, ob ein Ausweisbesitzer zur Festnahme oder zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben ist, sondern auch ein Teil dessen, was sonst noch gegen ihn vorliegt.

Nach dem elektronischen Abtasten des Ausweises erscheinen auf dem Bildschirm des Grenzschutz- oder Polizei-Terminals beispielsweise Computer-Informationen darüber, ob jemandem wegen Alimentenschulden oder aus anderen Gründen die Ausreise aus dem Bundesgebiet versagt ist -- etwa weil er einmal westdeutsche »Sicherheitsbehörden diffamiert« hat und bei ihm »zu befürchten (ist), daß er dieses Verhalten ... vom Ausland aus fortsetzen wird« (so ein Stuttgarter »Ausreisesperrvermerk« für den zur Zeit noch inhaftierten Anwalt Klaus Croissant).

Jeder Grenzübertritt, jede Ausweiskontrolle könnte zum Anlaß genommen werden, eine Art »Regelanfrage« an das Polizeicomputer-System zu richten, warnt der Kölner EDV-Experte und Fachautor Torsten Grupe in einer soeben erschienenen Streitschrift »Der gespeicherte Bürger"*. In der Tat läßt sich mit Hilfe elektronischer Lesegeräte in Sekundenschnelle routinemäßig feststellen, ob eine kontrollierte Person der geheimdienstlichen »Grenzüberwachung« oder der »Beobachtenden Fahndung« der Polizei unterliegt -- weil die Kripo ihn zum Beispiel der Unterstützung von Terrorismusverdächtigen verdächtigt hat (Kode-Kürzel: »Befa 7"). Technisch wäre es kein Problem, im selben Arbeitsgang das Auftauchen eines Befa-Beschatteten an den Zentralcomputer zurückzumelden -- und damit das jeweilige Bewegungsdossier automatisch aufzufrischen.

Obendrein würde die Summe der Daten in der EDV-»Lesezone« des geplanten Ausweises, wie Bull warnte, »praktisch ein Ersatz-Personenkennzeichen« darstellen. Der Baum-Ausweis könnte, fürchten Datenschützer, bald auch allerorten als Scheck- oder Stem

* Wirtschaftsverlag Langen-Müller/Herbig, München; 238 Seiten; 19,80 Mark.

pelkarte sowie als Firmenpaß in betrieblichen Zeiterfassungs- und Zugangskontrollsystemen verwendet werden. Bull an den Innenausschuß:

Daß die neue Ausweiskarte mit ihrer perfekten Identifizierungsleistung für zahllose Verwendungszwecke »attraktiv? sein wird, liegt auf der Hand.

Die Buchstaben/Ziffer-Kombination in der Lesezone des Ausweises werde sich daher früher oder später zu einem »quasi-universellen Identifizierungsschlüssel« entwickeln -- für Fachmann Grupe ein »Meilenstein in Richtung Bevölkerungsregistrierung«? für Bull womöglich ein erster Schritt zur Fertigung umfassender Bürgerprofile: Mit dem Ausweis wachse die Gefahr, daß verschiedene Dateien maschinell miteinander verknüpft werden können.

Zwar sind solche Befürchtungen bereits vor einigen Monaten publiziert worden -- erstmals im Juni dieses Jahres in der Polizeicomputer-Serie des SPIEGEL (Heft 18 bis 26/1979). Gleichwohl brachten Bonns Sozialliberale den Ausweisgesetzentwurf zunächst unkorrigiert in die parlamentarische Beratung ein.

Als sich allerdings während der letzten Monate die Proteste von Datenschützern häuften, fand sich Minister Baum -- offenbar besorgt um sein Ansehen bei kritischen Wählern -- bereit, den Gesetzentwurf seiner Sicherheitsexperten rasch noch nachzubessern. Die Vorlage soll, wie Innen-Staatssekretär Andreas von Schoeler ankündigt, nun durch Vorschriften ergänzt werden, »die einen Mißbrauch des Systems verhindern« könnten.

Bei einem fünfstündigen »Professorengespräch« mit prominenten Datenschützern -- darunter dem Bonner Bull, dem Wiesbadener Simitis und dem Regensburger Steinmüller -- sammelte von Schoeler eine Reihe von Punkten, die »wir rechtlich noch in den Griff kriegen müssen«. Unter anderem soll das Gesetz, teils auf Antrag des Landes Hessen im Bundesrat,

* abschließend aufzählen, welche Personenangaben in den Ausweis eingetragen werden dürfen, > untersagen, daß die Ausweisseriennummer personenbezogene Daten, etwa den Geburtstag, enthält, > verbieten, Personendaten und Ausweisnummern in Bundes- oder Landesbehörden zu einer gigantischen Volksdatei zusammenzuführen*. Doch selbst wenn solche Schutzvorkehrungen ins Gesetz noch einfließen, bleibt der Plastikpaß nach Ansicht vieler Datenschützer ein gefährliches Ding. Die jetzt »auf vollen Touren laufende Bonner Beruhigungskampagne« (DVD-Sprecher Hausmann) könne nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Ausweiskarten an den Grenzen wie im Binnenland eine »unverhältnismäßige Penetranz« (Humanistische Union) politischer Kontrollen ermöglichen. »Die Zahl der Überprüfungen«, bestätigt ein Baum-Berater, könne nach Einführung der Plastikausweise »gesteigert werden«.

Schwerlich auszuräumen scheint zudem die Gefahr, daß auch die Privatwirtschaft die Ausweisdaten vielfach verarbeiten wird. Baums Beamte jedenfalls sehen noch Schwierigkeiten, solche Nutzungen auszuschließen. Simitis möchte ein entsprechendes Verbot im Bundesdatenschutzgesetz verankern. »Aus dem Stegreif«, weiß von Schoeler, »ist das nicht zu formulieren.«

Datenschützer hatten überdies kritisiert, daß die ursprüngliche Entwurfsfassung es ermöglichte, mit Hilfe von Lesegeräten »den Inhalt des Ausweises praktisch um die Inhalte der Polizeicomputer zu erweitern« (Steinmüller). Baum will derlei nun nach Möglichkeit verhindern. Die »Regelung des Umfangs der polizeilich gespeicherten Daten«, geben Innenministeriale zu bedenken, könne zwar »nicht Gegenstand des Personalausweisgesetzes« sein. Beabsichtigt sei allerdings, »Art und Umfang des zulässigen Datenabgleichs«? etwa zwischen Grenzposten und Polizeicomputern, im Ausweisgesetz festzuschreiben.

Inzwischen hat sich im Baum-Ministerium auch die Auffassung durchgesetzt, »den Schutz des Bürgers vor Mißbrauch des Systems mit gleicher Rechtsqualität zu verankern wie das System selber« (Schoeler). Soll heißen: Wichtige Ausweisdetails sollen nicht, wie ursprünglich vorgesehen, in einer jederzeit veränderbaren Verwaltungsvorschrift fixiert werden, sondern möglichst im Gesetz.

Ob sich freilich CDU- und CSU-Vertreter bereit finden, Baums späte Verbesserungspläne zu stützen, scheint

* Schoeler glaubt, das Entstehen einer zentralen Einwohnerdatei durch folgende rechtliche Regelung verhindern zu können: Personendaten von Ausweisbesitzern werden ausschließlich dezentral, in den kommunalen Meldebehörden, gespeichert (wo die Ausweise beantragt und ausgegeben werden>. Zentral, in der Bundesdruckerei (wo die Karten hergestellt werden), sollen lediglich Seriennummern erfaßt werden; dieses Nummernverzeichnis dürfe nur Auskunft darüber geben, daß ein bestimmter Ausweis an einem bestimmten Tag einer bestimmten Personalausweisbehörde übermittelt worden ist«.

fraglich. Unionspolitiker hätten es lieber gesehen, wenn der Freidemokrat die gesamte heikle Ausweismaterie nicht per Gesetz, sondern ohne viel offentlichen Aufhebens per Ministerialverordnung geregelt hätte -- am Parlament vorbei.

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