PORTUGAL Wankende Säule
Zuerst schien in Portugals neuer Regierung schiere Harmonie zu herrschen:
»Es gibt nur noch Minister, die alle miteinander solidarisch sind« freute sich, im vergangenen Februar, der sozialistische Premier Mário Soares über sein nach zähem Ringen zustande gekommenes Koalitionskabinett aus Sozialisten und Mitgliedern des christlichkonservativen »Demokratisch-Sozialen Zentrums« (CDS).
Doch der Friede währte nur ein halbes Jahr -- vorige Woche zog der Konservativen-Chef Diogo Freitas do Amaral die drei Minister und fünf Staatssekretäre des CDS aus dem Kabinett ab und bescherte dem Land eine neue Regierungskrise, die siebte seit dem Putsch linker Militärs gegen die älteste Diktatur Westeuropas im April 1974: Präsident Ramalho Eanes entließ nach fünfzehnstündiger Beratung mit dem Revolutionsrat den sozialistischen Premier.
Ausgelöst wurde die Krise wieder einmal, wie schon mehrfach zuvor, durch die Person des Landwirtschaftsministers -- in diesem Fall des parteilosen Sozialisten Luis Saias, dem die Konservativen des CDS Kommunistenfreundlichkeit vorwerfen. Saias verzögere die Rückgabe widerrechtlich enteigneter Ländereien an ihre ursprünglichen Besitzer, behauptete das CDS und forderte des Ministers Rücktritt. Premier Soares lehnte ab.
Umstritten wie kein anderes ist das Amt des Landwirtschaftsministers in Portugal schon seit den ersten demokratischen Gehversuchen nach dem Sturz der Diktatur. Denn nirgendwo prallten archaische Rückständigkeit und revolutionärer Erneuerungsdrang so heftig aufeinander wie auf dem Lande -- auf den riesigen Latifundien des Alentejo wie den armseligen Miniparzellen Nordportugals.
Fast 80 Prozent aller portugiesischen Bauern ackerten unter dem von den Militärs gestürzten Regime auf Minifundien von weniger als vier Hektar Größe. Sie verfügten damit über ganze 15 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzungsfläche. Größer als 10<10 Hektar waren lediglich 0,05 Prozent aller Landgüter -- die aber machten rund ein Fünftel der Agrarnutzfläche Portugals aus.
Rund 9<) von hundert Bauern im Alentejo -- in den drei Provinzen südlich des Tejoflusses -- waren besitzlose Landarbeiter, die sich zumeist als Tagelöhner auf den großen Landgütern reicher Grundherren verdingten. Ihr durchschnittlicher Verdienst noch 1973: etwa fünf Mark pro Tag. Mehr als die Hälfte von ihnen konnte weder schreiben noch lesen.
Schon zu Zeiten der Diktatur hatte die damals noch im Untergrund arbeitende Kommunistische Partei Portugals hier ihre Hochburgen. Und im roten Alentejo begannen denn auch. ein Jahr nach dem Putsch, die ersten Landarbeiter, Land zu besetzen, unterstützt zumeist von der KP und weiter links stehenden Gruppen. An den Mauern der Herrenhäuser erschien die Parole »A terra a quem a trabalha« -- das Land dem, der es bearbeitet.
Im Juli 1975 verabschiedete die Revolutionsregierung unter dem KP-nahen Premier Vasco Goncalves erstmals ein Gesetz zur Landreform, das eine Enteignung vor allem jenen Großgrundbesitzes vorsah, dessen Eigentümer das Land nicht selbst bearbeiteten oder es brachliegen ließen -- etwa weil sie es, wie bei vielen reichen Grundbesitzern üblich, lediglich als Sommersitz oder Jagdrevier nutzten.
Nach dem neuen Gesetz konnten im Prinzip alle Landgüter über 70<) Hektar Fläche enteignet werden. Doch berücksichtigten die Reformväter bei der Festlegung der Enteignungsgrenze nicht nur die Größe, sondern mit Hilfe eines komplizierten Punktesystems auch Beschaffenheit und Ertrag des Bodens.
So gingen rund eine Million Hektar -- ein Fünftel der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche »innerhalb des ersten Jahres nach Erlaß der Bodenreform an Landarbeiter über. Allein im Alentejo bildeten sich über 40<) landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften unter zumeist kommunistischer Führung.
Sie boten den einstigen Tagelöhnern erstmals festen Monatslohn (ungefähr 400 Mark) und Achtstundentag und erzielten zunächst auch meßbare Erfolge: So stieg im ersten Jahr der Reform zum Beispiel die Weizenproduktion durch Vergrößerung der Aussaatfläche um zwölf Prozent.
Doch die Unerfahrenheit der neuen Landbesitzer, Organisationsmängel und Fehlplanungen der Agrarbürokraten brachten auch harte Rückschläge. Durch überstürzte Viehabschlachtung etwa stiegen die Fleischpreise in der nächsten Saison in die Höhe; Kork, traditionell eines der wichtigsten landwirtschaftlichen Ausfuhrgüter Portugals, muß inzwischen importiert werden; und obwohl immerhin knapp ein Drittel der aktiven Bevölkerung in der Landwirtschaft arbeitet, mehr als in den meisten anderen westeuropäischen Ländern, kann Portugal noch immer nicht einmal die Hälfte seines Nahrungsmittelbedarfs selbst decken.
Die Kritik an der Landreform wurde um so lauter, je mehr der revolutionäre Überschwang der ersten Zeit nachließ. Ende 1976 beschloß die sozialistische Minderheitsregierung, widerrechtlich besetzten Grund und Boden an die Eigentümer zurückzugeben -- zu jenem Zeitpunkt etwa 20 000 Hektar. Zugleich aber kündigte Landwirtschaftsminister Lopes Cardoso weitere Verstaatlichungen an -- nämlich jener halben Million Hektar, die zwar unter die Enteignungsbestimmungen des Gesetzes fielen, bislang aber noch in Privathand waren.
Kommunisten auf der einen und der konservative Bauernverband Cap auf der anderen Seite schossen sieh auf den Linkssozialisten Lopes Cardoso ein. Die Konservativen blieben Sieger, Lopes Cardoso mußte aufgeben.
Sein Nachfolger António Barreto vom rechten Flügel der Sozialistischen Partei brachte ein neues Agrargesetz durch, welches das alte in wichtigen Punkten revidierte, indem es rückwirkend eine eigentümerfreundlichere Berechnungsgrundlage für Enteignungen festsetzte -- 70 000 statt bisher 50 000 Punkte für alle Landgüter, die von ihrem Besitzer vor der Reform selbst bewirtschaftet worden waren.
Enteignete Grundherren sollten darüber hinaus Entschädigung und in bestimmten Fällen ihr Land zurückerbalten. Für die riesigen, KP-geführten Staatsgüter dagegen führte das Gesetz Kreditrestriktionen ein und verfügte die Aufteilung der Groß-Kollektive in kleinere Betriebe, die genossenschaftlich organisierten Bauern gehören sollen.
Abermals liefen Linke wie Rechte Sturm gegen das Landwirtschaftsministerium -- die einen, weil ihnen die Korrekturen nicht weit genug gingen, die anderen, weil sie die »tragende Säule der Revolution« (so die KP) wanken sahen.
Eine Serie von Bombenanschlägen auf die Büros des Agrarministeriums erschütterte das Land. Allein in einer Woche gab es im Alentejo 70 Verletzte. als die Polizei gewaltsam die Räumung von Landkollektiven erzwang. 101 ungesetzlich besetzte Landgüter wurden an die Eigentümer zurückgegeben.
Die Grundherren murrten dennoch weiter -- sie wollten endlich auch das versprochene Geld sehen. Ein im vorigen Sommer verabschiedetes Gesetz sieht zwar vor, daß alle enteigneten Aktien- und Grundbesitzer Entschädigungen im Gesamtwert von 100 Milliarden Escudos (damals etwa sechs Milliarden Mark) erhalten sollen zumeist in Form von Schuldverschreibungen mit Laufzeiten zwischen sechs und 22 Jahren und Verzinsungen zwischen 2,5 und zwölf Prozent. Doch die Regierung, so die Grundbesitzer, verschleppe die Entschädigungszahlungen absichtlich. Keiner der betroffenen Grundeigentümer wurde bislang schon ausgezahlt.
Landwirtschaftsminister Saias wies die Vorwürfe zurück: Sein Ministerium, so ließ er veröffentlichen, habe von März bis Ende Juni 16 000 Hektar Land an seine Eigentümer zurückgegeben. Doch Anfang Juli ging der Bauernverband erneut zum Angriff über -- mit einer Treckerdemonstration auf der Nationalstraße Nummer 1 nördlich von Lissabon.
Der konservative Koalitionspartner, der ohnehin um den rechten Flügel seiner Wählerschaft fürchtet, seit die konkurrierende Konservativenpartei PSD auf ihrem Parteitag am 1. und 2. Juli einen konsequenten Rechtskurs beschloß, beugte sich der Macht der Trecker und kündigte die Koalition mit den Sozialisten auf.
Wie es nach der Sommerpause des Parlaments weitergehen soll -- ob mit einem Übergangskabinett, ob mit einer neuen Koalition, ob mit Neuwahlen -, war bis zum Ende vergangener Woche noch ungewiß. Soares, der nach seiner Entlassung zunächst sofort sein Kabinett nach Hause schicken wollte, führt nun doch bis auf weiteres die Amtsgeschäfte.
Eines jedoch ist sicher: Auch die nächste Regierung erbt die Landreform.