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WITTE Weiße Riesen

aus DER SPIEGEL 46/1966

So wichtig der gewissenhafte Gehorsam und die treue Pflichterfüllung im Kleinen sind, ebenso wichtig, ja wichtiger sind das aufrechte Einstehen für das nach gewissenhafter Prüfung als richtig Erkannte, sind ... Freiheitsmut und Initiative, getragen von einem empfindlichen Rechtsbewußtsein.

Kai-Uwe von Hassel

Panzermajor Hans-Joachim Witte, 43, gehorchte seinem Minister aufs Wort. Ein empfindliches Rechtsbewußtsein ließ ihn erkennen, daß der höchste Beamte im Bonner Verteidigungsministerium, Staatssekretär Karl Gumbel, 56, zu »Willkür und Manipulationen« neige; sein Freiheitsmut war so groß, das dem Minister schriftlich zu geben.

Kai-Uwe von Hassel aber gestattete sich eine Ausnahme von seiner soldatischen Maxime: Er bremste die Karriere des folgsamen Offiziers und leitete ein Disziplinarverfahren gegen ihn ein.

Es war das Ende einer Affäre, die im November 1963 begann: Damals protestierte Major Witte in einer Petition an den Verteidigungsausschuß gegen ein geplantes Bundeswehrbeamtengesetz, das den Staatssekretär und ehemaligen Reserveleutnant der schweren Artillerie Gumbel zum Drei-Sterne -General gemacht hätte (SPIEGEL 27/ 1965).

Witte wurde von einer Lehrgangsliste für angehende Bataillonskommandeure gestrichen. Der Major, damals noch auf verantwortlichem Posten im Personalressort des Verteidigungsministeriums, beschwerte sich wegen »ungerechter Maßregelung«; Karl Gumbel, damals noch Personalchef der Bundeswehr, versuchte die Beschwerde zu blockieren; Witte beschwerte sich daraufhin über Gumbel - wegen »absichtlicher Verzögerung der Bearbeitung der Beschwerde und wissentlicher Täuschung des Beschwerdeführers«.

Der Major wurde aus Bonn verbannt und an die Heeresoffizierschule I in Hannover versetzt. Er beschwerte sich auch über diese Strafverschickung, und schließlich war Witte über acht Protestschriften mit der gesamten Obrigkeit des Verteidigungsministeriums verfeindet. Er unterlag an allen Fronten:

- Den normalen Beschwerdeweg blockierte Kai-Uwe von Hassel mit der stereotypen Einrede, Wittes Klagen seien »unbegründet«;

- die höchste Beschwerde-Instanz für

Bundeswehrbedienstete, der Wehrdienstsenat, erklärte sich in den wesentlichen Beschwerdepunkten für nicht zuständig;

- der Verteidigungsausschuß gab vor, er könne nicht eingreifen, weil schon der Wehrdienstsenat - gesprochen habe;

- der Wehrbeauftragte des Bundestages berief sich wiederum auf den abschlägigen Bescheid des Verteidigungsausschusses.

Seiner Sache und der Instanzen sicher, gab der Verteidigungsminister Anfang dieses Jahres dem Major schriftlich

seine »Auffassung über die Form Ihrer Äußerungen bekannt«.

Hassel weiter: »Um Ihnen einen Maßstab für die Grenzen einer sachlichen Interessenwahrung zu geben, füge ich den Auszug eines Urteils des Bundesdisziplinarhofs ... bei und empfehle Ihnen dringend dessen eingehende Kenntnisnahme.« Witte las nach, daß einem widerspenstigen Oberleutnant für neun Monate das Gehalt um ein Zwanzigstel gekürzt worden war.

Der Panzermajor schrieb zurück: »Sie, Herr Minister, entschieden (meine) Beschwerden unter Voraussetzungen, die Recht und Objektivität von vornherein ausschlossen.«

Witte verfaßte diese Replik zu einem Zeitpunkt, als ihm aus dem Ministerium vertraulich schon Generalabsolution zugesichert worden war, wenn er nur endlich Ruhe gebe. Dann sei auch nichts dagegen einzuwenden, daß er an der Heeresoffizierschule zum Taktiklehrer und Hörsaalleiter avanciere.

Jetzt aber holten die Papierkriegsgegner des Majors zum Gegenschlag aus. Zwar war Wittes planmäßige Beurteilung zum 1. April dieses Jahres überdurchschnittlich ausgefallen Doch der Brigadegeneral Schäfer, damals Inspizient für das Erziehungs- und Bildungswesen im Heer, sah es anders - »wenn auch ohne genaue Kenntnis der ... Vorgänge im einzelnen«. Schäfer in einer »Stellungnahme des nächsthöheren Vorgesetzten": Witte habe sich zwar bewährt und sei »an sich« förderungswürdig. Jedoch: Wegen des Briefes an den Minister könne »nur höheren Orts« entschieden werden, ob die Verwendungsvorschläge des Schulkommandeurs (Taktiklehrer, Bataillonskommandeur, Inspektions-Chef) jetzt noch zu akzeptieren seien.

Höheren Orts war längst entschieden. Generalleutnant Werner Haag, Personalchef der Bundeswehr und Gumbel-Intimus, bestellte Witte nach Bonn: Der Major sei wohl kaum noch in der Lage. »die Dinge klar zu sehen und zu beurteilen« und mithin als Erzieher nicht mehr tragbar. Witte wurde in die Abteilung ATV (taktisch-technische Erprobungen und Abfassen von Vorschriften) an der Kampftruppenschule II in Munster versetzt.

Am Tage seines Dienstantritts in der Kampftruppenschule kam dem zum zweitenmal verbannten Offizier zu Ohren, daß General Haag mit Gefolge am 11. Mai die Heeresoffizierschule Hannover besuchen wolle, um die seit langem erbetene Stellungnahme des Ministeriums zum »Beschwerdefall Witte« abzugeben.

Zwar hatte sich das Ministerium nach einem SPIEGEL-Bericht über Witte schon einmal zu einer Erklärung bequemt: Am 19. August vergangenen Jahres mußte der Schulkommandeur die Bonner Version den Stabsoffizieren der Schule bekanntgeben - gleichsam als Sprachregelung für die jüngeren Offiziere und die Lehrgangsteilnehmer. Doch damals war Witte dabei und widerlegte die Bonner Fleißarbeit.

Diesmal sollte der Major ausgeschlossen bleiben. Seine Bitte uni Teilnahme lehnte Haag ab: Er halte Wittes Anwesenheit »weder für erforderlich noch für angezeigt, schon um einer evtl. schädlichen Verschärfung der gesamten Situation vorzubeugen«.

Diese Umsicht bewährte sich. Ungestört verlasen die Bonner Emissäre eine Auswahl aus dem Schriftwechsel zwischen Major und Ministerium. Und hernach standen der Verteidigungsminister und sein Staatssekretär wie zwei weiße Riesen da.

Wenig später erhielt der Major Post von seinem Minister: Die Einleitungsverfügung für ein disziplinargerichtliches Verfahren wegen »verletzender Äußerungen und Vorwürfe«. Die Anklagepunkte sind zwei Witte-Schriftsätzen entnommen, die von Hassel seit Monaten kannte.

Wittes gravierende Vorwürfe gegen die Spitzen des Verteidigungsministeriums - und den Staatssekretär Gumbel sollen in dem Verfahren nicht behandelt werden.

Panzermajor Witte

Im Krieg mit Bürokraten ...

Staatssekretär Gumbel

... an allen Fronten unterlegen

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