Weinbergers Skalpell ist stumpf
Sie gelten nach den Worten eines amerikanischen Militärs als »das Beste, was die Vereinigten Staaten seit der Einführung des Hüttenkäses hervorgebracht« haben. Ihrem Motto »Anything, anytime, anyplace, anyhow« ist zu entnehmen, daß sie soviel Hochachtung für durchaus gerechtfertigt halten.
Der Wahlspruch vom bedingungslosen, weltweiten und jederzeitigen Einsatz spiegelt das Selbstverständnis einer Gruppe von derzeit 14900 amerikanischen Elite-Kriegern - der »Special Operations Forces« (SOF). Sie sind dazu ausersehen, für die Großmacht USA »kleine Kriege« ("low intensity conflicts") auszufechten, also immer dann ins Feld zu ziehen, wenn der geballte Einsatz militärischer Macht zu riskant oder nicht opportun erscheint.
In dem von der Regierung Ronald Reagans ausgerufenen »Zeitalter des internationalen Terrorismus« sollen die SOF vor allem zur Geiselbefreiung, zur Guerilla-Bekämpfung in befreundeten Staaten und zur Guerilla-Unterstützung in weniger befreundeten Staaten eingesetzt werden.
Für diese Kleinkriege, in denen »unsere vitalen nationalen Interessen gegen sowjetische Herausforderungen verteidigt werden müssen« (so der zivile SOF-Verantwortliche im Pentagon, Noel Koch), halten sich »Amerikas eigene Guerilla-Kämpfer«, wie das rüstungskritische »Center for Defense Information« in Washington die Spezialtruppe nannte, bestens gewappnet.
Doch zwischen dem hohen Anspruch der Special Forces und der Realität klaffen erhebliche Lücken. Nicht auszuschließen ist beispielsweise, daß US-Verteidigungsminister Caspar Weinberger letzte Woche von einem militärischen Schlag gegen Libyen auch deshalb abriet, weil er wußte, daß sein »Skalpell« ("Time") derzeit stumpf und nur bedingt einsatzbereit ist.
Mehr als die Hälfte der hochspezialisierten Krieger, räumte jetzt ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums ein, müsse das Pentagon in den Bereitschaftsgrad »C-3 und geringer« einstufen. ("C-1« erhalten Truppen, die »voll einsatzbereit« sind; »C-2« steht für »im wesentlichen«, »C-3« für »gerade noch« und »C-4« für »überhaupt nicht einsatzfähig«.) »Wir haben Militärkapellen, die sich in einem höheren Bereitschaftsstatus befinden als einige unserer Special Forces«, meint auch SOF-Chef Koch.
Die harte Kritik aus den eigenen Reihen belegt, daß Weinberger eines seiner wichtigsten militärpolitischen Ziele bisher nicht erreicht hat: Der Ausbau der Special Forces als maßgeschneidertes, weltweit einsetzbares Instrument war von der Reagan-Regierung schon bei ihrem Antritt 1981 als eine der »höchsten Prioritäten« (Weinberger) bezeichnet worden.
Die Spezialtruppen, die während des gesamten Vietnamkriegs eine wichtige Rolle im Dschungelkrieg gespielt hatten, kümmerten in Amerikas traumatischer
Verdrängungsphase nach dem Vietnam-Desaster scheinbar unaufhaltsam dahin. Waren sie Ende der 60er Jahre noch mit jährlich einer Milliarde Dollar im Verteidigungshaushalt bedacht worden, so wurden ihnen 1975 nur noch knapp 100 Millionen zugestanden.
Wohl kehrte Präsident Jimmy Carter diesen Trend gegen Ende seiner Amtszeit um und bewilligte höhere Ausgaben, ohne allerdings die militärische Aufgabenstellung neu zu definieren. Das geschah unter Ronald Reagan und Caspar Weinberger, die antraten, Amerika wieder stark und selbstbewußt zu machen.
Reagan fühlte sich den Special Forces schon deshalb besonders verpflichtet, weil er seinen Wahlsieg gegen Carter nicht zuletzt einer mißglückten SOF-Aktion verdankte.
Im April 1980, sieben Monate vor der Präisidentschaftswahl, war der großangelegte Versuch gescheitert, die in Teheran festgehaltenen amerikanischen Geiseln im Handstreich zu befreien. Ein Teil des Kommandos verirrte sich im Sandsturm über der iranischen Wüste, ein Flugzeug und ein Hubschrauber gingen in Flammen auf.
Die Blamage wurde zum Sinnbild für Amerikas militärische Ohnmacht im Kampf gegen staatlich geförderte Terroristen. Wahlsieger Reagan gelobte damals, eine ähnliche Schmach werde nie wieder vorkommen. Er gab Order, die SOF drastisch aufzurüsten.
In den vergangenen fünf Jahren wurde die SOF-Truppenstärke um 30 Prozent erhöht. Sie beträgt derzeit einschließlich Reservisten 32000 Mann, die Anzahl der 14900 Aktiven soll bis 1990 um weitere 6000 erhöht werden. Im US-Haushaltsjahr 1983 waren für Bewaffnung und Personalkosten der SOF 200 Millionen Dollar ausgegeben worden. Im laufenden Finanzjahr läßt sich das Pentagon seine geheimen Elite-Krieger 1,2 Milliarden Dollar kosten.
Um Amerikas »schmutzige kleine Kriege« ("Time") führen zu können, weltweit, zu Lande, zu Wasser und in der Luft, trainieren die Elite-Krieger in Wüsten und Eisgebieten, in Dschungel und Sumpf. Sie sind Fallschirmspringer und Froschmänner, Experten in Karate, Scharfschießen und Tarnung. Sie sollen das Hinterland des Feindes atomar verminen, Hafenanlagen, Brücken und Radiostationen sprengen, Spionage und Propaganda betreiben können.
Am stärksten spezialisiert sind die 9100 SOF-Angehörigen der Army. Zu ihnen zählen die in Vietnam hochdekorierten Green Berets, die auch im Ausland, etwa in Okinawa oder Bad Tölz, stationiert sind. Green Berets liegen in Südkorea und West-Berlin. In Berlin lautet ihr Kampfauftrag, sich im Ernstfall von den Sowjets überrollen zu lassen, um danach aus dem Untergrund als Stadtguerilla aktiv zu werden.
Green Berets bilden den Kern der »Military Training Teams« (MTTs), die bei der Ausbildung befreundeter Armeen behilflich sind. Zwischen 1982 und 1985 waren insgesamt 260 Teams in 35 verschiedenen Ländern tätig. Meist helfen sie dort den Regierungen, sich Untergrundkämpfern zu erwehren, so beispielsweise in Thailand, El Salvador oder auf den Philippinen.
Mit Beratung und Ausbildung haben die Army-Ranger, die zur Unterscheidung von den Kollegen mit den grünen schwarze Baretts tragen, wenig im Sinn. »Unser Job ist es«, sagt Ranger-Kommandeur W. B. Taylor, »Menschen zu töten und Dinge zu zerstören . . . Wir sind Killer, keine Lehrer.« Die 1980 Mann starke Ranger-Garde bildete den Kern der ersten Invasionstruppe beim Überfall auf Grenada.
Auf der karibischen Gewürzinsel kamen auch zwei SOF-Gruppen der Army zum Einsatz, deren Namen mehr an die Werbehochburgen an der New Yorker Madison Avenue erinnern als an militärische Planungsstäbe: die Spezialisten für »Civil Affairs« (CA) und »Psychological Operations« (Psyop).
Im Kriegsfall sollen die CA-Bataillone dafür sorgen, daß die »ansässige Bevölkerung US-militärische Operationen nicht behindert«. Im Frieden geben sich die CA-Spezialisten noch zahmer. Sie helfen im Ausland den örtlichen Militär- und Zivilbehörden in Gesundheits- und Erziehungsfragen, geben Rat und Anleitung auf den Gebieten Landwirtschaft, Verkehr und Verwaltung. So soll laut Army-Handbuch 33-5 das Image der Militärs in der Zivilbevölkerung verbessert werden.
Die Psycho-Spezialisten treten vor, während und nach Kampfhandlungen in Aktion. Sie sollen, laut Dienstvorschrift 100-20, »die Enttäuschungen und Erwartungen« in der Bevölkerung besetzter Länder propagandistisch »ausnutzen«, um deren »Loyalität mit den Besetzern« zu fördern.
Bei ihrer psychologischen Kriegs- und Unterwanderungstechnik nutzen die
Psyops von TV-Sendungen bis zum Flugblatt alle Möglichkeiten der Massenkommunikation. Zu ihren Propagandamitteln gehört auch ein leistungsfähiger 50000 Watt-Sender, der per Luftfracht überall hingeflogen werden kann und binnen Wochenfrist sendebereit ist.
Während die Arbeitsweise der CA- und Psyop-Einheiten selten öffentlich wird - etwa nach der Grenada-Invasion, wo Psyop-Spezialisten gefangengesetzte Sympathisanten des gestürzten Regimes verhörten und vorletztes Jahr die Wahl des amerikanischen Wunschkandidaten Herbert Blaize zum Premierminister forcierten -, ist von anderen SOF-Truppenteilen der Army kaum mehr als die Bezeichnung bekannt. Geheim ist etwa, worauf sich die 160th Task Force (TF160) spezialisiert hat. Und die Existenz der »Delta Force«, einer auf Geiselbefreiung trainierten Eingreiftruppe, will das Pentagon offiziell nicht bestätigen.
Letztes Jahr geriet sie gleichwohl ins Rampenlicht, als Angehörige der Delta Force in den Verdacht kamen, sich widerrechtlich bereichert zu haben. Zudem waren die geheimen Soldaten womöglich auf eigene Faust in Bereichen tätig geworden, die gemeinhin in die Kompetenz von FBI oder CIA fallen: Sie sollen das Zimmer eines Hotels an der US-Westküste, in dem ein sowjetischer Regierungsvertreter wohnte, verwanzt haben; ähnlich aktiv wurden sie in den Büros arabischer Luftlinien in der Bundesrepublik oder bei sowjetischen Handelsgesellschaften in Drittwelt-Ländern. Insgesamt 80 Delta-Force-Mitglieder wurden truppenintern bestraft oder vor einem Militärgericht angeklagt.
Von solchen Skandalen ist die feinste SOF-Truppe, die Special Forces der Navy, bisher verschont geblieben. Ihre »Sea-Air-Land«-Soldaten ("Seals") werden ein Jahr lang für ihre Unterwasseraktivitäten gedrillt. Die Seals sind Nachfahren der Kampfschwimmer aus dem Zweiten Weltkrieg und Experten für Unterwasserzerstörung von Hafenanlagen, Brücken und Schiffen; sie placieren Minen und stellen, so etwa bei der Invasion von Grenada, die Vorhut von Landungstruppen.
Neben schnellen und leisen Patrouillenbooten vom Typ »Seafox« (Reichweite: 200 Seemeilen, Spitzengeschwindigkeit: 30 Knoten) und Sauerstoffgeräten, die verbrauchte Atemluft nicht mehr als verräterische Luftblasen an die Oberfläche abgeben, haben die Kampfschwimmer vor allem eine Reihe von Klein-U-Booten im Einsatz.
In diesen »Swimmer Delivery Vehicles« (SDV) haben bis zu sechs Soldaten Platz. Die Mini-Tauchboote werden von Überwasserschiffen, neuerdings auch von U-Booten in die Nähe des Einsatzortes transportiert.
Wenigstens drei atomar angetriebene ehemalige Jagd-U-Boote hat die Navy zu SDV-Mutterschiffen ausgebaut, bei drei weiteren Booten ist die Umrüstung noch im Gang. Die U-Boote erhalten außenbords mehrere Behälter, in denen die Klein-U-Boote transportiert werden und die nach der Art von Trockendocks funktionieren.
Zum Einsatz klettern die Kampfschwimmer durch eine Luke trockenen Fußes in die Außenstation, bemannen die Klein-U-Boote, fluten das Dock und lösen sich vom Trägerschiff. »Unter Wasser fahren sie sodann zum jeweiligen Zielgebiet am Strand, führen ihre Mission durch und kehren ebenso unentdeckt zum Mutterschiff zurück«, heißt es in einer Pentagon-Verlautbarung die den Seals überdies »die Fähigkeit« zuschreibt, »extremen Schaden anzurichten«.
Denn die Mini-U-Boote sind teilweise schwer bewaffnet, etwa mit einem speziell umgebauten MK-37-Torpedo. Jeweils drei SDV-Mutterschiffe will die Navy in ihre Atlantik- und Pazifik-Flotte einreihen.
Verglichen mit den Special Forces von Army und Navy, nehmen sich die der Air Force fast bescheiden aus. Die »Special Operation Wings« (SOW) haben die Aufgabe, die SOF-Kollegen an ihren jeweiligen Einsatzorten abzusetzen. SOW-Einheiten sind in Nord-Florida, auf den Philippinen und im bundesdeutschen Ramstein stationiert.
Das Rückgrat der Air-Force-Sondertruppen (4100 Mann) bilden 14 MC-130-E-Transportmaschinen »Talon«, zu denen bis 1992 weitere 21 »Talon II«-Maschinen hinzukommen sollen. Mit den mattschwarz gestrichenen Propellerflugzeugen werden Ranger oder Green Berets per Fallschirm abgesetzt und mit Hilfe des »Fulton Recovery Systems« (FRS) bei Bedarf auch wieder abgeholt: Ein hinter den feindlichen Linien oder in unwegsamen Dschungelgebieten abgesetzter Ranger läßt zu verabredeter Zeit an vereinbartem Ort einen Ballon hochsteigen, an dessen Leinenende er selbst hängt. Eine spezielle Fangvorrichtung an Bord der MC-130 fischt das Seil am Ballon auf - hoch schwebt der Soldat und wird an Bord gehievt. »Technisch pfiffig«, nennt ein ehemaliger Ranger diese Evakuierungsart, aber: »Mein lieber Junge, ein Spaß ist das nicht.«
Weder technische Raffinessen noch milliardenschwere Ausrüstungsprogramme können jedoch darüber hinwegtäuschen, daß die geheimen Elite-Krieger die in sie gesetzten Erwartungen bislang nicht erfüllen. »Wer denkt, daß wir reale Fortschritte machen und schon richtig angefangen haben, hält sich selbst zum Narren«, warnte unlängst SOF-Chef Koch vor hohen Air-Force-Offizieren.
Halbwegs einsatzbereit scheint derzeit nur die Delta Force zu sein. Doch die in Fort Bragg (North Carolina) stationierte Einheit ist in ihrer Schlagkraft behindert, weil sie zu weit von ihren wahrscheinlichen Einsatzorten entfernt ist.
Zwar hatte die Delta-Truppe sowohl bei der Entführung des TWA-Flugzeugs im Juni letzten Jahres nach Beirut wie auch beim Piratenakt gegen die ägyptische Maschine auf Malta im vergangenen November unverzüglich reagiert. Doch als die Delta-Soldaten schließlich über dem Mittelmeer einschwebten, war es entweder zu spät für erfolgreiche Rettungsaktionen, oder aber ihr Mitwirken war, so auf Malta, nicht erwünscht.
Eine von Präsident Reagan einberufene Sonderkommission hat die speziellen Probleme der Special Forces durchleuchtet und über neue Strategien zur Terrorismus-Bekämpfung nachgedacht. Der noch geheime Abschlußbericht soll diese Woche auf einer Klausurtagung im Beisein der Minister Shultz und Weinberger von rund 100 Experten diskutiert werden. Zur Sprache dürfte dabei auch die Kommissionsempfehlung kommen, Angehörige der Delta Force näher ans mutmaßliche Geschehen zu verlegen. Als denkbarer Stationierungsort für die Krieger gilt der Nato-Stützpunkt Sigonella auf Sizilien.
Sicher ist freilich auch, daß die Strategen für schmutzige Kriegführung während ihrer Zusammenkunft in Fort McNair auch grundsätzliche Einwände gegen das Konzept der Sonder-Elitetruppen zu hören kriegen.
Der ehemalige Direktor des Büros für politisch-militärische Angelegenheiten im Außenministerium, General John Chain, beispielsweise sieht zwischen der geheimen Entsendung von Special Forces und dem offenen Eingreifen konventioneller Streitkräfte prinzipiell keinen Unterschied. Beides seien militärische Aktionen, und beide könnten - wie schon einmal in Vietnam - in einen umfassenden Krieg münden.
Einziger Unterschied: Vor dem Einsatz amerikanischer Truppen muß nach US-Gesetz der Kongreß befragt werden, die geheimen Sondereinheiten aber werden auf Befehl des Pentagon in Marsch gesetzt.
»Die reale Gefahr besteht«, befürchtet der demokratische Senator Jim Sasser (Tennessee), »daß diese Special Forces für CIA-Programme genutzt werden können« - und so dem Geheimdienst zu einer Geheimarmee verhelfen würden.