WDR: Kein Rouge für die Brustwarzen
Schon lange ist an Rhein und Ruhr die Luft verpestet. Nun wird auch noch der Äther vergiftet: Aus dem Kölner Funkhaus, so wittert die CDU. strömt immer mehr Verderbliches ins Land.
Da wird, im Hörfunk-Magazin »Radiothek«, konjugiert: »Ich stahl, du stahl, er stahl, Kruppstahl.« Da polemisiert eine Song-Gruppe: »Strauß und alle seine Bazis und die Neo-Nazis, die sind Bayerns größte Plag.« Und da feixt der Moderator im »Morgenmagazin": »Da rief gerade ein Hörer an und mäkelte an unserer Wahlanalyse herum. Er meint, die sei nicht objektiv. Dem werde ich jetzt eine objektive Zeit geben -- es ist 7.52 Uhr, acht Minuten vor acht.«
Für die Unionschristen ist es im WDR fünf vor zwölf. Im Finale des nordrhein-westfälischen Wahlkampfes hören sie allmählich aus den 16 000 Radio- und 3600 Fernsehstunden, die der Sender jährlich produziert, nur noch jede Menge Gefälligkeiten für Bonns und Düsseldorfs Regierende heraus,
»Wir sind es satt«. wetterte CDU-Spitzenkandidat Heinrich Köppler. »uns mit der Dauerberieselung
von Linkspropaganda von morgens bis abends zufriedenzugeben.« Köpplers Parteifreund Heinrich Windelen drohte: »Der WDR darf nicht zur Ausweichadresse werden für diejenigen, die wegen ihrer politischen Einstellung im öffentlichen Dienst nicht unterkommen können.«
Statt die angebliche Linksdrift der Anstalt im WDR-Verwaltungsrat anzuprangern, dem er seit fünf Jahren angehört, stellte Windelen aus Zitatschnipseln einen Sündenkatalog zusammen und brachte »das üble Machwerk« (WDR-Intendant Klaus von Bismarck) unters Wahlvolk. Windelens populärstes Reizwort: »Rotfunk.«
Ministerpräsident Heinz Kühn wertete das CDU-Werk als »unqualifizierte demagogische Pression«. NRW-Wissenschaftsminister Johannes Rau: »Flegelhafte Vorwürfe.« Rundfunkratsmitglied Erdmann Linde (SPD): »Schwindelen.«
Neu in Deutschland: Ein Landessender wird zum »Nebenkriegsschauplatz« (Kühn) eines Wahlkampfes erklärt, sein Personal pauschal der linken Wahlhilfe verdächtigt. »Da die Aufsichtsgremien durch die Landtage gewählt werden«, so bleute Wahlkämpfer Windelen seinen Zuhörern ein, »kann sich nur durch eine Veränderung der Mehrheitsverhältnisse bei der Landtagswahl etwas ändern.« Und dies, so belehrte er einen Kritiker, »ist eines unserer Wahlkampfziele, bei dem WDR für politische Ausgewogenheit auch bei Personalentscheidungen zu sorgen«.
Zweimal brachte der CDU-Mann angebliche Kontakte zwischen Baader-Meinhof-Leuten und WDR-Mitarbeitern vor den Bundestag. Doch die Verdächtigungen erwiesen sich als haltlos, in einem Freispruch des Verwaltungsrats für die Anstalt stimmte Windelen quasi gegen sich selbst. Seinen eigenen Zitatenschatz wertete er inzwischen als »willkürlich zusammengestellte Materialsammlung«.
Doch die Einsicht kommt zu spät. Schon verbreitet die »Mittelstandsvereinigung der CDU des Rheinlandes« eine in 3000 Exemplaren gedruckte Broschüre »Welle mit Schlagseite«, in der auch Windelens willkürliche Zitatenlese kommentiert weitergereicht wird; schon will auch der ferne Bayernkurier« in Köln »den Geist« austreiben, »den Höfer der Sendeanstatt injiziert hat«.
Letzten Montag versuchte der WDR-Verwaltungsrat eine Schlichtung -vergebens. »Rotfunk« sei ein »Werturteil«, beharrte Windelen, das auch durch Mehrheitsbeschluß nicht aus der Welt zu schaffen sei. Ratsmitglied Rau forderte vom Ratsvorsitzenden, dem CDU-Landtagspräsidenten Wilhelm Lenz, er müsse den Sender vor Kritikern vom Schlage Windelens in Schutz nehmen. Lenz regte statt dessen die Einrichtung einer neutralen Beschwerdestelle für alle WDR-Kritiker an.
»Man kann nicht erwarten, daß wir das alles in würdevoller Weise über uns ergehen lassen«, entschied WDR-Hausherr von Bismarck, kampflustig wie selten, und beschloß, sich letzten Freitag. erstmals in der WDR-Geschichte. der Düsseldorfer Landespressekonferenz zu stellen -- »selbst auf die Gefahr hin, daß die CDU das falsch verstehen sollte«.
Wie immer sich die Wähler in NRW am Sonntag entscheiden mögen -- am Proporz in den Aufsichtsgremien ihres Senders werden sie vorerst nichts ändern. Erst gegen Ende seiner Legislaturperiode nämlich wird der jetzt zu wählende Landtag die neuen Rundfunkratsmitglieder ernennen, die ihrerseits den Verwaltungsrat bestellen. Auch bei einem CDU-Sieg würde die amtierende Koalition also ihre derzeit knappe Stimmenmehrheit im Verwaltungsrat (SPD: 3, CDU: 3. FDP: 1) und im Rundfunkrat (10.10, 1) behalten.
Dennoch könnte ein Machtwechsel, so glaubt WDR-Hörfunkdirektor Manfred Jenke (SPD), »das gesamte Klima im Lande und in der Anstalt gehörig beeinflussen«. CDU-Politiker haben bereits durchblicken lassen, daß sie dann das WDR-Gesetz ändern und vor allem dessen Paragraphen 4 -- die zur Be- und Aburteilung von Programmen maßgeblichen »Sendegrundsätze« -- enger fassen könnten.
Der Duisburger CDU-Bundestagsabgeordnete Ferdinand Breidbach will den »SPD-Monopolsender« gar »einer Konkurrenzsituation« aussetzen und in NRW »einen Hörfunksender auf privatrechtlicher Basis« zulassen. Breidbach: »Die öffentlich-rechtliche Anstalt WDR ist gescheitert.«
Als Fehlschlag werten CDU-Politiker (gelegentlich aber auch Sozialde-
* »3 nach 9« mit Gert von Paczensky, Karl Moersch
mokraten), daß der WDR bislang dem Parteien- und Proporzdruck weitgehend standgehalten hat. Während die CDU beispielsweise im ZDF recht frei schalten kann, in Stuttgart, Baden-Baden und Saarbrücken, wie die CSU in München, die Intendanten stellt und den NDR durch das Parteien-Patt in den Gremien zeitweise sogar matt setzte, sieht sie sich in Köln auf verlorenem Posten.
Mit 3600 festen, 500 freien, 10 000 gelegentlichen Mitarbeitern und einem Etat von knapp 600 Millionen Mark, mit dem parteilosen Intendanten von Bismarck, der »noch nie Kandidat einer Partei gewesen ist«, dem parteilosen Fernsehdirektor Werner Höfer, für den »stets Qualität vor Proporz ging«, und dem liberalen Sozialdemokraten Jenke als Hörfunkchef produziert der Sender die freiesten und freizügigsten Programme in der Bundesrepublik. In keinem deutschen Funkhaus wird offener diskutiert und mutiger experimentiert.
Im WDR stritt Alice Schwarzer mit Esther Vilar, durfte Rosa von Praunheim seinen Film »Nicht der Homosexuelle ist pervers ...« vorführen, werden, wenigstens manchmal, im selbstkritischen »Glashaus« die Hintergründe deutschen Fernsehens aufgehellt.
Ihren dritten TV-Kanal profilierte die Anstalt durch ein beispielhaftes Spielfilm-Angebot und große Diskussionsabende. Jüngst durfte sich in der Reihe »Spätere Heirat nicht ausgeschlossen«, wo ehewillige Kandidaten per Bildschirm auf Partnersuche gehen, sogar ein Homosexueller nach einem Freund umschauen. Höfer: »Dieser Sender ist ein einziges Glashaus.«
CDU-Leute sehen darin eher eine »Plattform für Hetzer«, wo »Sand in die Augen« gestreut. »das Mikrophon für Baader-Meinhofs« freigemacht und »verfassungsfremder Journalismus« (Mittelstands-Broschüre) praktiziert wird. Überall entdecken sie zumindest rötlichen Unrat. Der rechte Rüpel Alfred Tetzlaff war eine Erfindung des SPD-Sympathisanten Wolfgang Menge. Rainer Werner Fassbinders nicht eben arbeitgeberfreundliche Serie »Acht Stunden sind kein Tag« kam trotz Bedenken des Intendanten ("reichlich künstliche Darstellung der Arbeitsweit") auf den Bildschirm.
Als der bayrische TV-Direktor Helmut Oeller ein Programm der »Lach- und Schießgesellschaft« für die ARD ablehnte, übernahmen die Kölner den Ulk und durften den Münchner CSU-Mann Oeller im TV-Magazin »Monitor« auch noch der Feigheit verdächtigen. Kölns »Monitor« ist Unions-Eiferem ohnehin ein konstantes Ärgernis.
Das ARD-Gemeinschaftsprogramm, soviel steht fest, würde mit einem gezähmten WDR-Anteil (25 Prozent} noch mehr zum »Schnickschnack« verflachen, wie er derzeit im Sender des Stuttgarter ARD-Vorsitzenden Hans Bausch betrieben wird.
Mag »die Solidarität im Hause« auch, wie Höfer rühmt, »nach Windelens Vorstoß ungeheuerlich gewachsen« sein, so werde doch, fürchtet Jenke, »die Kampagne der CDU nach den Wahlen weitergehen«, und dann, so Bismarcks »Hauptsorge«, könnten »die Mitarbeiter durch wachsenden Einfluß der Parteien mehr und mehr verunsichert werden«.
Das geht schon los. Eine geplante Auseinandersetzung mit Windelens »Rotfunk«-Vorwurf im »Glashaus« lehnte Bismarck ab, »um das Thema nicht noch höherzuspielen«. Eine »Ende-offen«-Diskussion zum gleichen Themenkreis über WDR-TV-III (Titel: »Was ist uns der WDR wert?") wurde letzten Freitag durch ein Teleforum über »Das Altern als soziales Schicksal« ersetzt.
Eine Folge der von Radio Bremen produzierten Talk-Show »3 nach 9«, in der FDP-Moersch gegen CSU-Strauß gestichelt hatte, mußte in WDR III einer anderen Plauderstunde weichen; Moersch kommt erst nach der Wahl ins Programm. Hansjürgen Rosenbauer durfte für seine letzte Talk-Show »Je später der Abend« die DKP-nahe Autorin Erika Runge gar nicht erst zu Gast bitten.
Eine Wiederholung der im vergangenen September erstgesendeten WDR-Dokumentation »Im Jahr der Folter« verschwand vorletzte Woche kurzfristig aus dem ARD-Nachmittagsprogramm. Hörfunk-Chef Jenke strich aus dem Programm »Ihr schönster Tag« des Kölner Kabaretts »Die Machtwächter« scherzhafte Sex-Ratschläge wie »Geben Sie etwas Rouge auf Ihre Brustwarzen!«
Solche sonst WDR-ungewohnten Vor- und Rücksichten mögen der Anstalt momentan Ärger ersparen -- ruhigeren Zeiten geht das Haus nicht entgegen. Denn nach der Wahl beginnt in Landtag und Gremien das Gerangel um den Intendantenposten: Bismarcks Vertrag läuft Ende März nächsten Jahres aus. »Nach der Wahl«, so sagte Klaus von Bismarck, 63, in der letzten Woche, »werde ich in Gelassenheit sondieren, ob ich noch mit sachlicher Partnerschaft rechnen kann.«
Schon jetzt steht fest, daß der WDR-Prinzipal in seinem 15. Amtsjahr nicht mit den Stimmen der CDU rechnen kann. Doch auch den Genossen ist der parteilose Edelmann manchmal zu lasch. Bei den Sozialdemokraten werden deshalb auch dem WDR-Verwaltungsdirektor und SPD-Mitglied Friedrich-Wilhelm Freiherr von Sell gute Chancen eingeräumt.
Oder kommt doch noch die große Stunde für den ehrgeizigen Höfer, 62«? Auf »ein Fingerhakeln mit Herrn von Bismarck« will er sich »aus Solidarität und Verantwortung« freilich »auf gar keinen Fall einlassen«. Aber: »Wenn Bismarck nicht will, kann und wird, wenn jemand von draußen vornehmlich wegen seines politischen Status auf die Startbahn gehievt wird, wenn dann im Hause und bei den Gremien glaubhaft zu erkennen sein sollte, daß jemand aus dem Haus »hier' rufen sollte«, dann wird er rufen.
Im Klartext: Gegen den von der CDU als Bismarck-Nachfolger favorisierten Ex-Kultusminister Paul Mikat würde sich der Frühschöppner ("Ich bin ein amphibisches Wesen") wohl stellen. Dann aber dürften sich SPD und CDU um den freien Stuhl des Fernsehdirektors Höfer in die Haare geraten, der Proporz des Senders würde wackeln, das Personal-Karussell käme erst richtig in Gang.