GRENZKAMPF Was uns trennt
Westdeutschlands SPD-Vorstand hatte für seine letzte Vorstandssitzung als Punkt 6 ursprünglich die Behandlung des Themas »SPD und SPF (Sozialdemokratische Partei Flensburg)« vorgesehen. Punkt 6 wurde zwar nicht behandelt. Trotzdem besteht kein Zweifel mehr: Die SPD möchte die 1946 von Schumacher ausgeschlossenen sozialdemokratischen Genossen Flensburgs wieder in den großen Partei-Schoß zurückholen.
Die ersten Versuche wurden jetzt gemacht. Am 1. Februar rollte der 2. SPD-Vorsitzende Ollenhauer nach Flensburg, um dort im Gewerkschaftshaus am Nachmittag vor der treudeutschen Flensburger Rumpf-SPD und am Abend vor den mit Dänemark flirtenden SPF-Genossen zu sprechen. Ungewöhnlicher Beifall empfing ihn. Ollenhauer war klug genug, trotzdem nur neutral zu sprechen und an dem heißen Eisen »SPD und SPF« vorbeizureden.
Um 18.20 Uhr, zwischen beiden Referaten, zog er sich allerdings zu einem internen Abendessen zurück. Das Tischgespräch ging um die Rückkehr der Sozialdemokratischen Partei Flensburg zur SPD.
Das Trennende zwischen SPD und SPF ist nicht die Weltanschauung, sondern die Blickrichtung. Die SPF schielt wehleidig über die Grenze und ist für evtl. Abtretung Flensburgs an Dänemark. Sie bildet im Flensburger
Stadtparlament mit dem Südschleswigschen Wählerverband eine dänische Front und ist die stärkste Partei der Stadt.
Nach dem ersten Weltkrieg saßen die Flensburger schon einmal auf der Schneide des Abtrennungsmessers.
In dieser grenzpolitischen Spannungszeit waren es die Sozialdemokraten, die den klarsten Kopf bewahrten. Nördlich und südlich der 1920 festgelegten deutsch-dänischen Grenze erklärten sie: »Wir sind gegen jeglichen Chauvinismus und Irredentismus.« Der damalige deutsche SPD-Vorsitzende Otto Wels und der langjährige SP-Chef Dänemarks, Thorvald Stauning, unterschrieben gemeinsam am 25. November 1923 ein deutsch - dänisches Grenzabkommen unter Sozialdemokraten, mit dem beide Seiten die Grenze von 1920 (mit einem deutschen Flensburg) als endgültig anerkannten.
Nach dem Weltkrieg II geschah genau das Gegenteil. Am 8. Juni 1945 setzten sich 34 deutsche Sozialdemokraten zusammen und faßten eine Note an die dänischen Genossen ab, mit der sie sich erboten,
* »jede Bestrebung zu unterstützen, die das Ziel hat, die Grenze von 1920 nach Süden zu rücken und das Gebiet um Flensburg (einschließlich der Stadt) an Dänemark anzuschließen.«
So das dänisch verfaßte »Sydslesvigsk Dagbog« (Südschleswiger Tagebuch). Es vermerkt dazu in Band I resignierend: »Die dänischen Sozialdemokraten legten die Note zu den Akten.«
Immerhin kam Dänemarks damaliger Außenminister Möller am 17. August 1945 über die Grenze, um die Flensburger Sozialdemokraten zu besuchen. Und der Mitinszenator der Abtrennungs-Note vom 8. Juni 1945, Hugo Hellwig, schrieb an seine Kopenhagener Genossen: »Seit diesem Tage datiert der Kampf der Schleswig-Holsteinischen SPD-Landesleitung in Kiel gegen die Flensburger Sozialdemokraten«, die inzwischen im SPD-Kreisverein zusammengeschlossen waren.
Als dann am 15. Mai 1946 die Flensburger Sozialdemokraten sogar ein Wahlabkommen mit dem dänisch orientierten SSV (Südschleswigschen Verein) abschlossen, wurde es Dr. Kurt Schumacher zuviel: er verhängte am 7. Juli 1946 den parteiinternen Bannfluch über die Flensburger Genossen, die Nicolaus Reiser dann in einer eigenen Partei, der Sozialdemokratischen Partei Flensburg, sammelte. Nicolaus Reiser war damals Flensburgs Bürgermeister.
Heute versucht er, sich langsam mit dem Gedanken einer Rückkehr in die SPD anzufreunden. Das ist aber schwierig, weil es eine Reihe von Institutionen gibt, die einem Aufweichen der verhärteten Grenzkampffronten nicht eben dienlich sind.
Da gibt es auf der deutschen Seite
* die Arbeitsgemeinschaft deutsches Schleswig,
* den Grenzfriedensbund,
* den Schleswig-Holsteinischen Heimatbund und
* die Montag-Gesellschaft
und auf der dänischen Seite
* den Südschleswigschen Verein (SSV),
* dänische Sportvereine und
* dänische Kulturgruppen.
Die Flensburger selbst freilich denken durchweg nicht so streng national wie diese Institutionen. Sie beginnen sich jetzt dafür zu interessieren, wer eigentlich in ihrer Stadt die Hauptworte im deutschdänischen Flensburg-Kampf spricht. Wobei sie entdecken, daß eine Reihe der Kampf-Aktivisten, die Flensburg so gerne an Dänemark anschließen würden, weder Nord- noch Südschleswiger sind:
* Der Fraktionsführer des dänisch gesinnten Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) im schleswig-holsteinischen
Landtag, Samuel Münchow, entstammt einer Pommern-Familie;
* der 1. Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Flensburg, Nicolaus Reiser, entstammt einer Glasbläser-Familie aus dem Erzgebirge;
* der maßgeblich in der SPF mitwirkende Vorsitzende des DGB - Ortsausschusses Flensburg, Beyreis, kommt aus einer Bielefelder Familie;
* der Chef vom Dienst und Politik-Redakteur der dänisch gesinnten »Südschleswigschen Heimatzeitung«, Carl Hagens, ist zwar in Sonderburg (Nordschleswig) geboren, spricht aber heute noch Berliner Dialekt, da er langjähriger Ullstein-Journalist war und nach 1945 erst nach Flensburg verschlagen wurde, wo er zunächst auf der deutschen Seite Sportredakteur beim »Flensburger Tageblatt« war;
* der Kulturrezensent der »Südschleswigschen Heimatzeitung«, Friedrich Schulze, ist Ostpreuße, den die Flucht nach Flensburg verschlug;
* der einzige SSW - Bundestagsabgeordnete Hermann Clausen war 1923 noch maßgeblich am Zustandekommen des sozialdemokratischen Grenzabkommens beteiligt, wobei er den deutschen Standpunkt vertrat.
Als neue Grenzkampf - Institution wurde am letzten Sonnabend ein »Grenzpolitischer Rat« mit Flensburger Rum getauft. Der Täufling soll nach dem Willen seiner Paten alle grenzpolitisch interessierten Kräfte der deutschen Seite koordinierend an einen runden Tisch bringen.
Nur dem Rundfunk gelang es bisher, beide Kampfseiten zusammenzusetzen. Das war am 7. Februar im NWDR-Studio Flensburg, wo je zwei Deutsche und zwei Dänen ihre Argumente ins Mikrophon sagten und anschließend zusammen friedlich zum Essen gingen.
Die Flensburger sitzen auch sonst gern zusammen. Nur die Aktivisten nicht.