SPANIEN Welch ein Irrtum
Die Zeremonie war ohne Glanz, die Atmosphäre im Saal eisig. Es gab weder Glückwünsche noch militärische Ehren, lakonisch wurde lediglich ein Absatz aus dem spanischen Staatsan-Zeiger verlesen:
Der Chef der »Generaldirektion für Sicherheit« in Madrid, Emilio Rodriguez Román, seit fünf Monaten im Amt, werde ersetzt durch Mariano Nicolás Garcia. Dann folgte die übliche Eidesformel vor dem Kruzifix und ein knapper Satz des Innenministers: »Meine Herren, vielen Dank.« Ende der Feier.
»In den Archiven der letzten 40 Jahre«, staunte die barcelonesische Tageszeitung »La Vanguardia« über den ungewöhnlichen Amtswechsel, finde sieh kein Name eines Sicherheitschefs, der kürzer amtiert habe als Don Emilio.
Doch noch vieles mehr, was in diesen Tagen in Spanien geschieht, wäre in den letzten 40 Jahren, als noch der Diktator Franco herrschte, unvorstellbar gewesen:
Da werden, außer dem Generaldirektor für Sicherheit, auf einen Streich auch gleich noch vier weitere höchste Polizeichefs entmachtet, da ohrfeigen demonstrierende Ordnungshüter und ihr ihnen vorgesetzter General einander auf offener Straße.
Erstaunlicher: Da halten Entführer vier Wochen lang den viertwichtigsten Mann im Staate -- den Staatsratspräsidenten Maria de Oriol y Urquijo -- in ihrer Gewalt, doch das öffentliche Leben geht in dieser Zeit weiter, als ob nichts geschehen sei.
Und, Gipfel des Undenkbaren noch vor wenig mehr als einem Jahr: Da fangen die Behörden nach intensiver Suche schließlich den Führer der illegalen KP Spaniens, Santiago Carrillo, der unter Franco als Erzfeind der Nation verteufelt wurde -- aber schon nach einer Woche setzen sie ihn gegen eine bescheidene Kaution wieder auf freien Fuß. Und der Zivilgouverneur von Madrid erklärt dazu öffentlich: »Von jetzt an ist Don Santiago Carrillo ein ganz normaler Bürger.«
Den Mann, der das politische Leben Spaniens derart in Bewegung bringen konnte, ohne bislang dabei überrollt zu werden, wählte die monarchistische Tageszeitung »ABC« vor wenigen Tagen zum »Spanier des Jahres«. Spanische Karikaturisten stellen ihn bereits als iberische Version von »Superman« dar: den Premierminister Adolfo Suárez, 44.
Als er vor einem halben Jahr sein Amt antrat, hätten, so »ABC«, »nicht einmal die größten Optimisten vorhersehen können«, daß ausgerechnet Suarez der richtige Mann für den Wandel Spaniens von der Diktatur zur Demokratie sein würde.
»Nun wird es dunkeL, kommentierte damals die regimekritische Zeitschrift »Cuadernos para el diálogo« die überraschende Ernennung von Suárez. »Welch ein Irrtum«, klagte der Historiker Ricardo de la Cierva, »welch ein ungeheurer Irrtum.«
Allzu eng schien der neue Mann mit dem alten Regime verknüpft Schon als Achtzehnjähriger war er Präsident der von konservativem Dogmatismus geprägten »Katholischen Aktion« im kastilischen Avila. Mit 26 leitete er das politische Büro der Provinzabteilung der aus der faschistischen Falange hervorgegangenen Nationalen Bewegung ("Movimiento"). In Salamanca und Madrid studierte er Jura.
Sein politischer Lehrmeister wurde der Altfalangist Herrero Tejedor, als dessen Privatsekretär er lange Jahre arbeitete -- ein Mann, der als Generalstaatsanwalt dem Franco-Regime die juristische Handhabe für die Verfolgung Andersdenkender gab. Herrero Tejedor schleuste den arbeitsamen, ehrgeizigen jungen Suarez durch die Verwaltungshierarchie des Movimiento bis ganz nach oben.
Nacheinander wurde er Chef im technischen Kabinett des stellvertretenden Movimiento-Ministers. Chef der juristischen Abteilung der Jugenddelegation bei der Zentralverwaltung, Leiter einer Movimiento-Schulungsabteilung, Programmdirektor beim Fernsehen, Zivilgouverneur von Segovia. Generaldirektor beim staatlichen Rundfunk und Fernsehen, Leiter der Tourismus-Kommission im 4. Entwicklungsplan, dann stellvertretender Movimiente-Minister. Francos später von Eta-Attentätern getöteter Ministerpräsident Carrero Blanco förderte die Karriere des Jung-Politikers mit besonderem Wohlwollen.
Wie kaum ein anderer lernte Suárez so die Struktur des Machtapparates kennen, entdeckte er die Stärken, aber wohl auch die Schwachstellen des Movimiento, der einzigen politischen Organisation, die in Spanien zugelassen war und gegen die im Franco-Staat keiner politische Karriere machen konnte.
Zweifellos nutzte ihm später diese intime Kenntnis, um den Pfeilern des alten Regimes, einem nach dem anderen. den Boden zu entziehen, auf dem sie standen, »Suárez war der ideale Mann, den korrupten Machtapparat der Diktatur abzubauen«, erkannte im Nachhinein der liberale Politiker Taruella -- doch zunächst deutete nichts darauf hin, daß Suárez dergleichen vorhatte.
Gewiß, in der ersten Regierung nach Franco, der Suárez als Minister des Movimiento angehörte, opponierte er gegen den noch von Franco übernommenen Premier Arias. Aber das gehörte in jenen ersten Monaten der Nach-Franco-Ara fast zum guten Ton. Als König Juan Carlos den abgewirtschafteten Arias im vergangenen Juli entließ und seinen Tennispartner Suárez zum Premier machte, gab man dem Suárez-Kabinett nicht mehr als drei Monate.
Nach drei Monaten aber war die Demontage des alten Regimes bereits in vollem Gange. Der jüngste Premier Europas entmachtete die Stützen der Diktatur so raffiniert, daß die es zunächst gar nicht merkten.
Um etwa das politische Reformprojekt seiner Regierung durch das noch aus Francos Zeiten stammende Pseudo-Parlament, die Cortes, zu bringen, nahm Suárez sich die konservativsten Abgeordneten einzeln vor. In langen Gesprächen oder beim Abendessen überredete er sie, ihren Widerstand gegen die Regierungsreform aufzugeben -und tatsächlich stimmten im November nur 59 gegen die Reform, mit der die Cortes sich selbst abschaffen und durch ein freigewähltes Zwei-Kammer-Parlament ersetzen.
Im Gegenzug machte der Regierungschef den Rechten kleine Zugeständnisse: Noch ehe die Beratungen in den Cortes begannen, verbot er der noch immer illegalen Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens (PSOE), ihren für diese Zeit angesetzten Parteikongreß in Madrid abzuhalten. Vier Wochen später -- und damit wiederum beruhigte er die Linken -- durften die Sozialisten mit ausländischen Gästen wie Willy Brandt und Olof Palme dann doch tagen.
Mit der gleichen Taktik nahm die Regierung auch die schwierige Hürde des ersten Todestages von Franco: Die Ultrarechte, die lautstark eine Massen-Gedenkmesse in den Straßen von Madrid forderte, durfte dort zwar eine kurze Versammlung, aber keine politischen Reden und keine Messe halten. Die Regierung samt Königsfamilie gedachte des toten Caudillo im 64 Kilometer entfernten »Tal der Gefallenen
Rechten Extremisten, wie dem Führer der »Christkönigskrieger«, Sánchez-Covisa, der kurz zuvor in einem SPIEGEL-Interview verkündet hatte, Gewalt sei nichts Schlechtes, nahmen die Behörden Pistole und Waffenschein weg. Den Berliner Korrespondenten der »Radio Nacional de Espana« Julio Sierra aber, der Auszüge des Interviews nach Spanien gesendet hatte, berief der Staatsrundfunk nach Madrid zurück. Durch sein geschicktes Lavieren zwang Suárez die Opposition von rechts wie von links allmählich, ihre dogmatischen Standpunkte zu mildern. Die demokratische Linke ging von ihrer ursprünglichen Forderung nach einem »demokratischen Bruch« mit der Vergangenheit über zu einem mit der Regierung »ausgehandelten Bruch«. Die Rechte gab ihr Dogma auf, niemals politische Parteien zu erlauben, und gründete selber welche,
Erfolgreich setzt der Premier bei seinen politischen Schachzügen auch auf die Mittel der Massenpsychologie; um Tendenzen und Stimmungen im Volk abzutasten, läßt er, für Spanien ein Novum, Meinungsumfragen durchführen, und möglicherweise setzt er ganz bewußt sogar das eigene Äußere ein:
Bei einer Umfrage gaben kürzlich fast 70 Prozent der spanischen Frauen an, den Ministerpräsidenten zu kennen, weil er ein gutaussehender Mann sei -- wichtiger Faktor, wenn die Bevölkerung in einem Referendum darüber abstimmen soll, ob sie die Reformpolitik dieses Mannes bejaht oder nicht.
Ja sagten in der Volksbefragung am 15. Dezember denn auch 94 Prozent der Wähler, nur drei Prozent stimmten mit Nein, nur 23 Prozent wählten überhaupt nicht -- ein Ergebnis, das Suárez so positiv wohl selbst nicht erwartet hatte, da die Regierung unmittelbar vor dem Referendum ihre bis dahin heikelste Herausforderung erlebte: Entführer, die angeblich einer linken Splittergruppe namens Grapo angehören, kidnappten den Staatsratspräsidenten Oriol und kündigten zunächst an, ihn zu töten, wenn nicht 15 politische Häftlinge freigelassen würden.
Die Regierung gab nicht nach, sondern spielte auf Zeit. Und nach schon * In Carrillos Madrider Wohnung.
bewährtem Muster beruhigte Suárez die aufgeregte Rechte, die laut nach Maßnahmen gegen die Linken schrie, durch eine Geste: Die Regierung versprach. sie werde den illegal im Lande lebenden KP-Chef Carrillo, der gerade eine geheime Pressekonferenz abgehalten hatte, aufspüren und verhaften.
Zwei Tage vor Weihnachten hatte sie ihn tatsächlich und mit ihm sieben weitere KP-Führer. Die Verhaftung -- »Operation Pausbacke« (Operación Moflete) genannt -- war kein Zufallstreffer und auch kein eigenmächtiges Vorpreschen der Polizei. Im Haus an der Straße Padre Jesús Ordónez, vor dem Carrillo und seine Genossen abends um sieben Uhr verhaftet wurden, hatten die KP-Leute seit morgens um zehn Uhr getagt. Polizei, Regierungschef und König hielten den ganzen Tag Kontakt, bis der Befehl kam. das Haus zu durchsuchen. Die Kommunisten kamen freiwillig heraus.
Während die Linke noch gegen Garrillos Verhaftung protestierte, empfing Suárez' Kabinettschefin Carmen Diez de Rivera -- eine attraktive, kluge Dreißigerin, die erste Frau auf diesem Posten -- im Regierungssitz Familienangehörige und Genossen der Verhafteten. Es war das erste Mal, daß Kommunisten die »Presidencia« betraten.
Eine Woche später ließ die Regierung die Verhafteten, bis zu einem irgendwann in der Zukunft stattfindenden Prozeß, wieder frei und gab damit zumindest Carrillo, dem sie bislang einen spanischen Paß verweigert hatte. eine legale Existenz.
Carrillo revanchierte sich. Die Regierung, tobte er, habe »ein hohes Maß an Gespür für die derzeitige Realität« gezeigt. Die Kommunisten verzichteten nun stillschweigend auf einen Platz in der Verhandlungskommission der demokratischen Opposition, die demnächst mit Suárez die Legalisierung der Parteien aushandeln soll.
Unterdessen hatte Suárez schon weitere Hindernisse auf dem Weg zur Demokratie geschafft: Innerhalb weniger Tage entließ er einen der mächtigsten rechten Generale, Guardia-Civit-Chef Angel Campano, löste die von Franco vor 13 Jahren geschaffenen Sondergerichte für politische Delikte auf und nahm den Militärgerichten die Zuständigkeit für Zivilpersonen.
Das Mitarbeiterteam des Premiers ist derweil so groß geworden, daß Suárez umzog in den größeren »Moncloa«-Palast, der auf halbem Wege zwischen Madrid und der Residenz des Königs liegt. Mindestens dreimal wöchentlich konferieren König und Premier.
»Die Regierung Suárez ist sicher nicht die beste der Welt, sie ist nicht gewählt«, schrieb die Madrider Abendzeitung »Diario 16«, die der demokratischen Opposition nahesteht. »Aber ob wir wollen oder nicht, sie ist unsere einzige Hoffnung, um zur Demokratie zu kommen.«