Zur Ausgabe
Artikel 44 / 80

ÖSTERREICH Weg der guten Sterne

Auf Mercedes spezialisierte Diebesbanden suchen Österreich heim. Sie stahlen sogar den Dienstwagen des Finanzministers.
aus DER SPIEGEL 17/1976

An der Grenze nach Ungarn machten österreichische Gendarmen einen fetten Fang. Sie verhafteten den 60jährigen Jugoslawen Emil Mimic, der in einem Mercedes mit deutscher Nummer und einem gefälschten schwedischen Paß des Namens Eric Göran Carlsson reiste Wiens »Presse« jubelte anderntags: »Chef der Mercedes-Bande verhaftet.«

Der Jugoslawe gilt als eine Schlüsselfigur im internationalen Schmuggel mit gestohlenen Autos. Einst Drahtzieher einer »Opel-Bande. ist er seit mindestens 13 Jahren aufs große Geschäft mit Diebes-Pkw spezialisiert.

Bei seiner Verhaftung hatte Mimic 27 000 Mark in einem Faltgürtel versteckt. Sein Gepäck enthielt überdies hohe Geldsummen in zehn verschiedenen europäischen und vorderasiatischen Währungen. dazu Dutzende falscher Blanko-Zulassungsscheine.

Dennoch warnte der österreichische Interpol-Chef Ministerialrat Raben Köck vor verfrühter Freude: »Die sogenannte Mercedes-Bande ist eine Hydra mit Dutzenden Köpfen und Hunderten Gliedern. Für Mimic werden andere nachwachsen:

Daß die Österreicher neuerdings gezielt gegen den illegalen Autoexport nach dem Vorderen Orient vorgehen, hat einen simplen Grund: Sie sind erstmals die Hauptleidtragenden. Die organisierten Mercedes-Diebe, seit Jahren erfolgreich in Deutschland tätig, hatten in den vergangenen Monaten die Vorteile der Alpenrepublik entdeckt.

In den letzten drei Monaten verschwanden in der Bundesrepublik etwa 90 Autos mit dem guten Stern. Allein in Wien waren es in derselben Zeit mehr als 50, in Tirol 16, die den »Weg aller Mercedes« (Köck) gingen.

Und die Hälfte aller 1976 in Österreich gestohlenen Luxusklasse-Fahrzeuge müssen als unauffindbar abgeschrieben werden. 1974 waren es nur fünf Prozent.

Einigermaßen sicher sind lediglich noch ältere und kleinere Typen. Was neu ist und größer als der 250er, hat gute Aussicht auf eine Blitzfahrt nach Syrien oder in den Irak, nach Kuweit oder zumindest in die Türkei.

Die Diebes-und-Hehler-Organisation ist derart straff aufgezogen, daß sie jede Lieferfrist des legalen Mercedes-Handels spielend unterbietet. Sicher ist vor ihr niemand: Innerhalb weniger Tage verloren der österreichische Finanzminister Hannes Androsch, der Anwaltskammerpräsident Walter Schuppich und der Böhler-Generaldirektor Adolf Bayer ihre Dienst-Mercedes an die illegalen Exporteure.

Das Geheimnis der Gangster ist laut Köck ihre »bewundernswerte Schnelligkeit«. Diebstahl und Transport des Fahrzeugs ins Ausland sind eine einzige Aktion. Meist ist das Diebesgut schon jenseits der Grenze, wenn der Besitzer den Verlust meldet.

Wie einfach es ist, einen beliebigen Mercedes für den Orient-Export zu kapern, enthüllte der 27jährige Siegfried Norbert Leis aus dem bayrischen Peißenberg, der Ende März mit einem in Tirol entwendeten 280 SE an der Zollschranke Nickelsdorf an der Ungarngrenze geschnappt wurde:

Der Dieb stößt eine simple Drahtschlinge, etwa eine gebogene Fahrradspeiche, durch den Gummi des Kippfensters und zieht damit den Verriegelungsknopf hoch. Schon steigt er ohne Beschädigung der Tür ein. Sein Komplice, ein ausgebildeter Schlosser, feilt einen Schlüssel-Rohling fürs Zündschloß zurecht. Leis: »In einer Viertelstunde ist er fertig.«

Nicht mehr Zeit braucht der Dieb. um den mitgebrachten Blanko-Typenschein samt Steuerkarte auszufüllen. Als Überbringer zu orientalischen Interessenten werden Gastarbeiter, Studenten oder Arbeitslose angeheuert, die 500 Mark bekommen.

Im Hintergrund dieser Akteure werkt eine perfekt gedrillte Organisation, bestehend aus Druckereien, Stempelherstellern. Dokumentenfälschern und Taschendieben, die Führerscheine und Zulassungen sammeln müssen.

Serieneinbrüche in Mercedeswagen. die in Mailand auffielen, galten einzig der Suche nach gültigen Wagenpapieren. Der sonstige Inhalt der Handschuhfächer blieb unangetastet.

Am allersichersten ist »der Mietwagenschmäh« (Köck). Spielregel: Franz Maier leiht sich mit falschen Dokumenten für 14 Tage einen großen Mercedes und verschiebt ihn sofort ins Bestimmungsland.

Daß Österreich so spät in die Gunst der Ganoven kam, verwundert eigentlich: Österreichs Zöllner sind -- bei 124 Millionen Grenzübertritten im Jahr 1975 -- voll ausgelastet und kontrollieren kaum. Und die Ungarn-Grenze eröffnet den Ostfahrern zusätzlich zum traditionellen Schmuggelweg durch Jugoslawien eine zweite Route. Ungarn gehört der Interpol nicht an.

Doch nun arbeiten Deutsche und Österreicher besser zusammen: Die Mimic-Festnahme führte am Wochenende zur Verhaftung von fünf Männern in gestohlenen Mercedes in Bayern.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 44 / 80
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren