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HOPKINS Was für ein einsamer Beruf

aus DER SPIEGEL 27/1950

Harry Hopkins, Roosevelts Vertrauter ohne Amt, hat einen Nachfolger im Weißen Haus bekommen. Am 1. August tritt W. Averell Harriman seinen Dienst als außenpolitischer Koordinator Trumans an. Er wird nicht Minister sein - auch Hopkins war es nicht. Aber er wird an den Kabinettssitzungen teilnehmen - auch Hopkins tat es. »Seine Stellung«, meint die »Neue Zürcher Zeitung«, »wird praktisch derjenigen entsprechen, die Harry Hopkins im zweiten Weltkrieg innegehabt hat.«

Als Hopkins im Januar 1946 starb, traf unter den Nachrufen der in der »Los Angeles Times« am treffsichersten das Problem, das dieser Mann den Vereinigten Staaten aufgegeben hatte. Er sei niemals durch die Wahl des Volkes zu einem öffentlichen Amt gekommen. Seine Tätigkeit als Ratgeber des Präsidenten sei »unvereinbar mit jeder verfassungsmäßigen Auslegung« gewesen. »Die Amerikaner brauchen sich jetzt nicht darum zu kümmern, ob Harry Hopkins groß war oder klein oder gut oder schlecht; sie sollten dafür sorgen, daß das Phänomen eines Harry Hopkins im Weißen Haus noch einmal vorkommt.« - Es wird wieder vorkommen.

Wer Hopkins eigentlich war, blieb auch der breiten amerikanischen Oeffentlichkeit verborgen, bis Robert E. Sherwood seine Biographie »Roosevelt and Hopkins« veröffentlichte. Bis zu seinem Ende hatte der Mann im Hintergrund eigentlich immer nur eine schlechte Presse gehabt. In gefälliger Abwandlung hieß er der »Rasputin des Weißen Hauses«.

Die Deutschen, denen der engste Vertraute des amerikanischen Kriegspräsidenten noch weniger bekannt sein konnte, machten daraus in bequemer Parallele zum alten Geheimrat von Holstein die »Graue Eminenz des Weißen Hauses«.

Die Nebel um den geheimnisvollen Mann sind erst verzogen, seit das Sherwood-Buch auch in deutscher Uebersetzung vorliegt*). Da war es kennzeichnend, daß der Verleger der deutschen Ausgabe, Wolfgang Krüger, am häufigsten auf die Figur von Harry L. Hopkins angesprochen wurde, des Mannes, der für die Oder-Neiße-Grenze nicht minder verantwortlich ist als Roosevelt und verantwortlicher als Churchill.

Das Sherwood-Buch ist das bisher einzige, das Wolfgang Krüger in seiner dreißigjährigen Verlegerpraris »blind« gekauft hat. Es wurde einer seiner besten und erfolgreichsten Abschlüsse.

Im Februar 1948 hatte das Foreign Office den Hamburger Verleger zu einer Englandreise eingeladen. Bei einer Londoner Buchagentur stieß er auf die deutschen Rechte an dem Sherwood-Werk über »Roosevelt und Hopkins« Er mußte sich auf der Stelle entscheiden. Schon hatten andere deutsche und Schweizer Verlage angefragt. Krüger entschied sich sofort, obwohl er das Buch nicht gelesen hatte und den erheblichen Dollar-Vorschuß nicht sofort bezahlen konnte. Zwei Jahre später lag das Werk in den deutschen Buchhandlungen.

Von dem Memoirenwerk des Roosevelt-Mitarbeiters Robert E. Sherwood hatte Krüger schon vorher von amerikanischen Freunden gehört. Begeisterte Lobsprüche der Experten und drei hohe amerikanische Buchpreise - Pulitzer-Preis, Gutenberg-Preis und »Buch des Jahres« der Literaturzeitschrift »The Saturday Review of Literature« - empfahlen es von selbst.

Trotzdem war Krüger von dem Erfolg in Deutschland überrascht. Die erste Auflage von 5000 Exemplaren war in vier

*) Robert E. Sherwood, Roosevelt und Hopkins. Wolfgang Krüger Verlag, Hamburg. 795 Seiten. DM 19,80. Wochen vergriffen. Ueber die Hälfte der zweiten Auflage in der gleichen Höhe, die im Mai herauskam, ist verkauft. Im Herbst kommt die dritte Auflage.

Die Eingeweihten in den Vereinigten Staaten wußten seit langem, welch entscheidenden Beitrag Harry Hopkins für die amerikanische Kriegführung geleistet hat. »Sie dürfen ehrlich stolz sein und mit einem tiefen Gefühl der Genugtuung auf Ihre großen und patriotischen Dienste zurückblicken, die Sie unserem Lande während der letzten 12 Jahre erwiesen haben«, attestierte ihm Truman nach dem Ausscheiden.

»Was hast du eigentlich hier zu suchen, du, Hopkins, Sohn eines Sattlers?« schrieb Hopkins nach dem ersten Besuch bei Stalin im Juli 1941 sich selbst ins Tagebuch. Er kam aus sehr bescheidenen Verhältnissen (geboren 1890 in Sioux City). Er hatte als Sozialfürsorger als Sekretär der Tuberkulose-Vereinigung in New York begonnen.

Dann berief ihn Roosevelts New Deal in die Washingtoner Regierungsmaschinerie. Er wurde Arbeitsbeschaffer und Fürsorger großen Stils. Millionen gingen durch seine Hände. »Er ist immer mit anderer Leute Geld großzügig umgegangen«, war einer der Hauptvorwürfe, die er bis zu seinem Ende zu hören bekam.

Er ist auch mit seinem eigenen Gelde großzügig umgegangen. Meist hatte er kaum einen Dollar. Er machte Schulden. Freunde, vor allem Millionär Bernard Baruch, mußten aushelfen Trotz der 25000 Dollar Jahreseinkommen, die er in seiner letzten Stellung als Vorsitzender der New Yorker Bekleidungsindustrie hatte - Oberbürgermeister La Guardia hatte ihm den wenig strapaziösen Posten besorgt - , hinterließ er seiner Frau weniger als nichts.

Abgesehen von einigen Jahren, da er als Handelsminister dem Kabinett angehörte, hatte Hopkins nie ein offizielles Regierungsamt. Er war nichts als der Freund, der Berater, der Vertraute des Präsidenten. Er wohnte im Weißen Hause. Selbst die Weihnachtstage pflegte er nicht bei seiner Familie sondern bei den Roosevelts zu verbringen. Er gehörte zum engsten Team. Weiter nichts.

Hopkins war eigentlich dauernd krank. Es bestand Verdacht auf Magenkrebs. Er ließ sich operieren Den Krebs wurde er los, er behielt ein völlig gestörtes Verdauungssystem. Wochen-, monatelang lag er im Bett. Wenn er gar nicht aufstehen konnte, kam Roosevelt an sein Bett, wurde in seinem Schlafzimmer konferiert.

»Der halbe Mann« hieß er im Weißen Haus wegen seiner dauernden Kränklichkeit. Wendell Willkie, der Präsidentschaftsrivale, fragte einst Roosevelt, warum er Hopkins in seiner nächsten Umgebung dulde. Der Präsident müsse doch merken, daß man Hopkins mißtraue und seinen Einfluß mißbillige. Roosevelt antwortete wörtlich:

»Ich kann nicht verstehen, wenn Sie sich darüber wundern, daß ich diesen halben Mann in meiner Umgebung brauche. Aber eines Tages kann es sehr wohl sein, daß Sie hier sitzen werden in der Eigenschaft eines Präsidenten der Vereinigten Staaten. Und dann werden Sie nach jener Tür dort blicken und wissen, daß so ziemlich jeder, der dort hereintritt, etwas von Ihnen haben will. Sie werden erfahren. was für ein einsamer Beruf das ist, und Sie werden merken, wie sehr Sie einen Menschen wie Harry Hopkins nötig haben, der nichts weiter begehrt, als Ihnen dienlich zu sein.«

Sherwood, der dem Präsidenten als »ghost-writer«, als ungenannter Verfasser seiner Reden, diente, weiß noch einen zweiten Grund für die enge Verbundenheit zwischen Roosevelt und Hopkins: Beide Männer hatten dicht am Tode gestanden, ihrer beider Tage war gezählt. (Der Präsident war als junger Mann an Kinderlähmung erkrankt, der er nur durch extreme Willensanstrengung widerstand. Seither mußte er eiserne Schienen an den Beinen tragen, wenn er stehen wollte).

Der halbe Mann, der Mann ohne Amt, war während des Krieges jahrelang nach Roosevelt der Zweite in den USA. Staatsoberhäupter, Regierungschefs bedienten sich seiner, wenn sie Wünsche, Beschwerden an den Präsidenten heranbringen wollten. Churchill schrieb seinem Freund Harry, was er dem Präsidenten zu sagen hatte. Tschiang Kai-schek bediente sich des Vertrauten, um Roosevelt zu einer Aenderung der strategischen Pläne im Fernen Osten zu bewegen.

Hopkins saß neben dem Präsidenten auf fast allen wichtigen Kriegskonferenzen. Dann schob er Roosevelt Zettel zu, auf denen er riet, Mister President möge jenes tun, dieses unterlassen, sich zurückhalten oder entschieden auftreten.

Hopkins war Vorsitzender oder Mitglied wohl eines Dutzend von Kommissionen. Als Chef des Sowjetprotokoll-Komitees des Präsidenten bestimmte er die Lieferungsquoten für die Sowjetunion. Als Vorsitzender des Munitions Assignment Board verteilte er die amerikanische Rüstungsproduktion an die übrigen Verbündeten. Im National Defence Research Council trieb er die Atomforschung an, im Kriegs-Produktionsamt wirkte er für Rüstungssteigerung. Noch Wochen, nachdem er sich im Juli 1945 völlig zurückgezogen hatte, erinnerte er sich einer ganzen Reihe von Kommissionen und Komitees, denen er ebenfalls angehört hatte, und schrieb nachträglich Abschiedsbriefe.

Als Roosevelt starb, lag Hopkins wieder einmal schwer leidend in der Mayo-Klinik. Dem Sarg des großen Freundes konnte er nicht folgen. Er kam nur zur Trauerfeier ins Weiße Haus. »Er sah selbst aus wie der Tod« bezeugt Sherwood. Aber er wollte noch wirken. »Jetzt müssen wir allein an die Arbeit gehen, jetzt geht es erst richtig los mit uns.«

Er kam noch einmal unter Truman zum Zug. Kaum eine Woche nach dem Siegestag drohte die Geburtstagung der Vereinten Nationen in San Francisko zu scheitern. Ueber die Abstimmungsfrage im Sicherheitsrat kam es zum offenen Konflikt, Molotow und Eden wurden abberufen. Die öffentliche Meinung in den Staaten schlug jäh gegen die Sowjetunion um. Es war vor allem die beginnende Sowjetisierung Polens, die die Amerikaner erhitzte.

Da entschloß sich Truman den ersten Berater seines Vorgängers nach Moskau zu schicken. Hopkins galt als der Hauptbefürworter einer amerikanisch-sowjetischen Freundschaftspolitik. Seit er als erster Amerikaner nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Juli 1941 Stalin aufgesucht und konkrete Hilfsangebote überbracht hatte, war er in Moskau Persona grata.

Hopkins hatte sechs ausführliche Konferenzen und eine Privatunterredung mit Stalin. Es ging fast immer um Polen. Schon vor Jalta hatte Moskau das Lubliner Kommunisten-Komitee als legale polnische Regierung anerkannt. Die Westmächte verlangten die Aufnahme anderer politischer Gruppen in das Warschauer Kabinett. Ihre Kandidaten saßen zum Teil in der Londoner Exilregierung. Stalin war nicht zu bewegen.

Auch Hopkins schaffte es nicht. Wiederholt sprach er von einer »sehr ernsten Lage«. Er nannte Polen das »Symbol« für die Frage, ob überhaupt eine Zusammenarbeit mit der Sowjetunion möglich sei. »Unser ganzes Verhältnis wird bedroht, wenn die polnische Angelegenheit in eine Sackgasse gerät.« Sie blieb in der Sackgasse. Nur in der Abstimmungsfrage im Sicherheitsrat gab Stalin nach. Als Hopkins am 7. Juni Moskau verließ, hatte er noch erlebt, wie der Heiße Krieg unmittelbar in den Kalten überging.

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