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EUROPA-VERHANDLUNGEN Weg zur WEU

aus DER SPIEGEL 7/1963

Im Bonner AA war man letzte Woche im stillen bemüht, alle Möglichkeiten einer Versöhnung im atlantisch-europäischen Streit abzuklopfen. Amtschef Schröder hatte, als er nach dem Brüsseler Eklat ins heimatliche Bonn zurückkehrte, dem Planungsstab seines Hauses die Anweisung zu einer Untersuchung darüber gegeben, ob eventuell die Westeuropäische Union (WEU) als Basis einer französisch-angelsächsischen Versöhnung nützlich sein könnte.

Die WEU - 1954 als Ersatz-Organisation für die von Frankreich zu Fall gebrachte Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) gegründet - hat für diesen Zweck auf jeden Fall den Vorzug, daß sie genau den Kreis derjenigen europäischen Nationen umfaßt, die in der vorletzten Woche in Brüssel bei den Verhandlungen über Englands EWG -Beitritt scheiterten, nämlich eben die sechs EWG-Länder und Großbritannien.

Zwar ist die WEU zunächst eine militärische, keine wirtschaftliche Organisation und insofern auf den ersten Blick als Instanz für die Regelung der wirtschaftlichen Probleme eines britischen EWG -Beitritts wohl kaum geeignet; aber nach Ansicht fast aller Brüsseler EWG -Verhändler waren es ohnehin nicht wirtschaftliche Gründe, die Charles de Gaulle zu seinem Nein gegen Englands Beitritt veranlaßten, sondern militärische: vor allem die Tatsache, daß sich Englands Premier Macmillan am 21. Dezember vorigen Jahres in Nassau auf den Bahomas zu einer Nato -Atommacht unter straffer US-Führung bekannte. Spätestens seit diesem Datum betrachtet de Gaulle, so meinen britische Diplomaten, England als US-Satelliten.

Ob diese Auslegung der Beweggründe de Gaulles richtig ist oder nicht - auf jeden Fall kam an jenem düsteren Dienstagnachmittag in Brüssel, an dem die EWG-Verhandlungen mit Großbritannien scheiterten, in Gesprächen zwischen Außenminister Schröder, dem britischen Chef-Verhändler Heath, dem Belgier Spaak und dem Luxemburger Schaus die Frage auf, ob man de Gaulles Abneigung gegen eine britische EWG-Mitgliedschaft vielleicht durch Gespräche im Rahmen der WEU beseitigen könne.

Welche Hoffnungen man vor allem in London mit einem solchen Vorgehen verbinden würde, deutete Macmillan am vorletzten Wochenende in Rom an. Er ließ mitteilen, nach britischer Ansicht sollte in nächster Zeit innerhalb der WEU über europäische Ideen für die Gestaltung der von den Amerikanern vorgeschlagenen Nato-Atommacht verhandelt werden.

Dabei denkt man in London offenkundig daran, den Amerikanern einen gemeinsamen europäischen Vorschlag zu unterbreiten, demzufolge die europäischen Nato-Mächte einen jedenfalls größeren Anteil an der Verfügungsgewalt über die Nato-Atommacht erhalten sollen als die Amerikaner bislang vorgesehen haben. Eine erstaunlich unverblümte Erklärung gegen Amerikas A-Waffen-Monopol gab Premier Macmillan am 31. Januar im Unterhaus ab. Er fürchte, sagte er, »daß das westliche Bündnis nicht wirklich Bestand haben kann, sofern die USA auf diesem lebenswichtigen Gebiet (nämlich auf dem der Atom-Bewaffnung) für immer die Verfügungsgewalt behalten«.

Wenn aber - so denkt man es sich in London - de Gaulle mit einer auf WEU-Ebene erzielten europäischen Einigungin Fragen der Nato-Atommacht einverstanden wäre, dann würde er vielleicht auch sein Veto gegen Englands EWG-Beitritt nicht mehr aufrechterhalten.

Dabei verfolgt die Regierung Macmillan mit ihrem WEU-Projekt offenkundig einen doppelten Zweck. Sie will

- einmal eine größere Beteiligung der europäischen Nato-Nationen an der Verfügungsgewalt über die geplante Nato-Atommacht erzielen,

- zum anderen durch eben diese Initiative

die Bedenken de Gaulles gegen Englands Treue zum europäischen Kontinent beseitigen.

Offen ist freilich bis zur Stunde, ob de Gaulle durch eine mehr europäische Konstruktion der Verfügungsgewalt über die Nato-Atommacht zufriedengestellt werden kann und ob die Regierung Kennedy in dieser Frage der Verfügungsgewalt zu Konzessionen an die Europäer bereit ist.

Was die Regierung Kennedy angeht, so ist nach Berichten aus Washington auf jeden Fall dort die Neigung gewachsen, die amerikanische Atomenergie-Gesetzgebung zu ändern, die der Regierung verbietet, ausländischen Mächten Geheimnisse der amerikanischen Atomwaffenherstellung auszuliefern. Diese Gesetzgebung ist bis jetzt das schwerwiegendste Hindernis für eine Beteiligung der europäischen Nato -Nationen an der Verfügungsgewalt über die geplante Nato-Atommacht.

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