ZEITGESCHICHTE / BRÜNING Wege der Kugel
Reichspräsident Paul von Hindenburg »stand auf, stützte sich mit der Hand schwer auf den Schreibtisch, halb vornübergebeugt. Er schien noch etwas Schweres sagen zu wollen«. Als er dann das Schwere sagte, kamen ihm die Tränen: »Alle haben mich im Leben verlassen, Sie müssen mir versprechen ..., mich am Ende meines Lebens nicht im Stich zu lassen.«
So beschreibt der frühere Reichskanzler Heinrich Aloysius Maria Elisabeth Brüning die historische Stunde. Brüning ("Ich kann nicht leugnen, daß plötzlich ein Gefühl tiefsten Mitleids über mich kam") versprach dem greisen Marschall: »Sie können sich darauf verlassen, daß ich ... in den entscheidenden Stunden des Vaterlandes, jetzt -- so wie immer -- das Staatsoberhaupt nicht im Stich lassen« werde.
Am 28. März 1930 trug der stämmige Generalfeldmarschall dem schmächtigen Reserveleutnant das Amt des Reichskanzlers an. Brüning -- damals Chef der Zentrumsfraktion im Deutschen Reichstag -- äußerte Bedenken »gesundheitlicher wie fraktioneller Art«.
Als Hindenburg ihm jedoch klarmachte, er »wolle aus psychologischen Gründen die letzten Jahre seines Le-
* Am 28. März 1930, dem Tag seiner Berufung zum Reichskanzler, auf dem weg zu Reichspräsident von Hindenburg.
** Heinrich Brüning: »Memoiren, 1918 bis 1934.« Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart; 680 Seiten; 30 Mark.
bens« mit einer »staatskonservativen Lösung arbeiten«, willigte Brüning ein: »Dem Appell des Reichspräsidenten an mein soldatisches Pflichtgefühl konnte ich mich letzten Endes nicht entziehen.«
Brüning ("Die Zeit braucht ein hartes Geschlecht, das nur unter schwersten Daseinsbedingungen heranwachsen kann") folgte dem Ruf ins Kanzleramt, das in elf Jahren seit 1919 schon neun Regierungschefs verbraucht hatte.
Seitdem schwankt das Urteil über den »Hungerkanzler« zwischen überschwenglichem Lob und gnadenlosem Tadel. Für Historiker Werner Conze ist er einer der »wenigen überragenden Staatspolitiker« die die Deutschen für jene ... Krisenzeit der vergangenen 50 Jahre ihr eigen nennen können«, für Historiker Arthur Rosenberg der »Wegbereiter Hitlers«. Für Nationalökonom Albert Hahn ist Brüning an »allem schuld«, was nach ihm zuerst über Deutschland, dann über die ganze Welt gekommen sei.
Als Brüning im März 1930 sein Amt antrat, bot die ungeliebte Republik ein düsteres Bild. Als er im Mai 1932 ging, war es finster.
1930 gab es rund drei Millionen Arbeitslose, 1932 rund sechs Millionen. Von 1930 bis 1932 fielen Löhne und Gehälter um rund 25 Prozent, der Export um rund 50 Prozent. 1929 wurden 13 180 Konkurse registriert, 1931 fast 20 000.
Versailler Friedensvertrag und Weltwirtschaftskrise beutelten die Deutschen und radikalisierten sie Große Teile des Volkes kamen nicht darüber hinweg, keinen Kaiser mehr zu haben. Schwarz-Weiß-Rot war ihnen lieber als Schwarz-Rot-Gold, ein 100 000-Mann-Heer erschien ihnen unter der nationalen Würde.
Den zwei Wochen vor Brünings Regierungsantritt mit den Alliierten geschlossenen Reparationsvertrag (Youngplan) empfanden sie als Versklavung, die bis 1988 zu zahlenden Reparationen in Höhe von zunächst jährlich zwei Milliarden Reichsmark als Tributleistungen für den Sieger.
Mehrheiten waren im Reichstag nur noch schwer zu haben. Die demokratische Mitte löste sich allmählich auf, die Rechts- und Linksradikalen wurden immer stärker, Emotionen gerieten mehr und mehr zu politischen Faktoren.
Wie ein Mann aus einer anderen Welt nahm sich vor diesem Hintergrund der auf Distanz und Sachlichkeit bedachte Politiker aus, der die Krise überwinden wollte und sollte: ein Mann, der »eigentlich immer an das Volk dachte« (so Studienfreund Theodor Abele), aber mit dem Volk nichts anzufangen wußte -- ebensowenig wie das Volk mit ihm.
Als Brüning kam, endete in Deutschland die parlamentarische Demokratie -- die er zerstören half. Als er ging, begann die Diktatur -- die er festigen half: durch sein Ja zu Hitlers Ermächtigungsgesetz.
Aufstieg und Fall der ersten deutschen Republik sind Gegenstand der Memoiren des einstigen Reichskanzlers Heinrich Brüning, die Anfang November erscheinen; aus ihnen veröffentlicht der SPIEGEL in diesem und im nächsten Heft Auszüge**.
38 Jahre hatte der Politiker und Gelehrte, der sich nach seiner Emigration (1934) in der amerikanischen Kleinstadt Norwich im US-Staat Vermont von einer resoluten Haushälterin vor ungebetenen Besuchern beschützen ließ, geschwiegen -- »in der Besorgnis, daß meine Feststellungen später zum Schaden des deutschen Volkes mißbraucht werden könnten«.
Jetzt, nach seinem Tode im März dieses Jahres, sollen seine Erinnerungen nach eigenem Bekunden veranschaulichen, daß »die Zahl der Menschen, die eine endgültige Probe in anscheinend aussichtslosen Spannungen bestehen, in der Geschichte immer sehr klein gewesen ist«.
Daß -- und vor allem warum -- Brüning die historische Nagelprobe nicht bestanden hat, macht der Memoirenschreiber, ungewollt, deutlicher, als es den Geschichtsschreibern bisher gelungen ist. Denn während viele Passagen mit einem Wust unbedeutender und längst bekannter Details überfrachtet sind -- die bürokratische Aufzählung von Daten und Fakten füllt mehr Seiten als die politische Reflexion -, belegt Brüning, daß sowohl seine Konzeption wie auch seine Taktik das Scheitern unausweichlich machten.
Brüning selber, dem Politologe Theodor Eschenburg (der den Kanzler kannte) »eine gewisse Arroganz« und »altjüngferliche Sprödigkeit« nachsagt, urteilt in seinen Memoiren; »Nichts ist gefährlicher, als wenn politische Führer ... an die Unfehlbarkeit einer einzigen, bestimmten Lösung glauben.« Aber gerade das tat er.
Der Kanzler ersann Pläne, Massenelend und Massenradikalismus zu meistern, aber er erhöhte gewollt -- durch eine engstirnige Deflationspolitik die Not des einzelnen und trug so -- ungewollt zwar, aber sehenden Auges -- zu weiterer Radikalisierung bei: Ais er kam, saßen im deutschen Reichstag zwölf Braunhemden, ein halbes Jahr später waren es schon 107 und zwei Monate nach seinem Rücktritt gar 230 (von insgesamt 608 Abgeordneten).
Andere als deflatorische Mittel zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise, etwa Ausgabensteigerung und Belebung der Nachfrage, Kreditschöpfung und Arbeitsbeschaffungsprogramme, lehnte Brüning entschieden ab -- was einige seiner Kritiker noch heute für seinen größten Fehler halten.
Das Programm war klar: Außenpolitische Erfolge -- Streichung der Reparationszahlungen an die Alliierten und militärische Gleichberechtigung des Reiches -- sollten die innerpolitische Krise beheben.
Aber das Programm war nicht zu realisieren: Um die Streichung der Reparationen zu erreichen, bedurfte es nach Brünings immer wieder dogmatisch vorgetragener Meinung der Sanierung der völlig zerrütteten Staatsfinanzen. Und die wieder glaubte er nicht anders als durch eine drastische Sparpolitik erreichen zu können, die vor allem dem kleinen Mann schier unerträgliche Lasten aufbürdete.
So setzte der »Hungerkanzler« die ohnedies karge Arbeitslosenunterstützung herab und begrenzte den Empfängerkreis, aber gegen die Arbeitslosigkeit selbst tat das Kabinett nichts -- obwohl, so der Kieler Historiker Karl Dietrich Erdmann, das »vordringlicher als alles« gewesen wäre, um »der politischen Radikalisierung zu begegnen«.
Im Juni 1932 auf der Konferenz von Lausanne wurden die Reparationen bis auf einen Rest von drei Milliarden Reichsmark gestrichen. Aber weder Brüning, dem allein dieser Erfolg zuzuschreiben war, noch die ausgemergelte Republik, die nun nur noch eine kleine Summe zahlen mußte, profitierten davon: Sechs Wochen nach dem Reparationsstopp errangen die Radikalen ihre größten Reichstagswahl-Erfolge: Die NSDAP erhielt 37,4 Prozent, die KPD 14,3 Prozent der Wählerstimmen.
Brüning strebte nicht nach »Applaus und Rechtfertigung«, so schrieb der frühere Reichsminister im Brüning-Kabinett und Brüning-Freund Gottfried Treviranus, »er kannte nur Gerechtigkeit im Sinne der Antike, unteilbares Recht«, Doch so sehr solche Wesenszüge die Person Brünings auszeichnen mochten, so sehr schadeten sie dem Politiker Brüning und seiner Politik.
Andere Wesenszüge -- Brüning war nach dem Urteil des früheren Reichsfinanzministers Heinrich Köhler »bedächtig, ausweichend, skeptisch. . ewig grübelnd, nachdenkend, zaudernd« -, vor allem aber seine gläubige Fixierung auf den zunehmend hinfälligen Generalfeldmarschall von Hindenburg stießen politische Verbündete ab und engten den politischen. Spielraum ein.
Brüning wollte die »zu erwartenden Erfolge vor der Geschichte mit seinem (Hindenburgs) Namen verknüpfen« -- auch dann noch, als der greise Marschall »nachmittags kaum noch aufnahmefähig« war. Er fragte den alten Herrn, der den komplizierten Gedankengängen seines Kanzlers schon gar nicht mehr folgen konnte (Brüning: »Ich hatte nicht den Eindruck, daß er mich ganz verstand"), um »Erlaubnis« für anstehende Entscheidungen -- auch dann noch, als längst »Männer hinter dem Thron« wie Hindenburg-Sohn Oberst Oskar (der »am Telephon eine recht scharfe Sprache« führte) und Reichswehr-General Kurt von Schleicher die Richtlinien der Politik bestimmten.
»Erste Voraussetzung«, so Brüning, »war die Zustimmung des Reichspräsidenten« -- und bald waren Beschlüsse auch »ohne Fühlungnahme mit der Umgebung des Reichspräsidenten« nicht mehr möglich.
Der Kanzler mühte sich, »freudige Stimmung beim Reichspräsidenten hervorzurufen«, und war seinerseits froh, wenn Hindenburg ihn »wohlwollend behandelte«; niemals brachte er es über sich, ihm gewisse »Illusionen völlig zu rauben«.
Das Schützengraben-Erlebnis im Ersten Weltkrieg war dem kurzsichtigen Doktoranden der Nationalökonomie, der aus gesundheitlichen Gründen als Schüler vom Turnen befreit und als Kriegsfreiwilliger 1914 zunächst abgewiesen wurde, zum Damaskus geworden, das sowohl sein Verhalten zu Hindenburg wie auch sein Verhältnis zur Republik von Weimar bestimmte.
»Im Kampf ist Disziplin«, so Memoirenschreiber Brüning: »Soldaten beobachten den Gesichtsausdruck eines Führers, der vorausschauend und kühn ist, und folgen ihm ohne weiteres.«
Oder: »Jeder neue Befehl schafft neue Hoffnung.«
Oder: »Weder früher noch später in meinem Leben habe ich etwas Gleiches an gegenseitigem Vertrauen, unabhängiger Gesinnung, Anpassungsfähigkeit, Humor und Selbstaufopferung erlebt.«
Allezeit »unvergeßlich« blieb ihm das Verhalten eines Unteroffiziers, dem ein Auge ausgeschossen worden war. Brüning bewundernd: »Er wollte zurück zur Front, dort den Tod zu suchen« weil er die Schande des Aufgebens der Siegfried-Stellung ... nicht überleben wollte.«
Was nach dem Ersten Weltkrieg an Schützengraben-Herrlichkeit im Schwange war und allenthalben im Weimarer Staat antidemokratisches Ressentiment nährte, blieb für Brüning zeitlebens verpflichtend.« Sein größter Fehler war«, schrieb der ehemalige US-Landeskommissar für Bayern, George N. Shuster, über den Emigranten Brüning, »eine seltsame Neigung, den Soldatenberuf zu romantisieren. Manchmal dachte ich ..., er glaube, er hätte die Niederlage ohne Hilfe abwenden können.«
Als der ostpreußische Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp zusammen mit ein paar Reichswehroffizieren im März 1920 gegen die Republik rebellierte, beeindruckte Brüning die Disziplin der putschenden »Brigade Ehrhard": »Nie habe ich eine so erstklassige Truppe gesehen.« Und wenn die ihm ansonsten suspekten Roten auf die Straßen gingen, empfand er Respekt, wenn sie »sechzehn Männer in einer Reihe ... im vollendeten Gleichschritt« marschierten:« Alte Frontsoldaten ... standen voll Bewunderung für dieses Vorbild.« Soldatisch formulierte er: »Die Aktionen der Reichsregierung mußten Stunde für Stunde wie der Einsatz letzter schwacher Reserven im Großkampf genau überlegt werden.« Soldatisch tröstete er schwankende Mitarbeiter mit »Erlebnissen aus dem Felde«.
Als 1918 im Felde nichts mehr zu gewinnen gewesen war und Frontsoldaten sich abzusetzen begannen, verlor er »für einen Augenblick die Fassung. Die »Unterdrückung der Revolution« schien ihm »durchaus möglich« (Brüning: »Ich hätte unseren Leuten mit einem Satze die Gefahr des Bolschewismus klarmachen können"), die »dauernde Abschaffung der Monarchie undenkbar« (siehe Seite 195).
Revolutionäre -- das waren und blieben dem katholischen Kaufmannssohn »überkompensierte Feiglinge«, »Deserteure« mit »stark östlichem Akzent, ängstlich und stotternd«, »Marodeure«, die »mit Hasensprüngen« davonliefen, wenn Leutnant Brüning ein »Zeichen gab, mit den Kolben« auf sie loszugehen, »Weiber der übelsten Sorte«, die sich »mit geraubten Kirchengewändern« schmückten.
Nach dem verlorenen Krieg kehrte Brüning ("Was soll nun aus Deutschland werden?") in seinen Geburtsort Münster zurück, »hinter den Augengläsern die leidenschaftliche Trauer« (Treviranus). Der Heimkehrer -- Studienfreund Theodor Abele verglich ihn mit dem Heinrich aus Adalbert Stifters »Nachsommer«, »der seiner Berufung harrte« -- wählte den Beruf des Politikers. Brüning: »Nur der kann schöpferisch in Freiheit wirken, der das Politische ernst nimmt als seine Verpflichtung.«
Brüning begann seine politische Karriere als Mitarbeiter des Großstadtseelsorgers Carl Sonnenschein bei dem »Sekretariat sozialer Studentenarbeit«, das sich um die sozialen und geistigen Belange katholischer Jungakademiker kümmerte. Im September 1919 wurde der Junggeselle, der weiblicher Gesellschaft allemal den Genuß von Zigarren, Kaffee und Wein vorzog, Referent des christlichen Gewerkschaftspolitikers und preußischen Wohlfahrtsministers Adam Stegerwald. Ein Jahr später avancierte er zum Geschäftsführer des neugegründeten christlichen »Deutschen Gewerkschaftsbundes« (DGB). Brünings Ziel-», Durchsäuerung des Gewerkschaftsdenkens mit dem christlichen Verantwortungsgefühl für Staat und Gesellschaft.«
1924 zog Brüning fürs Zentrum in den Reichstag ein. Fünf Jahre später wurde der damals 44jährige Asket, in dem sich, so der Bonner Politologe Karl Dietrich Bracher, »romantische und sachlich-wissenschaftliche Züge« vereinigten, zum Fraktionschef seiner Partei gewählt. Wenig später umwarb Hindenburg-Intimus und Polit-General Kurt von Schleicher den Zentrumspolitiker, der, wie Hindenburg und Schleicher, den »Traditions- und Symbolreichtum der Monarchie nicht vergessen konnte
»Die Zeit für Koalitionskabinette ist vorbei. Die Lage ist zu ernst für Parteienstreit«, eröffnete der General dem Parlamentarier Weihnachten 1929. Und.« Not tut sobald als möglich ein Präsidialkabinett, vom Reichspräsidenten in alleiniger Verantwortung gestellt, das mit Artikel-48-Vollmacht notfalls den Reichstag nach Hause schicken kann.«
Brüning wollte nicht. »Machen Sie ja Schleicher keine Hoffnungen, daß ich auf seine abwegigen Pläne eingehen würde«, beschied er Treviranus: »Er ist
* Mit den Ministern (v. r.) Wirth. von Guerard, Stegerwald.
unweise.« Aber auch Schleicher war enttäuscht. Ebenfalls zu Treviranus: »Ihr Freund Ignaz ist nicht zu gebrauchen.«
Doch »trotz Brünings Sträuben«, so Vermittler Treviranus, »lief die Schicksalskugel ihren Weg«. Was der Kanzler-Kandidat zu Weihnachten abgelehnt hatte, akzeptierte er zu Ostern: Hindenburgs Order, ohne den Reichstag mit dem Notstandsparagraphen 48 zu regieren, die Sozialdemokraten zu schneiden und die nationalistische Rechte zu hofieren, aus der Republik wieder eine Monarchie zu machen.
Brüning: »Stets betrachtete ich mich als Treuhänder des Reichspräsidenten. Ihn wollte ich als Staatsoberhaupt erhalten mit dem Ziel, die friedliche Wiedereinführung der Monarchie vor seinem Ableben zu ermöglichen.«
Der Treuhänder hielt sich streng an die Hindenburg-Order, die freilich, das erhellt besonders deutlich aus den Brüning-Memoiren, weitgehend mit seinen eigenen politischen Zielen übereinstimmte -- so weitgehend, daß der damalige Franzosen-Botschafter in Berlin, André Francois-Poncet, urteilte: »Brüning führte in Deutschland die Diktatur ein.
Zwischen März 1930 und Mai 1932 stutzte der Kanzler, so Brüning über Brüning, »die Befugnisse des Parlaments mit Ausnahme des Mißbrauchs auf Entziehung des Vertrauens -- auf den Stand der Bismarckschen Zeit«. Zugleich verschaffte er »dem Staatsoberhaupt eine größere tatsächliche Machtfülle ... als sie der Kaiser je früher besaß«.
Der Reichswehr des unablässig gegen ihn intrigierenden Generalmajors von Schleichei verhalf er im Reich zu »ausschlaggebender Stellung«. Das durch den Friedensvertrag von Versailles abgerüstete Reich weilte er so auf rüsten, daß es nicht nur »jeden Druck -- von außen« auszuhalten vermochte, sondern auch stark genug würde, »seinerseits jederzeit die Weltkrise zu benutzen, um ... einen Druck auf alle übrigen Mächte auszuüben«.
Wie der Marschall befahl, schloß Brüning Koalitionen mit den Sozialdemokraten aus, obgleich sie es waren, die mi Reichstag die Notstandspolitik des Reichskanzlers tolerierten und so die Reichsregierung vor schnellem Sturz bewahrten -- und obgleich Brüning selber anerkannte, daß die SPD »noch mehr als (im Revolutionsjahr 1918119) unter Ebert in schwerster Not des Vaterlandes zu einer
wirklich staatstragenden Partei« geworden war. Grund für die Absage an die SPD: »Das war für mich bei der Einstellung des Reichspräsidenten schon an sich ganz unmöglich.«
»Es war ein Schachspiel«, beklagt Memoirenschreiber Brüning denn auch, »bei dem der eine Spieler nicht die Bauern einsetzte und den König auf der Gegenseite nicht angreifen durfte.«
Der »König« -- Hindenburg -- wollte, gedrängt von Hindenburg-Sohn Oskar, General von Schleicher und ostpreußischen Gutsbesitzern, die Öffnung nach rechts. Und Brüning machte mit -- widerwillig nur deshalb, weil er im Gegensatz zu Hindenburg erkannt hatte, daß sowohl Alfred Hugenbergs Deutschnationale wie auch Adolf Hitlers Nationalsozialisten nicht nach einem Teil der Macht, sondern nach der ungeteilten Macht strebten.
Als Hindenburg im Herbst 1931 »in allgemeinen Ausdrücken« davon sprach, Brüning müsse »nun mehr nach rechts« gehen, entgegnete Brüning: »Der gesamte Grundzug meiner Politik war schon stets rein konservativ gewesen.« Hindenburg, in diesen Tage »müde und bedrückt« -- so Brüning -, erklärte, »es sei ihm schmerzlich, daß ich fortschreitend an Boden verliere«. Und Brüning hatte nun »das Gefühl": »Der Reichspräsident hat mich aufgegeben.«
Neun Monate später gab der Reichspräsident ihn tatsächlich auf. Der an Gehirnsklerose leidende Feldmarschall machte ihn dafür verantwortlich daß er bei der Reichspräsidenten-Wahl im April 1932 -- die Brüning als »selbstverständliche Pflicht der Loyalität« betrieben hatte, obgleich er selber zweifelte, »ob der alte Herr überhaupt noch länger als ein Jahr in der Lage sein würde sein Amt noch einigermaßen zu erfüllen« -- nicht von »seinen Leuten«, den Rechten, sondern von Sozialdemokraten und »Katholen« gewählt worden war. Seinem Kanzler verübelte Hindenburg es auch, daß Brüning bankrotten Großgrundbesitz im deutschen Osten an Siedlungsbauern verteilen wollte. Hindenburg: »Agrarbolschewismus«.
Als der Reichskanzler, wiederum mit Rücksicht auf das Ausland, dann im April 1932 SA und SS verbieten ließ (was er später selber als »voreilig« bezeichnete), ohne zugleich auch das sozialdemokratische Reichsbanner aufzulösen, ließ der Reichspräsident ihn fallen. Brüning: »Der Anfang des Bruchs zwischen ihm und mir.«
Am 30. Mai 1932, um 11.55 Uhr, war der Bruch vollständig. Der Feldmarschall ließ den Frontsoldaten gehen, wie er ihn gerufen hatte. Und der Frontsoldat akzeptierte, militärisch knapp, die Entlassung. wie er 26 Monate zuvor die Berufung akzeptiert hatte. Um 12.00 Uhr trat Hindenburg an das Fenster seines Amtszimmers und nahm das Aufziehen der Marinewache ab: Es war »Skagerrakwoche«.
Der entlassene Kanzler fand: »Hindenburgs Geist war nicht klar.« Aber für sich und für die Republik kämpfen, etwa mit dem Reichstag gegen den Reichspräsidenten, wie Minister Treviranus vorschlug -- das wollte er nicht einmal versuchen: Hindenburg bleibe der einzige Fels, so Brüning, an dem die »reichszerstörerischen Kräfte zerschellen« könnten.
Unbemerkt verließ Brüning am folgenden Tag die Reichskanzlei. Erschöpft legte er sich ins Bett. »Im Vakuum nach der plötzlichen Entspannung«, berichtete Treviranus, »meuterte das Herz mit einer Rhythmusstörung.« Von seinem Patenkind Püpps ließ er sich »vom Grübeln ablenken« -- beim Würfelspiel »Mensch ärgere Dich nicht!«
Die Gattin des Präsidenten-Sohnes, Margarete, drückte aus, was alle Hindenburgs empfanden: »Wir sind froh, daß wir den Plebs jetzt los sind.« Und Brüning »wußte nun« -- freilich zu spät -, »daß eine Politik« die auf einer Persönlichkeit wie Hindenburg aufgebaut war, noch einmal zusammenbrechen müßte«.