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FRIEDHOFSORDNUNG Was nicht in der Bibel steht

aus DER SPIEGEL 44/1956

Das katholische Pfarramt der Gemeinde Eidelstedt in Hamburg wird sich damit abfinden müssen, daß es mindestens drei Seelen verliert. Die 43jährige Witwe Lissy Macht und ihre Kinder Willi, 18, und Ursel, 15, faßten den Entschluß, aus der Katholischen Kirche auszutreten, weil sie mit den Maßnahmen eines evangelischen Pastors nicht einverstanden sind.

Die Absicht, der Katholischen Kirche heimzuzahlen, was ihr von der evangelischen Geistlichkeit angetan wurde, festigte sich in der Witwe Lissy Macht, als sie am Tage, an dem sich der Tod ihres Mannes zum ersten Male jährte, auf dem Eidelstedter Friedhof vor einem Grab ohne Gedenkstein stehen mußte.

Als der Maurer Willi Macht im besten Alter von 46 Jahren der Familie durch einen Betriebsunfall entrissen wurde, hatte Witwe Macht beim Steinmetzmeister Max Schramm am Eidelstedter Friedhof einen Grabstein aus schwedischem Granit bestellt. Nach dem Willen der Lissy Macht meißelte Meister Schramm 109 Buchstaben und Zeichen in den Stein und tönte sie mit 233/4 karätiger Goldauflage, zum Tarifpreis von 1,30 Mark für jeden Buchstaben. Insgesamt bezahlte die Witwe Macht für die Bemühungen des Steinmetzen den Betrag von 339,10 Mark. Am 2. Mai 1956 wurde der Stein auf das Grab gesetzt.

Witwe Macht hatte nicht lange Gelegenheit, in stillem Gedenken an diesem Stein verweilen zu können. Als sie Anfang September mit frischen Blumen an das Grab ihres Mannes trat, stand dort nur noch der weiße Sockel. Der Grabstein mit der Inschrift: »0 Schicksal, wie bist du so hart! Mein lieber unvergeßlicher Mann - unser herzensguter Vati Willi Macht, * 8. 10. 09, verungl. 1. 10. 55« war nicht mehr da.

Mit dem Gedanken an Grabschändung eilte die Witwe Macht zu Steinmetzmeister Schramm, der sich jedoch keineswegs überrascht zeigte, sondern stumm in eine Ecke seiner Werkstatt wies. Dort stand der Stein mit der Goldschrift zwischen unbehauenen Klötzen. Zur Erklärung dieses ungewöhnlichen Umstandes fingerte Steinmetz Schramm ein Schreiben der evangelischlutherischen Kirchengemeinde Eidelstedt aus der Brieftasche, das von Pastor Hans Just unterzeichnet war. In diesem Schreiben an den Steinmetz Schramm hatte Pastor Just, 50, gefordert, »den Grabstein des Willi Macht zu entfernen und ihn mit neuem Text zur Genehmigung vorzulegen«.

Das Schreiben hatte sich Steinmetzmeister Schramm vorsorglich von Pastor Just ausstellen lassen, um eventuellen strafrechtlichen Auseinandersetzungen mit der Witwe Macht begegnen zu können. »Ich habe den Stein nur widerstrebend entfernt«, beteuerte Schramm der Witwe. Er hatte es nicht gewagt, sich dem Pastor offen entgegenzustellen. Die Konzession für das Steinmetzgeschäft erteilt die Friedhofsverwaltung, der Pastor Just vorsteht. Außerdem befindet sich Schramms Werkstatt auf kircheneigenem Boden.

Steinmetz Schramm deutete der Witwe nur vorsichtig an, weshalb er den Stein vom Grab entfernen sollte: »Pastor Just Ist mit dem Text auf dem Stein nicht einverstanden.«

Um sich Gewißheit zu verschaffen, wandte sich die Witwe Macht sofort an das Kirchenbüro, das in der Nähe der Steinmetzwerkstatt liegt. Doch Pastor Just war nicht zugegen, und Bürovorsteher Hesse wollte ihr keinen Aufschluß geben. Deshalb versuchte sie es später noch einmal telephonisch. Diesmal erfuhr sie von Pastor Just: »Die Kirchenbehörde und die Hansestadt Hamburg sind gegen den Text auf dem Stein.« Weil Tränen ihr die Kehle zuschnürten, hängte Witwe Macht wortlos ein.

Jetzt nahm sich Sohn Willi des Falles an und ging zur Polizei, um gegen Pastor Just Strafanzeige wegen Grabschändung und Diebstahls zu erstatten. Er mußte jedoch unverrichteterdinge umkehren. Der Wachhabende der Revierwache nahm die Anzeige nicht an, weil das eine Angelegenheit sei, mit der sich der Eidelstedter Bürgerverein und der Hamburger Senat befassen müßten.

Entschlossen, sein Recht zu suchen, stürmte Willi Macht junior in das Kirchenbüro. Er fand kein Ventil für seine aufgestaute Wut. Pastor Just war wieder nicht da.

Getreu den Grundsätzen christlicher Nächstenliebe versuchte Bürovorsteher Hesse, den wütenden jungen Mann zu besänftigen. Hierbei erfuhr nun Willi Macht überhaupt zum erstenmal, welche Gründe den Pastor Just bewogen hatten, an dem Stein für den Vater Anstoß zu nehmen.

Hesse, der die Reserve der Eidelstedter gegenüber Pastor Just auf dessen »Gradlinigkeit« zurückführte, klärte Willi Macht auf: »,Schicksal', das Wort gibt es nicht in der Bibel. Und was nicht in der Bibel steht, existiert für Herrn Pastor Just nicht.« Es gebe nur eine göttliche Fügung.

Auf diese Logik wußte der junge Macht nichts zu entgegnen. Er glaubt jedoch, das Verhalten des Pastors damit erklären zu können, daß seine Mutter, seine Schwester und er selbst der katholischen Kirche angehören, während der Vater Protestant gewesen war.

Willi Macht weiß nicht, daß es dem Pastor Just seit langem ein Anliegen ist, Grabdenkmäler zu korrigieren. So ist heute in Eidelstedt noch in aller Munde, wie Pastor Just hartnäckig um die Beseitigung eines Grabsteins kämpfte, in den eine nackte Frauenfigur eingemeißelt ist, die ihren Blick nach unten auf den Sockel richtet.

Just monierte die Kopfhaltung der Figur mit dem Argument, das letzte Heim sei nicht in der Erde auf dem Friedhof zu suchen, sondern - getreu der Bibel - im Himmel. Trotzdem steht der Stein noch heute auf dem Friedhof. SPD-Distriktsvorsitzender Ernst Hauk hatte sich des Falles angenommen und bei der Landes-Kirche interveniert. Seine Eingaben landeten schließlich bei der Evangelischen Synode in Kiel, der die Eidelstedter Gemeinde untersteht.* Dort fand man die Maßstäbe des Pastors Just zu streng.

Durch diesen Erfolg ermuntert, will sich SPD-Hauk nun auch um den Grabstein des Willi Macht kümmern;

denn die Witwe hat entschieden: »Entweder wird der Stein mit unveränderter Inschrift wiederaufgestellt oder das Grab bleibt leer.«

Indes, Ernst Hauk wird es nicht leicht haben: Nach der Friedhofsordnung der Kirchengemeinde zu Eidelstedt müssen die Inschriften vor der Aufstellung des Grabsteins von der Friedhofsverwaltung genehmigt werden. Um diese Genehmigung nachzusuchen, hatte die Witwe versäumt.

Inzwischen hat nun Steinmetz Schramm dem Grabstein einen würdigeren Platz zugewiesen, als es die Ecke seiner Werkstatt ist. Der in Granit gemeißelte Schmerz der Witwe steht jetzt unter einer kleinen Tanne am Rande des Friedhofs, allerdings weitab von den sterblichen Überresten des Willi Macht.

* Zur Hamburgischen Landeskirche gehört der ursprüngliche Stadtbereich. Die späteren politischen Eingemeindungen hatten auf die Einteilung der Landeskirchen keinen Einfluß.

Pastor Just

Der Text auf dem Grabstein..

Witwe Macht

... war von der Verwaltung nicht genehmigt

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