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WELCHER PERSER ISST SCHON SCHWEIN?

Der Autor des Buches »Persien, Modell eines Entwicklungslandes oder Die Diktatur der Freien Welt«, Dr. Bahman Nirumand, heute freier Schriftsteller in West-Berlin, versucht in einem Beitrag zu widerlegen, was der SPIEGEL in der Titelgeschichte »Persien -- Krönung auf 01« (SPIEGEL 44/1967) über ihn schrieb: daß er mit manipulierten Zahlen ein Zerrbild des heutigen Persiens gezeichnet habe. Der SPIEGEL entgegnet Bahman Nirumand in jedem Punkt.
aus DER SPIEGEL 47/1967

NIRUMAND: Der SPIEGEL, dem man gemeinhin Akribie in der Faktenermittlung und Objektivität in Detailfragen nachsagt, übernimmt hier ungeprüft Zweckmeldungen interessierter Gegenseiten.

Die gegen mein Persien-Buch vorgebrachten Einwände sind, bis auf einen einzigen, nicht das Ergebnis eigener kritischer Lektüre des Artikelschreibers, sondern den Besprechungen zweier Zeitungen entnommen, die der SPIEGEL sonst nur zwecks Ironisierung zitiert: zum größten Teil einer in »Christ und Welt« abgedruckten Rezension des »Orient« (Organ Hamburger Überseekaufleute) und ferner einer Kritik in der FAZ von Sigrid Lofti, der Frau eines Teheraner Fabrikanten und Rechtsanwalts, der die Interessen der deutschen Investoren in Persien wahrnimmt. Rechtzeitig lag dem SPIEGEL zu diesen Punkten eine Gegendarstellung vor, die eine unbesehene Wiederholung der gegen mich erhobenen Vorwürfe zumindest als einen bewußten Verzicht auf Objektivität erscheinen lassen muß.

SPIEGEL: Als der Persien-Titel erschien, war Nirumands Buch bereits sieben Monate auf dem Markt und mehrfach besprochen worden. Wer Nirumands Angaben überprüfte, dem mußten die Fehlleistungen des Autors mithin schon vor dem SPIEGEL auffallen. Den Artikel in »Orient« verfaßte ein sachkundiger Autor, Diplom-Volkswirt Horst Müllers, der den wirtschaftlichen Teil des »Iran«-Bandes zum »Orient«-Handbuch bearbeitete.

Daß »Orient« ein Organ deutscher (nicht Hamburger) Kaufleute und die FAZ-Rezensentin Sigrid Lofti Ehefrau eines deutschfreundlichen Teheraner Rechtsanwalts ist, muß so lange irrelevant bleiben, wie beide -- im Gegensatz zu Nirumand -- für ihre Argumentation Zahlen und Fakten heranziehen, die jederzeit überprüfbar sind.

Die dem SPIEGEL vorgelegte »Gegendarstellung« Nirumands zur »Orient«-Rezension bestätigte lediglich die Berechtigung der Kritik an Nirumands Buch, denn es gelang Nirumand nicht, die Vorwürfe der Rezensenten zu entkräften. Es ist also keine »unbesehene Wiederholung der ... Vorwürfe«; erst Nirumands Gegendarstellung bewies von neuem, wie großzügig er mit Zahlen umgeht.

Dementi aus Teheran

NIRUMAND: Die strittigen Fragen zu meiner Person hätten zu ihrer Klärung keiner langwierigen Recherchen bedurft. Der findige SPIEGEL hätte sich z. B. bei der Alexander von Humboldt-Stiftung über vorliegende Unterlagen für meine Dozententätigkeit an einer Teheraner Hochschule informieren können; schriftliche Bestätigungen der Universitätsbehörden und des damaligen Rektors der Teheraner Universität dürften wohl schwerer wiegen als die Behauptung eines Leiters am Goethe-Institut, der erst Jahre später nach Teheran kam.

Und wenn man schon die Möglichkeit fundierter Kritik meint auf dem Kurzzeitmesser ablesen zu können, so darf man dabei nicht vier drei sein lassen: Nachdem ich im Sommersemester 1960 meine Promotion abgeschlossen hatte, bin ich im September nach Teheran zurückgekehrt und war dort bis Oktober 1964. Während meiner Studienjahre in Deutschland habe ich mich intensiv mit den aktuellen Fragen des Iran beschäftigt; dreimal war ich als Schüler und Student in den Ferien in Persien und habe dort beispielsweise die Zeit des CIA-Putsches gegen Mossadegh selbst miterlebt.

SPIEGEL: Die Alexander von Humboldt-Stiftung zahlte Nirumand von November 1964 bis Februar 1966 monatlich 800 Mark, dann bis Januar 1967 monatlich 1000 Mark als Habilitations- und Forschungsstipendium (plus 230 Mark Familien- und Kinderbeihilfe), weigert sich allerdings heute mit zuteilen, wer Nirumand -- der sich bisher nicht habilitierte, sondern während der Stipendiumszeit sein Anti -- Persien -- Büchlein schrieb -- für das Stipendium vorschlug.

Unabhängig davon: In einer Gegendarstellung zu einem Artikel in »Christ und Welt« behauptet Nirumand, er sei »im Jahre 1951 als Schüler nach Deutschland gekommen«. Tatsächlich aber kam er -- wie seine Frau auf Befragen einräumte -- bereits 1949. Diese Zahl nannte auch das Goethe-Institut Teheran in einer Antwort auf Nirumands Gegendarstellung. Der Brief des Instituts (abgedruckt in »Christ und Welt« vom 29. September 1967) wurde denn auch von Nirumand bisher nicht dementiert. Der Leiter des Goethe-Instituts Teheran beharrt darauf, daß Nirumand erst 1961 nach Persien zurückkehrte und »niemals eine iranische Universität von innen gesehen« hat. Am 31. Oktober 1967 erklärte der Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Teheran, Dr. Saffa, auf Befragen, Nirumand sei weder offiziell noch inoffiziell jemals Dozent an der Universität Teheran gewesen (siehe Telegramm Seite 169).

Thesen und Zahlen

NIRUMAND: Wie vorauszusehen war, beschäftigt sich die Kritik nicht mit den grundlegenden Thesen meines Buches -- der Aneignung der natürlichen Ressourcen des Landes durch ausländische Mächte und der Kollaboration der einheimischen Oberschicht unter der Führung einer Regierung, die durch massive Militärhilfe des Auslands von der Zustimmung des Volkes unabhängig gemacht wird -, sie versucht vielmehr, sich durch die Manipulation von Details aus der Affäre zu ziehen.

Ich habe beispielsweise nicht behauptet, der Verkaufspreis für Öl habe 1.950 fünf Pfund Sterling pro Tonne betragen. Diese Zahl kommt lediglich im Zitat aus einer Rede Mossadeghs vor, wo er ausführt, daß die Einnahmen Persiens nach der Verstaatlichung selbst bei einem Verkaufspreis von nur fünf Pfund wesentlich höher liegen würden als unter der Konzession der Anglo-Iranian Oh Company.

Laut einer Veröffentlichung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen betrug der Reingewinn der Anglu-Iranian im Jahre 1950 180 bis 200 Millionen Pfund Sterling oder 500 bis 550 Millionen Dollar und der iranische Anteil im selben Jahre 45 Millionen Dollar.

SPIEGEL: Nirumands Thesen leben von Nirumands Zahlen. Zum Thema Öl schreibt Nirumand noch in seiner dem SPIEGEL zur Kenntnis gebrachten »Gegendarstellung« zur »Orint«-Rezension, der Verkaufspreis von fünf Pfund Sterling (ca 56 Mark) für eine Tonne Rohöl sei von Mossadegh nur als Beispiel genannt worden, in Wirklichkeit sei der Preis viel höher gewesen. Inzwischen hat er offenbar aus einschlägigen Quellen (zum Beispiel: Zuhayr Mikdashi: »A Financial Analpsis of Middle Eastern Oil Concessions 1901 bis 1965«; Praeger, New York/Washington/London 1966, Seite 155) gelernt, daß der Ölverkaufspreis 1950 nicht bei »nur fünf Pfund«, sondern sogar darunter lag (knapp 53 Mark), und distanziert sich vom Mossadegh-Zitat.

Nirumands Angabe, bei einer Förderung von 31,75 Millionen Tonnen hätten die ausländischen Gesellschaften einen Gewinn von 180 bis 200 Millionen Pfund erzielt, wird dadurch aber nicht richtiger. Als Quelle dient ihm zwar eine »Veröffentlichung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen«. Dabei handelt es sich aber nicht um eine offizielle Statistik, sondern um die gedruckte Wiedergabe der Rede des persischen (Mossadegh-)Vertreters Allah-yar Saleh im Sicherheitsrat, der selbst zu gibt, daß seine Zahlen »auf Schätzungen beruhen« (rely on estimates).

Gerste und Reis

NIRUMAND: Meine Angabe, daß zwischen 1947 und 2951 in Persien weniger Reis und Gerste angebaut wurden als in den Jahren 1934 bis 1938, ist der Review of Econ. Condit. in the Middle East, U. N. Dept. of Econ. Aff. (1953), S. 27, entnommen; als Gegenbeweis beruft sich der Rezensent des »Orient« auch auf eine Uno-Veröffentlichung, jedoch kann er weder die genaue Stelle noch einen vergleichbaren Zeitraum anführen.

SPIEGEL: In der SPIEGEL-Quelle ("L'evolution économique au Moyen Orient 1945 à 1954«, erschienen 1955 in New York, Seite 96, zitiert nach Dr. H. Razawi: »Die Strukturveränderungen der iranischen Wirtschaft«, Nürnberg 1962) war die Gerste- und Reisproduktion von 1934 bis 1938 nicht -- wie vom SPIEGEL angenommen -- als Summe, sondern als Jahresdurchschnitt angegeben. Zwischen 1947 und 1951 wurde demnach tatsächlich weniger Gerste produziert als zwischen 1934 und 1938; die Reisproduktion jedoch war in den vier Nachkriegsjahren (Durchschnitt: 489 000 Tonnen) höher als in den vier Vorkriegsjahren (423 000 Tonnen).

Strohmann mit Prozenten

NIRUMAND: Die Zahl der in Persien arbeitenden ausländischen Firmen läßt sich auf dem Statistischen Amt in Teheran nicht ermitteln. In der Mehrzahl der Fälle wird bei ausländischen Niederlassungen ein iranischer Strohmann vorgeschoben, unter dessen Namen die Firma registriert wird und der genau so viel Kapital übernimmt, daß die Aktienmehrheit pro forma nicht in ausländischem Besitz ist. Durch das gleiche Verfahren beschränkt man die Auslandsbeteiligung in iranischen Banken auf 49 Prozent.

SPIEGEL: Vielleicht läßt sich die Zahl der in Persien arbeitenden ausländischen Firmen auf dem Statistischen Amt in Teheran doch ermitteln: Seit Nirumands letztem Persien-Besuch ist die Statistik in Persien seriöser geworden. Aber vom Statistischen Amt stammt die SPIEGEL-Zahl nicht, sondern aus der Schrift »Iran -- Country for Investment«, die im Mai 1966 von der iranischen Zentralbank, »Bank Markazi Iran«, herausgegeben wurde und ausländische Firmen durch Aufführung der schon in Persien vertretenen Ausländer zum Investieren ermuntern soll.

Letztes Drittel

NIRUMAND: Daß ein chronologisch aufgebautes Buch nicht vorwiegend Zahlen aus den unmittelbar voraufgegangenen Jahren bringt, dürfte sich von selbst verstehen. Die Zahlen im letzten Drittel meines Buches beziehen sich jedoch durchweg auf den Zeitraum nach 1963.

SPIEGEL: Nirumands Buch wird nicht dadurch aktueller, daß er deutsche und gelegentlich auch ausländische Zeitungen aus den Jahren nach 1963 zitiert, solange er sich nicht mit den Gegebenheiten in Persien nach 1963 auseinandersetzt.

Zwei Kurse

NIRUMAND: Der Außenhandelsüberschuß unter Mossadegh und das Handelsbilanzdefizit aus der Zeit nach seinem Sturz gehen hervor aus der vom Iranischen Zollamt veröffentlichten Handelsbilanz und decken sich mit Veröffentlichungen der Weltbank und des amerikanischen Handelsministeriums. Ich wüßte nicht, daß diese Stellen mit verschiedenen Kursen operieren.

SPIEGEL: Nirumand, der persische Quellen sonst in Grund und Boden verdammt (siehe unten), beruft sich hier auf die Angaben des Iranischen Zollamtes. Aber selbst dessen Veröffentlichung hat er offensichtlich falsch gelesen, denn für 1953/54 gibt das Iranische Zollamt sehr wohl zwei verschiedene Kurse an. Auf Seite 61 der Zollamts-Statistik von 1954 heißt es:

Export zum offiziellen Kurs: 3 020 111 039 Rial Import zum offiziellen Kurs: 5 324 266 117 Rial Export zum deklarierten Kurs: 8 688 751 386 Rial Import zum deklarierten Kurs: 15 830 048 449 Rial

Welchen Kurs man auch zugrundelegt, es gab 1953/54 (und auch vorher) keinen Exportüberschuß. Nirumand verglich Importe zum offiziellen Kurs mit Exporten zum deklarierten Kurs. Ein Toter

NIRUMAND: Auch der einzige originale SPIEGEL-Einwand ist nicht stichhaltig. Daß Studentendemonstrationen auch entgegen den in der Universitätssatzung enthaltenen Bestimmungen durchgeführt werden, dürfte auch dem SPIEGEL nicht unvorstellbar sein. Als Beweis für keine »Gewalt auf dem Campus« hätte er die Teheraner Studentendemonstrationen im Mai dieses Jahres allerdings nicht nennen dürfen: Amtlichen Berichten zufolge wurde dabei ein Student auf dem Campus erschossen; unbestätigte Meldungen sprechen sogar von drei getöteten Studenten.

SPIEGEL: Ein »amtlicher Bericht« über das Todesopfer bei den Studentendemonstrationen vom Mai dieses Jahres ist weder dem SPIEGEL noch zum Beispiel der Deutschen Presse-Agentur bekannt. Seit Mai ist der Polizeistaat aber offenbar noch toleranter geworden: Am Tag vor der Krönung verteilten Studenten in Teheran Flugblätter gegen den Schah. Von Toten ist bislang weder in amtlichen noch in unbestätigten Meldungen die Rede.

Halbe Wahrheiten

NIRUMAND: Leider bringt der SPIEGEL keine Quellenangaben für seine Statistiken, mit denen er beispielloses wirtschaftliches Wachstum des Entwicklungslandes Persien vorspiegelt. Da die im SPIEGEL genannten Werte das Zahlenmaterial deutscher Wirtschaftsinstitute weit hinter sich lassen, darf man annehmen, daß der SPIEGEL sich (bona fide?) der planvollen Verlogenheit des iranischen Informationsministeriums angeschlossen hat.

Halbe Wahrheiten sind oft ganze Lügen: Ein Lehrer, der 250 Mark im Monat verdient, muß für eine einfache Drei-Zimmer-Wohnung 300 Mark, für einen Liter Milch eine Mark und für ein Pfund Hammelfleisch neun Mark bezahlen; auf dem Papier steht eine fortschrittliche Sozialgesetzgebung, aber sie ist auch nicht in einem einzigen Betrieb Persiens Wirklichkeit geworden; das »weltweite Ölkonsortium«, das Persien laut SPIEGEL beim Ausbau der Industrie »hilft«, streicht weit über die Hälfte der Erlöse aus dem persischen Ölreichtum ein.

SPIEGEL: Quellenmaterial wurde dem SPIEGEL auch von persischen Behörden zur Verfügung gestellt. Vor allem aber beziehen sich die SPIEGEL-Zahlen auf Berichte der Weltbank (die als Kreditgeber kaum Interesse daran haben kann, schönzufärben, Persien aber dennoch als »in hohem Maße kreditwürdig« bezeichnet), der Uno, des Statistischen Bundesamtes, der Deutschen Botschaft und auf eigene Recherchen vor Ort.

Für eine komplette Mahlzeit mit einem etwa 200 Gramm schweren Hammelstück (außerdem Reis, Butter, Zwiebeln) zahlte der Autor der SPIEGEL-Titelgeschichte in Varamin 2,50 Mark. In der Hauptstadt kostet ein Kilo Hammelfleisch je nach Qualität drei bis sechs, ein Kilo Schweinefleisch neun Mark (welcher Perser ißt schon Schwein?). Weitere Preise aus dem Jahr 1967: ein Kilo Reis bester Qualität 1,50 Mark; ein Kilo Zucker 1,35 Mark; ein Kilo Mehl 1,50 Mark; ein Kilo Butter 3,75 Mark.

1966/67 exportierte Persien (laut Bundesstelle für Außenhandelsinformation, Köln) Öl und Ölprodukte im Wert von etwa 4,58 Milliarden Mark. Davon flossen 2,84 Milliarden in den iranischen Haushalt. Das »weltweite Ölkonsortium« strich mithin nicht mehr als die Hälfte, sondern 38,25 Prozent des Erlöses ein.

Gegendarstellung

NIRUMAND: Falls Sie an objektiver Information Ihrer Leser interessiert sind, bin ich bereit, eine ausführliche Gegendarstellung zu Ihrem Persien-Artikel zu schreiben. SPIEGEL: Danke.

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