Weißer Halbmond
Außenminister Bevin ging einen schweren Gang. Die außenpolitische Debatte im englischen Unterhaus war sein Reichstag zu Worms. »Seiner Majestät Regierung ist so weit gegangen, wie sie konnte. Sie kann nicht weiter gehen. Ich kann nicht - selbst wenn man die Sache vor den Sicherheitsrat bringt.«
Diese eindringlichen Sätze klingen fast wie Luthers Worte. Sie beziehen sich auf die ägyptische und die Sudanfrage. Damit ist klar gesagt, daß die Aegypter zu einer vernunftgemäßen Politik zurückkehren müssen. Andernfalls entsteht ein neuer internationaler Streitfall vor der UNO. Das wäre für Großbritannien nicht angenehm. Es ist ohnehin von mancherlei Bedrängnissen geplagt, auch in der Nachbarschaft Aegyptens. Man weiß das in Kairo und will die Situation nutzen. Aber Englands Position ist in diesem Fall stark. »Wenn unsere Vorschläge verworfen werden, stehen wir einfach wieder bei dem Vertrag von 1936«, fügte Bevin hinzu.
Im Sudan selbst gibt es zwei Parteien. Der Anschlußpartei, um das Gordon-College in Khartum und die orthodoxe islamische Partei der Brüder gruppiert, steht die Unabhängigkeitsfront gegenüber. Ihren Kern bildet die Umma, die Partei der Nation, unter Führung des Sohnes des Mahdi Abd el Rahman. Der Mahdi Nr. 2 behauptete noch kürzlich, in seiner Bewegung 500 000 Mitglieder zu haben.
Angesichts dieser Opposition gegen den Anschluß erklärte England, die Sudanesen müßten ihre Zukunft selbst bestimmen. Es ist der ägyptischen Regierung weit entgegengekommen, indem es in dem berühmten Londoner Protokoll vom Oktober v. J. die formale Souveränität der ägyptischen Krone über den Sudan anerkannte. Aber das Protokoll enthielt auch den Grundsatz der sudanesischen Selbstbestimmung. Es sah ferner vor, daß das Volk erst die ethische Reife zu einer solchen Entscheidung erlangen müsse. Tatsächlich reicht der gegenwärtige Kulturstand, namentlich der südlichen Stämme, dazu noch nicht aus. England schlug ursprünglich 20 Jahre vor, war dann aber bereit, diese »Erziehungsfrist« bis auf fünf Jahre herabzusetzen.
Mit diesem Protokoll in der Tasche, das er in London verhältnismäßig leicht ausgehandelt hatte, fuhr der damalige Ministerpräsident Sidki Pasha strahlend nach Hause. Die Freude verging bald, da man in Kairo anders dachte. Sidki, ein alter und kranker Mann, trat resigniert zurück.
Aber nichts Positives war damit erreicht. So drohte der Nachfolger Sidkis, der gegenwärtige Ministerpräsident Nokrashi Pasha, die Angelegenheit vor den Weltsicherheitsrat zu bringen. Seit diesem Beschluß ist fast ein halbes Jahr vergangen. Nach den letzten Ankündigungen will Nokrashi Pasha jetzt Ernst machen.
Die Parole Aegyptens erstreckt sich auch auf die Entfernung der englischen Besatzungstruppen. Diese haben das Nil-Delta und die beiden Hauptstädte Kairo und Alexandria vereinbarungsgemäß bis zum März geräumt. Ueber den leeren Kasernen und Baracken wurde in Anwesenheit des Königs mit großem nationalem Gepränge die ägyptische Flagge gehißt. In der Zone des Suez-Kanals hat England das vertragsmäßige Recht, weiterhin 10 000 Mann und 400 Piloten zuzüglich des erforderlichen Hilfspersonals zu unterhalten, um dieses wichtige Stück seiner Reichswasserstraße zu schützen. Aber auch das ist den ägyptischen Nationalisten ein Dorn im Auge. Sie gehen noch weiter und verlangen neuerdings die Kanalaktien, die Disraeli um 1880 aufgekauft hatte. Kairo hat sich so sehr in nationalistische Weißglut geredet, daß es nicht warten will, bis die Räumungsfrist (1956) abläuft und die Kanalkonzession erlischt (1969).
Der Grund dieser Ungebärdigkeit liegt in den starken Erfolgen und Fortschritten, die die internationale Stellung Aegyptens erfuhr. König Faruk besitzt verbindliche Formen und politischen Ehrgeiz. Ein eleganter Mann, immer nach der letzten englischen Mode gekleidet, mit der ungewöhnlich schönen jungen Schwester des Schah von Persien verheiratet, hat die nationalistischen Strömungen der Parteien so geschickt auszuwerten verstanden, daß sein Land jetzt an der Spitze der arabischen Liga steht. Sollte das Kalifat, das der türkische Diktator Kemal Atatürk 1924 aufhob, eines Tages wieder Wirklichkeit werden, so ist Faruk der erste Anwärter. Denn König Ibn Saud ist ein alter und kränklicher Mann geworden. Während des Krieges, als die Kalifatsidee stärker besprochen wurde, brachten arabische Zeitungen sogar vielbeachtete Bilder Faruks mit dem Bart des Propheten. Er hat ihn inzwischen wieder abnehmen lassen. Sein Ehrgeiz ist geblieben.
Mahdi Abd el Rahman will den Sudan befreien