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»WARUM KÄMPFT IHR NICHT, STATT ZU VERHANDELN?«

aus DER SPIEGEL 43/1966

Am 2. Mai 1945 legte die deutsche Heeresgruppe C - fast eine Million Mann, die den alliierten Vormarsch in Oberitalien aufhalten sollten - die Waffen nieder. Die größte Teilkapitulation des Zweiten Weltkrieges war zugleich der Anfang vom Ende; eine Woche nach der bedingungslosen Waffenniederlegung an der Südfront kapitulierte die Wehrmacht an allen Fronten. Die vorzeitige Waffenruhe in Italien wurde unter dem Decknamen »Unternehmen Sunrise« auf deutscher Seite heimlich von SS-General Wolff, auf alliierter Seite vom amerikanischen Geheimdienst OSS eingefädelt. Die amerikanischen Hauptakteure der Aktion, der OSS-Resident in Bern und spätere US-Geheimdienstchef Allen Dulles und sein engster Mitarbeiter, der Deutsch-Amerikaner Gero v. S. Gaevernitz, schildern in ihrem eben erschienenen Buch »Unternehmen Sunrise« jede Phase der monatelangen Bemühungen um die Kapitulation. Dem Kapitel »Der Höhepunkt«, das die Entscheidung beschreibt, sind folgende Auszüge entnommen:

- Der letzte Akt des Unternehmens »Sunrise« (Sonnenaufgang) begann

bei einem Zusammentreffen im Hauptquartier des Oberbefehlshabers der Italien-Front, Generaloberst von Vietinghoff, in Recoaro am 22. April 1945, kurz nach der Rückkehr des SS-Generals Wolff von einem Treffen mit Hitler in Berlin. Wie wir später erfuhren, waren es vor allem Vietinghoffs Stabschef, General Röttiger, und Italien-Botschafter Rahn, die Vietinghoff überredeten, Oberstleutnant von Schweinitz als Bevollmächtigten der Wehrmacht zur Kapitulations-Unterzeichnung ins alliierte Hauptquartier Caserta bei Neapel zu entsenden *.

Vietinghoff hatte allerdings darauf bestanden, daß gleichzeitig ein Kurier zum Oberbefehlshaber West,- Generalfeldmarschall Kesselring, geschickt würde. Er wollte die Rückendeckung des Marschalls, der vor ihm die Südfront befehligt hatte. Mit der Mission wurde Oberst Dollmann aus dem Stabe Wolffs beauftragt.

Zum erstenmal in der langen Entwicklung des Unternehmens »Sunrise« war zu diesem Treffen in Recoaro auch der Gauleiter von Tirol, Franz Hofer, eingeladen worden. Grund: Das Gebiet, in das sich das deutsche Oberkommando in Kürze zurückziehen sollte, stand, unter Hofers ziviler Verwaltung und war ein Teil der von den Deutschen angeblich geplanten »Alpenfestung«. Wolff vertraute Hafer und glaubte an seine Bereitwilligkeit, an den Plänen für die Kapitulation mitzuwirken. Später entpuppte sich Hofer jedoch als gefährlicher Intrigant, der nur darauf bedacht war, seine Stellung in Tirol zu behalten.

Bei dem entscheidenden Treffen mit Vietinghoff am 22. April versuchte Hofer, Klauseln in das Waffenstillstandsabkommen einzufügen, die Tirol politische Autonomie garantiert und ihm selbst zugesichert hätten, weiterhin der Chef einer Landesregierung von

Tirol zu bleiben. Man sollte meinen, daß dies nicht der Augenblick für die Befriedigung solchen Ehrgeizes war.

Die Teilnehmer der Besprechung versuchten, Hafer seine Ideen auszureden, und waren auch der Meinung, sie hätten dieses Ziel erreicht. Als Hofer die Konferenz im Hauptquartier Vietinghoffs verließ, hatte er vollen Einblick in die Pläne, die in den nächsten Tagen zur Ausführung kommen sollten, erhalten. Es hatte den Anschein, als habe er sich mit -der Undurchführbarkeit seiner persönlichen Pläne abgefunden. Er hatte versprochen, zu schweigen und an dem Vorhaben mitzuwirken. Beide Versprechen brach er.

Am 24. April machte sich Dollmann auf den Weg zu Kesselrings Hauptquartier in Pullach bei München. Er bat Doktor Niessen, ihn zu begleiten, der ein Mitglied des Stabes von Vietinghoff und früher Kesselrings Arzt gewesen war. Dollmann war der Überzeugung, daß

Niessen mit Kesselrings Denkweise besonders vertraut war.

Auf dem Weg nach München machten Dollmann und Niessen kurz in Innsbruck halt. Gauleiter Hafer hatte sie zum Essen eingeladen. Hofer, der wußte, daß Dollmann zu Kesselring fuhr, um dessen Zustimmung zur Durchführung von »Sunrise« einzuholen, benutzte die Gelegenheit, um mit Dollmann einen neuen Plan zu erörtern. Seit seiner Abreise aus Vietinghoffs Hauptquartier vor zwei Tagen, wo er mit seinen Plänen nicht durchgedrungen war, hatte er darüber gegrübelt.

Dollmann war sich sofort im klaren, daß der eigenwillige Hafer in seiner Haltung »Sunrise« gegenüber schwankte. Der Chef des Reichssicherheits-Hauptamtes und Wolff-Gegner Kaltenbrunner hielt sich in diesen Tagen in Innsbruck auf, und Hafer stand offensichtlich in' Verbindung mit ihm. Hofer sagte, sie verfolgten einen Plan, die Alliierten zu Verhandlungen über eine Art »österreichischen« Waffenstillstands zu bewegen. Kaltenbrunner käme in wenigen Stunden zu ihm. Ob Dollmann bleiben und mit Ihm sprechen wolle?

Dollmann witterte Gefahr. Kaltenbrunner war der letzte, den er in diesem Augenblick treffen wollte. Unter dem Vorwand, er käme zu seiner Verabredung mit Kesselring zu spät, verließ er Hofer noch rechtzeitig vor Kaltenbrunners Ankunft. Dollmann wußte genau, daß Kaltenbrunner und Hafer im Falle ihrer Zusammenarbeit vor nichts zurückschrecken würden, um Wolffs Kapitulationspläne noch in letzter Stunde zu durchkreuzen.

Am 26. April 1945 traf sich Dollmann mit Kesselring. Amerikanische Verbände näherten sich an diesem Tage Regensburg. Sie standen nur noch achtzig Kilometer nördlich von München. In Kesselrings Hauptquartier erfuhr Dollmann, daß die Ernennung des Feldmarschalls zum Oberbefehlshaber aller deutschen Verbände in Süddeutschland und - Italien unmittelbar bevorstand. Das bedeutete nichts anderes, als daß Vietinghoff, der bis dahin dem Führerhauptquartier in Berlin direkt unterstellt war, nun Kesselring zum Vorgesetzten haben werde. Sollte dieser Fall tatsächlich eintreten, war die offizielle Zustimmung Kesselrings zur Kapitulation der Heeresgruppe C in Oberitalien erforderlich. Seine moralische Unterstützung genügte dann nicht mehr.

Dollmann unterrichtete Kesselring über den letzten Stand des Unternehmens »Sunrise«. Er verschwieg, daß Wolff zusammen mit Schweinitz und Wenner in Caserta die Kapitulation unterzeichnen wollte. Dieses letzte und bedeutsame Detail hatte er auf Niessens Rat hin verschwiegen.

So fragte Dollmann ihn lediglich: »Herr Feldmarschall, was würden Sie tun, welche Antwort würden Sie dem deutschen Volk geben, wenn es sich im kritischen Augenblick an Ihr Verantwortungsgefühl wenden sollte?« - »Sie können versichert sein«, antwortete Kesselring, »daß ich in einer solchen Lage meine ganze Person für das deutsche Volk einsetzen und zu seiner Verfügung stehen würde.«

Dollmann gab sich mit dieser vagen Antwort zufrieden. Er glaubte aus dieser Formulierung herauszuhören, daß Kesselring jeden Schritt in Richtung auf eine Einstellung der Feindseligkeiten unterstützen würde, sobald er sich erst einmal frei fühlte zu handeln, das heißt, sobald Hitler erst einmal verschwunden wäre und die Generale in eigener Verantwortung Entscheidungen treffen könnten. Dollmann verließ Kesselring mit einem Gefühl der Erleichterung. Doch sein Urteil war, wie die Ereignisse der folgenden Tage beweisen sollten, falsch.

Kurz nachdem am 26. April Dollmann und Niessen das Hauptquartier Kesselrings verlassen hatten, rief dieser Vietinghoff an und forderte ein persönliches Zusammentreffen in Innsbruck. Es ist schwer zu verstehen, wie Kesselring die Zeit fand, seinen Kommandoposten bei - der zusammenbrechenden Front in Süddeutschland zu verlassen. Aber das Treffen mit Vietinghoff fand in der Tat am 27. April 1945 in Innsbruck auf Hofers Bauernhof statt.

Kesselring wollte sich vor allem persönlich über die jüngsten Vorgänge bei der Heeresgruppe C orientieren. Zunächst waren bei dieser Besprechung Kesselring, Hofer. Rahn und der Heeres -Oberst Moll anwesend**. Am Nachmittag erschien auch Vietinghoff. Röttiger, der auch zu der Besprechung befohlen war, wollte sich seine Handlungsfreiheit bewahren und hatte den Chef seines Stabes, Oberst Moll, als seinen Stellvertreter entsandt.

Hofer scheint nur wenig gesagt zu haben. Er spielte in diesem Akt nur eine Nebenrolle und beobachtete die anderen Beteiligten. Moll bestätigte ganz offen. daß mit den Alliierten Verhandlungen im Gange seien. Kesselring überschüttete ihn daraufhin mit schwersten Vorwürfen, bezeichnete das eigenmächtige Handeln als Hochverrat und stellte Moll ein Kriegsgerichtsverfahren und die Todesstrafe in Aussicht.

Moll sah keinen Grund, in den letzten Kriegstagen noch sein Leben aufs Spiel zu setzen. Anstatt das Ende des Gesprächs zwischen Kesselring und Hofer abzuwarten, verließ er in seinem Wagen Hofers Bauernhof und fuhr schleunigst in Richtung Bozen ab.

In der Nähe des Brenners begegnete er Vietinghoff, der zur Besprechung zwischen Kesselring und Hofer fuhr. Moll riet Vietinghoff eindringlich, von diesem Vorhaben Abstand zu nehmen. und berichtete über seine soeben gemachten Erfahrungen. Aber Vietinghoff ließ sich nicht umstimmen und setzte seine Fahrt fort.

Das Ergebnis der Konferenz zwischen Kesselring und Vietinghoff war, daß Kesselring an seinem Entschluß festhielt, keiner Kapitulation zuzustimmen, was auch immer sie beinhalte, solange der Führer am Leben war. Er erklärte, er müsse unterstellen, daß die Behauptung des Führers, die Schlacht um Berlin würde eine Wende des Krieges zugunsten Deutschlands herbeiführen, begründet sei, obwohl er keine Einzelheiten wisse.

General Röttiger erfuhr in Bozen telephonisch von dem ergebnislosen Ausgang der Unterredung mit Kesselring und eilte sofort zu Rahn und Vietinghoff nach Meran. Er glaubte sicher, Rahn könne seinen Einfluß auf Vietinghoff geltend machen, ihn zu selbständigem Handeln zu bewegen, zumal nunmehr kein anderer Ausweg blieb.

An dieser Stelle sollte ich erwähnen, daß unsere Kenntnis über die Zusammenkunft in Meran - und über andere, die folgten - auf einer Reihe schriftlicher Berichte beruht, die wir von vier Teilnehmern - Vietinghoff, Wolff, Röttiger und Dollmann - unmittelbar nach Kriegsende erhielten. Röttiger schreibt: »Vietinghoff war völlig entmutigt und glaubte, daß er die Waffenniederlegung nicht mehr herbeiführen könne. Ich widersprach ihm. Eine äußerst lebhafte Diskussion zwischen uns setzte ein, in deren Verlauf ich sehr harte Worte benutzen mußte. Rahn verhielt sich neutral.«

Dollmann berichtet: »Die Stimmung Vietinghoffs war pessimistisch, erregt, nervös. Gott sei Dank war General Röttiger da. Ohne Röttiger wäre alles weitere unmöglich gewesen. Vietinghoff sprach von Soldatehehre und seiner Treue zum Führer ... Zum ersten Mal in meinem Leben hörte ich ein Rededuell ohne Pardon zwischen zwei hohen militärischen Führern, das Röttiger beendete, indem er die Dinge beim Namen nannte, nämlich, daß Worte wie Ehre und Treue und ähnliches Gerede nicht ausreichten, irgend jemanden zu überzeugen, wenn die Ursache aller Schwierigkeiten offensichtlich ein völliger Mangel an persönlicher Courage sei ...«

In dem Augenblick, als die Besprechung in Meran beendet war, traf die Nachricht ein, Wolff habe die Grenze von der Schweiz nach Österreich überschritten und sei auf dem Rückweg nach Bozen. Nun fuhren alle vier - Vietinghoff, Röttiger, Rahn und Dollmann - nach Bozen, um sich dort mit Wolff zu treffen. Gleichzeitig entschlossen sie sich, Hofer von Wolffs Rückkehr zu unterrichten. Sie riefen ihn in Innsbruck an und baten ihn, am Abend nach Bozen zu kommen.

Kurz vor Mitternacht des 27. April traf Wolff in Bozen ein. Eine bedeutsame Besprechung zwischen den deutschen Hauptbeteiligten an »Sunrise« begann am 28. April um zwei Uhr morgens. Wolff unterrichtete seine Zuhörer über ... die erfolgte Abreise von Wenner und Schweinitz nach Caserta zur Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde.

Wolff gab, zu verstehen, daß für die Alliierten nur eine bedingungslose Kapitulation in Frage komme. Er fügte hinzu, es gehe jetzt nicht mehr um irgendwelche Sondervereinbarungen. Zu einem früheren Zeitpunkt wären solche vielleicht noch möglich gewesen, aber die auf deutschei Seite an »Sunrise« Beteiligten hätten zu lange gezögert und seien untereinander uneinig gewesen.

Alle begriffen dies, außer Hofer. Er war offensichtlich zutiefst enttäuscht. Er behauptete, zum ersten Male etwas von - einer »bedingungslosen Kapitulation« zu hören. Niemals hätte er dem Unternehmen zugestimmt, wäre ihm dies bekannt gewesen. Er forderte nunmehr, daß alle militärischen Verbände auf seinem Gebiet sofort seiner Kontrolle unterstellt würden. Diese Forderung des geriebenen Tiroler Naziführers stieß auf den heftigen Widerstand aller anderen Anwesenden, selbst auf den Vietinghoffs.

Röttiger ließ sich auf eine hitzige Debatte mit Hofer ein, die jedoch ergebnislos verlief. Die Konferenz löste sich kurz nach Tagesanbruch auf, ohne daß der Streit beigelegt war. Hofer fuhr in übelster Laune ab. Die anderen Beteiligten beschlossen, weiter nichts -zu unternehmen, bis die Bevollmächtigten mit den Kapitulationsdokumenten aus Caserta zurückgekehrt seien. Offensichtlich fühlte sich keiner von ihnen veranlaßt, Kesselring über die Anwesenheit der Parlamentäre im alliierten Hauptquartier zu informieren.

Die beiden Bevollmächtigten waren am 28. April gerade in Caserta eingetroffen. An diesem Tage trat das ein, was alle an »Sunrise« Beteiligten befürchtet hatten: Kesselring wurde von Hitler zum Oberbefehlshaber aller deutschen Verbände im Süden - und damit auch der Heeresgruppe Vietinghoffs - ernannt. Es war eine der letzten Amtshandlungen Hitlers, und sie hätte »Sunrise« fast zum Scheitern gebracht.

Irgendwann im Laufe des 29. April gelang es Hofer, mit Kesselring erneut in Verbindung zu treten. Er berichtete ihm, was Wolff am Tage zuvor den Verschwörern mitgeteilt hatte: daß die Alliierten auf einer bedingungslosen Kapitulation bestünden. Röttiger, der Hofer im Gegensatz zu Wolff niemals getraut hatte, erfuhr als erster, was geschehen war.

In einem Telephongespräch, das er am 29. April mit Hofer führte, schrie dieser den General an: »Man handelt über meinen Kopf hinweg! Ich möchte mit euren Machenschaften nichts mehr zu tun haben! Warum kämpft ihr nicht, statt zu verhandeln?«

Am frühen Morgen des 30. April erreichte die Krise ihren Höhepunkt. In Bozen liefen Befehle Kesselrings ein, durch welche Vietinghoff und Röttiger ihrer Posten enthoben wurden. Beiden wurde befohlen, sich zu einer geheimen militärischen Ausweichstelle der Heeresgruppe in der Nähe des Karer Sees in den Dolomiten, die den Decknamen »Blaupunkt« führte, zu begeben. Dort sollten sie Bericht erstatten und sich vor einem Kriegsgericht verantworten.

Zum Nachfolger Vietinghoffs wurde General Friedrich Schulz ernannt. Röttiger sollte von Generalmajor Wentzell abgelöst werden. Wolff, der Kesselring nicht unterstellt war, sollte durch die SS zur Rechenschaft gezogen werden. Man hatte ihm mitgeteilt, daß Kesselring seinen Fall zur Untersuchung an Kaltenbrunner, den höchsten SS- und Gestapochef in diesem Gebiet, weitergeleitet habe. Erst jetzt begriff Wolff, daß Hofer sie verraten hatte.

Vietinghoff, der Mann, in dessen Namen die Kapitulation unterzeichnet worden war, befolgte Kesselrings Befehl und begab sich als gehorsamer Soldat sofort zum Karer See. Fast schien es, als fühle er sich erleichtert, nicht mehr am Geschehen teilnehmen und nicht mehr die Verantwortung für sein eigenes Vorgehen tragen zu müssen. Röttiger dagegen entschloß sich zu bleiben, wenigstens so lange, bis Schulz und Wentzell ihre Posten ordnungsgemäß übernommen hätten und er sie in ihren neuen Aufgabenkreis eingeführt hätte. So gewann er noch Zeit zum Handeln.

Am Nachmittag des 30. April trafen Schulz und Wentzell in Bozen ein. Fast gleichzeitig erfuhr Wolff, daß Schweinitz und Wenner mit der unterzeichneten Kapitulationsurkunde in der Tasche auf dem Rückweg aus Caserta an der schweizerisch-österreichischen Grenze angelangt waren. Wolff schlug ihnen vor, unter Benutzung des Reschenpasses Innsbruck zu umgehen, wo Hofer sein Hauptquartier hatte und wo seine Kontrolle besonders wirksam war.

So kamen Schweinitz und Wenner kurz nach Mitternacht des 1. Mai in Bozen an. In einer geheimen Zusammenkunft zeigten sie Wolff und Röttiger das Kapitulationsabkommen, dem zufolge die Waffenniederlegung in Italien am

2. Mai um 14 Uhr Ortszeit, also in ungefähr 36 Stunden, erfolgen sollte.

Schulz und Wentzell hatten mittlerweile Wolff klipp und klar erklärt, sie könnten ohne Zustimmung Kesselrings keine Befehle zur Feuereinstellung erteilen. Wie Wolff selbst wisse, bestünde nur geringe Aussicht, Kesselrings Standpunkt zu ändern.

Das war der Stand der Dinge während der Stunden, die dem Tagesanbruch des 1. Mai vorausgingen.

Als es Tag wurde, entschloß sich Röttiger im Einvernehmen mit Wolff zu einer verzweifelten Maßnahme. Er setzte Schulz und Wentzell fest, mit der Begründung, er könne in diesem kritischen Augenblick die militärische Befehlsgewalt nicht aus der Hand geben. Röttiger übernahm das Oberkommando über die Heeresgruppe. Er und Wolff glaubten nunmehr freie Hand zu haben, den der Heeresgruppe unterstellten Generalen die Befehle zur Feuereinstellung zu erteilen. Es waren die Generale Herr und Lemelsen, die Oberbefehlshaber der 10. und 14. Armee, sowie der Luftwaffengeneral von Pohl.

Letzterer hatte wochenlang Wolff und Röttiger in ihren Bemühungen, den Krieg zu beenden, beigestanden. Auf ihn war vollster Verlaß. Die beiden anderen Generale standen den Plänen zur Feuereinstellung zwar wohlwollend gegenüber, waren aber in ihrer Unterstützung nie so weit gegangen wie Pohl.

Das Hauptquartier der Heeresgruppe befand sich in einer weitläufig ausgebauten Stollenanlage, die man in den Felsen eines Bergs gesprengt hatte. Der Stollen lag nicht weit entfernt vom Palast der Herzöge von Pistoia, in dem Wolff sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. Den Stollen hatte Gauleiter Hofer der Heeresgruppe als Befehlsstand zur Verfügung gestellt. In einem Raum dieses Stollens waren Schulz und Wentzell von Röttiger festgesetzt worden.

Nachdem Röttiger den Oberbefehl über die Heeresgruppe übernommen hatte, befahl er dem Nachrichtenoffizier General Kempf, alle Telephon- und Fernschreibverbindungen nach Deutschland zu unterbrechen. Kempf willigte ein. Auf diese Weise sollte in Deutschland niemand etwas von den ungewöhnlichen Vorgängen in Norditalien erfahren. Umgekehrt konnte auch niemand von Deutschland aus Befehle übermitteln, um das Vorgehen der an »Sunrise« beteiligten Offiziere zu unterbinden.

Als nächstes rief Röttiger die kommandierenden Generale der 10. und 14. Armee, Herr und Lemelsen, an und unterrichtete sie von der Festsetzung Schulz' und Wentzells und von seiner Absicht, die Kapitulation in die Tat umzusetzen. Zu Röttigers Bestürzung

nahmen sowohl Herr als auch Lemelsen Anstoß daran, daß ihre vorgesetzten Offiziere widerrechtlich festgenommen worden waren. Es zeigte sich jetzt, daß das Vorgehen Röttigers taktisch wahrscheinlich unüberlegt gewesen war, zumal er persönlich weder mit Herr noch mit Lemelsen besonders gut stand und diese außerdem älter waren als er.

Die beiden weigerten sich, unter den bestehenden Verhältnissen die Waffenniederlegung durchzuführen. Sie weigerten sich sogar, an der von Röttiger für diesen Abend einberufenen Generalbesprechung teilzunehmen. Dies schien Röttiger das Ende von allem zu sein. Er hatte sich des groben Ungehorsams schuldig gemacht - ein Verbrechen, das mit dem Tode bestraft wurde - und nichts dabei gewonnen.

Gegen Mittag dieses Tages eilte Oberst Moll zu Wolff und berichtete ihm, Röttiger wolle sich erschießen. Wolff raste zu Röttiger hinüber, redete diesem seine Selbstmordgedanken aus und schlug ihm vor, sie sollten nunmehr ihr Vorgehen ändern und versuchen, Schulz und Wentzell auf ihre Seite zu bringen.

Wolff übernahm es, zunächst allein mit Schulz und Wentzell zu sprechen. Es ging jetzt darum, die Einigkeit unter den Generalen wiederherzustellen, um, den Frieden zwischen den kämpfenden Armeen in Italien' herbeizuführen

wenn es dafür nicht schon zu spät war. Nach einem langen Gespräch hatte Wolff die beiden Generale endlich soweit. Sie waren einverstanden, die Waffenniederlegung durchzuführen, allerdings nach wie vor unter der einen Bedingung: daß Kesselring einwilligte.

Jetzt rief Wolff General Röttiger, der sich bei Schulz und Wentzell für sein brüskes Vorgehen am Vormittag entschuldigte. Die beiden Offiziere verziehen ihm, sie schüttelten ihm sogar die Hand. Die Nachrichtenverbindung zu Kesselrings Hauptquartier in Deutschland wurde wiederhergestellt. Lemelsen und Herr, die Oberbefehlshaber der 10. und der 14. Armee, wurden davon unterrichtet, daß Schulz und Wentzell in Freiheit seien und ihre Kommandoposten wieder übernommen hätten. Jetzt waren beide bereit, an der geplanten Besprechung der Generale am Abend des 1. Mai um sechs Uhr teilzunehmen.

Bei dieser Besprechung waren anwesend: die Generale Wolff, Röttiger, Schulz, Wentzell, Herr, Lemelsen, von Pohl und Vizeadmiral Löwisch (der letztere als Vertreter der deutschen Kriegsmarine). Oberst Moll, Dollmann und einige hohe Stabsoffiziere waren ebenfalls zugegen. Röttiger und Wolff erklärten, es dürfe keine kostbare Zeit mehr verloren werden, da laut dem Kapitulationsabkommen mit den Alliierten die Feuereinstellung in weniger als 20 Stunden zu erfolgen habe.

Herr und Lemelsen unterstützten Wolffs Drängen bei Schulz, der nun ja der deutsche Oberbefehlshaber auf dem italienischen Kriegsschauplatz war, mit dem Hinweis, ihre Armeen seien in einer militärisch äußerst schwierigen Lage und besäßen kaum noch schwere Waffen.

Aber keiner der beiden war bereit, auf eigene Faust und ohne Zustimmung von Schulz zu handeln, obwohl sie nachdrücklich betonten, daß eine Fortführung der Kämpfe nicht länger gerechtfertigt sei. Ähnliches äußerte von Pohl. Schulz jedoch bestand nach wie vor darauf, daß er nicht ohne Zustimmung Kesselrings handeln könne. Immerhin willigte er ein, zu versuchen, sich sofort mit Kesselring in Verbindung zu setzen und von diesem eine Entscheidung zu erbitten. Weiter zu gehen war er nicht bereit.

Die Zeit verstrich allzu rasch. Um acht Uhr abends fing Little Wally (ein alliierter Funker, der in Wolffs Hauptquartier für die Verbindung zu den Westmächten sorgte) einen Funkspruch des britischen Feldmarschalls Alexander auf, der um eine Bestätigung der Kapitulationsabmachungen und desZeitpunkts der Feuereinstellung bat, damit er seinerseits sich auch an das Abkommen halten könne.

Wolff beauftragte Little Wally, Alexander über Funk zu antworten, daß eine endgültige Entscheidung innerhalb der nächsten zwei Stunden erfolgen werde. Mittlerweile versuchten Wolff und Schulz, Feldmarschall Kesselring in seinem Pullacher Hauptquartier anzurufen, aber ausgerechnet in diesem so wichtigen Augenblick war er nicht zu erreichen.

Wolff gelang es endlich, Kesselrings Stabschef, General Westphal, an den Apparat zu bekommen. Wolff änderte jetzt seine Taktik. Er schlug Westphal vor, es solle sofort ein neuer Oberbefehlshaber für die deutsche Heeresgruppe in Italien ernannt werden, der bereit sei, die Verantwortung für die Kapitulation zu übernehmen. Dieser neue Oberbefehlshaber solle aus der Gruppe der Generale in Bozen ausgesucht werden, die zu selbständigem Handeln bereit seien.

Wolff drängte, es solle entweder Röttiger, Herr, Lemelsen, Pohl oder er selbst zum Oberbefehlshaber der Heeresgruppe bestellt werden. Westphal antwortete, er wolle die Angelegenheit Kesselring schnellstmöglich vortragen und innerhalb einer halben Stunde antworten. Um zehn Uhr abends war jedoch weder von Westphal noch von Kesselring eine Antwort eingetroffen.

Wolff war entschlossen, sein Versprechen, das er Feldmarschall Alexander mittels Funkspruch gegeben hatte, zu halten und ihm spätestens um 22.30 Uhr zu antworten. Nach Dollmanns Schilderung machte sich um diese Zeit - trotz aller Spannung und trotz des offenen Streits zwischen den Verfechtern der entgegengesetzten Auffassungen - eine gewisse menschliche Schwäche bemerkbar, die vorübergehend die viel wichtigeren Dinge in den Hintergrund drängte.

Die Gruppe am Konferenztisch hatte seit vielen Stunden verhandelt - und jeder war hungrig. Ein Berg belegter Brote wurde gebracht, und für einige Minuten wurde es still, während alle, ob Befürworter oder Gegner der Kapitulation, gemeinsam kauten.

Danach richtete Wolff an Schulz die Bitte, er möge ein letztes Mal versuchen, Kesselring zu erreichen. Aber es stellte sich heraus, daß dieser immer noch auf Inspektionsreise bei seinen ihm noch verbliebenen Truppen in Tirol war; man erwartete ihn erst gegen Mitternacht in seinem Hauptquartier zurück. Schulz zuckte die Achseln. Ohne Kesselring gab es für ihn keine Entscheidung.

Kurz vor 22.30 Uhr, als sich die Offiziere schweigsam am Konferenztisch gegenübersaßen, ereignete sich der entscheidende Durchbruch. General Herr, der Oberbefehlshaber der 10. Armee, der seit dem Beginn der Besprechung geschwankt hatte, drehte sich plötzlich zu seinem Stabsoffizier um und sagte: »Geben Sie an die 10. Armee den Befehl, morgen um 14 Uhr Ortszeit das Feuer einzustellen.« Der Stabsoffizier verließ den Raum. Sofort danach gaben auch Wolff, Pohl und als letzter Lemelsen gleichlautende Befehle. Dann verließ Wolff vorübergehend den Raum. Er ließ Alexander durch Funk mitteilen, daß die Hauptmasse der in Italien kämpfenden deutschen Verbände zum vereinbarten Zeitpunkt kapitulieren würde - jedoch ohne Zustimmung von Kesselring oder Schulz.

Unmittelbar nach der Absendung des Funkspruchs an Alexander um 23 Uhr kam über das Radio die Nachricht von Hitlers Tod. Wolff erwartete, daß dieses Ereignis Schulz und Kesselring sofort auf seine Seite bringen würde. Sie waren ja nun nicht mehr durch den auf Hitler geleisteten Treueeid gebunden. Aber Kesselring ließ nichts von sich hören, und ohne seinen Befehl war Schulz noch immer nicht zum Handeln bereit.

Neuerdings begannen die Kräfte, die sich einer Kapitulation widersetzten, an Boden zu gewinnen. Kurz vor Mitternacht war ein Befehl aus Deutschland eingetroffen, Pohl zu verhaften. Der Befehl war von Pohls Vorgesetztem, dem General der Luftwaffe und Oberbefehlshaber der 6. Luftflotte, Dessloch, unterzeichnet. Er wurde jedoch in Bozen nicht befolgt, da Major Neubert, ein Mitglied von Pohls Stab, an den der Befehl gerichtet war, dessen Ausführung verweigerte.

Weit schlimmer war, daß gegen 1.15 Uhr morgens Befehle von Kesselring einliefen, Vietinghoff, Röttiger, Moll, Schweinitz und eine Reihe von anderen höheren Offizieren, die in das »Sunrise«-Unternehmen verwickelt waren, zu verhaften.

Schulz, der sich zusammen mit den anderen hohen Offizieren noch im Konferenzraum des Befehlsstollens aufhielt, hatte mittlerweile Schritte unternommen, die selbständig handelnden Generale in seinem Hauptquartier festzunehmen, um sie an jeder weiteren Aktion zu hindern. Als sich Wolff, unter dem Vorwand, zur Toilette zu gehen, kurz aus dem Konferenzraum entfernte, sah er, wie sich im Gang des Stollens bewaffnete Gruppen von Soldaten postierten.

Er kehrte sofort in den Konferenzraum zurück und gab seinen Mitverschwörern, einschließlich der Generale Herr und Lemelsen, ein Zeichen, ihm zu folgen. Sie kamen. Wolff, der die Anlage der unterirdischen Gänge genau kannte, führte die Gruppe zu einem unbenutzten und wenig bekannten Seitenausgang. Dieser war unbewacht. Draußen angelangt, erklärte Wolff, er werde sich jetzt in sein nahebei gelegenes Hauptquartier begeben. Er riet den anderen Generalen, ebenfalls ihre Hauptquartiere aufzusuchen, wo sie sich am besten gegen einen Versuch der Festnahme schützen könnten.

Auch Moll hatte den Stollen heimlich verlassen. Das war nicht einfach gewesen, da die Ausgänge von jungen Offizieren mit Maschinengewehren bewacht wurden, die zu der Leibgarde von Schulz gehörten. Schließlich entkam er jedoch und floh über Äcker und durch Gärten bis in Wolffs Hauptquartier. Kurz nach seiner Ankunft dort rief Schulz unerwartet Wolff an und fragte ihn, ob er etwas über Molls Verbleiben wisse.

Wolff erklärte ihm in aller Ruhe, daß Moll bei ihm sei. Schulz bat daraufhin, Moll bis zum Eintreffen zweier Offiziere festzuhalten, die Moll zu ihm bringen

sollten. Nachdem Wolff den Hörer aufgelegt hatte, gab er Moll den Rat, sofort zu fliehen, und stellte ihm hierzu einen Wagen zur Verfügung. Moll fuhr binnen weniger Minuten in Richtung Front ab, um bei General Herr, mit dem er befreundet war, Zuflucht zu suchen. Unterwegs traf er allenthalben auf versprengte deutsche Truppenteile, die Anzeichen von Disziplinlosigkeit und Auflösung zeigten.

Zum selben Zeitpunkt erfuhren Wolff und Dollmann, daß eine Panzereinheit der Wehrmacht den Befehl erhalten habe, Wolffs Hauptquartier, in dem sie sich aufhielten, zu umstellen.

Sofort alarmierte Wolff sieben seiner eigenen SS-Panzer und ließ sie im Schloßpark Stellung beziehen. Gleichzeitig alarmierte er weitere SS-Einheiten zur Verteidigung seines Hauptquartiers. So waren die deutschen Generale in Bozen gegen zwei Uhr morgens für

einen Kleinkrieg gegeneinander gerüstet. Die durch »Sunrise« hervorgerufenen Konflikte hatten ihren Höhepunkt erreicht.

Erstaunlicherweise war die SS auf der Seite derer, die sich ergeben wollten, während auf der anderen Seite die oberste Führung der Wehrmacht stand, die die Kapitulation ablehnte. In dieser Notlage sandte Wolff einen Funkspruch an Alexander, in dem er ihn um das Eingreifen alliierter Luftlandeverbände bat.

Bevor es jedoch zum Ausbruch offener Feindseligkeiten zwischen den beiden widerstreitenden deutschen Gruppen kam, läutete Wolffs Telephon. Es war Kesselring. Er sagte, er habe soeben erfahren, daß an die deutschen Einheiten in Italien der Befehl zur Feuereinstellung ergangen sei. Er überschüttete Wolff mit den schwersten Vorwürfen. Er

wisse wohl, daß Wolff die treibende

Kraft hinter den Ereignissen gewesen sei, die letztlich zur Erteilung dieser Befehle geführt hätten. Er beschuldigte Wolff und seine Mitverschwörer ungeheuerlichen militärischen Ungehorsams. Wolff seinerseits bat Kesselring erneut um seine Hilfe und Unterstützung für die Durchführung der Kapitulation.

Es war ein langes Gespräch und dauerte von zwei bis- vier Uhr morgens. Wolff beschwor Kesselring, den sinnlosen Kampf aufzugeben. Jede Stunde bedeute doch den Verlust weiterer Menschenleben, die Zerstörung weiterer deutscher Städte. Alle seien sich doch darüber einig, daß es für Deutschland sinnlos und hoffnungslos sei, den Krieg weiterzuführen. Der Völkermord habe ohnehin schon lange genug gedauert.

Zeitweilig war die telephonische Verständigung sehr schwierig, und vorübergehend war die Verbindung ganz unterbrochen. Zeitweise wurde die Unterhaltung zwischen Kesselrings Stabschef, General Westphal, und Wolffs Adjutant, Major Wenner, geführt. Wolff erklärte Kesselring Schritt für Schritt von Anfang bis Ende die Entwicklung von »Sunrise« und rechtfertigte sein

eigenmächtiges Handeln in allen seinen Phasen.

Da er wußte, daß Kesselring eine Bolschewisierung Europas als Ergebnis einer deutschen Kapitulation befürchtete, schloß Wolff mit den Worten (wie sie von Dollmann, der während des gesamten Gesprächs anwesend war, wiedergegeben wurden): »Es ist nicht nur eine militärische Kapitulation mit dem Ziel, weitere Zerstörung und weiteres Blutvergießen zu vermeiden. Eine sofortige Waffenniederlegung wird den Anglo-Amerikanern die Möglichkeit verschaffen, ein Vordringen der Russen in Richtung Italien aufzuhalten und der Bedrohung Triests durch Titos Verbände oder dem Versuch, durch einen Aufstand eine Sowjetrepublik in Norditalien zu errichten, zu begegnen ...

»Da der Tod des Führers Sie von Ihrem Treueeid entbunden hat, bitte ich Sie als den Obersten Befehlshaber des gesamten Alpenraums ergebenst und gehorsamst, unser selbständiges Vorgehen, bei dem wir uns von unserem Gewissen leiten ließen, nachträglich zu billigen.«

Das Gespräch zwischen Wolff und Kesselring endete am Morgen des 2. Mai um vier Uhr damit, daß Kesselring zusagte, er werde seine endgültige Entscheidung innerhalb einer halben Stunde übermitteln. Kurz nach 4.30 ,Uhr früh unterrichtete Schulz Wolff telephonisch davon, daß Kesselring ihn soeben angerufen und seine definitive Zustimmung zur Kapitulation erteilt habe. Gleichzeitig habe Kesselring die Verhaftungsbefehl gegen Vietinghoff, Röttiger und die anderen hohen Offiziere aufgehoben.

Als Botschafter Rahn am frühen Morgen in Bozen eintraf und vom Stand der Ereignisse unterrichtet wurde, kant er zu der Einsicht; es sei von höchster Bedeuturig, daß Kesselring umgehend Vietinghoff als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe wiedereinsetze.

Rahn begründete seine Auffassung damit, daß die Kapitulation aufgrund von Vietinghoffs Vollmacht unterzeichnet worden sei. Sollten untergeordnete Befehlshaber deutscher Truppenteile beabsichtigen, sich der Feuereinstellung zu widersetzen, könnten sie dies damit begründen, daß durch Vietinghoffs Absetzung das Kapitulationsabkommen seine Gültigkeit verloren habe. Zudem könnten auch die Alliierten Ihrerseits fürchten, die Abmachungen würden von deutscher Seite nicht befolgt werden, da Vietinghoff abgesetzt sei.

Wolff und die anderen an »Sunrise« beteiligten Generale billigten voll und ganz Rahns Meinung, hatten aber nicht die geringste Lust, nochmals mit Kesselring zu sprechen. Sie baten deshalb Rahn, er selbst möge Kesselring anrufen, was dieser auch tat. Nach einigen »sauren und mürrischen« Bemerkungen, wie Rahn es später beschrieb, ging Kesselring auf Rahns Vorstellungen ein und setzte Vietinghoff wieder in sein Kommando ein. Dieser wurde zu seiner größten Überraschung eiligst aus den Bergen wieder nach Bozen geholt.

Am 2. Mai wurde beim routinemäßigen Abhören des deutschen Funkverkehrs durch alliierte militärische Stellen der Befehl zur Feuereinstellung, der von Bozen aus im Klartext an die deutschen Verbände gerichtet war, aufgefangen. Am 2. Mai 1945 um 14 Uhr Ortszeit begannen die deutschen Soldaten, ihre Waffen niederzulegen. Der Krieg in Italien war zu Ende.

* Röttiger wurde 1956 als Generalleutnant in die Bundeswehr übernommen und war bis zu seinem Tod 1960 Inspekteur des Heeres.

** Moll wurde im August 1966 als Generalleutnant der Bundeswehr zum Heeres-Inspekteur befördert.

Gaevernitz

Dulles

Deutsche Soldaten in Norditalien (Parma): Heimlicher Sonnenaufgang an der Südfront

»Sunrise«-Beteiligte Rahn, Kesselring, Wolff: »Nachträgliche Billigung erbeten«

Italien-Befehlshaber Vietinghoff (r.)*

Vors Kriegsgericht kommandiert

»Sunrise«-Gegner Hofer

Versprechen gebrochen

»Sunrise«-Gegner Kaltenbrunner,

Pläne durchkreuzt

Wolff-Hauptquartier in Bozen: Im Stollen tobte ...

... ein Kleinkrieg deutscher Generale: Alliierter Funker Little Wally im Wolff-Hauptquartier

Kapitulationswilliger Lemelsen

»Ehre und Treue ...

Kapitulationswilliger Herr

... und ähnliches Gerede«

Kapitulations-Gegner Schulz

»Nur mit Zustimmung des Feldmarschalls«

Briten-Feldmarschall Alexander

Ein deutscher General ...

... forderte alliierte Fallschirmjäger an: Alexander-Hauptquartier in Caserta

Kapitulations-Meldung in »Stars & Stripes«

Militärischer Ungehorsam ...

... verkürzte den Krieg: Gefangene deutsche Soldaten in Italien

* Nach der Kapitulation im Bozener Hauptquartier mit (v. l. n. r.) General Röttiger. Dulles-Vertreter v. S. Gaevernitz und Major Wenner.

Allen Dulles, Gero v. S. Gaevernitz
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