»WEH, WEH, ACH UND WEH!«
In der Sendung »Unter uns gesagt« von Kurt Wessel diskutierten im Deutschen Fernsehen am 11. März Bundestagsvizepräsident Dr. Thomas Dehler (FDP), der Stellvertretende Vorsitzende der SPD, Herbert Wehner, der Präsident des Bundes der Vertriebenen, Wenzel Jaksch (SPD), und CDU -Bundestagsabgeordneter Dr. Johann Baptist Gradl über Fragen der deutschen Ostpolitik und über die jüngste Tass-Erklärung.
Auf die Frage, was er tun würde, wenn er Bundeskanzler wäre, antwortete
DEHLER: Ich wäre nicht wie der jetzige Bundeskanzler nach Texas gefahren, hätte mir nicht einen Texashut aufsetzen lassen, ich hätte auch nicht diese Reisen nach dem Westen gemacht, sondern ich hätte - in sauberer Abstimmung mit dem Westen - mir einmal die Botschafter kommen lassen und hätte ihnen gesagt: Wir müssen konstruktive Politik machen ...
WEHNER: Sie hätten sich 'ne Bärenmütze über die Ohren ziehen lassen!
DEHLER: Ich wäre nach Moskau gefahren, natürlich wäre ich nach Moskau gefahren - was hätte das schaden können? - und hätte mit dem Chruschtschow gesprochen, erstens einmal, um ihm klarzumachen: Ihre Angstpsychosen sind unbegründet; wir haben genauso eine Scheu vor dem dritten Weltkrieg wie Sie ...
GRADL: Sie haben es ja versucht, Herr Kollege Dehler, in Ihrem Gespräch ...
Auf die Frage, ob die Sowjet-Union wirklich Angst vor der Bundesrepublik hat, antwortete
WEHNER: ... Ich bin absolut nicht überzeugt davon, daß Herr Dehler recht hat, wenn er sagt: Die haben Angst vor uns. Wer die? Ich bitte dann schon zu unterscheiden zwischen dem Volk 'und jenen, die uns solche Pamphlete schicken wie jetzt das, was Sie eine Tass-Erklärung nennen. Sie wissen doch, daß das Quatsch ist, Herr Dehler, wenn da steht: Hier bei uns hätten Leute das Sagen, die nach Revanche für den verlorenen Krieg gieren. Na!!
Zum Thema Wiedervereinigung erklärte
WEHNER: ... Ich werfe der Bundesregierung, die Sie (Dehler) mit tragen, vor, daß sie nicht einfallsreich ist. Ich werfe ihr vor, daß sie müde ist. Ich werfe ihr vor, daß sie es nicht wagt, unsere Sache in den Vereinten Nationen zu vertreten; daß sie glaubt, weil sie dort mit nur juristischen Argumenten in diese Sache hineingeht, es hätte keinen Sinn, diese Verletzung der Menschenrechte, die an unseren Mitbürgern jenseits von Stacheldraht und Mauer immer vor sich geht, wirklich einmal zur Sprache zu bringen, anders als mit irgendeinem schwachen Memorandum, das eine gutwillige private Organisation, der ich und Sie selber angehören*, dann dort vortragen darf. Das alles ist Müdigkeit, das alles ist Feigheit, das alles ist Zaghaftigkeit ...
Zu der Überreichung eines Briefes von Bundeskanzler Erhard an Ministerpräsident Chruschtschow durch einen Amtsboten erklärte
WEHNER: Herr Dehler, Ihre jetzige Regierung, die hat also die diplomatischen Beziehungen auf ein Maß reduziert, daß kürzlich ein Amtsbote - persönlich ein ehrenwerter Mann - mit einem Quittungsbuch unter dem Arm in einem Lieferwagen dort vorgefahren ist, um sich von dem diensttuenden Offizier der Kremlwache quittieren zu lassen, daß er einen Brief des Bundeskanzlers abgegeben hat für den Herrn Chruschtschow!!
DEHLER: Da machen Sie mich dafür verantwortlich?
WEHNER: Sie müßten denselben Krach, den Sie hier und überall machen, einmal in Ihrer Regierung machen, Sie müßten einmal Wind in die Bude bringen, Sie müßten sich kümmern dort, wo es darauf ankommt, und nicht nur in irgendwelchen Spalten, müden Spalten irgendwelcher Blätter ...
DEHLER: Ich sage meine Meinung überall, wo ich es für richtig halte ...
WEHNER: Das ist doch unerträglich, Herr Dehler, darüber sind wir uns doch Wohl einig, daß ein Amtsbote der Botschaft ...
DEHLER: Natürlich, darüber brauchen wir kein Wort verlieren.
WEHNER: ... gegen Quittung einen hochbedeutsamen Brief abgibt! Und es ist doch wohl erwiesen: Dies geschah auf Weisung des Auswärtigen Amtes. Ich frage mich: Wo bleiben denn dann die schönen Augen des Herrn Schröder? Was ist denn überhaupt von den schönen Worten übriggeblieben? Wie leicht machen wir es diesen Leuten, die ein völliges Zerrbild von uns, von der Bundesrepublik, in der Welt verbreiten, indem wir auf solche törichte und leichtsinnige Weise unsere Fragen an sie heranbringen?
Zu der Frage, ob die Bundesregierung genug tut, um mit der Sowjet-Union in ein Gespräch zu kommen, erklärte
GRADL: ... Jeder weiß, daß wir bereit sind, in Rechnung zu stellen, daß keine Seite, auch die Sowjets nicht, durch die Wiedervereinigung eine Verlagerung oder eine Verschiebung des militärischen Gleichgewichts haben will. Jeder weiß, daß wir bereit sind zu sehr, sehr großen wirtschaftlichen Leistungen, wenn die Sowjets bereit sind, in dieser Richtung Vernunft
anzunehmen. Das alles ist doch da. Das wissen doch die Sowjets. Herr Dehler, wir haben nichts gesagt? Lesen Sie das Memorandum vom Februar 62, wenn Ihnen dieses andere von 56 vielleicht zu alt ist. Mit Zustimmung von uns allen! Wissen Sie noch, im Auswärtigen Ausschuß? Wir waren froh über dieses Memorandum, weil es in einer guten Sprache den deutschen Standpunkt dargelegt hat; wieder die Bereitschaft, über all diese Dinge vernünftig mit der Gegenseite zu reden; nicht zu verlangen, daß sie ihr Gesicht verliert, daß sie etwas tut, das sie wegen Prestige nicht machen kann. Nichts. Keine Antwort, Herr Dehler.
DEHLER: Memoranden sind doch keine Politik.
WESSEL: Was ist Politik?
DEHLER: Handeln, konkrete Vorschläge ...
JAKSCH: Herr Dehler, ich hatte den Eindruck, daß sie allzusehr das deutsche Volk als einen Spielball der einen oder anderen Großmacht sehen. Natürlich kann man zurückblättern auf alle Konferenzen der Vergangenheit. Aber eins ist doch sicher: Wenn wir selber die Zweckbehauptungen der anderen Seite uns zu eigen machen, dann steigern wir doch nicht auf der Gegenseite den Respekt vor uns und den Willen, sich mit uns irgendwie zu arrangieren. Und das ist doch ein Grundfehler. Herr Dehler, lassen Sie sich sagen: Wenn das deutsche Volk nicht selber die geistigen und moralischen Kraftreserven ins Feld führen kann, die auf der anderen Seite auch einmal den Eindruck erwecken, über dieses Deutschland kommen wir nicht hinweg - nicht wahr, das ist der einzige Weg, den Russen begreiflich zu machen, daß sie nicht ihren Friedensvertrag haben können, sondern nur einen wirklichen Friedensvertrag. Auf dem Gebiet, daß wir aus dem Objektdenken herauskommen und endlich auch ein Subjekt der internationalen Politik werden, würde ich das alles unterstreichen, was schon Wehner gesagt hat: Da ist allerhand zu tun.
WESSEL: Finden Sie nicht, Herr Wehner, daß das auch müde wäre und einfallslos?
WEHNER: Jetzt müssen Sie mich nicht auch noch verwechseln, nun kommt alles durcheinander, jetzt fragen Sie mich, als sei ich der Herr Dehler.
DEHLER: Weh, weh, ach und weh!
WEHNER: Aber, Herr Dehler, mit einem Lieferwagen einen Brief abzuliefern und hier so zu tun, als könne man vor Kraft nicht loofen! Sie sind doch in derselben Regierung. Das ist nicht in Ordnung ...
GRADL: Das mit dem Lieferwagen, das ist gar kein Zweifel, das ist eine sehr häßliche Panne, milde ausgedrückt.
WEHNER: Sehr milde!
GRADL: Milde ausgedrückt. Das hätte nicht geschehen dürfen. Aber ich glaube, ich kenne die Dinge etwas genauer, das Auswärtige Amt ist denkbar unzufrieden damit ...
WEHNER: Wieviele Promille haben die gehabt? Das ist doch unmöglich.
* Gemeint ist das Kuratorium »Unteilbares Deutschland«.
Wehner
Gradl
Dehler