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Rudolf Augstein WARUM SIE DEMONSTRIEREN

Von Rudolf Augstein
aus DER SPIEGEL 26/1967

Daß Gummiknüppel und Pistolen nicht die rechte Antwort auf Tomaten und perfide Losungen sind, weiß, nachdem es die »Welt« gemerkt hat, mittlerweile auch der SPD-Pastor Heinrich Albertz. Daß Tomaten und freche Losungen die Welt nicht ändern, wissen die meisten Protest-Studenten. Somit Schluß der Debatte über den planmäßig-unabsichtlichen Totschlag an dem Studenten Benno Ohnesorg?

Es scheint nicht so. Da gibt es doch einige Photos und Zeugenaussagen, die von fern, und doch nah genug, an Killer-Instinkte aus KZ-Zeiten erinnern, wie übrigens auch im Fall des planmäßig unabsichtlich zu Tode gebrachten Untersuchungshäftlings Haase, den die Hamburger Staatsanwaltschaft unter »ohne besondere Vorkommnisse« abtat.

Eine Polizei, die Frauen zusammenschlägt, ist, ich weiß es nicht anders, eine entmenschte Bande. Wer hier entschuldigt, scheidet aus der Diskussion aus (somit die Berliner Volksvertretung).

Mir, dem Fernseher, gefallen Parolen wie »Mörder Johnson« oder »Schah-Hitler-Ky« auch nicht. Wer protestieren will, soll auch denken; wer etwas zum Einsturz bringen will, muß sich selbst etwas einfallen lassen.

Aber warum soll der Schah nicht im Ausland daran erinnert werden, daß er zu Hause Konzentrationslager hat. Er weiß es, das ist das Traurige, vielleicht wirklich nicht. Er glaubt vielleicht selbst, daß er ein Landreformer ist?

Tomaten soll er nicht an den Kopf bekommen, und wer ihn mit Tomaten bewirft, soll mit dem Wasserwerfer rechnen, auch Frauen. Soviel zu den baren Selbstverständlichkeiten.

Aber da ist noch ein großes Wundern, landauf, landab, über die Kluft zwischen der etablierten Schicht und den Studenten. Als einer, der gelegentlich vor und mit Studenten spricht, sich auch mit ihnen kabbelt, wundere ich mich über die Wunderer. Wissen sie so wenig wie der Schah, was in ihrem Land los ist?

Daß die Unruhe der Studenten auch objektive Ursachen hat, kann niemand bestreiten. Die Verfahrenheit der internationalen Politik, die besondere Ausweglosigkeit der deutschen Politik stellt zu hohe Ansprüche an jede Art von Engagement. Wie soll man begreifen, daß es möglich ist, für Israel und für Ho Tschi-minh gleichzeitig Partei zu nehmen, da doch Mao der Feind Israels und der Freund Ho Tschi-minhs ist. Wie soll man begreifen, daß Aktion gut und doch zu nichts gut ist.

Deutschlands Studenten sind, außer von der Polizei und gelegentlich von ihren Rektoren, nur abstrakt gefährdet. Ihnen droht keine Einberufung nach Vietnam, niemand kujoniert ihre schwarzen Kommilitonen, nur die Zimmerwirtin. Deutschlands Studenten haben außer der undankbaren Hochschulreform kein Thema, sondern nur Abstraktheiten fern in Griechenland, Persien, Vietnam, China -- meist Länder, die sie nur aus Druckschriften kennen,

So gäbe es denn in der deutschen Politik keine Themen? Es gibt wohl welche. Aber, und hier wird die Kluft unüberbrückbar, die Politiker der Bundesrepublik haben sich nun einmal entschieden, über die Fundamente unserer politischen Existenz nicht zu diskutieren, und seit in Bonn die Große Koalition aufgemacht worden ist, gibt es für diesen Zustand der permanenten Diskussionslosigkeit sogar ein öffentliches Forum.

Könige, man sieht es gelegentlich, denken über die Grundlagen ihrer Herrschaft oft gar nicht oder erst zu spät nach. Aber dasselbe widerfährt auch zuweilen Demokratien.

Das in Bonn und in Springers Zeitungen entworfene Bild von der Bundesrepublik als einer antikommunistischen Puppenstube, in der alles bis zum Tage der Erweiterung am rechten Platz steht, befriedigt, jedenfalls sind das meine Erfahrungen, die politisch interessierten Studenten nicht.

Gäbe es eine politische Partei, in der aufrichtig diskutiert und entschieden wird, würden viele dieser protestierenden Studenten sich für solch eine Partei engagieren. Es gibt sie nicht. Daß die Söhne des SPD-Vorsitzenden und der Sohn eines früheren Hamburger Bürgermeisters aktiv gegen die Partei ihrer Väter auftreten, ist kein bloßer Vater-Sohn-Konflikt. Man stelle zusammen, was Adenauer und Heuss, Erhard und Lübke, Gerstenmaier und Mende, Wehner und Brandt, Strauß und Barzel (um jede unfaire Aufzählung zu vermeiden) diesen Studenten an diskutierbarem Stoff über die Rolle Deutschlands in der Welt vorgesetzt haben -- es ist zum Schämen wenig.

Die Herausforderung, die in der ungemein schwierigen deutschen Situation liegt, ist von den Politikern insgesamt nicht beantwortet worden, jedenfalls nicht so, daß ein intelligenter Student an die größere gedankliche Kraft der Verantwortlichen glauben könnte. Er muß im Gegenteil fürchten, im Verstand korrumpiert zu werden, wenn er sich ihnen anschließt.

Daß die Klügsten der Studenten bessere Rezepte hätten als kluge Politiker, ist sehr unwahrscheinlich. Aber sie haben jenes Gefühl, das den Politikern abhanden gekommen ist: daß man eine Gemeinschaft durch ständige Mißachtung ihrer Grundlagen ruinieren kann.

Warum sagt kein deutscher Politiker, daß die Vorstellungen der Bundesregierung zur Deutschland-Politik, jedenfalls soweit sie ans Licht treten, irreal sind? Daß sie auf Größen basieren, die es nicht gibt, daß sie Hoffnungen vortäuschen, die spätestens 1955 in die Rumpelkammer der Geschichte entgeistert sind?

Warum gibt es keinen Bundestags-Politiker, der den Leuten sagt, daß der Kommunismus in einem Teil Deutschlands Realität geworden ist, und daß wir nun zu wählen haben: entweder Trennung (was die meisten vorziehen würden) oder gesellschaftspolitische Konzessionen (die auch nur auf Umwegen etwas bewirken könnten)?

Der amerikanische Senat, das britische Unterhaus, sie waren nie ohne Stimmen, die das konventionell Geglaubte in Zweifel zogen. Der Bundestag ist stumm. Was nicht in die westdeutsche Puppenstube paßt, existiert nicht in den Reden der Abgeordneten.

Eine Regierung, die den Iran für ein Bollwerk des freien Westens erklärt, die DDR aber für den Hort östlicher Unfreiheit, kommt vielen Studenten komisch vor. Eine Regierung, die mit der SED-Regierung »menschliche Erleichterungen« verabreden will, ohne diese SED-Regierung als solche anzuerkennen, erscheint ihnen lächerlich. Wahlkämpfe, die zwar auf Kosten des Steuerzahlers, aber doch nur zur Schau ausgetragen werden, sind ihnen suspekt.

Die Berliner Studenten zumal lesen in den freien Zeitungen ihrer freien Stadt nicht einmal die tatsächlichen Hergänge örtlicher Demonstrationen. Sie sehen den Mann das Große Verdienstkreuz mit Stern tragen, der für die Puppenstuben-Versimpelung des bundesrepublikanischen Bewußtseins mehr getan hat als jeder andere; sehen die SPD-Parteiführung diesem Mann, wie einem Augustus, nun sogar schon zum 55. Geburtstag offiziell gratulieren.

Da protestieren sie eben. Und die mit Phantasie Überladenen, eine kleine Gruppe in der Tat, wünschen sich ein zweites Vietnam in Kolumbien oder ein Stück von Mao oder einen Kaufhausbrand. Wenn das Ganze schizophren ist, müssen Teile wohl verrückt werden,

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