»Was befähigt Sie zum Kanzler?«
FRAGE: Was befähigt Sie Ihrer Meinung nach, 1980 ein besserer Kanzler der Bundesrepublik Deutschland zu sein als Ihr Konkurrent?
SCHMIDT: Ihre Frage ist eine Einladung zur Selbstanpreisung. Das schätze ich nicht. Immerhin bin ich dankbar dafür, daß viele Bürger mir Disziplin und Besonnenheit im Denken und Handeln bestätigen. Und beides möchte ich ohne falsche Bescheidenheit für mich in Anspruch nehmen. Ich bin stets, seit ich politische Verantwortung zu übernehmen hatte, tief davon überzeugt gewesen, daß nur der zur Demokratie taugt, der zum Kompromiß bereit ist, der auf dem Felde der Außenpolitik seine nationalen Interessen zwar mit Nachdruck vertritt, aber sie auch mit den Interessen des anderen ehrlich auszugleichen sich bemüht. Auch glaube ich, gegen die Versuchung immun zu sein, unsere deutschen Möglichkeiten zu überschätzen. Ich bin damit einverstanden, daß mir viele unserer Landsleute ein pragmatisches Urteil, Augenmaß und einen Blick für die Realität deutscher und internationaler Politik zutrauen.
STRAUSS: Die klaren, glaubwürdigen, wirklichkeitsnahen Ziele unseres Programms, die innere Geschlossenheit der Union und die bessere Mannschaft. Bereits in der vergangenen Legislaturperiode konnte sich Helmut Schmidt in Lebensfragen der Nation auf keine sichere Mehrheit weder in seiner nach links abdriftenden Partei noch in der Koalition verlassen. Angesichts der Stärkung des extrem linken Flügels in der SPD dürfte Schmidt noch weit weniger als bisher in der Lage sein, gegen den Willen der Linken zu regieren -- mit allen gefährlichen Konsequenzen für unsere äußere und innere Sicherheit, für unsere Energie- und Rohstoffversorgung wie für die Zukunft der Marktwirtschaft.
FRAGE: Welche Ihrer Eigenschaften halten Sie zur Bewältigung politischer Krisen für besonders geeignet?
SCHMIDT: Was kritische Zeitgenossen über mich gesagt haben, brauche ich nicht zu dementieren. In kritischen Phasen der Politik kann ich ruhig bleiben, auch wenn mich -- wie nach der Entführung von Hanns Martin Schleyer und später der »Landshut« -ein Vorgang innerlich stark bewegt. Weder neige ich zu schnellen noch zu einsamen Entscheidungen. Allerdings glaube ich gezeigt zu haben, daß ich nach gründlicher Erwägung und Beratung mit Persönlichkeiten, denen ich Urteilskraft zutraue, notwendige Entscheidungen nicht hinauszögere. Einer jeden Entscheidung geht, was ich für selbstverständlich halte, eine gewissenhafte Analyse der Gründe einer Krise voraus, in die ich alle Faktoren, politische und menschliche, einzubeziehen bemüht bin. Dann allerdings dränge ich auf eine klare Entscheidung. Des Risikos, eine fehlerhafte Entscheidung zu treffen, bin ich mir dabei bewußt. Wenn Sie mir das Wort Max Webers erlauben: Ich stehe zur Ethik der Verantwortung.
STRAUSS: Meine geschichtlichen und geographischen Kenntnisse, meine analytische Kombinationsgabe, mein wirklichkeitsnahes Verhältnis zur modernen Technik, mein politisches Gespür, mein Gewissen, meine Befähigung, schnell zu denken und rechtzeitig zu entscheiden. S.25
FRAGE: An welchen historisch-politischen Vorbildern orientieren Sie sich, wenn Sie an die vor uns liegenden schwierigen Zeiten denken?
SCHMIDT: Sie wissen vermutlich, wie sehr ich negativ über Bismarck als Innenpolitiker denke, nicht nur der Sozialisten-Gesetze wegen. Als Außenpolitiker war seine Maxime der siebziger und achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts -- sinngemäß zitiert -- unbestreitbar, daß man die Interessen des eigenen Staates am besten vertreten kann, wenn man sich in die Schuhe des Gegenüber versetzt. Sie ist gerade heute, da wir es in vielen Regionen der Welt mit gefährlichen Situationen zu tun haben, unverändert richtig. So haben auch Briand und Stresemann gedacht und gehandelt -- sie sind gute Vorbilder in der Außenpolitik. In der Innenpolitik denke ich vor allem an die Väter der amerikanischen Verfassung, an die Begründer der USA, an den Präsidenten Abraham Lincoln und an den Bundespräsidenten Gustav Heinemann.
STRAUSS: Dem politisch Handelnden der Gegenwart werden geschichtliche Vorbilder fast immer nur eine Art Vorwegweiser sein, weil jede neue Zeit auch neue Aufgaben bringt und neuartige Entschlüsse fordert. Die Geschichte kennt keine Gesetzmäßigkeit, wie Marx und seine Jünger behaupten, und geschichtliche Augenblicke wiederholen sich nicht, so daß die Ausrichtung nach einem historisch-politischen Vorbild den Nachgeborenen leicht dazu verführt, in rückwärtsgewandtem Starrsinn die Wirklichkeit seiner Zeit zu verfehlen. Das ist im Erkenntnisbereich schon schlimm genug, in der Wissenschaft aber wenigstens korrigierbar. Auf dem Felde der Politik führt das Handeln nach Weisung von Vorbildern unter Umständen jedoch zu folgenreichen Fehlleistungen. Andererseits darf kein Politiker nur aus dem Augenblick heraus handeln. Wem die Vergangenheit ein »Buch mit sieben Siegeln« ist, ein undurchdringlicher Dschungel, der findet nicht den Ort, von dem aus er Abstand und Überblick gewinnt, ohne die politische Verantwortung nicht übernommen werden darf.
Das persönliche Vorbild, das uns die wirklich großen Gestalten der Vergangenheit geben, bleibt jedoch vom Tagesgeschehen unberührt, zielt auf menschliche Verhaltensmuster. So etwa die Weisheit und Menschlichkeit eines Perikles, die Glaubenstreue Karls V., das tätige Mitleid eines Henri Dunant, die Unbeugsamkeit des Paters Rupert Mayer, die Milde und Gelehrsamkeit des Königs Maximilians II. von Bayern -da wären noch viele zu nennen, deren menschliche Größe den Politikern von heute und morgen Maßstäbe setzt. Wer heute Verantwortung trägt, tut gut daran, sich derer zu erinnern, deren Handeln Freiheit und Menschlichkeit befördert hat.
FRAGE: Haben Philosophen eine Bedeutung für Ihr Denken, für Ihr Handeln? Welche Philosophen sind das?
SCHMIDT: Es sind wesentlich Marc Aurel und Immanuel Kant, mit denen ich mich schon als junger Mann intensiv beschäftigt habe. Kant gibt dem Politiker durchaus, und nicht nur mit dem kategorischen Imperativ, Leitlinien für das Denken und auch für die politische Entscheidung. Ich habe die Gedanken Kants gelegentlich für mich so zusammengefaßt: Politik ist pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwecken; sie ist die Anwendung feststehender sittlicher Grundsätze auf wechselnde Situationen.
Allerdings ist politisches Handeln keineswegs allein aus Sittenlehre oder Ethik zu begründen, übrigens ebensowenig wie umgekehrt allein aus der vermeintlich theoretischen Vorhersicht eines unvermeidlichen Ablaufs der Geschichte. Beides läßt nämlich die Folgen außer acht, die sich aus bestimmten Entscheidungen konkret für die Menschen ergeben. Und da halte ich es mit Max Weber: der Politiker hat sich für die Folgen seines Handelns oder Unterlassens zu verantworten.
STRAUSS: Ich halte es mit Kant, der im praktischen Philosophen, also im Lehrer der Weisheit durch Lehre und Beispiel, bekanntlich den eigentlichen Philosophen gesehen hat. Alle geschlossenen Weltmodelle sind mir ein Graus, besonders dann, wenn sie so in sich stimmig gebaut sind, daß sie sich jedweder Überprüfung an der Wirklichkeit spröde widersetzen: So entstehen menschenverachtende Ideologien.
Deshalb schätze ich unter den Alten den gelassenen Philosophen der Mitte Aristoteles höher als den Dialektiker Plato, der in Wirklichkeit ein Künstler war, unter den Neueren Leibniz und Kant höher als Hegel oder Marx, und in unserem Jahrhundert stellt sich wohl der Naturwissenschaftler und Philosoph Karl Popper nüchtern, kritisch und selbstkritisch der Welt, wie sie ist. Sein »kritischer Rationalismus« läßt auch für alle denkenden Mitglieder einer offenen Gesellschaft den Weg offen, den Emanuel Geibel einmal als das Ende der Philosophie bezeichnet hat: zu wissen, daß wir glauben müssen. S.27
FRAGE: Hören Sie bei Ihren Entscheidungen über politische oder wirtschaftliche Fragen außer auf Ihre Berater auch auf persönliche Freunde? Wenn ja, auf wen?
SCHMIDT: Der Rat verläßlicher Freunde war mir stets wichtig. Solchen Rat habe ich oft genug erbeten, ohne diese Persönlichkeiten in Verantwortungen hineinzuziehen, die ich selbst zu tragen hatte. Es war mir immer wichtig, mein eigenes Urteil an dem solcher Freunde kritisch zu prüfen, die auf ihrem Feld Besonderes geleistet haben. Dabei denke ich dankbar an ältere Freunde wie Fritz Erler, Carlo Schmid, Adolf Arndt oder Wilhelm Kaisen. Aber auch die Urteile von Persönlichkeiten außerhalb des eigenen Freundeskreises sind mir immer wichtig, zum Beispiel nenne ich den deutschen Jesuitenpater Professor von Nell-Breuning, den englischen Philosophen Karl Popper.
Wichtige Entscheidungen dürfen nicht ausschließlich auf den Ratschlag amtlicher Kollegen und Berater oder auf den Ratschlag von Freunden sich abstützen. Vielmehr muß man sich den Sachverstand und die Urteilskraft aus allen erreichbaren Himmelsrichtungen holen]
STRAUSS: Ein so tief in der Demokratie verwurzelter Politiker trifft keine einsamen Entscheidungen. Ich höre mir die Vorschläge, Gedanken und auch kritische Meinung meiner Mitarbeiter und Freunde gerne an, verarbeite sie und lasse sie in meine Entscheidungen und Reden einfließen. Mit meiner Familie spreche ich nicht nur über alltägliche Probleme, sondern auch über die Ereignisse der Weltpolitik und der deutschen Politik. Ich tausche oft mit guten Freunden politische Meinungen aus, höre sie an und mache mir dazu meine Gedanken, die sicher dann und wann mein politisches Handeln beeinflußt haben, wenn ich ihre Ideen nach gründlicher eigener Prüfung für richtig gehalten habe. Gerade weil mein Freundeskreis sich nicht auf Politiker beschränkt, sondern auf Persönlichkeiten aus vielen Berufen, aus ganz anderen Erfahrungsbereichen und auch aus der jüngeren Generation, ist mir das politische Gespräch mit ihnen sehr wertvoll.
FRAGE: Wie hoch ist Ihr Jahreseinkommen, wie hoch sind Ihre voraussichtlichen Versorgungsbezüge, und wie hoch schätzen Sie Ihr Vermögen?
SCHMIDT: Nach meiner letzten Einkommensteuererklärung betrug mein zu versteuerndes Jahreseinkommen 1978 DM 233 000; nach Einkommen- und Kirchensteuer blieben DM 121 000.
Über meine Pension habe ich mir noch keine Gedanken gemacht; sie ist im Abgeordnetengesetz und im Ministergesetz geregelt.
Nach der letzten Vermögenssteuererklärung besaßen meine Frau und ich 1978 ein Haus in Hamburg, Einheitswert DM 196 000 (das Haus ist mit einer Resthypothek von DM 49 000 belastet), und ein Ferienhaus am Brahmsee mit einem Einheitswert von DM 41 000. Dazu kommen Bundesanleihen in Höhe von rund DM 98 000. Der Wert der Lebensversicherung betrug 1978 DM 21 000.
STRAUSS: Meine Dienstbezüge als Bayerischer Ministerpräsident, meine Diäten als Abgeordneter des Bayerischen Landtags und etwaige künftige Versorgungsbezüge daraus kann jeder Bürger aus den einschlägigen bayerischen Gesetzen ablesen. Im übrigen halte ich es mit dem Wort Friedrich Nietzsches: Mancher weiß nicht, wie reich er ist, bis er erfährt, was für reiche Menschen an ihm noch zu Dieben werden. Ich habe schon mehrmals den Verleger und Herausgeber des SPIEGEL, Herrn Rudolf Augstein, aufgefordert zu sagen, wieviel er am SPIEGEL verdient und wie hoch sein Vermögen daraus ist, aber noch nie eine Antwort bekommen.
FRAGE: Ist es Ihrer Ansicht nach unvermeidbar, daß ein Politiker im Laufe seiner Karriere auch einmal die Unwahrheit sagt? Wenn ja, wann war das bei Ihnen der Fall, und was haben Sie dabei empfunden?
SCHMIDT: Ein Politiker kann zwar genötigt sein, aus Gründen der Staatsräson oder weil ein Entscheidungsprozeß das verlangt, bestimmte Tatsachen nicht gleich an die Öffentlichkeit zu tragen, sofern er aber absichtlich die Unwahrheit sagt, erschüttert er seine Glaubwürdigkeit.
1976 habe ich die Lage der Rentenversicherung falsch eingeschätzt. Deshalb hat mich die Opposition in diesem Wahlkampf -- vier Jahre später -- einen »politischen Rentenbetrüger« genannt. Damals habe ich mich in der Überzeugung geäußert, daß die Tatsachen meine Aussage rechtfertigen. Vor dem Deutschen Bundestag habe ich am 16. Dezember 1976 in einer Regierungserklärung ohne Beschönigung zugegeben und zugeben wollen, daß wir uns geirrt hatten. Mich hat diese ökonomische Fehleinschätzung sehr geschmerzt. Ich habe das seither auch nicht verdrängt.
STRAUSS: Ich bekenne mich auch in der politischen Auseinandersetzung zu dem Gebot »Du sollst nicht lügen« und »Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen wider Deinen Nächsten«. Deshalb pflege ich zu sagen, was ich denke, und ich handle auch danach. Ich halte gerade aus meiner tiefeingewurzelten Verantwortung gegenüber unseren Bürgern nichts davon, vor der Wahl anders zu sprechen als danach. Als Politiker erlebt man gerade auf diesem Gebiet oft geradezu zynische Beispiele. Als meine Freunde und ich im Jahre 1969 während des Bundestagswahlkampfes die Behauptung erhoben haben, daß eine SPD-geführte S.28 Bundesregierung die DDR entgegen 20 Jahren Gemeinsamkeit in der Deutschlandpolitik anerkennen werde, habe ich eine wütende Reaktion erlebt. Ihr Gipfelpunkt bestand darin, daß man unsere Behauptung als Wahlkampflüge bezeichnete. Aber sofort nach der Regierungsübernahme hat die SPD genau das Gegenteil dessen getan, was sie vorher als festen Bestandteil ihrer Politik verkündet hatte, d. h. das, was sie vorher als Verleumdung bezeichnete.
Herr Bahr hat dann am 24. Januar 1973 im Deutschen Bundestag auf unseren Vorwurf, daß man vor der Wahl anders über die DDR gesprochen habe, mit unüberbietbarem Zynismus erwidert, daß die Mehrheiten vorher nicht so waren, daß sie es zugelassen hätten, die Wahrheit zu sagen. Ich habe erst vor kurzem betont, daß es in der Bundesrepublik wieder dazu kommen muß, daß man Wort und Wahrheit in einem Gesichtsfeld wenigstens noch zusammen sehen kann, ohne daß man den Kopf um 180 Grad drehen braucht.
FRAGE: In der Öffentlichkeit besteht der Eindruck, daß es eine Nichtübereinstimmung zwischen Ihnen und Teilen der Sie tragenden Partei SPD einerseits und CDU andererseits gibt. Wie erklären Sie sich das?
SCHMIDT: Es ist ein seltsames Verständnis von einer demokratischen Partei, daß ihre Mitglieder geschlossen wie eine preußische Kadettenanstalt hinter ihren gewählten Führungspersonen stehen müssen. Wenn ich mir vor Augen halte, wie viele Zerreißproben die Unionsparteien wegen der Person von Franz Josef Strauß nur mit äußerster Not überstanden haben, wenn ich daran denke, was die Herren Kohl und Albrecht alles über den CSU-Vorsitzenden halb-öffentlich geäußert haben und was dieser selbst über die Vorgenannten schon gesagt hat, dann kann ich die Strauß-Losung, daß ich ein Gefangener des linken Flügels meiner Partei sei, nur belächeln.
Natürlich habe ich manches Mal harte sachliche Auseinandersetzungen mit Parteifreunden gehabt; zum Beispiel mit Erhard Eppler über das Thema Kernenergie; zum Beispiel mit anderen Sozialdemokraten über das von mir für zwingend angesehene militärische Gleichgewicht.
Das Argumentieren mit diesen meist jüngeren Sozialdemokraten ist manches Mal mühsam gewesen und hat mir gelegentlich auch allerhand Geduld abverlangt. Doch solche Auseinandersetzung gehört zum Wesen der SPD seit 118 Jahren. Es ist doch nicht ehrenrührig, für Mehrheiten in der eigenen Partei zu kämpfen und gelegentlich auch Kompromisse zu schließen] Meine politische Linie ist dadurch nicht verbogen worden.
Ein Bundeskanzler, schon gar ein Bundeskanzler einer Koalitionsregierung, kann sich nicht einfach als ausführendes Organ von Parteibeschlüssen verstehen. Ich habe mich auch noch niemals als Gefangener meiner Partei gefühlt -- das wird es auch in Zukunft natürlich nicht geben. Aber ich bin nur ein einzelner unter einer Million sozialdemokratischer Parteimitglieder. Ich vertraue auf sie alle -- und umgekehrt vertrauen sie auf den Bundeskanzler.
STRAUSS: Der Wahlkampf hat für CDU/CSU das Gegenteil bewiesen. Die Union steht geschlossen hinter ihrem Kanzlerkandidaten. Er steht für das gemeinsame Programm der Union für die politische Wende in Deutschland. Im Gegensatz zu der Zerrissenheit im politischen Lager der Sozialdemokraten, in der immer stärker der linke Flügel bis hin zu den Stamokapisten der Jusos den Ton angibt, gibt es in der Union in allen wesentlichen politischen Fragen keine Unterschiede. S.30
FRAGE: Hat die deutsche Bevölkerung Grund, sich vor der Zukunft zu ängstigen?
SCHMIDT: Nein] Unsere Landsleute wissen zwar, ohne vom Bundeskanzler darüber belehrt werden zu müssen, daß wir auch künftig nicht in einer heilen Welt werden leben können. Zur Angst aber gibt es keinen Grund. Wenn die Großmächte jetzt wieder miteinander zu reden beginnen, wozu Herr Genscher und ich selber erheblich beigetragen haben, dann kann es gelingen, die verschiedenen Konfliktherde der Welt in ihrer Auswirkung auf Europa zu neutralisieren und durch geduldiges Verhandeln die Ursachen solcher Konflikte auszuräumen. Dabei werde ich auch künftig aktiv helfen.
Innenpolitisch, wirtschafts-, finanz- und sozialpolitisch gibt es keine Gründe zur Besorgnis. Deutschland ist bei allen Problemen, die wir im Gefolge weltwirtschaftlicher Entwicklungen haben, in weit besserer Verfassung als die allermeisten Staaten der Welt.
STRAUSS: Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Ich lehne es ab, wie Helmut Schmidt aus der künstlich vorher erzeugten Angst der Menschen vor einem neuen Krieg politisches Kapital zu schlagen. Wohl aber gibt es Grund zur Sorge angesichts des bedrohlichen militärischen Übergewichts des Warschauer Paktes gegenüber der Nato, angesichts unserer ungesicherten Energie- und Rohstoffversorgung, angesichts der gigantisch angewachsenen und weiterhin rapid zunehmenden Staatsverschuldung, angesichts des härter gewordenen internationalen Wettbewerbs, aber auch angesichts der Bedrohung der inneren Sicherheit, der Bevölkerungsentwicklung, des ungelösten Asylantenproblems, der Ausbildungsnöte der Jugend -- Stichwort Numerus clausus -- und nicht zuletzt auch des bisher noch nicht eingedämmten Rauschgiftkonsums.
FRAGE: Sie beide fühlen sich in der Ost- und Entspannungspolitik dem Grundsatz »pacta sunt servanda« verpflichtet, der eine überzeugt von der Richtigkeit der Ostverträge, der andere aus Gründen notgedrungener Vertragstreue. Wie wollen Sie, gemäß diesem Grundsatz, in Zukunft die Beziehungen nach Osten ausbauen?
SCHMIDT: Wir halten uns an den Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten, auch deshalb, weil wir nicht wollen, daß sich andere in unsere Angelegenheiten einmengen. Das bedeutet keineswegs, daß wir gleichgültig gegenüber den Bemühungen um demokratische Freiheit und um Menschenrechte sind, ganz gleich, wo andere Völker mehr Freiheit zu gewinnen suchen. Wir wollen auf der Grundlage der von uns geschlossenen Verträge, unbeschadet der grundsätzlichen Verschiedenheiten zu den kommunistischen Staaten, mit deren Regierungen und den Völkern ein Verhältnis guter Nachbarschaft entwickeln. Die Deutschen haben unter Hitler Verträge gebrochen. Wir dürfen niemanden an unserer Vertragstreue zweifeln lassen.
Es genügt aber nicht, bloß rechtlich die bisherigen Verträge einzuhalten. Sie müssen stetig mit Leben erfüllt und verwirklicht werden. Gute Nachbarschaft erfordert ständiges Bemühen] Zur Politik des Vertragens und der Verträge weiß die Opposition keine Alternative.
STRAUSS: Wir halten die Ostverträge für falsch konzipiert, für miserabel ausgehandelt, für schlecht formuliert und deshalb gegensätzlich auslegbar. Aber wir müssen sie nehmen, wie sie sind. Ich habe als erster Unionspolitiker im Januar 1973 im Deutschen Bundestag erklärt, daß diese Verträge verbindlich sind. Ich möchte dazu ergänzen, daß wir diese Verträge nicht nur halten werden, sondern daß wir diese Verträge anwenden werden, daß wir uns bemühen werden, aus diesen schlechten Verträgen das Beste zum Wohle der Menschen zu machen. Aber für die Auslegung der Verträge gelten die Urteile des Bundesverfassungsgerichts von 1973 und 1975. Sie haben der geplanten Fortsetzung der Ostpolitik dieselben Schranken gesetzt, die auch durch das Scheitern der »Entspannungspolitik« deutlich geworden sind. Deutsche Ostpolitik hat nicht erst 1969 begonnen. In diesen Tagen wurden es 25 Jahre, daß die Verhandlungen zwischen Bundeskanzler Konrad Adenauer und Ministerpräsident Bulganin in Moskau begannen, die mit der Freilassung der deutschen Kriegsgefangenen und der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion endeten. Deutsche Ostpolitik wird auch nach einer Regierungsübernahme von CDU und CSU auf der Grundlage der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung erfolgen, aber nüchtern, illusionslos, wachsam, auf dem Boden geschichtlicher Kenntnis und politischer Erfahrung.
FRAGE: Das Verhältnis zwischen den USA und der Bundesrepublik gilt als gestört. Welche Schritte dem neuen amerikanischen Präsidenten gegenüber halten Sie nach dem 4. November für erforderlich?
SCHMIDT: Unser Verhältnis ist in Ordnung. Es braucht nicht irgendwelche besonderen »Schritte«. Wenn der Unionskandidat ankündigt, daß er als Kanzler zuerst nach Washington fahren wolle und nicht nach Ost-Berlin oder Warschau, so ist das eine ärmliche Selbstverständlichkeit. Man wird sich erinnern, daß Herr Strauß jahrelang ein glühender Gaullist gewesen ist, der Distanz zu den USA einlegen wollte.
Gelegentliche Meinungsverschiedenheiten zwischen uns und der amerikanischen Regierung gehören zur Normalität auch unter Freunden, die einander vertrauen. Die Amerikaner brauchen zuverlässige, aber auch kritische deutsche Partner, die ihre Meinung offen sagen und sich nicht scheuen, die nationalen Interessen der Deutschen zu vertreten. Die Grundlagen der deutsch-amerikanischen Freundschaft reichen so tief, daß sie durch gelegentlich unterschiedliche Einschätzungen nicht beschädigt werden können.
Meine eigene nächste Reise nach den USA kurz nach den amerikanischen Wahlen ist terminlich schon längst festgelegt.
STRAUSS: Die Beziehungen zwischen den USA und der Bundesrepublik Deutschland sind zwar nicht so schlecht, wie die Kommunisten es wünschen, aber auch nicht so gut, wie sie sein sollten und könnten. S.33 Die Zweifel Amerikas über den künftigen außenpolitischen Kurs der SPD verfestigen sich, und man verfolgt mit wachsender Sorge das Aufkommen antiamerikanischer Stimmungen in der Bundesrepublik Deutschland. Diese Entwicklung ist verständlich. Ein großer Teil unserer Sozialdemokraten, vor allem die jüngere Generation, aber nicht nur diese, haben zwei demokratische Entscheidungen aus der Regierungszeit von CDU und CSU innerlich nie angenommen und politisch nie verstanden: die Entscheidung für die Soziale Marktwirtschaft und die Entscheidung für den Eintritt in das Atlantische Bündnis. Heute stellt Helmut Schmidt die Bundeswehr und die Mitgliedschaft in der Nato als wesentliche Pfeiler »seiner« Sicherheitspolitik heraus. Bundeswehr und Nato-Mitgliedschaft aber mußten gegen den erbitterten Widerstand der Sozialdemokraten von CDU und CSU durchgesetzt werden. Bei beiden Abstimmungen im Deutschen Bundestag steht hinter dem Namen Helmut Schmidt ein Nein.
Heute schweigt Helmut Schmidt zu den Versuchen jenes Teils der SPD-Bundestagsfraktion, der in der amerikanischen Presse als »Moskau-Fraktion« bezeichnet wird, der Jungsozialisten und der sonstigen Hilfstruppen der SPD, die ein feindseliges Klima gegen die wichtigste Schutzmacht des Atlantischen Bündnisses erzeugen. Hier werden Weichenstellungen vollzogen, wenn die Amerikaner mit Kriegstreiberei identifiziert werden sollen und Moskau als neue Garantiemacht des Friedens aufgebaut wird. Dabei handelt es sich nicht um Jugendtorheiten, sondern um den gezielten Versuch der Zersetzung, sonst hätte der Schock von Afghanistan ausreichen müssen, diesem unverantwortlichen Treiben ein Ende zu machen.
Lösen wir uns von den USA, wie das Helmut Schmidt psychologisch vorzubereiten beginnt, treten wir schließlich aus der Nato aus, wie das andere prominente SPD-Politiker propagieren, lösen wir uns aus der EG, was viele Mitglieder der Sozialistischen Internationale anstreben, dann liefern wir uns selbst der Willkür Moskaus aus. Es ist dann nur noch eine Frage der Zeit, bis ganz Europa kommunistisch wird. Festigen wir aber das westliche Bündnis mit seiner überlegenen Wirtschaftskraft und seiner attraktiven Freiheit, muß Moskau jeden einzelnen Partner, nicht zuletzt die Bundesrepublik Deutschland, ernst nehmen.
Darum wird mich meine erste offizielle Reise nach einer Regierungsübernahme durch CDU und CSU in die Vereinigten Staaten von Amerika führen. Das Vertrauensverhältnis muß wieder so eng geknüpft werden, wie es unter Konrad Adenauer immer gewesen ist. Wir werden durch unseren Beitrag das Atlantische Bündnis stärken. Nur von diesem sicheren Fundament aus können wir auch eine Ostpolitik betreiben, die Frieden in Freiheit gewährleistet.
FRAGE: Welche Aussichten räumen Sie den von Breschnew vorgeschlagenen neuen Abrüstungsgesprächen ein?
SCHMIDT: Der bevorstehende Dialog zwischen den Außenministern Muskie und Gromyko dient dem Zweck, zunächst auf dem Feld der uns bedrohenden sowjetischen Mittelstreckenraketen zu Verhandlungen zu kommen, die im günstigsten Falle die nukleare Rüstung in Europa kräftig reduzieren -- und zwar im Gleichgewicht. Wir Deutschen haben an diesem Dialog ein lebenswichtiges Interesse. Deshalb habe ich darauf gedrungen -- vor allem in Moskau. Wir werden auch zukünftig immer wieder drängen und mahnen, daß auf der Grundlage des militärischen Gleichgewichts ein Wettrüsten verhindert wird.
STRAUSS: Weil Helmut Schmidt von seiner im Zeitpunkt verfehlten und in der Vorgeschichte zwielichtigen S.34 Reise im Wahlkampf nicht mit leeren Händen, sondern als Friedensfürst zurückkehren wollte, war er bereit, den angeblichen neuen sowjetischen Vorschlag zu Abrüstungsgesprächen im Bereich der Mittelstreckenraketen als Kuckucksei in das Nest der Nato einzuschmuggeln. Der Vorschlag Moskaus, den Schmidt im Reisegepäck aus Moskau mitbrachte, sieht zweiseitige Gespräche der USA und der Sowjetunion über nukleare Mittelstreckenraketen der beiden Großmächte unter Einschluß der sogenannten Forward Based Systems, das heißt der vorne stationierten nuklearen Verteidigungswaffen der USA auch mit kurzer Reichweite vor. Diese Wortbildung ist aber die englische Übersetzung eines sowjetischen Begriffs, mit dem der Kreml die Amerikaner unter psychologischen Druck setzen will. Weder die USA noch die Nato hatten sich bisher auf diesen Begriff eingelassen. Der Pferdefuß des Moskau-Vorschlags ist leicht auszumachen. Alle bisherigen Angebote Moskaus enthielten Vorbedingungen, die von den Westeuropäern zu erfüllen waren: Die Aussetzung des Nato-Nachrüstungsbeschlusses im einen und die Einbeziehung der französischen und englischen Kernwaffen in Salt-III-Verhandlungen im anderen Fall. Nun hat die Sowjetunion Helmut Schmidt als Briefträger für ein Angebot benutzt, das an eine einzig und allein vom amerikanischen Kongreß erfüllbare Vorbedingung, die Ratifizierung des Salt-II-Abkommens, geknüpft ist. Die Stoßrichtung dieser sowjetischen Strategie ist klar. Moskau erwartet, daß die europäischen Nato-Partner in einer unheiligen Allianz mit der Sowjetunion Amerika unter politischen Druck setzen, das Salt-II-Abkommen zu ratifizieren, was zu einer zusätzlichen schweren Belastung des angeschlagenen europäisch-amerikanischen Verhältnisses führen müßte oder aber dazu, daß die Europäer die Ausführung des Nato-Nachrüstungsbeschlusses mit der Begründung verweigern, die USA hätten durch die Nichtratifizierung die von der Sowjetunion angebotenen erfolgversprechenden Abrüstungsverhandlungen torpediert.
Moskau will durch seine weiter bestehende Ablehnung gezielter Verhandlungen über Abrüstung bei Mittelstreckenraketen und sein verschwommenes Angebot das wirkliche Thema in einem allgemeinen Raketenpalaver ertränken. Das Drängen Breschnews bei Carter unter Hinweis auf den von Schmidt übermittelten Vorschlag zeigt genau, was hier gespielt werden soll, echte Abrüstung zu verhindern und beschleunigte Aufrüstung der Sowjetunion zu tarnen, die Europäer zum Abfall vom Nachrüstungsbeschluß zu verführen.
FRAGE: Halten Sie es bei der Labilität der Entspannung in Europa für erforderlich, stärker mit der Volksrepublik China ins Gespräch zu kommen, oder sollte man sich mit solchen Annäherungsversuchen zurückhalten?
SCHMIDT: Im Interesse der Friedenssicherung wäre es gefährlich, die eine kommunistische Großmacht gegen die andere ausspielen zu wollen. Wir haben mit der Volksrepublik China normale diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen entwickelt, ohne uns von anderen Vorschriften machen zu lassen. Aber ich halte nichts davon, mit einer sogenannten »chinesischen Karte« herumzufuchteln.
STRAUSS: Realistische Entspannungspolitik hat drei Voraussetzungen: 1. Was Entspannung ist und was nicht, darf nicht einseitig von der Sowjetunion definiert und diktiert werden. 2. Wirkliche Entspannung setzt annäherndes militärisches Gleichgewicht voraus. 3. Wirkliche Entspannung muß geographisch unteilbar sein. S.37
Europa kann keine »Insel der Entspannung« sein, während unser östlicher Entspannungspartner in Afghanistan ein um sein Selbstbestimmungsrecht kämpfendes Volk durch brutalen Einsatz aller militärischen Machtmittel unter das kommunistische Joch zwingen will.
Nach der Rückkehr der Volksrepublik China aus der selbstgewählten Isolierung auf die Bühne der Weltpolitik darf deutsche Außenpolitik nicht in Moskau enden.
Ostpolitik ist für uns ein Teil der deutschen Außenpolitik. Deshalb muß in ihr Kalkül auch die Volksrepublik China einbezogen werden. Mit der Rückkehr Chinas auf die Bühne der Weltmächte und seiner Öffnung gegenüber den USA, Japan und Europa ist die Welt von Jalta zu Ende gegangen, die von zwei weltpolitischen Machtzentren ausging. China als Großmacht im Fernen Osten und künftige Weltmacht und als wirtschaftlicher Partner hat ein neues Kräfteverhältnis herbeigeführt. Freundschaftliche Beziehungen zum größten Volk der Erde und eine wissenschaftlich-technisch-wirtschaftliche Zusammenarbeit sind ein Gebot der Realpolitik und gegen niemand gerichtet. Deshalb war auch die unhöfliche Behandlung des chinesischen Regierungschefs in Bonn durch Schmidt ein Fehler, wie er typisch für ihn ist.
FRAGE: Wann würden Sie nach der Wahl zum Kanzler den Staatsratsvorsitzenden Honecker besuchen, und was versprechen Sie sich von solch einem Treffen?
SCHMIDT: Natürlich nicht die große Wende, natürlich nicht, daß die Mauer über Nacht geschleift wird. Der Besuch, den ich nur ungern, aber aus Gründen, die den Deutschen hier und in der DDR einleuchteten, verschieben mußte, wird dann stattfinden, wenn Herr Honecker und ich den Zeitpunkt für günstig halten, günstig für ein Gespräch, bei dem es gewiß nicht um maximale Forderungen des einen an den anderen geht, aber doch um einen Interessenausgleich, der den Deutschen in beiden Staaten Nutzen bringt.
STRAUSS: Nachdem Helmut Schmidt im Frühjahr 1980 wegen des sowjetischen Überfalls auf Afghanistan von SED-Chef Honecker ausgeladen wurde und umgekehrt wegen der bedrohlichen Lage in Polen seinen Besuch im August absagte, ist die Frage nach einem Termin für ein Treffen zwischen mir und SED-Chef Honecker eine unlösbare Rechnung mit zu vielen Unbekannten. Die Frage, ob ich zu einem Treffen mit Erich Honecker bereit wäre, hängt davon ab, ob ein derartiges Gespräch für die Menschen im freien und im unfreien Teil Deutschlands Erleichterungen und Vorteile bringen würde. Ein solches Gespräch setzt aber die Bereitschaft Ost-Berlins voraus, auch über den Abbau der verbrecherischen Selbstschußanlagen an der deutsch-deutschen Grenze und die Aufhebung des Schießbefehls für die Grenzsicherungstruppen der DDR zu reden. Den Machthabern in Ost-Berlin muß klargemacht werden, daß nicht nur die von ihnen gewährten menschlichen Erleichterungen von unseren bedeutenden Finanzleistungen abhängen, sondern daß umgekehrt unsere Finanz- und Wirtschaftshilfe in Zusammenhang mit dem freien Zugang nach Berlin steht, mit einem freien Besuchsverkehr zwischen den Teilen Deutschlands und in absehbarer Zeit auch mit dem Abbau von Mauer und Todesstreifen. Da ich aber kein sozialistischer Illusionist bin, weiß ich, daß der Schlüssel für jeden entscheidenden Fortschritt im deutsch-deutschen Verhältnis nicht in Ost-Berlin, sondern in Moskau liegt. S.39
FRAGE: Halten Sie die während des Bundestagswahlkampfes in der Bevölkerung aufgekommene Besorgnis für berechtigt, die hohe Staatsverschuldung werde über kurz oder lang zu einer neuen Währungsreform führen?
SCHMIDT: Diese Propaganda der Unionsparteien ist schlicht unanständig. Unsere DM-Währung ist -abgesehen vom Schweizer Franken -- die härteste und attraktivste in der ganzen Welt.
Es ist selbstverständlich, daß es eine Grenze gibt, an der die Kreditaufnahme durch Industriefirmen und Bauherren oder Städte oder Bund und Länder Halt zu machen hat. Die Grenze wird durch die eigene finanzielle Leistungsfähigkeit gezogen. Wir haben diese Grenze keineswegs erreicht. Wir sind von unserer Grenze weiter entfernt als alle Industriestaaten der Welt, mit Ausnahme Frankreichs. Wir haben das geliehene Geld für Zukunftsinvestitionen eingesetzt, die auch künftigen Generationen noch zugute kommen werden. Hätten wir denn auf eine aktive Beschäftigungspolitik verzichten sollen? 900 000 Arbeitsplätze sind in den letzten drei Jahren geschaffen worden. Das Ausland bewundert uns deswegen. Von der Angstkampagne der Opposition werden sich die Wähler nicht irremachen lassen. Ich würde, um Arbeitsplätze zu schaffen, in einer neuen Weltwirtschafts-Rezession wiederum Kredite aufnehmen. Das wäre geradezu unsere Pflicht -- unsere gesetzliche Pflicht]
STRAUSS: Einen Währungsschnitt in Form der Abwertung der Spareinlagen und durch Ausgabe neuer Banknoten befürchte ich nicht, es sei denn, eine unvorhersehbare Katastrophe bräche über uns herein. Wir befinden uns aber in einer ständigen Währungsreform, da die Inflationsraten viel zu hoch sind und die wirkliche Inflationsrate zudem höher ist als die amtlich ausgewiesene. Das spüren die Bürger, und das erfüllt zusammen mit der unverantwortlichen Verschuldungspolitik vor allem die jungen Leute in unserem Lande mit zunehmender Sorge. Nicht allein die Höhe der Verschuldung des Bundes mit über 200 Milliarden ist besorgniserregend, sondern das Tempo des Anstiegs (1949-1969: 14 Milliarden, 1970--1974 unter Brandt: 19 Milliarden, 1975--1980 unter Schmidt: 153 Milliarden).
Die Verschwendung des durch Verschuldung möglichen Finanzierungsspielraums durch Brandt und besonders Schmidt ist Raubbau an der nächsten Generation und kommt über einen langen Zeitraum einem Währungsschnitt gleich.
Unsere Rentner müssen nach der Wahl einen zweiten Rentenbetrug fürchten, weil SPD und FDP gegensätzliche Rentenpläne haben. Die SPD will nach dem Bruttoprinzip, die FDP in der Sache nur nach dem Nettoprinzip die Renten erhöhen. Entweder werden SPD-Wähler oder FDP-Wähler betrogen, wenn SPD und FDP weiterregieren. CDU und CSU werden die Renten spätestens am 1. 1. 1982 wieder nach dem Anstieg der Bruttolöhne erhöhen. Die notwendigen Mittel sind in den Rentenkassen. Sie müssen aber vorrangig dafür verwendet werden, weil die Rentner ein Recht darauf haben, nicht länger vom Wohlstand abgekoppelt zu werden. Rentnerwahlgeschenke, wie sie die SPD mit der Mindestrente ankündigt, sind nicht finanzierbar. Wir müssen vielmehr aus den Arbeitslosen wieder Beitragszahler machen, um die Renten langfristig zu sichern.
FRAGE: Hat Ihnen der Hirtenbrief der katholischen Bischöfe zur Bundestagswahl geschadet oder genutzt?
SCHMIDT: Er hat jedenfalls Herrn Strauß geschadet. Wem er genutzt hat, interessiert mich nicht so sehr. Die Verfasser reagieren jetzt auf Kritik teilweise in einer Sprache, die unangemessen ist. Sie verrät, daß man sich getroffen fühlt. Teils zeigt ihre Reaktion, daß die Verfasser, was die Wirkung auf die große Mehrheit der deutschen Katholiken anlangt, sich getäuscht haben. Sie haben Schlagworte der CDU/CSU aufgenommen. Ich bin vom deutschen Episkopat nicht nur politisch, sondern auch menschlich enttäuscht. Vielleicht klingt es buchhalterisch -- ich meine es nicht so --, wenn ich hier mitteile, daß ich in den letzten vier Jahren ungezählte Stunden dem Gespräch mit Repräsentanten der katholischen Kirche gewidmet habe. In diesen Gesprächen hat sich keiner der Gesprächspartner jemals zum Thema der Staatsfinanzen auch nur mit einer Silbe geäußert. Ich habe in den letzten Tagen in vielen Gesprächen gespürt, wie sehr das Vertrauen von Christen beider Konfessionen in die ökumenische Zusammenarbeit gefährdet worden ist. Man braucht nur das »Sonntagsblatt« zu lesen. Es ist absurd, wenn meiner Kritik an dem Hirtenbrief entgegengehalten wird, daß ich den Kirchen, wenn sie ein scheinbar unbequemes Thema anrühren, das Recht zur Äußerung absprechen wolle. Nein, mir geht es allein darum, daß kirchliche Autorität nicht für parteipolitische Zwecke eingesetzt wird. Es ist erstaunlich, daß die katholische Amtskirche weder Rainer Barzel noch Helmut Kohl mit einem Hirtenbrief dieses politischen Kalibers zu helfen versucht hat, wohl aber Franz Josef Strauß.
Wirklich, ich möchte keine neuen Auseinandersetzungen mit der römisch-katholischen Kirche -- mit falschen Vorzeichen und im falschen Stile längst vergangener Zeiten. Aber dieses Hirtenwort werde ich nicht schnell vergessen.
STRAUSS: Es geht hier nicht um die Frage Schaden oder Nutzen. Ich habe mich stets gegen eine Klerikalisierung der Politik und eine Politisierung von Kirche und Theologie ausgesprochen. Aber niemand kann der Kirche den Mund verbinden und ihr verbieten, zu Fragen ihr Wort zu sagen, um die sie sich auf Grund ihres Heilsauftrages Sorgen macht. Hirtenbriefe und Denkschriften der Kirchen sind für den christlichen Politiker keine Weisung.
Gerade dem christlichen Politiker, für den sonst die strengen kirchlichen Normen wesentliche Orientierungspunkte sind, bleibt es aufgegeben, bei seinem Handeln aus eigener Kenntnis die jeweilige konkrete Lage zu berücksichtigen. Ich bin über die verletzende Reaktion des Bundeskanzlers auf den Hirtenbrief der deutschen katholischen Bischöfe nur deshalb so überrascht, S.41 weil vor allem die linken Kräfte in seiner Partei bischöfliche Worte zu innerweltlichen sozialen Fragen bei den polnischen oder südamerikanischen Bischöfen mit höchster Zustimmung begrüßen.
Außerdem handelt es sich bei der Frage der Verschuldung um ein Problem von hoher und langfristiger moralischer Bedeutung.
FRAGE: Das Stichwort vom »politischen Rentenbetrüger« läßt alte Wähler um die Sicherheit ihrer Rente bangen. Meinen Sie, die Rückkehr zur bruttolohnbezogenen Rente auch finanzieren zu können?
SCHMIDT: Ja. Wäre ich dieser Meinung nicht, dann hätte ich den Beschluß des Kabinetts über das 21. Rentenanpassungsgesetz nicht herbeigeführt und das Gesetz vor seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt nicht unterschrieben. Die von Herrn Geißler angezettelte Wahlkampfdebatte über dieses Thema soll ja vergessen machen, daß die Rückkehr zur bruttolohnbezogenen Rente -- wie Sie es kurz nennen -- ab 1982 bereits geltendes Recht ist. Die Meinungsumfragen zeigen übrigens, daß Sie nicht recht haben, alte Wähler bangten um die Sicherheit ihrer Renten. Herrn Geißlers durchsichtige Kampagne schlägt inzwischen auf ihn selbst und damit auf die CDU/CSU zurück. Vielmehr weiß die große Mehrzahl der Rentnerinnen und Rentner, daß ihre Rente heute höher ist als jemals -- und sie sind darüber recht zufrieden.
STRAUSS: Die gemeinsame Wahlkampfschiedsstelle hat bestätigt, daß der Bundeskanzler zu Recht als politischer Rentenbetrüger bezeichnet werden darf. Denn Helmut Schmidt hat vor der Wahl '76 geordnete Rentenfinanzen vorgespiegelt, den Rentnern versichert, ihre Renten würden auch nach 1976 entsprechend dem Anstieg der Bruttolöhne steigen, und nach der Wahl die Rentenerhöhungen willkürlich gekürzt und daraus einen politischen Vorteil gezogen, weil er sich mit den Stimmen vieler betrogener Rentner an der Macht halten konnte.
Wegen dieses Rentenbetrugs erhält ein durchschnittlicher Rentner allein in diesem Jahr über 1300, -- DM weniger Rente. Der Schaden erhöht sich für den Rentner bis 1990 auf über 21 000, -- DM ohne Zinsen.
FRAGE: Mit wie vielen Arbeitslosen rechnen Sie nächstes Jahr, und was muß unternommen werden, um die günstigste Zahl herbeizuführen, welche Ereignisse könnten den schlechtesten Fall eintreten lassen?
SCHMIDT: Wie viele Menschen sich im Laufe der zwölf Monate des nächsten Jahres jeweils wann arbeitslos melden werden, weiß niemand mit einer Gewißheit, die eine seriöse Antwort ermöglicht. Kein wissenschaftliches Institut, kein Ministerium, kein Herr Stingl, keine Bundesbank, kein Herr Strauß und auch kein Bundeskanzler. Wir alle können die weltwirtschaftlichen Tendenzen nur sehr grob abschätzen. Dabei hoffen wir alle, daß vor allem bei den Ölpreisen 1981 nicht mehr passiert, als bisher schon passiert ist. Unserer eigenen Wirtschaftsentwicklung traue ich zu, daß wir auch 1981 vergleichsweise besonders gut abschneiden werden und daß die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer wächst; allerdings nicht mehr so stark wie in den letzten drei Jahren, die uns -- vor allem infolge starker staatlicher Investitionsausgaben -- insgesamt rund 900 000 Beschäftigte mehr gebracht haben. Wir wissen aus den letzten Jahren, daß hier ein Zuwachs nicht gleichbedeutend ist mit einer Abnahme der Arbeitslosenzahl. Wenn etwa in Ihrer Familie ein bisher arbeitsloser Schwager wieder einen Arbeitsplatz findet, seine Ehefrau aber gleichzeitig den Entschluß faßt, daß ihr ohne Beeinträchtigung der Fürsorge für die Kinder eine Halbtagsarbeit möglich ist, die Ehefrau aber nicht gleich eine Halbtagsstelle findet, die zu ihr paßt: dann haben Sie sowohl einen Beschäftigten als auch eine Arbeitslose mehr. Einen Bedarf an Konjunkturprogrammen sehe ich gegenwärtig nicht. Wir müssen zunächst die konjunkturellen Wirkungen der erheblichen Steuersenkungen ab 1. Januar 1981 in Rechnung stellen.
STRAUSS: Die Arbeitsmarktsituation hat sich in den letzten Monaten gegenüber dem Vorjahr spürbar verschlechtert. Ich befürchte im Winter wieder weit über eine Million Arbeitslose. Das Ifo-Institut rechnet in seiner neuesten Konjunkturanalyse für 1981 mit durchschnittlich 1,1 Millionen Arbeitslosen. Wenn dies eintritt, stehen wir vor einem größeren Konjunktureinbruch, als wir ihn 1975 mit 4,7 Prozent Arbeitslosen, dem Tiefstpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik, erlebt haben.
Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit hat am 15. August erklärt: »Wenn der Trend nur einfach weiterläuft, dann sehe ich schwarz.« Von allen Therapien habe für ihn die Förderung des Wachstums S.44 Vorrang. CDU und CSU werden daher ihr uneingeschränktes Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft in eine Wirtschaftspolitik umsetzen, die die Innovations- und Investitionsbereitschaft der Unternehmen stärkt. So werden wir die Voraussetzungen schaffen, daß neue, zukunftsträchtige Arbeitsplätze entstehen. Nach den jüngsten Erfahrungen der Bundesanstalt haben auch Dauerarbeitslose und Arbeitslose mit persönlichen Handikaps nur bei einem anhaltenden Wirtschaftsaufschwung wieder eine Chance, einen Arbeitsplatz zu erhalten. CDU und CSU werden sich mit Dauerarbeitslosigkeit auf dem Rücken der Betroffenen nicht abfinden. Die Wiederherstellung der Vollbeschäftigung ist für uns kein Wahlkampfslogan, sondern eine vorrangige politische Aufgabe.
FRAGE: Würden Sie - ob Sie es nun brauchen oder nicht - lieber mit der FDP oder lieber allein regieren?
SCHMIDT: Die Frage der Alleinregierung stellt sich realistischerweise nicht -- obwohl ich davor wirklich keine Sorge hätte. Es würden in solchem Falle weder Banken noch Friseursalons verstaatlicht werden. Aber Spaß beiseite: Die Schmähungen der CDU/CSU an die Adresse von Hans-Dietrich Genscher sind ein Beleg dafür, daß die Parole von der verbrauchten Gemeinsamkeit töricht ist. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem FDP-Vorsitzenden und mir ist über die Jahre immer enger geworden. Unbeschadet der Tatsache, daß er und ich gelegentlich in der Sache hart miteinander zu argumentieren haben. Wir wollen doch nicht aus FDP und SPD eine Einheitspartei machen, so wie Herr Strauß die Union nach CSU-Vorbild zurechtkneten möchte.
STRAUSS: Die gegenwärtige FDP, die einen Innenminister Baum trägt, versteht sich einzig und allein als Zutreiberin zur Fortsetzung sozialistischer Politik in Bonn nach den Wahlen. Wenn eine Partei den Vorwurf einstecken muß, daß sie den Machtapparat der nationalen Politik, die finanziellen und materiellen Möglichkeiten, die dank der Marktwirtschaft eine Bundesregierung mobilisieren kann, der SPD ausgeliefert hat, dann ist dies die FDP.
FRAGE: Großen Teilen der Jugend scheint es gleichgültig zu sein, ob sie von einem Kanzler Schmidt oder von einem Kanzler Strauß regiert werden. Was haben Sie diesen jungen Leuten anzubieten?
SCHMIDT: Das mit den »großen Teilen« stimmt so nicht. Meinungsumfragen, so zum Beispiel des Infratest-Instituts, zeigen, daß bei einer Direktwahl des Bundeskanzlers, die es ja nicht gibt, lediglich neun Prozent der jungen Bürger unter 21 Jahren für Franz Josef Strauß, aber 76 Prozent -- mehr als in jeder anderen Altersgruppe -- für mich votieren würden.
Politiker und Journalisten lassen sich manchmal täuschen, weil kleine Gruppen großes Geräusch entfalten. Viele sind voller kritischer Fragen -- und mit Recht. Ich weiß aber auch, daß die jungen Deutschen an vielen Plätzen beispielhaft für unsere Gesellschaft arbeiten. Das gilt für die großen christlichen Jugendorganisationen, das gilt für die Wehrpflichtigen in der Bundeswehr, für die Sozialdienst leistenden Kriegsdienstverweigerer, für die Hunderttausende junger Gewerkschaftler, für sechs Millionen Jugendliche in den Sportvereinen. Davor habe ich Respekt. Junge Bürger haben Anspruch auf Antworten.
Allerdings werde ich nicht der modischen Neigung nachgeben und jungen Leuten zum Munde reden, wenn ich glaube, daß ihre Argumente nicht stimmen. Gegen einen politischen Jugendlichkeitswahn bin ich gefeit. Das Wort »anbieten« paßt mir nicht. Ich bin davon überzeugt, daß die große Mehrheit der jungen Menschen, was immer sie zu tadeln haben, durchaus begreift, warum ich sie bitte, meine Politik des Friedens nach außen und nach innen zu unterstützen. Sonst kann es nämlich auch keine Politik der stetigen Reform geben.
STRAUSS: Zu behaupten, große Teile der Jugend seien politisch gleichgültig, halte ich für außerordentlich kühn. Es wäre ja traurig um die Zukunft unseres Staates bestellt, wenn denjenigen, um deren Zukunft es in der politischen Auseinandersetzung vor allem geht und für deren Zukunft es sich letztendlich allein lohnt, Politik zu machen, ihre Zukunft gleichgültig wäre. Und wenn Sie nach meinem Angebot an die Jugend fragen: Ich trage keinen Bauchladen vor mir her, gefüllt mit schönen Versprechungen, aus dem sich junge Menschen kostenlos herauspicken können, was ihnen auf Anhieb gefällt. Ich sehe auch in der Jugend keine »Randgruppe der Gesellschaft«, die grundsätzlich und jederzeit der Fürsorge und Bevormundung durch Vater Staat und Mutter Bürokratie bedürftig wäre.
Wir Älteren haben vielmehr die Pflicht, den Jungen ein ordentlich geführtes Haus zu hinterlassen, in dem sie frei, friedlich und ohne Not ihr eigenes, tätiges Leben führen können. Hingegen ist es nicht unsere Aufgabe, S.46 die Jugend so in die Watte betulicher Fürsorglichkeit zu packen, daß ihr die Freude über die eigene Leistung, den eigenen Erfolg schwer oder gar unmöglich gemacht wird. Die Jugend will etwas leisten. Wer sie deshalb zum Sozialfall einer Politik erklärt, deren höchstes Ziel die Ausschaltung des Risikos schlechtweg ist, der entmutigt sie, beschneidet ihre Freiheit, gibt ihr keine Ziele und beraubt sie damit letztlich der Möglichkeit, ihr Leben selbstverantwortlich und damit sinnvoll zu gestalten.
Schließlich beginnt jede sinnvolle Jugendpolitik damit, daß die Familie nicht weiterhin als Erziehungsagentur des Staates herabgewürdigt, sondern als erste, wichtigste vorstaatliche Lebensgemeinschaft wieder in ihr grundgesetzlich verbrieftes Recht eingesetzt wird.
FRAGE: Haben Sie im Laufe Ihrer politischen Karriere jemals daran gedacht, einen anderen Beruf zu ergreifen? Wenn ja, wann und warum und welchen Beruf?
SCHMIDT: Ja, ursprünglich, schon im Krieg und kurz danach habe ich mir gewünscht, den Beruf des Architekten oder Städteplaners zu lernen. Mag sein, daß das mit meiner intellektuellen Struktur zu tun hat. Später, in den 60er Jahren, habe ich einmal mit dem Gedanken gespielt, in die Wirtschaft zu gehen. Diesen Gedanken habe ich aufgegeben, als mich Willy Brandt ins Kabinett geholt hat.
STRAUSS: Am liebsten wäre ich Professor für Geschichte an der Universität München geworden. Als mein Lebensweg aus vielen Gründen anders verlief, stellte sich diese Frage ernsthaft nicht mehr.
FRAGE: In welchem Alter oder von welchem Zeitpunkt an wollten Sie Kanzler werden?
SCHMIDT: Da mögen Sie nun argwöhnen, daß ich bescheiden tue, aber ich habe dieses Amt nicht angestrebt. Richtig ist allerdings, daß einige meiner guten Freunde mir das nicht abnehmen. Vielleicht trifft es zu, daß ich mir gelegentlich unbewußt die Frage gestellt habe, was ich in dieser oder jener Situation tun würde, wenn mir das Amt übertragen würde. Gedrängt habe ich mich nicht dazu.
STRAUSS: Ich war niemals ein Karriereplaner, der nachts schlaflos im Bett sitzt, damit ihn sozusagen der Anruf der Geschichte ständig erreichen kann. Es geht bei der Entscheidung um eine Kanzlerkandidatur nicht um Erfüllung politischer Sehnsüchte oder um Befriedigung eines brennenden Ehrgeizes. Ich bin gerne Bayerischer Ministerpräsident und fülle dieses Amt mit Freude, aus Überzeugung und mit vollem Einsatz aus. Die Kanzlerkandidatur habe ich nur deshalb übernommen, weil ich der Überzeugung bin, daß die Fehlentwicklungen von zehn Jahren SPD/FDP-Bundesregierung auf einen Bruchpunkt der deutschen Politik hineinführen, der eine Kurswende notwendig macht. Meine Freunde kamen bei dieser Beurteilung der Lage zur Auffassung, daß ich einer der wenigen aktiven Politiker bin, der die Grundsäulen der Bundesrepublik Deutschland, nämlich die Soziale Marktwirtschaft und ihre Einfügung in das Atlantische Bündnis, von Anfang an mitgetragen und mitgestaltet hat und deshalb für die Stabilität und Kontinuität dieser Grundlinien Gewähr bietet.
FRAGE: Muß ein Bundeskanzler universell gebildet sein?
SCHMIDT: Universell -- das ist ein sehr hoher Anspruch, wenn man zum Beispiel an Wilhelm von Humboldt denkt. Es kommt ja nicht bloß darauf an, wie gut einer sein Schullatein oder sein Universitätswissen memorieren kann. Meine Allgemeinbildung ist wohl nicht so schlecht, und es gibt einige Felder jenseits von Politik, Wirtschaft und Finanzen, auf denen ich mir ein Urteil zutraue. Es wird nur selten darüber geschrieben, daß ich, wann immer ich kann, historische und »schöne« Literatur lese, daß ich mich über neue naturwissenschaftliche Entwicklungen informiert zu halten versuche und daß ich viel Interesse an Musik und Malerei habe.
STRAUSS: Der Bundeskanzler ist nicht der Oberlehrer der Nation, und universelle Bildung ersetzt nicht die Grundsatztreue, die politische Klarsicht, den Mut S.48 und die Entschlossenheit, das zu erkennen, zu sagen und zu tun, was notwendig ist. Aber Bildung gehört nach meiner Überzeugung auch zu dem Stil, auf den die führenden Repräsentanten einer freiheitlichen Demokratie, vor allem in einem Kulturvolk wie dem deutschen, nicht verzichten sollten.
FRAGE: Soll ein Kanzler den Bürgern Wertmaßstäbe vorgeben?
SCHMIDT: Er soll in seinen Reden und durch sein Handeln im Sinne meiner Bemerkungen über den Königsberger Philosophen Immanuel Kant in der Lage sein, vor den Bürgern Maßstäbe glaubhaft zu machen, aber er darf sich nicht als Oberphilosoph der Nation vorkommen, als Praeceptor Germaniae. Ich weiß, daß ich manchmal als Oberlehrer der Nation ironisiert worden bin. Das hat mit meiner von mir gar nicht bestrittenen Neigung zu tun, komplizierte wirtschaftliche Zusammenhänge allgemeinverständlich zu erklären. Vielleicht wirklich ein bißchen lehrhaft, aber die intellektuellen Kritiker sollten wissen, daß viele Bürger solche Erklärungen ganz hilfreich finden.
STRAUSS: Unsere freiheitliche Demokratie ist ein weltanschaulich-neutraler, aber kein wertfreier Staat. Die Wertordnung unseres Grundgesetzes ist vorgegeben, sie steht nicht zur politischen Disposition, also auch nicht zu der einer parlamentarischen Mehrheit oder eines Bundeskanzlers. In ihrem Mittelpunkt steht der freie, selbstverantwortliche, in seinem Gewissen gebundene Mensch, seine Würde und seine Unantastbarkeit. In der Anerkennung dieser Werte, wozu auch die Rechte natürlicher Gemeinschaften wie der Familie gehören, beweist sich die Freiheitlichkeit unseres Staates. Die Grundwerte unserer Verfassung dürfen aber nicht nur verkündet, sie müssen gelebt und in der Praxis verwirklicht werden von allen tragenden Kräften unseres Staates, von jedem einzelnen Bürger. Es kann nicht Aufgabe des Bundeskanzlers einer freiheitlichen Demokratie sein, in die Rolle des obersten Sinnvermittlers der Nation zu schlüpfen.
FRAGE: Halten Sie Frauen generell für jedes politische Amt fähig, auch für das eines Bundeskanzlers? Wenn ja, fällt Ihnen da ein Name ein?
SCHMIDT: Ja, das tue ich. Ich kann mir auch eine Frau als Bundeskanzler vorstellen -- und sage das nicht, um mich bei jenen Frauen beliebt zu machen, die darüber klagen, daß die Politik mehr oder minder von Männern beherrscht wird. Es ist meine Überzeugung. Ich könnte Namen nennen, aber ich möchte es nicht.
STRAUSS: Ja. CDU und CSU haben Tausende engagierter Frauen in ihren Reihen. Viele Frauen in der Union tragen seit Jahren Verantwortung in der vordersten Reihe. Denken Sie z. B. an Helga Wex und Renate Hellwig -- beide Mitglieder meiner Wahlmannschaft. Oder denken Sie an die Ministerinnen Hanna-Renate Laurien in Rheinland-Pfalz, Annemarie Griesinger in Baden-Württemberg, Birgit Breuel in Niedersachsen und an meine Stellvertreterin in der Partei, Mathilde Berghofer-Weichner. Noch hat sich in der Bundesrepublik keine Frau um die Kanzlerschaft beworben. Aber warum sollten deutsche Frauen in Zukunft nicht ebenso erfolgreiche »Staatsfrauen« werden, wie z. B. Golda Meir in Israel oder Margaret Thatcher in Großbritannien.
FRAGE: Sie befinden sich im bzw. fast im Rentenalter. Im Arbeitsleben wäre dies das Ende einer Karriere. Welches Alter, von wann bis wann, ist für den Beruf des Kanzlers unter normalen Bedingungen das beste?
SCHMIDT: Dieses Amt zu führen, gewissenhaft und im Sinne des Amtseides, das ist nicht eine Frage des Alters, sondern eine Sache der politischen Erfahrung, des Augenmaßes, der Urteilsfähigkeit, der Disziplin im Denken und Handeln und, selbstredend, eine Frage der mentalen und physischen Gesundheit. Mein Arzt bestätigt mir, daß ich mich auf meine Kondition verlassen kann.
STRAUSS: In den 60er und 70er Jahren lief, von liberalsozialistischen Ideologen ausgestreut, der Jugendwahn um, etwa mit dem Schlagwort: »Trau keinem über 30.« In der Reklame wie in der Politik galt Jugend als ein Markenzeichen des Fortschritts, der Zukunft und Dynamik. Gott sei Dank sind wir von S.50 dieser pubertären Vorstellung wieder abgekommen. Jugend ist kein Verdienst und Alter keine Schande und umgekehrt ebenso. Die Funktionen eines Politikers lassen sich nicht in eine beamtenrechtliche Laufbahnverordnung einordnen. Welche hohen, fast übermenschlichen Ansprüche an Regierungschefs gestellt werden und sie sich selbst stellen müssen, dürfte bekannt sein. Wenn ein Politiker diese Eigenschaften nach Einschätzung seiner Freunde und nach kritischer Selbstbeurteilung besitzt, erfüllt er die Voraussetzungen, damit er zum Kreis der Geeigneten gehört. Das historische Musterbeispiel in Deutschland war Konrad Adenauer. Mein Überblick über eine Geschichtsperiode von der Gegenwart bis in die Weimarer Republik ist für mich persönlich und meine Freunde ein unentbehrlicher und wertvoller Erfahrungsschatz für mein politisches Wirken.
FRAGE: In welchen Ihnen zugeschriebenen Eigenschaften fühlen Sie sich am meisten mißverstanden?
SCHMIDT: Mit dem Etikett vom »Macher« habe ich mich nicht gern abgefunden, obwohl es mich schon lange nicht mehr wirklich trifft. Ich denke, daß dieses Wort ja auch etwas durchaus Positives ausdrückt. Trotzdem ist es eine unzulässige Vereinfachung. Diese mir von Journalisten aufgeklebte Oblate wird inzwischen von vielen Bürgern als solche durchschaut. Nicht weil sie mich gelegentlich Orgel spielen oder mit Schriftstellern reden sehen, sondern eher, weil einige meiner Reden, die sich nicht mit den Problemen des Tages beschäftigen, gelesen worden sind. Auch das Wort vom »Feldwebel« hat mich früher einmal etwas gekränkt. Heute wird es nicht mehr gegen mich benutzt. Es hat sich herumgesprochen, daß ich kein Freund einsamer Entscheidungen bin, sondern die Diskussion suche und auf den Rat von anderen höre.
STRAUSS: Es geht gar nicht um Mißverständnisse. Jeder Bürger kann sich unvoreingenommen ein Urteil bilden, und zwar aus dem, was ich sage und tue, und aus dem, was nüchterne Zeitgenossen über mich sagen. Wenn heute zum Teil dieselben Politiker, die mich als Finanzminister der Großen Koalition geschätzt und gelobt haben, behaupten, ich sei »unbeherrscht«, »unbesonnen« und »hätte mich nicht in der Gewalt«, dann ist dies kein Mißverstehen, sondern glatte Verleumdung. Ich denke rational und kühl, wie jeder weiß, und ich rede leidenschaftlich -- das weiß auch jeder. Ich sage, was ich denke, und im Gegensatz zu meinen politischen Spitzengegnern ist mein ganzes Leben voll überschaubar. Weder gibt es eine Dunkelperiode in meinem Leben noch einen politischen Knick.
Eines allerdings will ich mit aller Leidenschaftlichkeit, deren ich fähig bin: Den 1969 begonnenen Marsch in die sozialistische Zukunftsgesellschaft und ein neutralisiertes, mehr oder minder dem sowjetischen Machtbereich ausgeliefertes Europa nicht nur anhalten, sondern auch umkehren.
FRAGE: Wie hätten Sie die deutschen Probleme des Jahres 1932 angepackt?
SCHMIDT: Damals wurde ich gerade 14 Jahre alt. Wenn man damals die Kenntnis der Ursachen und des Ablaufs der Weltwirtschaftskrise gehabt hätte, dann hätten die Reichsregierungen vermutlich anders gehandelt. Wir haben jedenfalls Lehren gezogen. Wir haben in unserer Gegenwart ähnliche Gefahren erkannt und abgewendet und sind mit den Turbulenzen im Gefolge einer dramatischen Krise der Weltwirtschaft, ausgelöst durch die Explosionen der Ölpreise, recht gut fertig geworden. Die von Giscard d'Estaing und mir eingeführte, ja eigentlich erfundene Einrichtung einer jährlichen Weltwirtschaftskonferenz ist hier eines der wichtigsten Instrumente geworden, um jenen internationalen Kampf aller gegen alle zu verhindern, der die dreißiger Jahre zur wirtschaftlichen Weltkatastrophe hat werden lassen.
STRAUSS: Die Frage erscheint mir ein wenig unfair, weil der in die Geschichte Zurückblickende und die Handelnden von damals Be- und Verurteilende frei vom Zwang zur Entscheidung ist. Natürlich wird jeder Politiker von heute sagen, er hätte alles ganz anders gemacht als Brüning. Heute wissen wir: Es war falsch, daß Brüning den Weg der radikalen Kürzung der Staatsausgaben auf der einen und der Erhöhung der Steuern auf der anderen Seite ging, es war falsch, mit einem System von Notverordnungen zu regieren, es war falsch zu hoffen, daß er im Reichstag für die von ihm beabsichtigte restaurative Verfassungsänderung eine breite Mehrheit einschließlich der Sozialdemokraten erhalten würde. Die beiden dringendsten Probleme dieses Jahres, Eindämmung des politischen S.53 Extremismus von rechts und links und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, konnte er auf solche Weise nicht lösen. Vergessen wir jedoch nicht: Brüning hatte mit seinen Maßnahmen sowohl den Reichsbankpräsidenten Luther, als auch die weitaus meisten Vertreter der Finanzwissenschaft seiner Zeit hinter sich. Die Theorien von Keynes, einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und einer antizyklischen Finanzpolitik, waren damals noch nicht Gemeingut der Wissenschaft. Zudem mußte der Kampf gegen die Feinde des Staates im schmerzlichen Wissen geführt werden, daß die Weimarer Republik von vielen Deutschen innerlich nicht bejaht wurde. So ergibt sich ein Paradoxon: Nur ein Reichskanzler, der den Zusammenbruch der Weimarer Republik erfahren und seine Ursachen klar erkannt hätte, hätte eben diesen Zusammenbruch verhindern können, indem er finanzpolitisch den strikten Deflationskurs gelockert und die zerstörerische Kraft des Links- und Rechtsextremismus richtig eingeschätzt hätte. Die Rettung der Weimarer Republik hätte nur erfolgen können durch ein Bündnis der Parteien der Mitte einschließlich SPD, der Gewerkschaften und der Reichswehr -- hier hätte auch Hindenburg mitgemacht.
FRAGE: Wieviel Schlaf benötigen Sie am Tag, in der Woche?
SCHMIDT: Nicht weniger als jeder andere hart arbeitende Mensch. Natürlich kriege ich nicht jede Nacht genug Schlaf, aber den hole ich am Wochenende nach. Wenn das Wochenende jedoch mit Terminen zugepflastert ist, dann profitiere ich von der Begabung alter Soldaten, nämlich jederzeit, im Auto, im Zug oder im Flugzeug, ruckzuck eine Stunde schlafen zu können. Ich habe hier keine Probleme.
STRAUSS: Ich bin kein Fanatiker der vorprogrammierten Lebensweise, der, wie ich einmal gesagt habe, das Perpendikel der Uhr anhält, weil er gewohnt ist, um neun Uhr ins Bett zu gehen. Ich bleibe oft bis in die tiefe Nacht auf und stehe dann am nächsten Tag auch später auf. Ich bin kein Frühaufsteher, aber meine politische Arbeit zwingt mich, erheblich früher aufzustehen, als mir lieb ist.
Ich brauche im Durchschnitt sieben Stunden Schlaf.
FRAGE: Sprechen Sie lieber vor 30 000, 3000, 300 oder 30 Zuhörern?
SCHMIDT: Ich kenne als Redner wirklich keinen Massenrausch. Ich habe vor Auditorien jeder Größe gesprochen und glaube, daß ich jedesmal mit Konzentration zu unterschiedlich großen Zuhörergruppen geredet habe. Allerdings spreche ich lieber in geschlossenen Räumen. Vor Kundgebungen unter freiem Himmel habe ich eine gewisse Scheu. Am liebsten ist mir der Bundestag.
STRAUSS: Grundsätzlich spreche ich lieber mit, als zu Menschen. Wenn ein Gespräch sinnvoll sein soll, muß der Kreis der Teilnehmer begrenzt sein. Sind es mehr als 20, dann muß ich notgedrungen die Stimme heb en, und schon bewege ich mich in dem Grenzbereich zwischen Gespräch und Rede. Ab 30 Zuhörern bewege ich mich eindeutig auf dem Hoheitsgebiet der Rhetorik. Da spielt dann die Anzahl der Nullen hinter der Ziffer drei keine nennenswerte Rolle mehr, denn die Verstärkung meiner Stimme -- nicht der Argumente -- entsprechend der Größe des Zuhörerkreises überlasse ich dann getrost der Elektronik.
FRAGE: Mal abgesehen von den Inhalten: Wie unterscheidet sich Ihr politischer Stil von dem Ihres Konkurrenten?
SCHMIDT: Das Urteil darüber möchte ich Ihren Lesern überlassen.
STRAUSS: Mein politischer Stil ist durch meine Herkunft aus einer bayerischen Handwerkerfamilie geprägt. Wir Bayern setzen uns mit ganzem Herzen, temperamentvoll und impulsiv, für eine Sache ein, die wir mit kühlem Verstand als eine gute erkannt haben S.55 und mit einem sicheren Instinkt für das politisch Mögliche und Machbare zum Ziel führen. Politische Auseinandersetzungen führe ich offen, direkt und ehrlich, manchmal auch heftig, und bin immer bereit, sie zu einem der Sache dienenden, versöhnlichen und wirklichen Abschluß ohne Nachtarocken zu bringen, denn ich bin kein Schauspieler. Anders als der angeblich kühle Hanseat Schmidt habe ich ein ungebrochenes, hautnahes und natürliches Verhältnis zum sogenannten einfachen Bürger, mit dessen Wünschen und Bedürfnissen ich aufgrund meiner Herkunft und des niemals abgerissenen Kontakts auf das engste vertraut bin. Die Lebensfülle und Festesfreude in Bayern gibt mir häufig genug Gelegenheit, in unmittelbarem Gespräch mit dem Bürger seine Sorgen und Nöte, aber auch seine Einstellungen und Auffassungen zu erfahren.
FRAGE: Welche Eigenschaften schätzen Sie an Ihrem Gegenkandidaten?
SCHMIDT: Da möchte ich zitieren dürfen, was ich 1966, vor 14 Jahren also, in der ZDF-Sendereihe »Zur Person« gesagt habe: »Strauß ist ein ungeheuer begabter Mann. Ein Mann mit großen Fähigkeiten, mit einer großen Palette von Fähigkeiten. Eine ganz gute Bildung, ein gutes Gedächtnis, eine glänzende Beredtsamkeit, er kann ein Gremium von Professoren genauso hinreißen wie eine riesenhafte Volksversammlung. Entschlußkraft, Energie, auch wohl Mut, auch Mut. Auf der anderen Seite steht dieser großen Zahl von Fähigkeiten, die an und für sich alle schon wünschenswert sind für einen Politiker und die den Strauß eben auch zu diesem Energiebündel machen, das er ist, dem steht gegenüber, wie ich meine, ein Mangel an Selbstkontrolle. Da bin ich eben nicht ganz sicher, ob der Strauß vorher weiß, was er sagt ...«
STRAUSS: Seine Begabung, unzutreffende Vergleiche den Bürgern als richtig zu vermitteln.
FRAGE: Nennen Sie bitte Ihre und Ihres Wahlkampfgegners bedauerlichste Entgleisung im Wahlkampf.
SCHMIDT: Ob es eine Entgleisung im Sinne Ihrer Frage war, mögen andere beurteilen. Ich bedauere jedenfalls, daß ich, über die heimtückische CDU/CSU-Kampagne in Sachen »Währungsreform« redend, von »Falschmünzern« gesprochen habe und daß dieses Wort von meinen politischen Gegnern so verstanden worden ist, als hätte ich es auf die ganze Union beziehen wollen. Das tut mir leid, und ich habe deshalb klargestellt, daß ich mit den »Falschmünzern« die im Sinne des CSU-Vorsitzenden handelnden Demagogen in der »Aktion Demokraten für Strauß«, unter ihnen den Fernsehredakteur Löwenthal, gemeint habe. Dabei bleibe ich auch.
Die Liste der Entgleisungen des bayerischen Ministerpräsidenten ist lang. Die Schmähung als »Kriegskanzler« und »Friedensschwätzer« ist bitterböse.
STRAUSS: Die schlimmste Entgleisung, die sich Kanzler Schmidt zuschulden kommen ließ, war der verleumderische Vorwurf, CDU und CSU seien unfähig zum Frieden. Diese Diffamierung ist deshalb so schlimm, weil sie die Wahrheit auf den Kopf stellt und Kanzler Schmidt das genau weiß. CDU und CSU haben gegen den Widerstand von SPD und KPD die Soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik eingeführt. CDU und CSU haben gegen den erbitterten Widerstand der SPD die Bundesrepublik Deutschland in die Atlantische Gemeinschaft eingefügt. Kanzler Schmidt aber war es, der bei der namentlichen Abstimmung im Bundestag am 26. Februar 1954 über das Gesetz zur Einführung der Wehrverfassung und am 27. Februar 1955 zum Beitritt zur Nato, zur Westeuropäischen Union und zur Beendigung des Besatzungs-Statuts mit Nein gestimmt hat. Dieser Vorwurf der Friedensunfähigkeit durch Kanzler Schmidt ist auch deshalb so unerträglich, weil er zum Zwecke seiner Machterhaltung eine der Propagandaparolen Moskaus übernimmt und in den deutschen Wahlkampf hineinträgt. Ich bin scharf oder manchmal zu scharf in verbalen Definitionen. S.57
FRAGE: Bei welcher Gelegenheit haben Sie nach eigener Erinnerung einmal die Beherrschung verloren?
SCHMIDT: Ich glaube nicht, daß ich irgendwann öffentlich die Beherrschung verloren habe. Zu der Zeit, als ich den Spitznamen »Schmidt-Schnauze« erhielt, habe ich oft sehr scharf reagiert. Ich kann gelegentlich auch sehr ungeduldig werden oder aus der Haut fahren. Das geschieht ziemlich selten und nur in kleinerem Kreis. Wenn ich einmal jemanden gekränkt habe, dann habe ich mich meist dafür später auch entschuldigt.
STRAUSS: Als mein Sohn (Franz Georg) den »Flohwalzer« zum hundertsten Male innerhalb einer Stunde auf dem Klavier klimperte. Aber das ist schon über zehn Jahre her, und mein Sohn hat mir den damaligen »Anpfiff« längst verziehen. Heute spielt er diese wahrscheinlich unausrottbare Melodie nur noch gelegentlich.
FRAGE: Welches ist Ihre stärkste emotionale Reaktion im politischen Kampf: Haß? Zorn? Verachtung?
SCHMIDT: Vorab: Das sind jedenfalls nicht meine stärksten emotionalen Reaktionen. Es ist wahr, daß ich dann und wann zornig werde. Zum Beispiel, wenn man mich einen »Kriegskanzler« nennt oder einen »Friedensschwätzer«. Darüber kann ein Mensch nicht einfach hinweggehen und gelassen tun. Es ist wahr, daß ich gelegentlich auch Verachtung für die Handlungsweise von Zeitgenossen empfinde. Doch solche Gefühle haben auf mein politisches Handeln keinen Einfluß.
STRAUSS: Meine stärkste Gefühlsaufwallung im politischen Kampf heißt »bayerischer Zorn«. Darunter verstehe ich nicht ein beständiges, giftspritzendes Aufgeregtsein, eine Bösartigkeit, die keines besonderen Anlasses bedarf, aus ihrer Lauerstellung hervorzubrechen, ein hochmoralisches Betroffensein als Ausdruck selbstgerechter Heuchelei.
Vielmehr meine ich damit diese jähe Blutwallung, die uns Bayern immer dann überfällt, wenn die Gemeinheit so unverhohlen auftritt, daß uns die Zunge im Hals steckenzubleiben droht, sodann die hierauf unverzüglich folgende sprachliche Bewältigung, die, dem jeweiligen zornauslösenden Anlaß entsprechend, die feine, gemessene Ausdrucksweise mehr oder minder meidet, schließlich die den bayerischen Zorn beendende oder zumindest begrenzende Fähigkeit, das Ganze auch wieder zu vergessen, wenn der Anlaß beseitigt oder bereinigt ist. Bayerischer Zorn qualmt mächtig, aber er »verraucht« auch wieder.
FRAGE: Halten Sie Ihren Wahlkampfgegner für hinreichend fähig, im Umgang mit der Macht die Selbstkontrolle nicht zu verlieren?
SCHMIDT: Nein.
STRAUSS: Der Verlust der Selbstkontrolle im Umgang mit der Macht zeigt sich nicht nur darin, daß der Mächtige seine ihm von Gesetz und Verfassung gesetzten Grenzen überschreitet. Seine Macht mißbraucht auch, wer sie nicht oder nur nach dem Grundsatz der Opportunität gebraucht. Und genau dies tut Helmut Schmidt immer dann, wenn er fürchten muß, daß ihm die Linken seiner eigenen Partei die Gefolgschaft versagen. Ich nenne hier nur die Stichworte: Doppelzüngigkeit in der Frage des Ausbaus der Kernenergie, allmähliche Auflockerung des westlichen Bündnisses durch Entfremdung, vor allen Dingen den USA gegenüber, die hastige, zu Vorleistungen allzu leicht bereite Ost- und Deutschlandpolitik. Außerdem steht derselbe Mann, der von sich und seiner angeblich norddeutsch-kühlen und gelassenen Ausstrahlung so sehr durchdrungen ist, daß er diese schon für den Ausdruck staatsmännischer Größe hält, nicht an, die CDU/CSU als »nicht fähig zum Frieden« zu verunglimpfen und meine Person mit Ausdrücken wie »Brandstifter, Unruhestifter, Berserker, Gewerkschaftszerstörer und Mann ohne Anstand« herabzusetzen. Auch hierin sehe ich einen Mißbrauch S.60 der Macht, die das Grundgesetz dem Kanzler gewährt. Seine wütenden Ausfälle gegen die Bischöfe, die ausgesprochenen Drohungen und Ankündigungen, beweisen, daß er im Umgang mit der Macht nicht genug Selbstkontrolle hat. Andererseits ist er zu schwach, sich gegen die Linksradikalen in seiner Partei durchzusetzen oder den Skandalminister Baum zu entlassen.
FRAGE: Wann und bei welcher Gelegenheit haben Sie Anzeichen von Herrschsucht und Intoleranz an sich entdeckt und wann bei Ihrem Gegenkandidaten?
SCHMIDT: Was mich selber angeht, so wird das besser von anderen beurteilt. Ich möchte mich nicht als Nathan den Weisen porträtieren, und zum Bonapartismus habe ich wirklich keine Begabung.
Was Herrn Strauß anbelangt, so will ich mich mit der Feststellung begnügen, daß dieser Politiker unser Volk zunehmend entzweit. Das ist, meine ich, kein subjektives Urteil, sondern eine exakte Feststellung. Er stiftet Unfrieden zwischen den Menschen, weil er so ist, wie er ist.
STRAUSS: Ich wäre nicht Politiker geworden, wenn ich die Macht scheuen oder gar verachten würde. Wer ein Staatsamt anstrebt, muß dazu bereit sein, Macht auszuüben: Im Rahmen unserer moralischen Grundsätze, im Rahmen der Verfassung und der Gesetze, kontrollierbar, periodisch ablösbar und sittlich verantwortbar. Er muß auch dafür eintreten, daß die Staatsmacht entschlossen gegen die Feinde der Demokratie und unserer freiheitlichen Rechtsordnung eingesetzt wird. Eine solche Haltung mag aus der Perspektive dessen, der sich anarchistischen Träumereien hingibt, »herrschsüchtig« anmuten. Ich nenne es verantwortlichen Umgang mit der Macht. Was nun die Intoleranz -- zu deutsch: Unduldsamkeit -- angeht: Wer gibt schon gerne zu, daß er von ihr befallen sei? Hierzu sollte man die Menschen fragen, mit denen ich täglich oder zumindest häufig umgehe: meine Familienangehörigen, Freunde, Mitarbeiter. Aber wenn schon eine Antwort sein muß: Ich bin tolerant, ausgenommen in den Augenblicken, da mich der oben näher beschriebene »bayerische Zorn« packt, das heißt nicht gegenüber dem Bösen, weil das nach Thomas Mann ein Verbrechen wäre. Über gelegentlich oder häufiger auftretende Herrschsucht bzw. Intoleranz bei Helmut Schmidt sollte man fairerweise diejenigen fragen, die in seiner näheren Umgebung leben und arbeiten oder von seinen Unbeherrschtheiten betroffen werden.
FRAGE: Wären Sie bereit, in der Stunde der Not Vizekanzler im Kabinett Ihres Wahlkampfgegners zu werden?
SCHMIDT: Nein. Mit Herrn Strauß kann ich mir das heute nicht mehr vorstellen, zumal ich ihn gerade in Stunden der Not für einen unberechenbaren Mann halte.
Die in großen Notlagen unseres Volkes geforderte Zusammenarbeit aller Parteien würden wir auf andere Weise sicherstellen. Eine solche Notlage ist aber heute nirgendwo zu erkennen.
Im übrigen setze ich meine ganze Kraft dafür ein, daß eine solche Notlage auch in Zukunft nicht entstehen kann und daß Herr Strauß am 5. Oktober nicht Kanzler wird.
STRAUSS: Ich habe immer betont, daß politische Parteien und demokratische Politiker sich grundsätzlich für gegenseitig koalitions- und kooperationsfähig erklären müssen. Diese meine Auffassung habe ich trotz aller Schärfe in der politischen Auseinandersetzung ja in der Praxis bewiesen.
Ich halte eine Große Koalition für eine ausgesprochene Notlösung. Wenn sie in Kauf genommen werden muß, um eine für unser Volk schädliche Entwicklung abzuwenden, die sonst auf andere Weise nicht verhindert werden kann, dann bleibt nichts anderes übrig. Sollte es wirklich zu einer äußerst drastischen Zuspitzung kommen, gar zu Kriegsgefahr oder einer ernsten Wirtschaftskrise als Folge des sowjetischen Griffs nach unseren wirtschaftlichen Lebensflanken, dann müßte jeder amtierende Kanzler sagen, ich brauche den wichtigsten Mann der Opposition, um die Situation gemeinsam mit ihm zu meistern.