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WAS NICHT VERBOTEN WURDE

aus DER SPIEGEL 30/1961

Das Nürnberger Landgericht übersandte dem SPIEGEL den Wortlaut des Antrags auf Einstweilige Verfügung, den Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Strauß gestellt hatte und dem das Gericht in acht Punkten stattgab. Strauß hatte aber nicht acht, sondern 62 Punkte aufgeführt, deren Verbreitung er untersagt wissen wollte. Der SPIEGEL veröffentlicht heute alle jene Behauptungen, deren Verbreitung vom Nürnberger Landgericht nicht untersagt worden

ist. Da Minister Strauß - erfolglos - beantragt hatte, der erkennende Teil der beantragten Einstweiligen Verfügung müsse in der nächsten Ausgabe des SPIEGEL veröffentlicht werden, befindet sich der SPIEGEL bei der Veröffentlichung der nicht verbotenen Antragspunkte im Einklang mit dem Minister. Mit den untersagten Behauptungen, die Im Zweifelsfall herangezogen werden müssen, hat sich der SPIEGEL schon in Nr. 26 auseinandergesetzt.

1. Der Antragsteller (Strauß) habe als Demokrat und Republikaner schon zu den schlimmsten Bedenken Anlaß gegeben;

2. der Antragsteller sei vom Ehrgeiz getrieben wie von Furien;

5. der Antragsteller habe in einer Rede in Regensburg am 9 November 1958 über die Befürworter des Rapacki-Planes einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa gesagt: »Ich nenne jeden einen potentiellen Kriegsverbrecher, der durch Schwächung der westlichen Abwehrkraft dem kommunistischen Osten strategische Vorteile schafft«;

6. der Antragsteller habe im Jahre 1958 in Offenbach zu Demonstranten erklärt: »Wem es bei uns hier in der Bundesrepublik nicht paßt, der kann ja hinübergehen in die Sowjetzone!«;

7. der Antragsteller habe im Bonner Presseclub den Nobelpreisträger Professor Dr. Hahn einen »alten Trottel« genannt, der die Tränen nicht halten und nachts nicht schlafen könne, wenn er an Hiroshima denke;

8. der Antragsteller habe Herrn Professor Dr. Hahn als »phantasievollen Astrologen« und »Weltverbesserer« bezeichnet;

9. der Antragsteller treffe wie von ungefähr auf Nazi-Instinkte; er erkenne das Recht zur politischen Emigration nicht an;

10. der Antragsteller sei ein Symbol deutschnationalen Größenwahns;

11. der Antragsteller halte sich für ein höheres Wesen, dem gemeine Bürger zu weichen hätten;

13. es sei in Straf- und Zivilverfahren, die der Antragsteller anstrenge oder die gegen ihn angestrengt werden, kein unüblicher Anblick, daß meterlange Ministerfernschreiben frisch vom Ticker weg auf den Richtertisch getragen werden;

14. der Antragsteller habe sich in Sachen Hahlbohm skandalös verhalten; der Fall Hahlbohm sei für ihn so bösartig;

15. aus dem Verhalten des Antragstellers in Sachen Hahlbohm spreche eine nicht ganz unbedenkliche Geistesverfassung des Antragstellers;

16. was ganz allgemein zu denken gebe, sei das Rigorose an Herrn Strauß;

17. es sei noch keinem Beobachter gelungen, festzustellen, welchen Überzeugungen sich der Antragsteller innerlich verpflichtet fühle;

20. das politische Handeln des Antragstellers sei ein wertfreies Management;

22. der Antragsteller strebe nach dem Sessel Brentanos, um sich von dem negativen Ruch des Bundesmarschalls zu reinigen;

23. der negative Ruch des Bundesmarschalls liege nicht in der Natur des Amtes, sondern in der Person des Antragstellers als des Inhabers dieses Amtes;

24. der Antragsteller habe in gesinnungspazifistischer Tendenz geäußert: »Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nehmen wolle, dem solle die Hand abfallen«;

25. mit der Wahl des Antragstellers zum Landesvorsitzenden der CSU sei die an sich schon geringe Chance, die deutsche Politik zu zivilisieren, gemindert worden;

28. dem Antragsteller seien unverwischbare Spuren von Teutonentum eigen;

29. der Antragsteller sei einer der gefährlichsten Männer Europas;

30. der Antragsteller verwechsle die Bundestagstribüne mit dem Gasthof zum Ochsensepp;

31. der Antragsteller sei die Verkörperung jenes vielleicht für uns tödlichen Tatbestandes, daß die moralischen Kräfte der Menschheit mit ihren technischen nicht Schritt gehalten hätten;

33. der Antragsteller habe im Verein mit Parteifreunden den Minister Blank bis zu dessen physischer Erschöpfung verfolgt und erledigt;

34. der Antragsteller habe auf der Strecke seiner Karriere Außenminister von Brentano als nächstes Opfer ausersehen;

35. der Antragsteller sei ein Genie der Ellenbogen;

36. der Antragsteller sei ein Ellenbogengenie;

39. der Antragsteller habe General Mueller-Hillebrand geschaßt und in Grund und Boden gestampft, weil er seine Protegés habe befördert sehen wollen; er habe sich auf Kosten dieses unbequemen Untergebenen in Szene gesetzt;

40. der Antragsteller sei ein Generals -Dompteur;

42. der Antragsteller spanne im Rangeln um die Macht die ihm unterstellten Generale rücksichtslos ein;

43. der Brief des Generals Kammhuber verrate in seinem bombastischen Deutsch die Diktion des Antragstellers;

44. der Antragsteller sei jenen Leuten und Tendenzen weit vorausgeeilt, die sich eine gute Demokratie ohne Parlament vorstellen;

47. der Antragsteller werde für den Fall eines Regierungswechsels seine Generale ermuntern, Forderungen bekanntzugeben und bei Nichterfüllung zurückzutreten, was einem Staatsstreich mit Hilfe der Armee bedenklich nahe komme;

48. der Antragsteller würde das Bundeskanzleramt ohne Krieg und Umsturz schwerlich wieder verlassen müssen;

49. der Antragsteller glaube an den Krieg als vornehmstes politisches Mittel und sei geneigt, über seine Schrecken hinwegzusehen und seine Folgen zu mißachten;

50. der Antragsteller träume davon, die deutsche Armee zur stärksten Europas zu machen;

51. mit der Wahl des Antragstellers zum Landesvorsitzenden der CSU habe sich die nicht übergroße Chance, den Frieden zu erhalten, gemindert;

55. der Antragsteller nähre unablässig das Mißtrauen zwischen den Großstaaten;

57. der Antragsteller betreibe unverantwortliche Panikmache;

59. der Antragsteller habe anläßlich eines Fernsehgesprächs am 25. November 1958 durch seine Äußerung, es sei nicht zu erwarten, daß die Amerikaner im Falle eines örtlichen sowjetischen Vorstoßes den letzten großen Schlag riskieren würden, die amerikanische Bündnistreue angezweifelt; er dürfte wegen dieser Anschauung keinen Tag länger Verteidigungsminister bleiben;

60. der Antragsteller habe im Februar 1958 vor dem Wirtschaftsbeirat der CSU gefordert, daß die Bundeswehr so stark sein müsse, daß ihre Präsenzstärke für jeden Angreifer zu einem selbstmörderischen Risiko werde;

61. der Antragsteller habe erklärt: »Ich bin nicht feige; denn ich bin kein Wehrdienstverweigerer!«;

62. ohne Hinweis auf die Losung der Wehrdienstverweigerer, daß mehr Mut zur Wehrdienstverweigerung als zur Befolgung eines Gestellungsbefehls gehöre, die Äußerung des Antragstellers: »Ich bin zwar kein Wehrdienstverweigerer, aber trotzdem kein Feigling!«

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