FAHNDUNG Was gerade läuft
Mal nahm er SPIEGEL-Redakteure fest*, mal beschützte er Kanzler Kiesinger in den Wäldern um Bebenhausen, mal trug er Lösegeld in die arabische Wüste, mal trat er als BM-Fahnder in der »Tagesschau« in Erscheinung: Gerhard Boeden, Leitender Regierungskriminaldirektor beim Bundeskriminalamt (BKA), hat in Ausübung seines Dienstes »schon manche verrückten Sachen gemacht«.
Seit letzter Woche gibt es für den graumelierten Fünfziger eine neue Aufgabe -- wohl nicht verrückter, aber womöglich gefährlicher als alle bisherigen Spezialaufträge: Boeden soll als frisch ernannter Chef der neuen BKA-Abteilung »Terrorismus« ("T") System in die Fahndung nach Baader-Meinhof-Nachfolgern bringen. Es ist, so meint er, »eine Aufgabe wohl für die nächsten zehn Jahre«.
180 ausgesuchte Kripo-Spezialisten sind dem gelernten Schriftsetzer in der BKA-Dependance in Bad Godesberg unterstellt, wenn der Aufbau der Abteilung »in einigen Wochen« (Bundesinnenminister Werner Maihofer) vollzogen sein wird. Gegliedert in die Gruppen »Ermittlung« und »Fahndung«, soll Boedens »T«-Abteilung jenen »Sumpf trockenlegen« (BKA-Präsident Horst Herold), aus dem letzthin immer neue Anarcho-Gruppen gewachsen sind.
Es sind an die 30 Terror-Aktivisten und »mehr als 300 gefährliche Randfiguren«, denen die Abhörspezialisten und Observanten. Greiftrupps und Aktenauswerter der Abteilung »T« mit Hilfe vor allem des Verfassungsschutzes beikommen wollen. Boedens Konzept: > gründlichere Auswertung aller einschlägigen Ermittlungsakten. Geheimdienstberichte und Anarcho-Literatur. um »endlich ein Document Center des Anarchismus zu kriegen« (Herold),
* wirksamere Offentlichkeitsfahndung und breitere Aufklärung über die Medien, um die Bürger zu konsequenterer Mitarbeit zu motivieren. > exaktere Zielfahndung nach reisenden RAF-Kommandos. untergetauchten Einzelgängern und ihren »legalen« Beihelfern.
* mehr Kooperation mit den Staatsschutzstellen des westlichen Auslands, um beizeiten internationale Verflechtungen aufzuspüren. Solche Strategien müßten nach gut fünf Jahren Polizei-Umgang mit gewalttätigen Anarchisten selbstverständlich sein. Tatsächlich aber behinderten Kriminalisten und Ministerialräte« Staatsanwälte und Innenpolitiker von Bund und Ländern bislang einander bei der Fahndung (SPIEGEL 21/1975).
Erst seit sieben Wochen kann das BKA in den rund 200 laufenden Ermittlungsverfahren gegen Anarchisten. die auf Länderebene geführt werden. »alle Nachrichten und Unterlagen sammeln ... und auswerten« (Beschluß der Innenministerkonferenz -- IMK -- vom 11. April): von jedem Vernehmungsprotokoll geht nun eine Zweitschrift an die Abteilung »T«.
Boeden kann nun zentral die Priorität von Polizeieinsätzen und die Fahndungstaktik festlegen. Er kann eigene Spezialisten in regionale Sonderkommissionen entsenden, die »Zielpersonen der verdeckten Fahndung und der Zielfahndung bestimmen« und den »Einsatz technischer Mittel koordinieren« (IMK-Beschluß). Das sind Vollmachten für einen Polizisten des Bundes. wie es sie in solcher Tragweite angesichts der Polizeihoheit der Länder nie gab.
Daß sich um einmal erkannte Anarcho-Aktivisten neue Gruppen von Bombenwerfern formieren, daß sie unbehelligt in konspirativen Stützpunkten ausharren können -- das soll »künftig nicht mehr möglich« sein: »T«-Leute sollen Anarcho-Verdächtige rund um die Uhr beschatten, und Boeden sagt: »Wir werden sehr viel Bewegung in die Szene hineinbringen und dann Zug um Zug zuschlagen.«
Soviel Erfolgswille auf schwierigem Posten zeigt ein Mann. dem seine Vorgesetzten »hohe Führungsgabe« und »eine besondere Integrationsfähigkeit« nachsagen. »Der Boeden«. rühmt BKA-Chef Herold. »ist ein Mitreißer
* So SPIEGEL-Chefredakteur Claus Jacobi am 26. Oktober 1962 (SPIEGEL-Affäre).
und Manager, der die Truppe motivieren kann.«
An alledem fehlte es offenbar in der von BKA-Abteilungspräsident Karl Schütz geleiteten BKA-Dependance zu Godesberg. Die obersten Fahnder. über jede Entwicklung und Verästelung des Ermittlungsstands im Bilde, verloren sich mitunter in den Details. jedenfalls vermochten sie die Nachrichten nicht prompt und umfassend dorthin zu geben. wo sie gebraucht wurden: Geheimes blieb oft so geheim, daß die Fahnder draußen, wie einer von ihnen klagte, »oft gar nicht wußten. was gerade läuft«
Querelen mit den Landeskriminalämtern und politische Einflüsse auf dem -- vor Wahlen stets umstrittenen -- Feld der inneren Sicherheit trugen kaum zur Klimaverbesserung im Fahndungsapparat bei, zumal wenn Fahndungserfolge zeitweilig ausblieben.
Schließlich gab Kanzler Helmut Schmidt das Signal zur Veränderung hinderlicher Strukturen. als er öffentlich über »eine Art deutsches FBI« nachdachte. Unter dem Druck von Drenkmann-Mord und Lorenz-Entführung bestätigten die Innenminister der Länder schließlich die bis dahin stets eingeschränkte Führungsrolle des BKA bei der Anarchistenjagd, und nun ließ sich Innenminister Maihofer für das Bundeskriminalamt vom Kabinett den Posten eines zweiten Vizepräsidenten genehmigen, der, weitgehend unabhängig von BKA-Präsident Horst Herold in Wiesbaden, die stark aufgewertete Filiale in Bad Godesberg leiten soll.
Wer der künftige Chef dieses »heimlichen Bundesstaatsschutzamtes« werden wird, wie Insider neuerdings die BKA-Niederlassung in Bonn nennen, war Ende letzter Woche noch offen; wirksam wurde hingegen schon ein Revirement innerhalb der beiden Bonner BKA-Abteilungen -- Staatsschutz (ST) und Sicherungsgruppe (SG) -, zu denen jetzt als dritte die Abteilung »T« hinzukommt. SG-Chef Boeden, fortan »T«-Mann, gab die Führung der Schutz- und Begleitdienste für Politiker an seinen Kollegen Günther Schleicher ab. Anarchisten-Fahnder Günter Roehmelt kümmert sieh als neuer »ST«-Abteilungsleiter nun vor allem um Spione, Abteilungspräsident Karl Schütz soll im Herbst in Pension gehen.
Der neue Chef von »T« ist unterdessen schon dabei, sich Ärger zu machen: Keineswegs kann Boeden die Öffentlichkeitsfahndung nach Terroristen in die Hand nehmen, wie er möchte. Dafür zeichnet -- Absprache der Länder mit Maihofer -- der Stuttgarter Ministerialdirigent Stümper verantwortlich. Und wenn es um neue Konzepte für die Fahndung geht, beharren nach wie vor. so Herold, »einige Dutzend Staatsanwälte auf ihrem letzten Wort«.