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Weit hinein in die Wurzelzone

aus DER SPIEGEL 31/1992

Mit Tempo 250 donnert der Intercity Express 699 »Franz Kruckenberg« von Hamburg gen Süden. Drinnen im Konferenzabteil legt Björn Engholm bedächtig seine Pfeife aus der Hand. Die so freigemachte Rechte hebt von der Tischplatte ab, startet zu einem sanften Steigflug von links unten nach rechts oben. In Augenhöhe hält der SPD-Vorsitzende inne. »Man muß so leben, daß man eine Querlinie seiner Aktivitäten zieht. Die Gipfel der öffentlichen Erregung muß man für sich wegschneiden.«

Engholm hat, so scheint es, die Ruhe weg.

Es läßt ihn ziemlich kalt, daß sich seine Genossen tagelang über den Einsatz deutscher Matrosen im Mittelmeer erregen. Nichts Außergewöhnliches kann er daran finden, daß die Bundestagsfraktion fast zwei Wochen heftig stritt, ehe sie sich schließlich entschied, die Karlsruher Richter anzurufen. »So einen Gang vors Verfassungsgericht macht man schließlich nicht mit links.«

Wer angesichts einer so »läppischen Randfrage« von Konzeptions- und Führungslosigkeit der Opposition spreche, empört sich der Kieler Ministerpräsident, der reagiere »völlig überzogen« und müsse wohl zu jener Spezies gehören, die »aus minimalem Anlaß mal wieder den Prügel gegen die SPD schwinge«.

Dem Gesamtbild seiner Partei, davon läßt sich Engholm nicht abbringen, könne diese Debatte »keinesfalls längerfristigen Schaden zufügen«.

Daher sah er auch keinen Anlaß, vorige Woche an der Sondersitzung des Bonner Parlaments teilzunehmen, die ja von den Sozialdemokraten erzwungen worden war. Das SPD-Präsidium hatte sich unter seiner Leitung entschieden, vors Verfassungsgericht zu ziehen. Das reichte Engholm.

Anders ausgedrückt: Sollte irgend jemand schuld am Hin und Her sein, dann kann das nur Oppositionsführer Hans-Ulrich Klose sein.

In Bonn läßt sich Engholm nur selten sehen. Er zog zuletzt See- und Landpartien vor. Bei den Büsumer Krabbenfischern ist er gewesen, bei den Sozialdemokraten in Landshut und in Kelheim an der Donau. Er hat die Oberbürgermeister von Frankfurt (dort wird im nächsten Frühjahr gewählt) und München besucht, hat bei Sepp Bergmann reingeschaut, dem Bürgermeister von Langquaid in Bayern, der sich demnächst als Landrat bewirbt.

»Je weiter man in die Wurzelzone hineinkommt«, rechtfertigt sich der Kanzlerkandidat, »desto engagierter sind die Leute.« Im übrigen seien gerade wenige Wochen verstrichen, seit er im Kieler Landtag seine Regierungserklärung abgegeben habe. »Jetzt ist Sommerzeit. Der Herbst ist die nächste Phase, in der wir uns stärker auf Bonner Geschichten kaprizieren.« Dann will er ein Sofortprogramm vorlegen. Die Bürger sollen wissen, was ihnen unter einem Kanzler Engholm blüht, falls Helmut Kohl vorzeitig aufgibt.

Spricht''s, packt die Pfeife ein und nimmt eine Woche Auszeit für die Reparatur seiner Zähne - Exerzitien im Sommerloch, unter ärztlicher Aufsicht, dringend geboten: _(* Die Fregatte »Niedersachsen« vorige ) _(Woche in Wilhelmshaven beim Auslaufen an ) _(die Adria. )

Souveränität oder Ignoranz? Präsentiert sich da der neue Politikertyp, smart, cool und weitsichtig, mit sicherem Gespür dafür, was sich politisch auszahlt und was nicht? Ein Manager, der mit der Werbekampagne warten kann, bis sein Produkt Marktchancen besitzt?

Oder hat der SPD-Chef nur Sorge, er könne sich bei einem so heiklen Thema wie der neuen Außenpolitik des vereinten Deutschland blamieren?

Will die SPD alternatives Polit-Entertainment bieten? Engholm als attraktive Kontrastfigur zu den streßgeplagten Bonner Routinetypen?

Warum eigentlich nicht? Die Antwort fällt leicht: Weil die große Oppositionspartei sich in miserabler Verfassung befindet. Und deshalb auch überzeugen alle extravaganten Profilierungsversuche des Vorsitzenden nicht.

Unter Engholms Führung hat es die SPD nicht verstanden, vom dramatischen Ansehensverfall der liberal-konservativen Koalition zu profitieren.

Zwischen April und Mitte Juli pendelte die Union nach den Erhebungen des Bielefelder Emnid-Instituts zwischen 35 und 37 Prozent, die SPD zwischen 38 und 40 Prozent. Selbst aus dem Regierungstief nach dem plötzlichen Rücktritt Hans-Dietrich Genschers zog die Opposition keinen nennenswerten Vorteil.

Als Person genießt Engholm immerhin Sympathie. Als Kanzler gäben ihm 52 von 100 Deutschen den Vorzug vor Helmut Kohl. Aber seine Partei hat nichts davon. Und in der SPD eckt der Vorsitzende vor allem mit Personalentscheidungen bei vielen Genossen an.

Bundesgeschäftsführer Karlheinz Blessing, 35, eine Entdeckung aus dem Stab des IG-Metall-Chefs Franz Steinkühler, hat sich bis heute wenig Respekt bei den altgedienten Funktionären verschafft. Er bringt seinen drögen Verein auch nicht mit Ideen oder Vorschlägen in die Schlagzeilen, wie es seinen Vorgängern Peter Glotz und Egon Bahr - beides keine Organisationstalente - regelmäßig gelang.

Die Kritik an Cornelie Sonntag (Presse) und Inge Wettig-Danielmeier (Schatzmeisterei) hält sich bislang nur mit Rücksicht auf Engholm in Grenzen.

Bisher war es immer so: Zeigte Engholm Mut zu Entscheidungen, war ihm wenig Erfolg beschieden.

Gegen seinen Rat wählte die Bundestagsfraktion nicht seine Favoritin Herta Däubler-Gmelin an ihre Spitze, sondern Klose. Den hatte er zuvor zugunsten von Blessing als Schatzmeister entmachtet. Folge: Zwischen der Parteizentrale und der Fraktion läuft heute wenig - und das nicht gut.

Beim Frühjahrsstreit mit der Koalition über die Erhöhung der Mehrwertsteuer gehörte Engholm schon zu den Verlierern. Der Brandenburger Manfred Stolpe verließ die Phalanx sozialdemokratischer Ministerpräsidenten im Bundesrat und verhalf der Regierung zur Mehrheit. Die Illusion, die SPD könne über die Länder Macht ausüben, war schnell verflogen.

Gegen den Widerstand Oskar Lafontaines zwang Engholm die SPD, Bedenken gegen die im Maastrichter Vertrag vereinbarte Währungsunion zurückzustellen. Gegen den Protest des Niedersachsen Gerhard Schröder führte der Vorsitzende eine SPD-Delegation Ende Mai zum Allparteienplausch an des Kanzlers Tisch.

Die demonstrative staatsmännische Verantwortung hält jedoch kaum jemand der Opposition zugute. Der Mißmut über die Preisgabe der Deutschen Mark wächst, die Abneigung vieler Sozialdemokraten gegen zuviel Techtelmechtel mit Kohl auch.

Fatale Wirkung: Immer häufiger entsteht der Eindruck, die Regierung treibe die Opposition vor sich her, nicht umgekehrt. Beim Boxkampf kann derlei Rollenwechsel geahndet werden: Einem Herausforderer, der den Titelverteidiger nicht attackiert, droht Disqualifikation.

Vom Herbst vorigen Jahres bis weit ins Frühjahr hinein hatte sich die SPD in Sachen Asyl von der Union in einen Streit um die Änderung des Grundgesetzartikels 16 locken lassen. Wie »eine Monstranz« (Glotz) hätten die Sozialdemokraten ihr Veto vor sich hergetragen. Sie hätten sich lange Zeit »weitgehend zum Immobilismus verdammt«.

Immer wieder hatte Kloses Konkurrent bei der Union, Wolfgang Schäuble, geschickt den Sozialdemokraten eingeredet, die könnten nur dann regierungs- und bündnisfähig werden, wenn sie sich auch in der Asylfrage bewegten. Klose zeigte sich zur Änderung des Asylartikels bereit, sofern es ein Einwanderungsgesetz gebe. Damit kommt er vielen SPD-Oberbürgermeistern und -Abgeordneten entgegen, kollidiert aber mit Parteibeschlüssen.

Ähnlich tief aufs sozialdemokratische Gemüt schlägt die Kontroverse um die Rolle der Bundeswehr in internationalen Krisenfällen. Pazifisten geraten aneinander mit Pragmatikern, die uneingeschränkte Erfüllung aller Bündnisverpflichtungen verlangen.

Auf dem Bremer Parteitag im Herbst vorigen Jahres lehnte die Mehrheit Kampfeinsätze unter Uno-Aufsicht ab, zumindest solange, wie die Weltorganisation nicht über ein allseits akzeptiertes Gewaltmonopol verfügt.

Zur Minderheit in Bremen gehörte nicht nur der Ehrenvorsitzende Willy Brandt, dazu gehörten auch Engholm und Klose. Die Koalition kann jetzt genüßlich auf die Widersprüche der SPD-Wortführer verweisen.

Um so unverständlicher erschien es vielen Genossen an der Basis, daß die SPD ausgerechnet die Kontrollfahrten der »Bayern« zum Anlaß für das Spektakel einer Sondersitzung nahm. Zuvor hatte die SPD-Spitze in Telefonaten mit Außen- und Verteidigungsminister den Einsatz von Minensuchern im Golf und die Entsendung von Sanitätern nach Kambodscha gebilligt.

Die Bürger im Osten der Republik, so Brandenburgs Ministerpräsident Stolpe, verstünden die SPD-Haltung ohnehin »nicht richtig«. Deutschland müsse seine Verantwortung deutlich machen, verlangt er. »Wir können uns nicht gebärden wie die Ziege am Strick. Wenn das Maß erreicht ist, bei dem gehandelt werden muß, dann muß gehandelt werden.«

Einflußreiche Sozialdemokraten dagegen wie Oskar Lafontaine, Gerhard Schröder und Rudolf Scharping verschanzen sich hinter dem Bremer Beschluß: Ja nur zu Blauhelm-Missionen und humanitären Einsätzen.

»Wenn du kämpfen willst, kauf dir eine Knarre und fahr an den Golf«, so hatte Lafontaine während des Irak-Krieges Klose abgefertigt. Der wollte damals auch deutsche Soldaten gegen Saddam Hussein schicken. »Sicherheitspolitik ist heute anders definiert als Ramtatam«, argumentierte der Saarländer.

Schröder pflichtet ihm bei: »Ein Wahnsinn, die Bereitschaft zum Militärischen zum Gradmesser nationaler Souveränität machen zu wollen.« Und Scharping sagt kategorisch: »Wenn der Osten in den Nationalismus zurückfällt, darf der Westen nicht zu altem kriegerischen Denken zurückkehren.«

Da werden Erinnerungen an die Zeit der innerparteilichen Schlachten um die amerikanischen Atomraketen Anfang der Achtziger wach. Im günstigsten Fall reagiere die Basis in Ortsvereinen und Unterbezirken heute mit »fröhlichem Fatalismus«, berichtet Bodo Hombach, der frühere Düsseldorfer Parteimanager und Wahlkampfexperte, heute Mitglied in der Düsseldorfer Landtagsfraktion.

»Was will unsere geliebte Partei?« fragte kürzlich Ex-Kanzler Helmut Schmidt die Mitglieder der Bundestagsfraktion. Zum ersten Mal nach vier Jahren hatte er mal wieder reingeschaut. Seine Mahnung: Es gelte, die Wahrheit zu sagen und nicht zu taktieren. Außenstehende könnten nicht mehr erkennen, was die SPD wolle. Die Genossen, inklusive Engholm und Klose, schauten betreten weg.

Das anschließende Geständnis des Parteivorsitzenden, die SPD habe »ihre _(* Im Hintergrund: Porträt des ) _(SPD-Ahnherren August Bebel. ) alternativen Entwürfe noch nicht hinreichend verdeutlicht« und müsse den Menschen »die absolute Wahrheit über die reale Lage« eröffnen, wirkte mehr hilflos als hoffnungsvoll. Das Dilemma benennt Vordenker Glotz: »Die Opposition ist unvorbereitet auf die Übernahme der Macht und lebte allzulange, allzu unbekümmert im Einerseits - Anderseits.«

»Ist die SPD stark genug, um das Land in seiner schwierigsten Phase seit 1955 zu regieren oder mitzuregieren?« fragte Glotz im SPD-Theorie-Magazin Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte. Seinen Zweifel drückt er schonend aus: »Potentiell ja, aber sie muß sich zusammenraffen.«

Doch einen derartigen Kraftakt traut Glotz derzeit dem Spitzenquartett - dazu zählt er neben Engholm und Klose Rau und Lafontaine - nicht zu: »Die sind noch kein fest verschweißtes Team.« Sein bitteres Fazit: »Die Schönhubers, die Diestels und die Gysis wirken heute leider als Opposition kräftiger als die SPD.«

»In Bonn erleben wir derzeit das Phänomen«, klagt Hombach, daß »Regierung und Opposition gleichermaßen verfallen«. Die SPD habe sich von der Koalition in »zu viele schmerzhafte Themen verwickeln lassen« - von der Änderung des Grundrechts auf Asyl bis zum Aufbau der neuen Bundesländer. »Das mag anständig sein«, meint Hombach, »ist aber nicht besonders schlau.«

Anstatt sich ständig von Kohl und dessen Helfer Schäuble in Mitverantwortung nehmen zu lassen, müsse sich die Opposition »von morgens bis abends« fragen, ob sie eine Alternative zur Regierung vorzeigen könne.

»Aus Bonn kommt keine Faszination und Motivation. Es fehlen Highlights und Möglichkeiten zur durchaus gewünschten Identifikation«, heißt es in einer vom Münchner Polis-Institut im Auftrage des Parteivorstands erstellten Mitgliederbefragung.

Wehmütig blicken Bonner Spitzengenossen ins Jahr 1960 zurück. Damals, am 30. Juni - ein Jahr nach Verabschiedung des Godesberger Programms, das die SPD zur Marktwirtschaft öffnete -, hatte Herbert Wehner mit einer denkwürdigen Rede im Bundestag Adenauers Westintegration samt Nato-Beitritt anerkannt.

Damals war der Berliner Regierende Bürgermeister Willy Brandt zum Kanzlerkandidaten gekürt worden. Er hatte Parteichef Erich Ollenhauer, der schon zweimal an Adenauer gescheitert war, mit seinem Machtanspruch derart beeindruckt, daß der überrascht ausrief: »Hier gibt es welche, die wollen wirklich regieren.«

Von Engholm wird dergleichen nicht behauptet.

Der Mainzer Ministerpräsident Scharping wartet - bislang vergeblich - auf die Debatte über die Identität des vereinigten Deutschland. »Da muß die SPD dringend was tun, sonst versackt alles in Langeweile und Orientierungslosigkeit.«

Friedhelm Farthmann, der SPD-Fraktionsvorsitzende im Düsseldorfer Landtag, wirft, ähnlich wie früher schon der Liberale Ralf Dahrendorf, die Frage auf, ob » die sozialdemokratischen Ziele abgearbeitet oder sogar weitgehend erfüllt« seien. Für die Denkansätze der Arbeiterbewegung, Solidarität und Verteilungsgerechtigkeit, »kriegen wir offensichtlich nichts mehr«.

Bis zum Jahre 2000 werde es in der SPD selbst im lokalen Bereich »keine Reste des alten Stallgeruchs, miefig und anheimelnd zugleich«, mehr geben. Diese Prognose geben die beiden Göttinger Politologen Peter Lösche und Franz Walter in ihrer Untersuchung »Die SPD: Klassenpartei - Volkspartei - Quotenpartei«.

Die Autoren sagen der Volkspartei den Marsch in die »lose verkoppelte Anarchie« voraus. Dieser Wandel könne sich für die SPD nur dann auszahlen, wenn es Engholm & Co. gelänge, Sozialreformer, Aufsteiger, Modernisten und Traditionalisten zusammenzuführen. Viel Zeit für dieses Kunststück bleibt Engholm nicht. Nach den Sommerferien ist seine Schonzeit zu Ende. Dann kann sich der Kanzlerkandidat nicht mehr hinter Krabbenfischern und Donauschiffern verstecken.

Und mit der von ihm angemahnten »kollektiven Führung«, das wird Engholm rasch spüren, ist es nicht weit her.

Sein Vize Lafontaine hält sich nach den Enthüllungen über allzu üppig bemessene Altersversorgung zurück. Rau ist damit ausgelastet, seinen Landeskindern eine doppelte Lebensplanung verständlich zu machen - den Anspruch auf Wiederwahl in Düsseldorf und auf die Kür zum Bundespräsidenten. Und Fraktionschef Klose hat sich inzwischen mit »einer unauffälligen Oppositionsführung« abgefunden.

Im August wollen Engholm und Lafontaine gemeinsam ein »Sofortprogramm« schreiben, für den Fall, wie der Vorsitzende kürzlich bei der ersten Arbeitsbesprechung sagte, »daß die SPD noch vor 1994 die Geschäfte übernimmt«.

Kein Zweifel dürfe mehr am patriotischen Geist der Partei aufkommen. »Die deutsche Einheit sei ein Glücksfall für unser Land« - an diesem Bekenntnis liegt Engholm sehr. Dazu das Credo zur »Leistungsfähigkeit der Wirtschaft«, zum »Umbau anstelle von Ausbau des Sozialstaates«. Und schließlich, trotz einer »Reformpolitik bei knappen Kassen«, das Versprechen, für ein »gesamtdeutsches Wohnungsbauprogramm« zusätzlich Staatsknete bereitzustellen.

Ko-Autor Lafontaine will sich um die Finanzen kümmern. Angesichts der gigantischen öffentlichen Verschuldung, die inzwischen auch die Haushalte zahlreicher Länder zu ersticken drohe, könnten weder späteren Generationen weitere Zinslasten noch den Arbeitnehmern weitere Sozialbeiträge für den Aufbau der neuen Länder aufgebürdet werden.

Vor Jungsozialisten in Oberhausen skizzierte der Saarländer seinen »Königsweg«, um die nötigen Milliarden für den Osten aufzubringen und zugleich durch Energieeinsparung die Umwelt zu schonen - durch eine radikale Erhöhung der Mineralölsteuer. Die Benzinpreise sollen in der ersten Stufe bis an die derzeitige Preisobergrenze in Europa (Italien: 2,04 Mark pro Liter unverbleites Benzin) steigen. Sozialer Ausgleich: Wem''s zu teuer ist, der soll auf ein kleineres Auto umsteigen.

Engholm sieht denn auch wegen des riesigen Finanzbedarfs der neuen Länder schlimme Zeiten voraus: einen brutalen Kampf zwischen Ost- und Westdeutschen um Milliarden, um Arbeitsplätze und den Lebensstandard.

Müßten auch die alten Länder für die DDR-Schulden geradestehen, so Engholms Rechnung, wäre Schleswig-Holstein bankrott. Die jährliche Zinslast würde sich schlagartig um eine Milliarde Mark fast verdoppeln, das Land müßte Schulen und Kindergärten schließen. »Auch das Saarland, Niedersachsen und Bremen wären dann mausetot.«

Andererseits weiß Engholm, daß er die nächste Bundestagswahl nur erfolgreich bestehen kann, »wenn die SPD im Osten erheblich zulegen und das holen kann, was die CDU dort verliert«.

Auf Anhieb fällt ihm derzeit nur ein Rezept ein, den Showdown zu verhindern. Es genüge nicht, wenn westdeutsche Sozialdemokraten in die neuen Länder reisten. Auch die Ostdeutschen, voran Stolpe, müßten sich häufiger im Westen sehen lassen, um mit den Bürgern der alten Länder über den Aufbau der ehemaligen DDR zu reden.

Und falls die Politiker-Landverschickung nicht fruchtet, muß sich Björn Engholm selber den Problemen und den Menschen stellen. Wat mutt, dat mutt.

[Grafiktext]

__33_ Meinungsforschung: Mehrheiten im Bundetag: Wer koaliert mit wem?

[GrafiktextEnde]

* Die Fregatte »Niedersachsen« vorige Woche in Wilhelmshaven beimAuslaufen an die Adria.* Im Hintergrund: Porträt des SPD-Ahnherren August Bebel.

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