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WAS DA IM BUNKER SITZT, DAS SCHLOTTERT JA

aus DER SPIEGEL 46/1966

Zehn Tage nach der Nato-Übung »Fallex 66« und eine Woche vor der hessischen Landtagswahl proklamierte die deutsche Linke in Frankfurt den »Notstand der Demokratie«. Auf einem von 58 Gewerkschaftlern, Pfarrern, Schriftstellern und Professoren einberufenen"Kongreß« protestierten am 30. Oktober 21 000 Bundesbürger gegen die Notstandspläne der Bonner Regierung. Die Notstands-Koalition zwischen Intelligenz und Arbeiterschaft manifestierte sich auf der Rednertribüne vor dem Frankfurter Römer: Der Philosoph Ernst Bloch, der Gießener Rechts-Professor Helmut Ridder, IG -Metall-Vorstandsmitglied Georg Benz und der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger machten Front gegen die »Erprobung der Diktatur in der zweiten deutschen Demokratie«. Der Rede Enzensbergers ist der folgende Auszug entnommen.

Hier, am hellichten Sonntagnachmittag und im tiefsten Frieden, habe ich ein paar Fragen.

Leben wir in einer Bananen-Republik? Werden wir von Gorillas regiert? Liegt Bonn in Haiti, oder in Portugal? Und wer hat dort das Heft in der Hand? Ist es der Marschall Castel Branco, oder ist es der Marschall Ky? Stehen vielleicht bei uns, wie im fernen Kongo, die Gangster auf den Straßen, mit entsicherten Maschinenpistolen? Oder wie weit ist es eigentlich von hier bis nach Saigon? Liegt das etwa um die Ecke?

Aber woher denn! Aber nein. Davon kann doch überhaupt keine Rede sein.

Zwar, das muß man schon zugeben, wird unsere Republik exotischer von Tag zu Tag. Zwar reibt man sich schon beim Frühstück die Augen, wenn die Zeitung kommt. Zwar wird hier das Groschenblatt zum Parlament gemacht und das Parlament zum Gesangsverein; zwar stopfen sich hier die regierenden Parteien so lange das Geld der Steuerzahler in die eigenen Taschen, bis man ihnen eins auf die langen Finger gibt; zwar fallen hier Rabattmarken ab beim Einkauf von Schützenpanzern, die teuern Flugzeuge kommen schneller herunter als hinauf, und die U-Boote haben manchmal so merkwürdige Ritzen im Rumpf; zwar kriegt hier jeder Wähler vor der Wahl ein kleines Trinkgeld, das er sorgfältig aufbewahren muß und auf Verlangen zurückzahlen; zwar wird hier mit Interviews regiert, und so lange hacken die Krähen einander die Augen aus, bis keine mehr sehen kann; zwar gilt hier als der Gipfel der Staatskunst die Roßtäuscherei - und das alles nimmt sich eher exotisch als europäisch aus -, aber scharf wird schließlich immer noch nicht bei uns geschossen.

Immer noch kann man in aller Ruhe zum Friseur gehen; immer noch gibt es Im ganzen Land kein einziges Konzentrationslager; korrekt hebt der Schupo die Hand an die Mütze, wenn man ihn fragt: Wo geht es hier, bitte schön, zum Bundesverfassungsgericht? Das wollen wir doch mal festhalten.

Und was die starken Männer angeht, nach denen die schwächsten Köpfe der Nation sich sehnen: Diese starken Männer gibt es glücklicherweise nicht. Kein Ky, kein Branco sitzt in Bonn, kein Salazar und kein Duvalier. Dort sitzt weiter nichts als eine Schar von traurigen Grossisten, die Konkurs gemacht haben und nicht zum Amtsgericht wollen. So harmlos sind diese Leute, und so gefährlich. Hilflos, und zu allem fähig; weinerlich und brutal zugleich. So sehen sie aus, unsere politischen Grossisten. Alle Konten sind überzogen, alle Rechnungen sind unbezahlt, und die ganze Firma droht ihnen davonzuschwimmen ...

So sieht er aus, der »Zustand der drohenden Gefahr«, von dem sie unausgesetzt gebrabbelt haben. Schaut euch das doch einmal in aller Ruhe an, am helllichten Sonntagnachmittag, im tiefsten Frieden, was sich da den Schweiß aus dem Genick wischt, wenn zwischen zwei Sitzungen der Bürobote das Ergebnis der letzten Umfrage in den Eingangskorb packt (und es steht doch nur darin, was die ganze GmbH schon weiß: Rette sich, wer kann!) ...

Dieser Clan, der da noch in der Agonie nach Ermächtigungsgesetzen schreit (und dabei ist ihm die Macht schon zwischen den Fingern zerronnen); was da im Bunker hockt und probt, beim Essenfassen, die Abschaffung der Demokratie.

Was sich da aufbläht, das schlottert ja! Was da immer noch den starken Mann markiert, das ist ja ganz weich in den Knien! Das hat ja Angst!

Das hat erstens Angst vor dem großen Kapital, und zwar mit Recht. Denn selbst hierzulande weiß die herrschende Klasse immer noch, auf welcher Seite ihr Brot gebuttert ist. Nicht jeder Aufsichtsratvorsitzende sehnt sich zurück nach der Uniform eines Wehrwirtschaftsführers; nicht jeder hält die Bombe für das Geschäft seines Lebens; nicht jeder sieht im allgemeinen Bankerott den großen Silberstreifen. Da sehe ich manchen, der möchte lieber Autos exportieren, und wenn es sein muß, auch nach Bukarest und Nowosibirsk, als daß er sein Werk »sicherstellen«

ließe »im Rahmen der Vorbereitung auf einen Verteidigungsfall«. Und deshalb hat das Kapital seine weißen Hände abgezogen von jener Gesellschaft mit beschränkter Haftung; deshalb bittet die herrschende Klasse sich eine Regierung aus, die wenigstens lesen kann, und wären es bloß Bilanzen.

Das, was da im Bunker hockt, hat zweitens Angst vor seiner eigenen Armee, und zwar mit Recht. Denn selbst hierzulande gibt es Generale und Offiziere, die wollen sich nicht auf die Schnitzeljagd schicken lassen ... Die Bundeswehr ist eine Armee im politischen Schleudersitz. Das ist eine Sitzgelegenheit, die im entscheidenden Augenblick versagen muß. Deshalb hat, was da im Bunker hockt, Angst vor jedem Offizier, der denken kann.

Das hat drittens Angst vor der Intelligenz, vor der Wissenschaft, vor allem, was nicht aus der Zwergschule kommt, und zwar mit Recht.

Das hat schließlich Angst, die größte Angst, und zwar mit Recht, vor denen, die in diesem Land immer noch den Ausschlag geben, vor denen, die sich ihre Rechte nicht abkaufen lassen um eine Geschirrspülmaschine, vor denen, die zuallererst erfaßt werden sollen, überwacht, kaserniert, eingeteilt, eingewiesen und eingesetzt: Das sind die Arbeiter ...

Diese Angst wird nicht erwidert werden. »Jeder Mangel an Entschlossenheit und Festigkeit«, sagt der Herr von Hassel, »alle Meinungsverschiedenheiten und Gegensätze werden vom potentiellen Gegner als ein Zeichen von Schwäche gewertet und genutzt.« Darauf ist zu antworten: Der potentielle Gegner ist die gegenwärtige oder jede künftige Bundesregierung, die ihr gleicht. Wir wollen uns, ihr gegenüber, keinen Mangel an Entschlossenheit nachsagen lassen. Lang genug war die Demokratie in diesem Land in der Defensive. Sie wird sich rühren. Wir, die Leistungspflichtigen, die Dienstpflichtigen, die Meldepflichtigen, die Selbstschutzpflichtigen, wir können uns und die Verfassung am Ende wirklich selber schützen ...

Dem Notstand, der sich selber zum Gesetz erhebt, ist nur auf eine Weise zu begegnen: mit Widerstand, mit Streik und mit Sabotage. Ich bezweifle allerdings, daß die Grossisten der Unvernunft es wirklich versuchen werden, die Straßen »freizuschießen«. Denn wir sind hier nicht in Saigon. Wir haben keine Angst vor diesen Leuten. Sie können ihren Bunker verlassen. Wir gewähren ihnen freien Abzug in den sonnigen Süden. Aber wir verlangen, daß jetzt endlich die Vernunft gehört wird.

Wir verlangen, daß das Parlament, am hellichten Tage, diesem Spuk ein Ende macht. Die Republik, die wir haben, wird noch benötigt.

Notstands-Redner Enzensberger

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