FÄLSCHUNGEN Was einfallen lassen
Mit dem Vermerk »Vertraulich« und dem Datum vom 4. Dezember 1974 bat die Deutsche Bundesbank, »von einer Berichterstattung über diesen Vorfall ... abzusehen«, jedoch »die Ermittlungen zu unterstützen«.
Die Ermittlungen hatte der Empfänger des Bank-Bittbriefes selber ausgelöst: Philipp Kaplan, 52, Münster, Herausgeber der Monats-Fachzeitschrift »der münzensammler mit dem münzenmarkt«. Am 21. November 1974 gab Kaplan, seit Jahrzehnten auf Fälschungsfahndung spezialisiert, der Bundesbank den Tip zur Aufdeckung eines Münzskandals, der in der letzten Woche zur Verhaftung des Vizedirektors und eines Technikers der staatlichen Münze in Karlsruhe führte.
Die Münz-Vergehen, die dem Regierungsamtmann Stefan Heiling, 59, und dem Münzfacharbeiter Klaus Fetzner, 40, vorgeworfen werden, sind ohne Beispiel, und sie offenbarten Lücken im Kontrollsystem der deutschen Münzanstalten, legen Versäumnisse bei Aufsichtsbehörden und bei der Bundesbank bloß.
Dem Münzmarkt-Beobachter Kaplan war im Herbst 1974 aufgefallen, daß allzuhäufig seltene deutsche Münzprägungen der Nachkriegszeit kursierten. Sammler und Händler wollten bei ihm vor allem 50-Pfennig-Stücke des Jahres 1950 und Zwei-Pfennig-Stücke des Prägejahrgangs 1967 begutachtet wissen.
Wie Briefmarkenfreunde, so sind auch Münzensammler teils aus Besitzerstolz, teils aus Spekulationsstreben auf seltene oder fehlerhafte Exemplare erpicht, auf Raritäten nach Form oder Aufschrift, Gewicht oder Größe -- wie die beiden deutschen Münzen, die aber nur dann hoch bewertet werden, wenn der Fünfziger die Inschrift »Bank deutscher Länder« trägt und der kupferrote Zweier magnetisch ist -- und beide das Herkunftszeichen »G« aufweisen*.
Als nämlich Anfang 1950 die Münzhoheit von der -- zuvor in alliiertem Auftrag tätigen -- »Bank deutscher Länder« an das Bundesfinanzministerium überging, wurden fortan auf die 50-Pfennig-Münzen die Worte »Bundesrepublik Deutschland« geprägt. Nur 30 000 Exemplare aus Karlsruhe kamen 1950 noch mit dem alten Text in Umlauf.
Rege Nachfrage der rund 250 000 deutschen Münzensammler trieb den
* Auf jedem deutschen Geldstück ist die herstellende Münzanstalt durch einen geprägten Kennbuchstaben ersichtlich: D für München, F für Stuttgart. G für Karlsruhe. J für Hamburg.
50-Pfennig-Wert rapide in die Höhe. 1970 waren kaum noch Münzen erhältlich, 1973 kletterte der Kurs auf 400 Mark. Noch spektakulärer verlief die Hausse beim Zwei-Pfennig-Stück, dessen Legierung von 1968 an bei allen vier Münzanstalten von reinem Kupfer auf einen Eisenkern mit Kupfer-Plattierung umgestellt wurde. Nur Karlsruhe lieferte schon 1967 eine Vorserie von 520 Stück mit alter Jahreszahl und neuer Konsistenz. Die Zwitter waren durch eine Magnetprobe leicht von den 6,3 Millionen der alten Karlsruher Kupfer-Zweier aus dem Jahre 1967 zu unterscheiden.
Sammlerinteresse katapultierte den Handelswert auf 1600 bis 1800 Mark. auf das über 80 000fache des Nominalwerts von eben zwei Pfennig. Und damit wurde wohl, so vermutet Kenner Kaplan, »die Versuchung für Fälscher übermächtig« -- die beiden G-Männer in Karlsruhe warfen offenbar seit etwa drei Jahren nachgeprägte Serien der beiden seltenen Kategorien auf den Sammlermarkt.
Auf den wahren Umfang der illegalen Nachprägerei kann zumindest bis jetzt nur aus Restfunden in den Wohnungen der beiden Verhafteten und aus Sammler-Hinweisen geschlossen werden: etwa 6000 bis 10 000 falsche Fuffziger und etwa 1000 Magnet-Zweier.
Nach dem Ermittlungsstand der letzten Woche haben vorwiegend im Raum Frankfurt tätige Verteiler bei den beiden Münz-Machern die Zwei-Pfennig-Stücke für je 700 Mark gekauft und für 900 Mark an Händler weiterveräußert. die dann bis zu 100 Prozent Eigenverdienst draufschlagen konnten.
Der Handel würde wohl heute noch florieren, wenn das G-Duo sorgfältiger gearbeitet hätte. Die unerklärliche Vielzahl langjähriger Raritäten schärfte jedoch Sammlern und Händlern den Blick für minimale Abweichungen, nicht allerdings den beamteten Prüfungs-Profis der Bundesbank; die bestätigten mitunter auch die Echtheit von nachgemachten Karlsruher Münzen.
Mit Lupe und Mikroskop sind die verräterischen Stellen jedoch erkennbar. So wurden bei den Zwei-Pfennig-Stücken zwar für die Vorderseite mit der Ziffer die alten Prägestocke von 1967 gebraucht, für die Rückseite aber neue Werkzeuge, die überhaupt erst seit 1971 verwendet werden -- die Schrift ("Bundesrepublik Deutschland") ist schärfer geprägt.
Allerdings waren Münzkenner auch deshalb argwöhnisch geworden, weil es um G-Stücke, also um Erzeugnisse aus Karlsruhe. ging, denn, so Philipp Kaplan. »die Leute in Karlsruhe haben sich was einfallen lassen alle Monstrositäten und Sammler-Sensationen stammen aus der dortigen Prägeanstalt":
* Zwei-Mark-Stücke der Max-Planck-Serie, bei denen die Randschrift »Einigkeit und Recht und Freiheit« fehlt.
* Fünf-Mark-Stücke aus den Jahrgängen 1951, 1960, 1964 und 1968 mit verstümmelter Randschrift,
* Zwei-Mark-Stücke mit der Jahreszahl von 1959, die erst im vergangenen Jahr auftauchten und gleich für 1500 bis 2000 Mark gehandelt wurden -- weil Karlsruhe wie auch Hamburg damals gar keinen staatlichen Prägeauftrag hatten.
* Olympia-Münzen (10 Mark) der Ausgabe-Serie G mit einem L statt I bei der Schriftspirale »in Deutschland«.
Kaplan über die Karlsruher Münze, wo Heiling schon seit über 25 Jahren beschäftigt war: »Offenbar waren die Leute dort schon immer raritätenbewußt.«
Die zuständigen Beamten im Finanzministerium von Baden-Württemberg, bei der Bundesbank und in Bonn rätseln derzeit, wie denn die Zusatz-Prägungen beim alljährlichen »Münzsturz« unentdeckt bleiben konnten, wenn
Standardprozedur in Münzen -- Metallverbrauch und Münzproduktion ständig nach Gewicht verglichen werden.
Kaplan freilich meint ein »narrensicheres Rezept« zu kennen, wie sich diese aus der Zeit des griechischen Staatsmannes Themistokles, 500 vor Christus, stammende Primitiv-Kontrolle leicht unterlaufen läßt: Ein Münze-Angestellter braucht nur aufzupassen. wann welche Münzen ausgeliefert werden, geht dann zu einer Bank. holt sich. als normales Wechselgeld, eine Rolle neuer Münzen des laufenden Jahrgangs, nimmt sie mit zurück in die Münze und kippt den Rollen-Inhalt unauffällig in den Behälter mit soeben geprägten Münzen -- dafür entnimmt er eine gleiche Menge von Rohlingen (ungeprägte Metallmünzen), aus denen sich dann begehrte Sammlerstücke herstellen lassen.
Da die alten Prägestöcke aus heraldischen und dokumentarischen Gründen in den Tresoren der Münzanstalten aufbewahrt werden, zu denen der Münz-Direktor und sein Stellvertreter Zutritt haben. durfte die Beschaffung der Originalstempel für Vize Heiling kaum schwierig gewesen sein.
Daß es echte und zugleich falsche Münzen sind, die in Karlsruhe geprägt wurden, macht für Experten nur vordergründig einen Widerspruch aus -- echt im technischen Sinne, weil sie aus Original-Münzmetall mit Original-Prägewerkzeugen in einer offiziellen Münzstätte hergestellt wurden; falsch im Rechtssinn, »weil die Münzen ohne Auftrag des Münzherrn hergestellt wurden«, so Bundesbankdirektor Werner Lucht.
Vorerst wird gegen Heiling und Fetzner nach den StGB-Paragraphen 146 und 147 (Falschmünzerei, Münzverfälschung, Münzbetrug) ermittelt: die Delikte sind mit Haftstrafen nicht unter zwei Jahren bedroht. Ob auch noch wegen Betruges und Pflichtverletzung eines Beamten (gegenüber Untergebenen) ermittelt wird, ist offen -- weil, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Karlsruhe Mitte letzter Woche, »noch nicht klar ist, ob jemand und wer denn geschädigt worden ist«. Für Sammler mindert die Affäre womöglich nicht einmal den Wert der Fuffziger und Zweier. Bundesbanker Lucht: »Es ist doch »ne einmalige Sache. daß eine staatliche Münze fälscht, es ist kein Fall aus unserer Münzgeschichte bekannt.«