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»Wehe den Besiegten«

Von Wilhelm Bittorf
aus DER SPIEGEL 49/1990

Eine deutsche Legende, die Ende der fünfziger Jahre in Greifswald in Vorpommern beginnt: Der Arztsohn Michael Albrecht, Jahrgang 1954, wird von seinen evangelischen Eltern in den katholischen Kindergarten geschickt (einen evangelischen gibt es nicht, während die Katholiken Privilegien haben in der nordischen Diaspora - und katholisch ist für Michaels Eltern besser als SED-staatlich). In diesem Kindergarten lernt Michael den ein knappes Jahr jüngeren Christoph Singelnstein kennen, der aus einer katholischen Arztfamilie kommt.

Die beiden werden Spielkameraden und verlieren einander auch später nicht aus den Augen. Seit sie denken können, zählen sie sich »zu den Leuten mit oppositioneller Gesinnung« (Singelnstein), noch ohne sich gegen das Regime über Bord zu hängen.

Michael Albrecht studiert an der DDR-Filmhochschule Babelsberg und wird Kameramann. Er dreht Krimis für das »Tatort«-Pendant »Polizeiruf 110« und ungeliebte Streifen der Kategorie »Gegenwartsfilm«. Christoph Singelnstein studiert Theaterwissenschaft und bewirbt sich beim DDR-Hörfunk (dessen Mammutbau an der Nalepastraße wie die Fernsehfabrik Adlershof am räudigen Südostende von Groß-Berlin liegt). Vor dem Umschwung ist er Dramaturg und Produzent für Hörspiele.

Heute sind die beiden Männer Mitte 30 und Personen der Zeitgeschichte. Der schmale Christoph Singelnstein, der mit seinem blonden Wangenschmuck wie eine milde Mischung aus Rod Stewart und Dschingis Khan wirkt, ist Intendant des gesamten Hörfunks der verblichenen DDR.

Michael Albrecht mit seinem Kameramann-Prophetenbart ist gleichfalls Intendant und als solcher zuständig für das Fernsehsystem, das der SED-Staat hinterlassen hat, für den Deutschen Fernsehfunk mit seinen bisherigen Programmen DFF 1 und DFF 2. Beide, Albrecht und Singelnstein, sind von der Regierung de Maiziere anstelle belasteter Vorgänger berufen worden.

Nie zuvor hat es in Deutschland zwei ernsthafte junge Männer wie diese in einer solchen Stellung gegeben. Keiner verkörpert besser als sie den Wandel zum Guten seit dem Fall der Mauer - welcher Kontrast zu den Parteibonzen. Welcher belebende Kontrast aber auch gegenüber den Mediokraten des Westens, gegenüber den graureifen Staatskanzlei-Veteranen, den Dreisterne-Gourmets und arrivierten Vorzimmer-Artisten, die solche Posten in Altbundesdeutschland bevölkern.

Welcher passionierte Fernsehschaffende hätte sich noch nicht voll Inbrunst gewünscht, sein Intendant wäre ein parteiloser und »politisch völlig desinteressierter« ( Albrecht über Albrecht) Kameramann? Doch damit solche Träume wahr werden, und sei es nur für eine Weile, muß sich in Deutschland offenbar immer erst ein Umsturz oder Zusammenbruch ereignen.

So sind auch die beiden Greifswalder vom Wanken der Parteidespotie, von der Bürgerrechtsbewegung und dem gewaltlosen Aufruhr gepackt und mitgerissen worden. Sie entdeckten Energien und Fähigkeiten bei sich, die ihnen zuvor verborgen waren. Vor allem Michael Albrecht tat sich als Mann der ersten Stunde hervor, als es vor einem Jahr darum ging, das DDR-Fernsehen aus der Zwangsjacke der Partei zu befreien.

»Wir haben unsere Plagegeister hier draußen ja auf eigene Kappe abgeschüttelt«, sagt Albrecht. An die Stelle ihrer Kommandeure wählten die Fernsehleute basisdemokratische Gremien und machten einen eigenen Runden Tisch, an dem Albrecht mit ruhiger Beredsamkeit für seine Wunschvorstellung von einer autonomen, vom Staat losgelösten Television plädierte.

Anders als für Industrie und Handel der DDR sei für die Funkmenschen ganz klar und einfach gewesen, was sie zu tun hatten, erinnert sich der Intendant. Denn neben dem freien Reisen war die Informations- und Meinungsfreiheit das unumstrittene Verlangen der Volksmehrheit - wie schon 1848, als das begehrte Gut »Preßfreiheit« hieß, so auch bei diesem deutschen Aufstand.

Vom Westen noch kaum wahrgenommen, schritt die Selbstemanzipation der Ost-Berliner Fernseh- und Radiomacher in der Tat so stürmisch voran, daß ein Redakteur der entgängelten Nachrichtensendung »Aktuelle Kamera« schon Mitte Januar gegenüber der Süddeutschen Zeitung übermütiges Wohlbefinden bekundete: »Im Augenblick fühlen wir uns wie die freiesten Journalisten der Welt.« Das Gefühl steckte an. Die Zuschauer erkannten ihre geschmähte, ignorierte Honeyvision nicht wieder. Was da an Reportagen ("Klartext") und journalistischen Sendungen aus der Glotze kam, hatte die Frische einer aufregenden neuen Erfahrung.

Was niemand zu hoffen wagte, geschah: Im Sommer 1990 war der DFF Primus in der Publikumsgunst vor ARD und ZDF. Gut 33 Prozent ihrer Guckzeit widmeten die Bürger der todgeweihten Republik ihrem ums Überleben ringenden, unterfinanzierten, aber herrschaftsfreien Bilderfunk. Kein anderer DDR-Betrieb, das ist ja der Jammer, kein anderer Betrieb von der Joghurt-Molkerei bis zu den Zeiss-Werken hat einen annähernd ähnlichen Markterfolg erzielen können.

Aber nun, wieder im Winter, wandeln sich die Dinge erneut. Die deutsche Legende von den beiden jungen Männern aus Greifswald und den selbsterworbenen neuen Freiheiten ihrer Kollegen in den Sendern verdüstert sich: Am 14. Dezember 1990 bei Sendeschluß erlöschen die Bilder des populären Programms DFF 1 für immer. Das Programm wird im Zuge der Neuordnung des Rundfunkwesens im deutschen Gesamtstaat eingestellt. Vom 15. Dezember an erscheint auf den bisher von DFF 1 genutzten Kanälen das Programm der ARD.

Vom 15. Dezember an können die Neubundesbürger für ihre erhöhten Fernsehgebühren (19 Mark) nur noch drei statt vier deutsche TV-Sender empfangen - ARD, ZDF und DFF 2, das als letztes Fort des Fernsehfunks unter der Spitzmarke »Ost 3« als »Neue-Länder-Kette« vorerst weiterbestehen soll. Aber DFF 1, kaum hat es seine Freiheit und die Zuneigung der Betrachter gewonnen, soll sterben. Populär oder nicht, es paßt nicht in die Interessenlage der neuen Herren.

Intendant Albrecht hat den Hinrichtungsbeschluß akzeptieren müssen. Denn er und Christoph Singelnstein sind seit Ende Oktober nur noch die obersten Untergebenen eines Mannes, der die höchste Exekutivgewalt über das ganze Fernseh- und Rundfunkwesen in den neuen Bundesländern und in Ost-Berlin übernommen hat.

Diese Eminenz, »der Rundfunkbeauftragte« genannt, ist im Einigungsvertrag vom August, Artikel 36, vorgesehen. Kanzler Kohl hat sich den richtigen Mann dafür ausgesucht - obwohl ihm dies weder vom Vertrag noch von der Verfassung erlaubt ist. Aber die neuen Länderregierungen, deren alleinige Sache das sein sollte, haben diesen Mann mit ihrer CDU-Mehrheit gehorsam gewählt und bestätigt. Er heißt Rudolf Heribert Mühlfenzl und war die siebziger Jahre hindurch Fernseh-Chefredakteur beim Bayerischen Rundfunk: Mit kehliger Stimme bot er vom Bildschirm den Kräften des Chaos die Stirn. Später amtierte der Strauß-Freund als Präsident der »Bayerischen Landeszentrale für neue Medien« bis ins Pensionsalter hinein.

Heute, am Beginn seines 72. Jahrs und so alt wie Albrecht und Singelnstein zusammen, folgt er dem Ruf des Kanzlers in den »größten Fall meines Lebens« nach der Maxime »Rundfunkfragen sind Machtfragen«.

»Mühlfenzl? Als ich gehört habe, daß ausgerechnet Mühlfenzl unseren Laden liquidieren soll, war meine erste Reaktion: Wehe den Besiegten!« sagt ein pensionierter Nachrichtenredakteur, der in der Funkhaus-Kantine Nalepastraße Schweinekotelett mit Büchsenspargel ißt. Ein anderer Ostradio-Veteran sieht in dem Bajuwaren einen »westlichen Professor Quatschnie« - das war im West-Berliner Kabarett »Die Insulaner« ein russischer Aufseher, der den deutschen Genossen bei ihren Schulungsabenden immer wieder weisunggebend dazwischenpoltert.

Mühlfenzls Temperament, lebhaft bis cholerisch, und sein dunkelglänzendes Ringelhaar lassen ihn jünger erscheinen, wenn er am Wochenanfang, aus dem trauten Hechendorf am Pilsensee kommend, durch die kafkaesken Korridore des Backsteinmonstrums Nalepastraße stürmt, wo er ein Büro, groß genug für einen Saurier, bezogen hat. Leutselig begrüßt er dort die Intendanten mit den Führungskräften von Funk und Fernsehen, die sich für Konferenzen mit Rudolf Mühlfenzl mit Schlips und Kragen und ihren besterhaltenen Anzügen wappnen. Seiner Sekretärin überreicht der Rundfunkbeauftragte ein in weißblaues Rautenpapier verpacktes Mitbringsel aus München. Es seien handgemachte »Pralinen von den besten Pralinenmachern in Europa«, verkündet er.

Aber der kollegiale Ton, die mitmenschlichen Gesten täuschen nicht darüber hinweg, daß es um die Existenz von Menschen und Programmen geht. Wie Mühlfenzl nach SED-belasteten Redakteuren fahndet, so haben sich Albrecht und Singelnstein über Mühlfenzl eingehend kundig gemacht. Und obwohl sie sich mit Kommentaren extrem zurückhalten, haben sie begriffen, welchen Verdiensten der Rundfunkbeauftragte seine Berufung verdankt und welche spezifischen Leistungen man folglich im Kanzleramt wie in der Ost-CDU von ihm erwartet.

Rudolf Mühlfenzl war ein respektierter Rundfunkjournalist, der in den fünfziger und frühen sechziger Jahren unter dem Nom de plume »Rufus Mücke« zu den brillantesten Radiokommentatoren Deutschlands zählte - bis die Liebe zur weißblauen CSU, zu Franz Josef Strauß und zur Karriere sich wie eine wuchernde zweite Seele in seiner breiten Brust einnistete und den widerborstigen Rufus Mücke allmählich erstickte. 1965 trat Mühlfenzl der CSU bei und wirkte emsig wie kein zweiter Journalist des Bayerischen Rundfunks daran mit, den Sender der Strauß-Partei zu unterwerfen.

Weil die öffentlich-rechtlichen Unabhängigkeitsprinzipien, die auch für Bayern galten, dem Anschlag entgegenstanden, änderte die absolute Landtagsmehrheit der CSU 1972 das Bayerische Rundfunkgesetz gegen den erbitterten Protest des großen alten Mannes im BR, Walter von Cube. Von 1947 an war er liberalkonservativer Chefkommentator in München und hatte auch den aufstrebenden Mühlfenzl angeheuert.

Mit dem eloquenten Ingrimm eines Winston Churchill erklärte von Cube im BR-Hörfunk: »Sie (die Christsozialen) haben ihre Macht mißbraucht, die Meinungen ihrer Gegner und Partner mißachtet und schließlich durch Gesetz ein Regime geschaffen, das parteipolitische und kulturpolitische Einseitigkeit fördert und legalisiert.« Das waren, Februar 1972, die letzten Worte Walter von Cubes, die über den Sender gingen. Er nahm seinen Abschied zusammen mit dem letzten parteilosen Intendanten, dem noblen Christian Wallenreiter. Mühlfenzl war inzwischen Chefredakteur beim BR-Fernsehen.

Diese Gleichschaltung des Bayerischen Rundfunks durch die CSU war kein geringeres Komplott gegen die bundesdeutsche Informations- und Meinungsfreiheit als der Überfall auf den SPIEGEL, Oktober 1962. Im Gegenteil, ein schlimmeres. Denn das SPIEGEL-Attentat mißlang, die Kastration des Bayernfunks hingegen war von dauerhaftem Erfolg.

Die geglückte Schmach weckte den Neid der Politchristen von der CDU. Sie und im verderblichen Wechselspiel dann auch die anderen Parteien ließen ihre frühere Selbstbeschränkung im Umgang mit den öffentlich-rechtlichen Medien fallen und setzten sich bei ARD und ZDF selber breitsteißig in die erste Reihe. Nicht so brutal und offen wie die CSU, aber effektiv genug erweiterten sie ihren ohnehin starken Einfluß auf die Sender zur allesdurchdringenden Parteizombie-Herrschaft.

Keiner unter den Journalisten trägt an dieser Fehlentwicklung zur Parteibuch-Publizistik größere Mitschuld als Rudolf Mühlfenzl. »Ich mochte Mühlfenzl als Kollegen und Münchner Urviech ganz gern«, sagt ein führender Redakteur beim NDR. »Aber es war traurig mitzuerleben, wie ein an sich kompetenter Chefredakteur zum blinden Opfer seiner Strauß-Hörigkeit wurde.«

Als Mühlfenzl im Wahljahr 1980 an einer bayerischen Kabinettssitzung mitwirkte, auf der die Drohung ausgestoßen wurde, der Bayerische Rundfunk werde aus der ARD austreten, riß den Proporzbossen der anderen Sender die Geduld mit ihrem abgeirrten bayerischen Vorreiter. Sie ließen ihn wissen, daß er keine Chance mehr habe, den Chefredakteursposten bei »ARD-Aktuell« in Hamburg zu bekommen, für den er sich (als Nachfolger von Dieter Gütt) beworben hatte.

Später, als Förderer neuer Medien, ergab er sich dem tröstlichen Glauben, er könne die im BR abgewürgte Meinungsvielfalt durch private Kommerzsender ersetzen. Und unbelehrt von den Stolpersteinen exzessiver Parteigängerei, engagiert sich Rudolf Mühlfenzl heute noch bei der Medienkommission der CSU, die solche Leuchttürme des freien Geistes in sich vereint wie Edmund Stoiber, Gerold Tandler und Otto Wiesheu.

Da liegt der Verdacht nicht galaxenfern, daß der unverwüstliche Mediendompteur nun für Helmut Kohl tun soll, was er einst für Franz Josef Strauß vollbracht hat - nur in noch größerem Maßstab. Er hat laut Einigungsvertrag die Aufgabe, den bis zu Mühlfenzls Amtsantritt wundersam staats- und parteilosen Ex-Staatsfunk der DDR bis Ende 1991 »überzuleiten« in eine neue staatlich-parteiliche Bindung, nämlich in die Hoheit der fünf neuen Bundesländer plus Groß-Berlin. Wie im Westen sollen die Länder in Gestalt ihrer Regierungsparteien den Rund- und Fernsehfunk an die Kandare nehmen.

Aber nicht jedes arme Neuland soll seine eigene Radio- und TV-Anstalt aufmachen. Das Vorbild (darüber besteht überparteiliche Einigkeit) soll die Mehrländeranstalt NDR sein, in der sich Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg zusammengeschlossen haben. Die Medienplaner im »Regionalausschuß Berlin« zum Beispiel empfehlen eine Großanstalt, die Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt umfaßt.

In ihr würde sich der Sender Freies Berlin höchst widerwillig, aber am Ende unvermeidlich mit dem DFF zu einem neuen Gebilde verbinden, für das noch niemand einen Namen zu erfinden gewagt hat. »Am liebsten«, sagt Christoph Singelnstein, »würde uns der SFB platt machen, um sich unsere Gebührenzahler unter den Nagel zu reißen.«

Anfangs hatte auch Mühlfenzl die Vorstellung, den, wie er meinte, von jedermann verabscheuten DFF vordringlich »auf Null zu reduzieren«, ihn unter Volksjubel auszutilgen wie Karthago, ihn auszuschlachten wie eine bankrotte Firma und sein Personal und seine Produktionsmittel auf die Länderanstalten zu verteilen. Diese würden dann angesichts der Mehrheitsverhältnisse in den Neuländern unter CDU-Kuratel stehen und bei ihrem Beitritt zur ARD die unionschristliche Parteifront stärken.

Aber die Neubundesbürger aus der alten DDR kommen dem Rundfunkbeauftragten in die Quere. Sie wählen zwar des Geldes wegen CDU, bestehen jedoch in Umfragen zu fast 90 Prozent darauf, ihren gründlich gewandelten DFF zu behalten. Gerade die journalistisch-politischen Sendungen, Magazine und Diskussionen finden frappante Resonanz. Die »Aktuelle Kamera am Abend« wird nach Untersuchungen der unabhängigen Gesellschaft für Kosumforschung von 47,5 Prozent des Publikums gewünscht, das Magazin »Prisma« sogar von 63,6 Prozent.

»Es ist packend, die Wahrheit über unser Land zu berichten, von der ersten Reportage aus dem Bonzengetto Wandlitz an, aber dies auch zu tun aus einer Vertrautheit heraus, die man von den Westkollegen nicht erwarten kann«, sagt Michael Albrecht. Auch seien in der langen Zeit nolens volens Gefühlsbindungen an manche DFF-Rituale entstanden - an den Sandmann zum Beispiel und das Sandmannlied: »Bei dieser Melodie steigen bei vielen von uns Kindheitserinnerungen auf.«

Trotzdem mußte auch Albrecht erkennen, daß das erste DFF-Programm nicht zu retten war. Das Gebührenaufkommen reichte dafür hinten und vorne nicht. Um genug Geld für einen vertretbaren Etat 1990 zusammenzukratzen, blieb ihm keine Wahl, als für den siegreichen Konsumismus zu tingeln: Der DFF treibt nicht nur Werbung, er durchstieß auch die 20-Uhr-Schamschranke der Öffentlich-Rechtlichen. In Adlershof wird mit Gaukelspots und Jingles bis Sendeschluß zum Kaufen animiert.

Mit diesen Einnahmen, und von der Finanzlast des ersten Programms befreit, will Michael Albrecht um so hartnäckiger für wenigstens eine östlich-öffentliche Sendekette gegenüber ARD und ZDF kämpfen. Auf diesem Kanal, den er »Ost 3« nennt, sollen die besten DFF-Produktionen weiterleben: die »Klartext«-Reportagen, das aufgedrehte Jugendprogramm »Elf 99«, vielleicht auch »Beppos Bettgeschichten«.

Die künftigen Länderanstalten, hofft der Intendant, könnten solche Sendereihen und deren Macher dann in ihre dritten Programme übernehmen und später sogar in das gesamtdeutsche Gemeinschaftsprogramm der ARD hineinschieben. Denn es wäre, sagt er, »die blanke Barbarei, alle diese eingespielten Redaktionen und bewährten Produktionsteams vor die Hunde gehen zu lassen«.

Auch Christoph Singelnstein, dessen Radio-Zukunft noch ungewisser ist, glaubt »mit wachsender Verzweiflung«, wie er es ausdrückt, daß »die Medien in der ehemaligen DDR anders sein sollten als in der West-BRD«. Dem »dunklen Mittelalter« müsse nun »die Aufklärung« folgen. Die Medien hätten ein »gewaltiges Maß an Bewußtseinsbildung« zu leisten: »Sonst sinken die noch immer autoritätsfixierten DDR-Menschen gleich wieder einem neuen Übervater in die Arme - mit schlimmen Auswirkungen für ganz Deutschland.«

Aber wie nicht nur Funk und Fernsehen in diesem Land künftig regiert werden, haben Helmut Kohl und Rudolf Mühlfenzl gerade vorgeführt bei ihrem Beschluß, das erste DFF-Programm zugunsten der ARD zu killen und eine weitere Senderkette an das ZDF zu überstellen, damit die beiden Westprogramme nun in guter Qualität auch die verstecktesten Winkel Ostsachsens und der Uckermark erreichen.

Am 22. November ist diese gravierende Entscheidung in Bonn bei einem Treffen zwischen Kohl, Mühlfenzl und den vier CDU-Ministerpräsidenten aus der Ex-DDR gefallen (denn die Männer der Ost-CDU sind ihrem Kanzler noch freudiger zu Willen als früher der SED). Die beiden SPD-Regenten, Ministerpräsident Stolpe aus Brandenburg und der Berliner Oberbürgermeister Schwierzina, sind zu dem grundgesetzwidrigen Eingriff des Kanzlers in Medienfragen weder eingeladen noch gefragt, nur hinterher informiert worden.

»Arroganz der Macht«, nannte Stolpe diese Brüskierung, die sich nicht einmal die Mühe gab, ihre Nacktheit zu bemänteln, und fand das Verfahren im Zorn seiner Ohnmacht »zum Kotzen«. o

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